Ein paar Jahrhunderte Vertreibung und Wanderschaft verändern alles. Da wird dann aus Einhard nach und nach Gerineldo, der Berater des Kaisers Karl der Große verwandelt sich zu einem maurischen Sklaven. Genau das passiert nämlich in der langen mündlichen Überlieferung der Musik der Sephardim. Um die Lieder und Musik dieser spanischen Juden, die am Ende des Mittelalters vertrieben wurden und sich im ganzen Mittelmeerraum verteilten, ging es dem Ensemble Sarband beim Mainzer Musiksommer.
Und da taucht eben auch dieser Gerineldo auf, als maurischer Sklave, in den sich die Prinzessin verliebt und die sich dann auch gleich reichlich ungehörig benehmen, wie Vladimir Ivanoff, der Leiter des Quartetts, erläutert. Fadia El-Hage, die libanesische Sängerin des Ensembles, trägt das variierte Strophenlied dann mit Schmelz und Emphase vor. Genau wie auch die anderen Romanzen und Balladen, die sich nicht immer nur um das verwickelte Liebesleben drehen, sondern auch gerne dazu dienen, die Geschichte der spanischen Juden zu tradieren. Begleitet wird sie dabei von den dafür typischen Instrumenten: Der näselnden Kemençe, einer auf dem Schoß gehaltenen einfachen Fiedel. Oder dem Kanun, der etwas schnarrenden orientalischen Zither-Variante. Vladimir Ivanoff ergänzt das mit Tambourin, Rahmentrommel oder auch mal der Ud, der arabischen Laute. Das sind genug Möglichkeiten, um für ein abwechslungsreiches Klangbild zu sorgen und doch nie gewohnt zu wirken.
Ivanoff hat auch die „aktuellen“ Versionen dieser Balladen und Romanzen gesucht und zusammengestellt. Das alles ist – trotz des Festival-Mottos — nicht gerade „klassische“ Musik. Zumindest nicht in Deutschland. Dafür erklingt sie aber mit garantiertem Exotenbonus. Dabei ist die Musik, die das Ensemble Sarband in der St. Antoniuskapelle spielt, eigentlich das normalste überhaupt. In den meisten Fällen sind es nämlich Küchenlieder, Lieder der alltäglichen Arbeit, die von den Müttern an ihre Töchter weitergegeben wurden und so die Geschichte und Tradition der Sephardim auch in der Diaspora aufrecht erhalten sollen. Natürlich blieben sie nicht rein, sie veränderten sich, passten sich den neuen Umgebungen an. Auch das führt Sarband vor: Wie ein Lied mit mehreren Melodien überliefert ist, zum Beispiel das „Una matika de ruda“. Wie das meiste an diesem Abend singen sie es in der eigenen Sprache der Sephardim, dem Ladino, einer Abart des Spanischen. Die türkische Melodievariante lässt das Lied als eine versunkene, reich verzierte Betörung erscheinen, während die bosnische Melodie dagegen eine lebhafte, bewegte Freude vermittelt. Und das bleibt auch über Jahrhunderte hinweg so.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)