Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: jazz Seite 1 von 6

Hineingehört #4

Glückseligkeit und das Gegenteil

Sarah Buechi, Contradictions of Happiness (Cover)

Genau wie die bei­den Vorgänger­al­ben nimmt auch das hier mich sofort gefan­gen. Aber das viel Erstaunlichere: Ich bleibe fasziniert. Ger­ade auch nach wieder­holtem Hören: Die Poe­sie dieser Musik ver­liert ihre Kraft und ihre Wirkung für mich bish­er über­haupt nicht. Im Gegen­teil, das Gefall­en steigert sich sog­ar noch, weil feine Details offen­bar­er wer­den, als sie es beim anfänglichen Hören tun: denn Auf­fall­en ist nicht ger­ade das Ziel aller Musik­er dieser Auf­nahme. Um Buechi ver­sam­meln sich wieder aus­geze­ich­nete Mit­stre­it­er, die mit ihrer Stimme und ihren fein-melan­cholis­chen, klaren Lin­ien wun­der­bar har­monieren. An erster Stelle, wenn man denn über­haupt eine Rei­hen­folge auf­stellen möchte (ich bin mir da nicht so ganz sich­er), ste­ht wieder der wun­der­bare Pianist Ste­fan Aeby, den ich auch in anderen Zusam­men­hän­gen sehr schätze. Auch André Pousaz am Bass und Lionel Friedli am Schlag­w­erk sind inte­grale Teile dieses Ganzen, das sich nicht mehr in seine Teile auf­s­plit­ten lässt. Das ist es ger­ade, was mich hier bei jedem Hören wieder ein­fängt: Nicht nur die grundle­gende Stim­mung des Albums, son­dern die Übere­in­stim­mung, die Ein­stim­migkeit der vie­len Töne und Klänge in den fein­sten Nuan­cen der Stim­mungen und Har­monien. Wun­der­bar, ganz ein­fach. Einen nicht uner­he­lichen Anteil daran haben natür­lich auch die Kom­po­si­tio­nen, die alle (mit Aus­nahme eines Volk­sliedes) von Buechi selb­st stam­men. Und schließlich auch das Stre­ichtrio, das das bewährte Quar­tett zumin­d­est zeitweise ergänzt und dem ganzen einen Touch Klas­sik­er-Sta­tus ver­lei­ht.

Und allein “After we’ve kissed” wäre das Album schon wert gewe­sen: langsam sich entwick­el­nd und ent­fal­tend, aus dem inti­men kam­mer­musikalis­che Anfang bis zur wel­tumspan­nen­den Größe anwach­send, ohne den Kern aus den Augen und Ohren zu ver­lieren. Her­rlich. Damit kein falsch­er Ein­druck entste­ht: Das ist beileibe nicht alles Weltschmerz­musik, die san­ft vor sich hindüm­pelt. “Wheel of Temp­ta­tion” zum Beispiel hat dur­chaus ordentlich Punch. Aber das wird nie zum Selb­stzweck, son­dern hat in Kom­po­si­tion und Text seinen Grund.

Sarah Buechi: Con­tra­dic­tions of Hap­pi­ness. Intakt Records 2019. Intakt CD 299.

Orientierungslos im Eis

Jim Black, Malamute (Cover)

Mala­mute, benan­nt nach den offen­bar eher rast­losen und unkalkulier­baren Schlit­ten­hunde Alaskas (so ben­haupten es zumin­d­est die Lin­er Notes), ist ein passender Name für dieses Quar­tett von Jim Black: Sie wirkt etwas hyper­ak­tiv und ziel­los, ohne Grund und Boden will sie irgend­wie alles auf ein­mal sein. Da gibt es nettes fitzeliges Gefritzel vor allem vom Sam­pler & Key­board (Elias Stemeseder), schöne, weich-sen­ti­men­tale Sax­ophon-Lin­ien (Óskar Gud­jóns­son), einen grundieren­den Bass (Chris Tor­di­ni) und selb­stver­ständlich kun­stvoll-pow­er­volle Drums (Jim Black natür­lich).

