Seven Lines About Future
Die Zukunft wird kommen.
Ludwig Fels, Mit mir hast du keine Chance, 5
Auch die der Literatur.
Sie wird wenig Heimat haben,
wenn sie kommt.
Aber Tag und Nacht und
die Körper, die sie lieben.
Schlagwort: zukunft

Ins Netz gegangen am 21.9.:
- Who’s the world’s leading eco-vandal? It’s Angela Merkel | The Guardian → george monbiot schreibt im “guardian”, was ich in deutschen medien auch gerne öfters lesen würde — eigentlich vergleicht er nur worte und taten, anspruch und wirklichkeit — und kommt eben fast zwangsläufig zu einem desaströsen ergebnis:
Merkel has a fatal weakness: a weakness for the lobbying power of German industry. Whenever a crucial issue needs to be resolved, she weighs her ethics against political advantage, and chooses the advantage. This, in large part, is why Europe now chokes in a fug of diesel fumes.
- Wikipedia baut ab, oder: Was von „open“ übrig bleibt | albatros → jürgen fenn über den langsamen niedergang der wikipedia, verdeutlicht am zunehmenden mangel an autorinnen
- Improvisation – ein Rant aus enger Komponistensicht | Bad Blog of Musick → ich bin nicht ganz so pessimistisch wie alexander strauch, aber leider hat er viel zu oft recht …
Die Flucht in die Performance ist für mich das Hauptproblem freier, improvisierter Neuer Musik. Gleich gefolgt von der Tendenz, ja nicht mal konkret, gar ekstatisch zu werden, das gefühlte Dauer-Mezzoforte für alle Parameter.
- Die Macht der Beharrung | futurzwei → georg diez:
Manchmal muss man springen, um zu verstehen, wo man stand.
Ins Netz gegangen am 15.4.:
- Vorratsdatenspeicherung: Du bist verdächtig | ZEIT ONLINE — ach, das ist doch alles so blöd, unsinnig, ohne verstand und gemein — manchmal möchte man wirklich ausflippen. erst inszeniert sich justizminister maas als standhafter gegner der anlasslosen überwachung namens vorratsdatenspeicherung — jetzt knickt er doch wieder ein und lässt sich halt einen neuen namen einfallen. zum kotzen, das alles, diese verachtung der grundrecht an höchsten stellen … kai biermann hat dazu einen — ich weiß nicht, seinen wie vielten — klugen kommentar geschrieben
Und dann bleibt da noch die Haltung, die sich in dem Vorhaben zeigt. Das Grundgesetz wurde in dem Wissen geschaffen, dass die Exekutive prinzipiell übergriffig ist, dass sie immer versuchen wird, ihre Bürger stärker zu überwachen. Das Grundgesetz soll die Bürger davor schützen, soll den Staat im Zaum halten. Diverse Gerichte haben das angesichts der vielen, vielen Überwachungsinstrumente, die es längst gibt, immer wieder betont, bekräftigt, daran erinnert. Überwachung trotzdem ausdehnen zu wollen, ist geschichtsvergessen und ignorant gegenüber der Verfassung.
- Er war kein Urvater des Pop — Rolf Dieter Brinkmann zum 75. Geburtstag : literaturkritik.de — markus fauser erinnert an rolf dieter brinkmann und seine literarische prägung, die keineswegs — wie immer noch oft angenommen und behauptet wird — vor allem der pop war:
Ihm war nicht zu helfen. In seinem kurzen Leben schuf er unter enormem Druck einige größere Werke. […]
Seine gesamte Prosa hatte ohnehin mit Pop nichts zu tun und nur ein kleiner Teil seiner Gedichte war davon angeregt. Gerade auch die jüngeren Studien aus der Forschung legen darauf Wert. Pop steht nicht nur in der Literatur bis heute für ein positives Weltverhältnis, für einen spielerischen Umgang mit der Realität und – vielleicht am wichtigsten – für das Hinnehmen von Konsum und Kommerz. Nichts davon passt auf Brinkmann. […]
Sein Werk steht vielmehr im Zeichen der nachholenden Moderne. - Konkurrenz zu Amazon: Nette Buchhändlerinnen allein reichen nicht — Bücher — FAZ — ulf erdmann ziegler überlegt, ob nicht verlage, grossisten etc. in deutschland ein konkurrenz-unternehmen zu amazon im bereich des buchverkaufs/buchversands aufziehen könnten und/oder sollten
- Günter Grass: Oskar Matzerath ist eine ganze Epoche — nora bossong denkt anlässlich des todes von günter grass wohltuend unaufgeregt über die rolle und die möglichkeiten einer schriftstellerin damals und heute nach
Auch hat sich der Diskurs fragmentiert und in verschiedene Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt. Hier die Politik, da die Kunst, sprechen Sie, wenn Sie aufgefordert werden und für den Rest gilt: Ruhe, setzen. Ein Weisungsmonopol, wie es Grass innehatte, kann heute kein Intellektueller mehr für sich beanspruchen und es scheint auch nicht mehr erwünscht. Die Frage ist, ob zu viel Stille irgendwann taub macht.
