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Schlagwort: michel foucault

Wissen

Wis­sen ist nicht dazu bes­timmt, uns zu trösten: es ent­täuscht, beun­ruhigt, schnei­det, ver­let­zt. Michel Fou­cault, Wach­sen und ver­mehren

Affirmation

Und weil ich denke, dass sie über Fou­cault redet, muss ich an Ellen denken. Daran, dass sie mal über Fou­cault meinte, er sei über­holt, weil jed­er große Denker genau dann über­holt sei, wenn sein Name bei Microsoft Word nicht mehr rot unterkringelt wird. Und Namen, die so gängig sind, ass sie von Anfang an vom Sys­tem affir­miert wer­den, wür­den sowieso nichts tau­gen, meinte sie. Malte Abra­ham, Weil wir so sind, sagen wir schön (Edit #67, 15)

Aus-Lese #26

Wolf­gang Her­rn­dorf: Arbeit und Struk­tur. Berlin: Rowohlt 2013. 447 Seit­en.

Das Blog von Wolf­gang Her­rn­dorf, eben “Arbeit und Struk­tur”, habe ich erst recht spät wahrgenom­men und dann auch immer etwas gefremdelt. Hier, in sein­er Ganzheit, wirkt das sehr anders. Und jet­zt ist Her­rn­dorfs Weblog “Arbeit und Struk­tur” wirk­lich so großar­tig, wie es viele Rezensen­ten beschreiben. Aber nicht, weil es so beson­ders direkt und “authen­tisch” ist (das ist es nicht, es ist Lit­er­atur und sorgfältig bear­beit­et), son­dern weil es den Ein­druck von Ehrlichkeit und skruti­nös­er Selb­st­be­fra­gung ver­mit­teln kann — ger­ade in den schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen, z.B. dem Emp­fang der Diag­nose, den Berech­nun­gen der verbleiben­den Leben­szeit. Und weil es scho­nungs­los die Schwierigkeit­en recht unmit­tel­bar darstellt. Etwa auch die Verzwei­flung, dass es in Deutsch­land kaum möglich ist, als tod­kranker Men­sch sein Lebensende wirk­lich selb­st zu bes­tim­men. Schon früh tauchen die Über­legun­gen zu ein­er “Exit­strate­gie” (79) auf. Deut­lich merkt man aber auch einen Wan­del in den drei Jahren: vom lock­eren (beina­he …) Anfang, als Her­rn­dorf sich vor allem in die Arbeit (an Tschick und Sand) flüchtet, hin zum bit­teren, harten Ende. Das man­i­festiert sich auch in der Sprache, die dichter und härter, ja kantiger wird. Natür­lich geht es hier oft um die Krankheit, den Hirn­tu­mor (die “Raum­forderung”), aber nicht nur — er beschreibt auch die kleinen Siege des All­t­ags und die Seg­nun­gen der Arbeit, die poet­is­chen Gedanken: “Arbeit und Struk­tur” dient auch als Form der Ther­a­pie, die manch­mal selb­st etwas man­isch wird, manch­mal aber auch nur Pflicht ist; ist aber zugle­ich auch eine poet­is­che Arbeit mit den entsprechen­den Fol­gen.

Ich erfinde nichts, ist alles, was ich sagen kann. Ich samm­le, ich ordne, ich lasse aus. Im Über­schwang spon­tan­er Selb­st­drama­tisierung erkennbar falsch und unge­nau Beschriebenes wird oft erst im Nach­hinein neu beschrieben. (292)

Ein großer Spaß, dieses Ster­ben. Nur das Warten nervt. (401)

Michel Fou­cault: Der Wille zum Wis­sen. Sex­u­al­ität und Wahnsinn I. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2012 (1983). 153 Seit­en.