Aber dann bleibt doch alles wie hin­ter einem Schleier, unter ein­er mat­ten Ober­fläche ver­bor­gen. Ja, Umbrüche und der häu­fige Wan­del machen die kurzen Stücke dur­chaus inter­es­sant — aber es bleibt in meinen Ohren eine ober­fläch­liche Inter­es­san­theit, eher ein Inter­esse am Neuen, ein Spiel mit der Abwech­slung. Aber hier höre ich nichts oder zumin­d­est zu wenig, was mich dauer­haft und nach­haltig faszinieren würde. Das ist mir zu geschmei­dig und zu wenig gehaltvoll: Die Ideen sprudeln schon ganz schön, aber sie find­en nicht so recht zueinan­der. Deshalb sind die meis­ten Stücke auch kurze Zwei-/Drei-Minüter: Dann sind die jew­eili­gen Ideen, Motive, Ein­fälle halt durch und es passiert nichts mehr. So ver­sanden die schö­nen Ideen und die immer wieder auf­flack­ernde Energie ver­pufft ein­fach ungenutz. Und das ist mir dann doch ein biss­chen wenig.

Jim Black: Mala­mute. Intakt Records 2017. Intakt CD 283.

Business as usual in Berlin

Angelika Niescier, The Berlin Concert (Cover)

Tja. Das ist guter, schön­er Post-Bop oder wie auch immer man das nen­nen mag. Und erstaunlich lang­weilig fand ich das. Klar, das ist natür­lich handw­erk­lich gut gemacht, das läuft wie geschmiert. Nicht nur das Sax­ophon von Ange­li­ka Niesci­er, auch Bass (Christo­pher Tor­di­ni) und Schlagzeug (Tyshawn Sorey) sind stets aufmerk­sam und agil dabei. Über­haupt ist das Zusam­men­spiel sehr dicht udn von gegen­seit­iger Aufmerk­samkeit und Reak­tions­freudigkeit geprägt. Man merkt, dass es ein konzen­tri­ertes Konz­ert war (aufgenom­men wurde das beim Jaz­zfest Berlin 2017). Das war’s dann aber auch schon, irgend­wie scheint mir das doch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, son­dern etwas alt­back­en. Vielle­icht ist mein Geschmack aber auch inzwis­chen zu ein­seit­ig oder zu ver­dor­ben. Was soll’s, mein Ding ist das jeden­falls nicht. Zumal auch der Klang der Auf­nahme mir etwas dumpf und undif­feren­ziert erschien.

Ange­li­ka Niesci­er, Christo­pher Tor­di­ni, Tyshawn Sorey: The Berlin Con­cert. Intakt Records 2018. Intakt CD 305.

Roter Teppich für Hörgenuss

Christof Mahnig & Die Abmahnung, Red Carpet (Cover)

Das ist nahezu unver­schämt cool: Schon die Trompete von Christof Mah­nig, die den Roten Tep­pich von Red Car­pet zuerst beschre­it­et, dann Schlagzeug und Bass auch seeehr laid back: Nur allmäh­lich set­zt sich aus den Split­tern etwas Größeres und sog­ar ein Ganzes zusam­men. Wenn man Klis­chee bemühen wollte, dann kön­nte man sagen: Sehr schweiz­erisch. Und zwar in der unaufgeregten Selb­st­ständigkeit, die dur­chaus hier und dort die Gren­ze zur Eigen­brötlerei über­schre­it­et, die sture Gelassen­heit — auch grandios dabei: Gitar­rist Lau­rent Méteau. Dazu noch das ver­spielte Aus­pro­bieren, das ganz unvor­sichtige Tas­ten, das Auf­brechen “Zu neuen Ufern” (so heißt der zweite Track tat­säch­lich, und es ist tat­säch­lich kein (zumin­d­est nicht nur) Klis­chee), und schon ent­fal­tet sich großar­tige Musik. Ich will das Bild jet­zt nicht über­stra­pazieren, aber man kön­nte sicher­lich noch etwas zur Mis­chung aus großstädtis­ch­er Hip­ness und ver­wun­sch­enen Talschlüssen, aus hohen Gipfeln und schrof­fen Abhän­gen sagen und schreiben. Egal: Red Car­pet macht ein­fach unmit­tel­bar Spaß. Und macht eben nicht nur unmit­tel­bar Spaß, son­dern auch dauer­haft, beim wieder­holten Hören. Hat­te ich so ehrlich gesagt über­haupt nicht erwartet.