- “House of Cards”: Die teuerste Seifenoper der Welt | ZEIT ONLINE — nicklas baschek zeigt die probleme von “house of cards” sehr schön auf. mich stört ja daran vor allem: dieses verständnis von politik wird größtenteils als realistisch wahrgenommen — und das hat, befürchte ich, doch massive auswirkungen auf unser/das politische handeln in der wirklichkeit, die ich nicht gut finden kann. man muss sich zum vergleich nur mal die darstellung des politischen handelns in “the west wing” anschauen, um zu sehen, wie zerstörerisch das netflix-bild ist (und wie sehr sich das “durchschnittliche” bild von politik offenbar in den letzten jahren gewandelt hat) …
- Medien Internet: Die Okkupation der Privatsphäre | Kultur — Frankfurter Rundschau -
Wir gefährden die Demokratie, wenn wir die Grenzen zwischen öffentlich und privat aufheben, sei es mutwillig oder nachlässig.
sehr schönes gespräch mit harald welzer über privatheit, den nutzen und die gefahren von innovationen, auch digitalen techniken, und die möglichkeiten, sich dem entgegenzustellen, das zu ändern …
- Diese miese Krise — Nachrichten Print — DIE WELT — Kein Geld, keine Würde. Eine griechische Fortsetzungsgeschichte – marlene streeruwitz als nelia fehn schreibt die geschichte von “Die Reise einer jungen Anarchistin nach Griechenland” in einem recht seltsamen text fort
- Wolf Wondratschek: Bestseller, Auflage: 1 — Bücher — FAZ — sehr seltsamer text von volker weidermann über den meines erachtens tendenziell überbewerteten wolf wondratschek. und das war mal ein literaturkritiker! hier ist alles nur eine einzige jubelei. irgend ein historischer kontext fehlt völlig: dass kunst mäzene hat, die unter umständen die einzigen sind, die das werk kennen dürfen/können, ist ja nun wirklich nicht neu. interessant auch, wie kritiklos er den “mäzen” wondratscheks porträtiert, der ausdrücklich nicht kunst, sondern “den menschen” kauft — alles sehr seltsam. aber was soll man von einem literaturkritiker halten, der solche sätze schreibt: “Was für ein herrlicher Moment für einen Kritiker: Ein Buch, das er nicht lesen kann, wird ihm vom Dichter selbst erzählt.” — das ist ja mal wieder typisch: da bleibt doch nur der inhalt — aber die form, die das erst zur kunst macht, ist doch da nicht mehr vorhanden!
Die Zukunft enhält nicht nur jede Menge schwarzer Schwäne, sie ist selbst einer.
—Ulrike Draesner
Angelika Meier, Heimlich, heimlich mich vergiss
Heimlich, heimlich mich vergiss ist ein Traumroman, ein wunderbarer und oft auch wunderlicher Text. Ich will hier gar nicht eine Deutung dieses Buches versuchen. Der Witz an Angelika Meiers Roman ist ja in meinen Augen gerade, dass er sich eindeutigen Lesarten eindeutig verschließt: Alles — und wirklich so ziemlich alles, vom Anfang bis Ende — kann, darf und soll man (also der Leser) immer auch anders verstehen. Gleich ungeheuer begeistert hat mich schon unmittelbar während der Lektüre die Art, wie Meier hier die Informationsvermittlung gestaltet. Sie stopft nämlich nicht alles lehrbuchmäßig in die Exposition, sondern verteilt wesentliche Mitteilungen zu Figuren, Konstellationen, Umständen, Setting und Handlung wunderbar ökonomisch und quasi-natürlich über die ganzen 300 Seiten. Oder eben auch nicht: Die Autorin unterliegt nämlich nicht dem Wahn, alles zu sagen und erklären zu müssen, der die aktuelle Belletristik oft so langweilig macht. Hier ist der Leser/die Leserin noch selbst gefragt. Solch ein Text hat naturgemäß viele offene Stellen, die man — denke ich — einfach mal so stehen lassen und aushalten muss. Oder als Leser selbst füllt.
