Thomas Bern­hard: Argu­mente eines Win­ter­spaziergängers. Und ein Frag­ment zu “Frost”: Leichtlebig. Her­aus­gegeben von Raimund Fellinger und Mar­tin Huber. Berlin: Suhrkamp 2013. 147 Seit­en.

Ich glaube, das ist nur etwas für aus­ge­sproch­ene Bern­hard-Fans. Auf jeden Fall ist es inter­es­sant, solche Über­reste aus der Werk­statt des Schrift­stellers zur Ken­nt­nis nehmen zu kön­nen. Als erstes aufge­fall­en ist mir allerd­ings das feine Papi­er, das sich Suhrkamp hier geleis­tet hat ;-). Und sehr schön auch, dass die fast 30 Seit­en Typoskript von “Leichtlebig” als Fak­sim­i­le hinzuge­fügt wur­den — auch wenn sie so verklein­ert sind, dass sie wirk­lich ger­ade noch so zu lesen sind. Während “Argu­mente eines Win­ter­spaziergängers” mir noch recht unfer­tig vorkommt, wie eine frühe/erste Ver­sion erscheint, ist “Leichtlebig” schon recht weit aus­gear­beit­et — und in gewiss­er Weise schon ein typ­is­ch­er Bern­hard-Text.

Willi Jasper: Zauber­berg Riva. Berlin: Matthes & Seitz 2011. 271 Seit­en.

Willi Jasper schrieb hier eine Lit­er­aturgeschichte der eige­nen Art: Die Geschichte der Lit­er­atur und der Lit­er­at­en eines Ortes — eines realen (Riva am Gar­dasee) und eines imaginären/symbolischen (das Sana­to­ri­um). Das ist stel­len­weise eine faszinierende Mis­chung aus Lit­er­atur- und all­ge­mein­er Kul­turgeschichte der ersten bei­den Jahrzehnte des zwanzig­sten Jahrhun­derts, weil es Stränge der Geschichte zusam­men­führt, die son­st eher fern voneinan­der bleiben: Zum Beispiel vere­int dieser Ort Zauber­berg Riva neben Thomas und Hein­rich Mann auch Franz Kaf­ka, Sig­mund Freud, Her­mann Sud­er­mann, Chris­t­ian Mor­gen­stern und andere. Manch­mal hängt Jasper aber auch ein­fach in ein­er Beschrei­bung (über­haupt ist das eher deskrip­tiv als analysierend) bes­timmter Lebens­ab­schnitte bes­timmter Autoren fest — z.B. Hein­rich Mann, mit dem er sich sehr gut ausken­nt.
Natür­lich spielt auch die Neuras­the­nie eine entsprechend große Rolle — dafür, für diese “Mode”-Krankheit des frühen zwanzig­sten Jahrhun­derts, der nervlichen Erschöp­fung angesichts der rasenden Zeit und der rasenden Umstände der Mod­erne, waren die Sana­to­rien unter anderem ja ger­ade “zuständig” — als eine Art Erhol­ung­sheim, eine Aufhe­bung des gewöhn­lichen Lebens mit seinen moralis­chen und gesellschafltichen Pflicht­en und Zwän­gen, eine Zeit der (tem­porären) Befreiung und Aufhe­bung. Schade nur, dass er ger­ade dies, den eigentlichen Ort, immer wieder über län­gere Streck­en etwas aus den Augen ver­liert und dann nur noch “nor­male” Lit­er­aturgeschichte ist. Ein beein­druck­endes Panora­ma, das eben über die eigentliche Lit­er­atur hin­aus­ge­ht, aber doch nicht nur bloße Kul­turgeschichte ist, ist Zauber­berg Riva den­noch — und ger­ade darin, in seinem eige­nen Blick, aus­ge­sprochen anre­gend.

Paul Bogaert: Der Soft-Slalom. Her­aus­gegeben und über­set­zt von Chris­t­ian Fil­ips. Leu­ven u.a., rough­books 2013 (=rough­book 027). 65 Seit­en.

Crazy, was der Bel­gi­er Bogaert da geschaf­fen hat — das liegt ja nahe, wenn man den Über­set­zer als Lyrik­er schon ken­nt …
Der Soft-Slalom ist eine Art erzäh­len­der Gedichtzyk­lus in num­merierten Kapiteln und Einzelgedicht­en, die sehr nahe an der Prosa sind/bleiben (zumin­d­est in der deutschen Ver­sion, die flämis­che kann ich nun lei­der nicht beurteilen, auch wenn das rough­book bei­de Sprachen bietet), in sprach­lich­er Hin­sicht spielerisch und ver­spielt. Inhaltlich bleibt mir das meiste kryp­tisch — was vielle­icht nur teil­weise an den Tex­ten selb­st liegt:

Heute müssen Namen erdacht wer­den,
damit wir später einen übrig haben.
[…] Später erst, viel später, als all das neu­tral­isiert ist,
der Soft-Slalom, na, ist das was,
da umfasst mich, tauber inzwis­chen
und blind­er, super­sacht
eine Umar­mung von hin­ten

“Hast du diesen Satz ver­standen?”, heißt es ein­mal, und: “Kommt das gut? Ergreift es dich?” Das ist tat­säch­lich die Frage, die sich mir bei der Lek­türe dieser Gedichte beson­ders deut­lich stellt: Habe ich das ver­standen? Bedeutet (mir) das etwas? Doch mit­ten­drin ver­steck­en sich auch ein­fach schöne Momente hier drin (zumin­d­est ver­steck­en sie sich für mich oder vor mir .…):

Es herrscht Trubel
und mit­ten­drin bemerkst du
eine Man­i­fes­ta­tion. Fühlst du, wie
die Sit­u­a­tion
sich zu bewe­gen begin­nt?

Rain­er Stoll­mann: Die Entste­hung des Schön­heitssinns aus dem Eis. Gespräche über Geschicht­en mit Alexan­der Kluge. Berlin: Kad­mos Kul­turver­lag 2005. 154 Seit­en.

Alexan­der Kluge erk­lärt im Gespräch mit Rain­er Stoll­mann die Geschicht­en aus seinem Band “Die Lücke, die der Teufel läßt” (2003) — und zugle­ich sich selb­st und vor allem die ganze Welt. Wie immer bei Kluge-Gespräche ist das klug und meist ein­leuch­t­end, nicht sel­ten über­raschend, weil Kluge Fak­ten aus allen Wis­sens­ge­bi­eten auf unge­wohnte Verbindun­gen abklopft und auch noch Verbindun­gen sieht oder zieht, wo ich beim besten Willen keine (mehr) sehen kann. Manch­mal ist das in dem etwas besser­wis­serischen Ges­tus des Alles-Durch­schauers aber dur­chaus auch etwas ner­vend. Doch das Gefühl habe ich bei Kluge öfters …