Witz und Humor, tief­gründi­ges Spie­len und erfrisches Genießen — und das funk­tion­iert vor allem deshalb so gut, weil das Quar­tett klan­glich so wun­der­bar har­monisch rüberkommt und alles immer so selb­stver­ständlich klingt: Das muss genau so sein. Und das ist eine Kun­st, die ich sehr zu schätzen weiß.

Christof Mah­nig & Die Abmah­nung: Red Car­pet. Leo Records 2019. LR 854.

außer­dem neben vielem anderem gehört:

  • John Zorn: Insur­rec­tion. Tzadik ‎2018. TZ 8359.
  • Mark­er: Wired for Sound. Audio­graph­ic Records 2017. AGR-013.
  • Des­ti­na­tion Rach­mani­nov: Arrival. Sergej Rach­mani­noff: Klavierkonz­erte Nr. 1 & 3. Dani­il Tri­fonov, The Philadel­phia Orches­tra, Yan­nick Nézet-Séguin. Deutsche Gram­mophon 2019.
  • Asmus Tietchens: Musik aus der Grau­zone. 1981.
  • Nick Cave & The Bad Seeds: Ghos­teen. Ghos­teen 2019.

Ins Netz gegangen (7.3.)

Ins Netz gegan­gen am 7.3.:

  • „Sol­i­dar­ität gegen Ama­zon ist eine große Schimäre“ | Welt → zwar in der “welt”, aber trotz­dem ein sehr tre­f­fend­es inter­view mit klaus schöf­fling — das liegt aber vor allem eben an schöf­fling ;-). anlass war die insol­venz von KNV, aber es geht auch/eher um grundle­gende fra­gen des buch­mark­ts

    Ich weiß nicht, ob man jet­zt nach dem Staat rufen muss. Richtig bekla­gen kann sich die Buch­branche, die ja auch mit der Buch­preis­bindung vom Staat geschützt wird, eigentlich nicht.

  • Desire paths: the illic­it trails that defy the urban plan­ners | Guardian → ein schön­er beitrag über tram­pelp­fade im urban­den raum und die möglichkeit, sie zur pla­nung von wegverbindun­gen zu nutzen
  • Die Hand­schrift stirbt aus | Due Oresse → ein kurz­er überblick, wie es (öster­re­ichis­che) kom­pon­is­ten mit dem schreiben ihrer par­ti­turen hal­ten
  • Was hält Demokra­tien zusam­men? | NZZ → aus anlass des todes von böck­en­förde wieder her­vorge­holt: die sehr schöne, klare und deut­liche einord­nung des böck­en­förde-the­o­rems in die deutsche gesh­ci­chte des 20. jahrhun­derts
  • Diese Abende sind eine Qual | Zeit → flo­ri­an zin­neck­er hat für die “zeit” ein nettes inter­view mit igor lev­it über die elbphil­har­monie und ihre akustik geführt — und lev­it bleibt wieder ein­mal cool und über­legen
  • Wada­da Leo Smith Pays Trib­ute to Rosa Parks in New Album | Qwest → inter­view mit dem großen Wada­da Leo Smith, in dem er unter anderem darüber spricht, warum er den begriff “impro­vi­sa­tion” nicht mag:

    Impro­vi­sa­tion was strong in the late ‘60s and ear­ly ‘70s. But then it got very pol­lut­ed, like you can put every­thing into per­form­ing that you want to. There’s no lead­er­ship, no guid­ance. It’s nowhere near the way of Louis Arm­strong, Duke Elling­ton, Miles Davis, Bessie Smith or Abbey Lin­coln who were all right in terms of cre­at­ing oppor­tu­ni­ties in their music. The peo­ple call­ing them­selves impro­vis­ers today are like a soup. You can add every­thing in at once and cook it. But that’s a bad soup. You need to cook var­i­ous por­tions and add in dif­fer­ent things like spices which is what mak­ing music in the present is meant to be. It’s like what the Cre­ator cre­at­ed in the begin­ning. It’s authen­tic­i­ty. You’re bring­ing some­thing into being.

spinnennetz in der sonne

Ins Netz gegangen (29.6.)