Aber worum geht es hier eigentlich? Das ist eine Frage, die überhaupt nicht einfach und abschließend zu beantworten ist. Klar wird aber: Wir befinden uns in einer zukünftigen Gesellschaft, die wesentlich auf der Unterscheidung gesund vs. krank aufbaut. Im Mittelpunkt des Textes steht so etwas wie ein Arzt, der allerdings eine Art Mensch-Maschine ist, ohne Herz am rechten Fleck (das Herz wird mit dem Solarplexus irgendwie operativ vereinigt bei den Ärzten), dafür mit zusätzlichen Hirnkapazitäten und einer Art zweiten, kontrollierenden Persönlichkeit, dem Mediator. Dieser Arzt arbeitet in einem Art Sanatorium, gegen das jenes aus dem Zauberberg ein Kinderspiel ist — hier kommt niemand rein und raus, es gibt keine Ein- oder Ausgänge. Aber dann taucht doch irgendwie eine ambulante Patientin auf, die sich als ehemalige Ehefrau des Arztes entpuppt, die ihn und seinen Sohn — der als Waise auch in diesem Institut/Komplex/Geflecht lebt — dazu bringt, eine Art “Ausbruch” zu versuchen, der aber irgendwie auch wieder scheitert und im Phantasma endet — wie man überhaupt den ganzen Text als eine Art Traum lesen kann, dessen Traumcharakter mit fortschreitender Seitenzahl deutlicher wird, ohne jedoch je explizit als solcher identifizierbar zu werden. Klar ist aber bald: Das ist keine Realität, die hier beschrieben wird. Der Traumcharakter wird aber erst ganz kurz vor Schluss aufgelöst, mit dem Aufwachen. Und davor gibt es auch nur wenige direkte Hinweise — vor allem die Unwirklichkeit des Erzählten selbst drängt meine Lektüre in diese Richtung …
Das schlägt sich auch in der Sprache wieder — zunächst hielt ich das für Manierismus, der Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive der Hauptfigur zwischen zwei Sätzen hin und her — aber das hat dann doch alles seinen guten Grund in der Instanz des “Mediators”. Und auch die Klarheit, ja Unkompliziertheit der Syntax ist ein schöner Gegensatz zur Fremdheit der erzählten Welt (die auch nicht wirklich vertraut wird — nicht werden kann und soll — hoffentlich ) …
Ich kann meine Faszination hier gerade nur schwer begründen und/oder in Worte fassen — vielleicht auch, weil mir erst im Laufe der Lektüre aufgegangen ist, wie gut das eigentlich ist. Wahrscheinlich müsste ich es gleich noch einmal lesen. Die Kritiker — die das meistens auch (recht) gut fanden — sind sich auch nicht so ganz einig, worum es in “Heimlich, heimlich mich vergiss” eigentlich geht. Und das ist oft ein gutes Zeichen (denn wer will schon Bücher lesen, die von Anfang an allen klar sind und alles klar machen? — Das sind in der Regel die langweiligen Texte …). Oliver Jungen konstatiert zum Beispiel in der FAZ:
Das Zentralthema Meiers ist die Neuformatierung des psychischen Systems, wodurch auch Vergangenheit und Zukunft, nichts als diskursive Konstrukte, neu aufgesetzt werden. Ob sich die verschiedenen Bewusstseinsebenen, welche dem Leser präsentiert werden, in erkenntnistheoretischer Hinsicht hierarchisieren lassen, ob also ein Zustand der Wahrheit entspricht oder ob es gar kein Außen gibt, bleibt selbstredend offen (Oliver Jungen, FAZ)
Ulrich Rüdenauer in der Zeit setzt andere Schwerpunkte:
Die Körper sind hier zu Diskursgegenständen geworden, ausgelagerte Objekte, über die in einem fremd anmutenden Jargon geredet, gerichtet wird. Hier, in dieser zukünftigen Klinik, die natürlich auf unsere immer transparentere, verwaltete Gegenwart verweist, hat alles seine Ordnung.
…
Angelika Meier jedenfalls hat eine hochkomplexe literarische Welt entworfen, eine künstliche, vom Erzähler möglicherweise nur fantasierte Parallelordnung, die deshalb gespenstisch und verwirrend wirkt, weil sie so fern von unseren eigenen Zukunftsängsten gar nicht ist. (Ulrich Rüdenauer, Zeit)