Den Klas­sik­er der Diskurs­the­o­rie habe ich jet­zt endlich auch mal gele­sen — nicht so sehr um des The­mas, also der Unter­suchung der Erzäh­lung der Befreiung der Sex­u­al­ität, willen, son­dern der Meth­ode willen. Fou­cault zeigt ja hier, wie Macht­struk­turen in Diskursen und Dis­pos­i­tiv­en sich real­isieren, hier am Beispiel der Sex­u­al­ität und der Entwick­lung des Sprechens über sie, also der Reg­ulierung von Sex­u­al­ität in der Neuzeit Europas. Ins­beson­dere die Ubiq­ui­tät von Macht(strukturen) ist entschei­dene, die auch nicht irgend­wie zen­tral ges­teuert sind (und gegen­teilige Ergeb­nisse haben kön­nen: “Ironie dieses Dis­pos­i­tivs: es macht uns glauben, daß es darin um unsere ‚Befreiung‘ geht.” (153)).

Entschei­dend ist hier ja Fou­caults neuer Begriff von Macht, der über den Diskurs & nicht­diskur­sive For­ma­tio­nen geprägt ist. Dazu noch die Idee der Dis­pos­i­tive als Samm­lung von Umset­zungsstrate­gien, die über Diskurse hin­aus gehen und z.B. hier auch päd­a­gogis­che oder architek­tonis­che Pro­gramme umfasst — das ergibt die Beobach­tung der Macht von “unten”, die im Geständ­nis der Sex­u­al­ität Ver­hal­tensweisen und Ord­nun­gen der Gesellschaft aushan­delt.

Mara Gen­schel: Ref­eren­zfläche #3.

Dieses kleine, nur bei der Autorin selb­st in lim­i­tiert­er Auflage zu bek­om­mende Heft ist ein einzi­gar­tiges, großes, umfassendes Spiel mit Worten und Tex­ten und Bedeu­tun­gen und Lit­er­atur oder “Lit­er­atur”: Zwis­chen Cut-Up, Mon­tage, exper­i­mentell-avant­gardis­tis­ch­er Lyrik, Ready-Mades und wahrschein­lich noch einem Dutzend ander­er Kün­ste vagabundieren die sprach­spielerischen Text‑, Sprach‑, und Wort­fet­zen, die sich gegen­seit­ig ergänzen, per­mu­tieren und vari­ieren. Einige davon sind wirk­lich im wahrsten Sinne des Wortes Fet­zen: Aus­risse aus anderen Texte, aus jour­nal­is­tis­chen oder hand­schriftlich-pri­vat­en Erzeug­nis­sen, die hier mon­tiert und gek­lebt sind. Manch­es hin­ter­lässt ein­fach Rat­losigkeit, manch­es ruft ein amüsantes Augen­brauen­heben her­vor — und manche Seite begeis­tert ein­fach. Ob das Schar­la­taner­ie oder Genial­ität ist — keine Ahnung, ehrlich gesagt. Lang­weilig ist es aber auf jeden Fall nicht.

Peter Hand­ke: Die schö­nen Tage von Aran­juez. Ein Som­mer­dia­log. Berlin: Suhrkamp 2012. 70 Seit­en.

Ich habe oft solch eine Lust, zu erzählen, vor allem diese Erfahrung — diese Geschichte. Aber sowie ich bedrängt werde mit ‚Erzähl!‘: Vor­bei der Schwung. (9)

Ein karges Stück, das allein von sein­er Sprache lebt: “Ein Mann” und “Eine Frau” sitzen sich gegenüber und führen einen Dia­log. Nun ja, sie reden bei­de, aber nicht immer miteinan­der. Offen­bar gibt es vorher vere­in­barte Regeln und Fra­gen, deren Ver­stöße manch­mal moniert wer­den. Es geht um viel — um die Geschichte und Geschicht­en, ums Erzählen und die Erin­nerung. Aber auch um Licht und Schat­ten, Anziehung, Gebor­gen­heit und Ent­frem­dung oder Ernüchterung, um Begehren und Liebe. Dahin­ter ste­ht ein spielerisch-erzäh­lerisch-tas­ten­des Aus­loten der Beziehung(smöglichkeiten) zwis­chen Mann und Frau. Das Ganze — es sind ja nur wenige Seit­en — ist poet­isiert bis zum geht nicht mehr. Genau darin aber ist es schön!

Zum Glück ist das hier zwis­chen uns bei­den kein Dra­ma. Nichts als ein Som­mer­dia­log. (43)

Laß uns hier schweigen von Liebe. Höch­sten vielle­icht ein bißchen Melan­cholie im November.(49)

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