Ins Netz gegan­gen am 29.6.:

  • Nachruf: Botschaf­terin der Com­mu­ni­ty | NZZ → die ziem­lich großar­tige pianis­tein ger­ri allen ist gestor­ben.
  • Mit dem Schreck­lich­sten ist zu rech­nen | FR → arno wid­mann preist ror wolf

    Ror Wolf, das hat sich längst herumge­sprochen, ist ein­er der bedeu­tend­sten leben­den deutschen Autoren. Er ist einzi­gar­tig. Kein­er schreibt wie er, kein­er erzählt wie er. […] Er ist der Neil Arm­strong unser­er Text­träume.

  • 85. Geburt­stag des Schrift­stellers Ror Wolf: Das sind die Worte, das ist die Lage | taz → tim cas­par boehme grat­uliert ror wolf zum 85. geburt­stag — und wirbt für seine lyrik

    Für ihn lässt sich schlecht wer­ben. Die Begeis­terung, die Freude an Ror Wolfs Worten kann man eigentlich nur weit­ergeben wie einen Staffel­stab. Es muss schon jemand bere­it­ste­hen, der ihn nehmen will.

  • Dra­ma, Baby! | SZ → moritz rinke über das (aktuelle) dra­ma (auf/in dem the­ater …)

    Nein, es gibt beim The­ater­pub­likum wie bei den Schaus­piel­ern in Wahrheit eine große Sehn­sucht nach Stück­en, nach Geschicht­en, nach Leben und Repräsen­tanz und Darstel­lung. Nach Schaus­piel­ern als Men­schen­darsteller. Ja, Men­schen­darsteller! […] Aber die Repräsen­tanz im Dra­ma und im The­ater ist eine andere als in der bilden­den Kun­st. Wir schauen nicht auf einen leblosen Gegen­stand, der irgen­det­was abbildet, son­dern auf Men­schen, die das Vornotierte ver­wan­deln. Wir sehen im Dra­ma zuerst diejeni­gen, die es real­isieren und erst danach das, was es zeigen und erzählen kön­nte.

spinnweben zwischen holz, schwarz-weiß

Ins Netz gegangen (22.5.)

Ins Netz gegan­gen am 22.5.:

  • Ein Tag im Leben eines ICE | SZ → nette (wenn auch nicht sehr tiefge­hende) Reportage über den Zug an sich (also das Gefährt) und der Aufwand, der nötig ist, dass er jeden Tag auf den Gleisen unter­wegs sein kann.
  • Franz Koglmann: “Jazz ist für mich kein Syn­onym für Frei­heit” | Stan­dard → der “stan­dard” grat­uliert franz koglmann zum seibzig­sten mit einem inter­view, von dem hier die (einige?) antworten zu lesen sind

    Ich bin bis heute der Mei­n­ung, die eigentlich wichtige musikalis­che Erschei­n­ungs­form des 20. Jahrhun­derts ist der Jazz und nicht die Zweite Wiener Schule!

  • Fake News mit Fake Jour­nals: Gen­der-Stud­ies-Hoax als Ver­lagsver­sagen | netzpolitik.org → leon­hard dobusch bei net­zpoli­tik über das wahre prob­lem von unser­iösen (wissenschafts-)verlagen:

    Unser­iöse Ver­lage, die gegen Bezahlung jeden Beitrag als ver­meintlich begutachtet pub­lizieren, waren bis­lang vor allem ein Prob­lem für den Wis­senschafts­be­trieb. Wie ein ver­meintlich­er Gen­der-Stud­ies-Hoax zeigt, sind Fake-Ver­lage aber auch eine poten­tielle Grund­lage für Fake News.

  • Wirk­lichkeits­be­wäl­ti­gung als lit­er­arisches Pro­gramm | Voll­text → schon wieder ein text von felix philipp ingold — eine all­gmeine abrech­nung mit der lit­er­aturkri­tik, wie sie heute betrieben wird

    Belege für dieses eindi­men­sion­ale Real­is­muskonzept wie auch für das unge­broch­ene Bedürf­nis nach dem bel­letris­tis­chen Human touch liefert die aktuelle Buchkri­tik in beliebiger Anzahl und mit zunehmender Insis­tenz.

  • Colour Wheels, Charts, and Tables Through His­to­ry | Pub­lic Domain Review → eine schöne über­sicht über diverse ver­suche der let­zten jahrhun­dert, das farb­spek­trum zu organ­isieren und darstel­lungs­for­men dafür zu find­en.
  • How Google Book Search Got Lost | Backchan­nel → schön­er, langer text über google books, die entwick­lung des pro­jek­tes zum (schein­baren?) still­stand — und die lek­tion daraus: “Engi­neer­ing is great, but it’s not the answer to all prob­lems.”

Taglied 3.5.2017

Klang­bezirk (eine der vie­len Berlin­er a‑cap­pel­la-Grup­pen …), All mein Gedanken

Klang­bezirk — All Mein Gedanken

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
drahtnetz (detail)

Ins Netz gegangen (9.3.)

Ins Netz gegan­gen am 9.3.:

  • Die unge­wollte Pati­entin | taz → die taz zeigt in ein­er ein­drück­lichen reportage, wie schwierig abtrei­bun­gen auch im ange­blich so lib­eralen deutsch­land in manchen gegen­den sind und wie sich die lage für die frauen eher ver­schlechtert
  • Misha Men­gel­berg (1935 — 2017) | The Free Jazz Col­lec­tive → nachruf auf den großen misha men­gel­berg. den deutschen qual­ität­spub­likumsme­di­en scheint der tod des pianis­ten keine nachricht/nachruf wert zu sein
  • Hier irrte der Ver­leger – und kor­rigierte sein Urteil | Log­buch Suhrkamp → lek­tor raimund fellinger über sigfried unselds urteil der “ästhetik des wider­stands” von peter weiss und die arbeit mit ihm daran — mit zwei fak­sim­i­lies aus unselds jour­nal von 1975 und 1978
  • House of Jazz: Der Leucht­turm und sein Wärter| Tagesspiegel → guter überblick über die diskus­sion um till brön­ners berlin­er “house of jazz”, der bei­den seit­en — der eher kusche­lig-wohlfühl-tra­di­tion­al­is­tis­chen von brön­ner und der eher fortschrit­tlich-avant­gardis­tisch ori­en­tieren der berlin­er szene — raum und ver­ständ­nis gibt
  • Ver­net­ztes Radeln, oder Smart ist doof | … ach, nichts. → bringt meinen stand­punkt zum ziem­lich zwang­haften “ver­net­zen” des fahrrads ziem­lich gut auf den punkt: das wesentlich — die (unbeschw­erte) ein­fach­heit — geht dadurch ver­loren, der gewinn ist (bis­lang zumin­d­est) eher mar­gin­al …
  • Rev­o­lu­tion in Sicht | Zeit → die “zeit” berichtet von einem vor­sichti­gen umdenken in teilen der kon­ven­tionellen land­wirtschaft, der dlg, was frucht­folge, chemieein­satz und nach­haltigkeit sowie arten­schutz ange­ht.
free music (unsplash.com)

Hineingehört #1

Eine kleine Intakt-Auslese aus dem zweit­en Hal­b­jahr — dank des vortr­e­f­flichen Abon­nements bekomme ich ja immer alle Veröf­fentlichun­gen post­wen­dend geliefert:

Musikalische Monster

musical monsters (cover)Die Musi­cal Mon­sters sind eigentlich gar keine neue Musik. Aufgenom­men wurde das näm­lich schon 1980 bein Jaz­zfes­ti­val Willisau. Dessen Chef Niklaus Trox­ler hat die Bän­der gut aufge­hoben. Und Intakt kon­nte sie jet­zt, nach umständlich­er Rechte­abklärung, endlich veröf­fentlichen. Zu hören ist ein Quin­tett mit großen Namen: Don Cher­ry, Irène Schweiz­er, Pierre Favre, John Tchi­cai und Léon Fran­ci­oli, das es so son­st nicht zu hören gibt. Am erstaunlich­sten fand ich, wie wenig man die 36 Jahre, die die Auf­nahme alt ist, der Musik anhört. Die vier groß­for­mati­gen, größ­ten­teils freien Impro­vi­sa­tio­nen — es gibt ein paar melodisch fix­ierte Anker­punk­te, die als fest­gelegte Scharniere zwis­chen Solo- und Kollek­tivim­prosi­a­tio­nen dienen — klin­gen erstaunlich frisch, ja fast zeit­los: Die intu­itive Spon­taneität und Inten­sität ist ziem­lich fes­sel­nd. Vor allem, weil sie von allem etwas bietet — ver­spielte Fax­en, intime Momente, pack­ende Energien … Und weil die fünf ziem­lich gle­ich­w­er­tige, gle­icher­maßen faszinierende Musik­erin­nen sind, die sich immer wieder zu großen Momenten inner­er Stärke auf­schwin­gen, die in erstaunlich­er Dichte aufeinan­der fol­gen und zuweilen sog­ar echt­es Pathos erzeu­gen. Beson­ders faszinierend fand ich das in der zweit­en Impro­vi­sa­tion, mit über zwanzig Minuten auch die läng­ste, in der sich großar­tige Soli (vor allem Tchi­cai sticht hier her­vor) und span­nende, in ihrer fra­gen­den Offen­heit unge­mein fes­sel­nde Grup­pen­im­pro­vi­sa­tio­nen ballen.

Don Cher­ry, John Tchi­cai, Irène Schweiz­er, Léon Fran­ci­oli, Pierre Favre: Musi­cal Mon­sters. Intakt Records CD 269, 2016. 59:28 Minuten.

Tiefe Gedächtnismusik

deep memory (cover)Für Deep Mem­o­ry hat sich Bar­ry Guy, der die CD im Trio mit Mar­i­lyn Crispell und Paul Lyt­ton auf­nahm, von den Bildern Hughie O’ Donoghues zu Kom­po­si­tio­nen anre­gen lassen. Die sieben Stücke tra­gen die Titel der Bilder: Sleep­er, Dark Days, Fall­en Angeld oder Silenced Music heißen sie etwa. Das sind aber keine musikalis­chen Ekphrasen, son­dern eher Kom­po­si­tio­nen, die sich von dem Bild — seinen Far­ben, sein­er Gestalt und vor allem vielle­icht: sein­er Stim­mung — zu akustis­chen Ein­drück­en inspiri­eren lassen. Vieles davon lässt sich in weit­en Bögen, oft verträumt-ver­spon­nen und/oder nach­den­klich, tra­gen und speist sich nicht unwesentlich aus dem inti­men Zusam­men­spiel des Trios, das ja schon seit gefühlten Ewigkeit­en immer wieder miteinan­der musiziert und der Effek­thascherei aus­ge­sprochen abhold ist. Und das auch auf Deep Mem­o­ry vor allem durch seine kam­mer­musikalis­che Dichte und Inten­sität der far­ben­prächti­gen, ten­den­ziell melan­cholis­chen Klang­malerei gefällt. Die befind­en sich, so hört es sich an, eigentlich immer auf der gle­ichen Wellen­länge, um dieses stra­pazierte, hier aber sehr passende Bild zu benutzen.

Bar­ry Guy, Mar­i­lyn Crispell, Paul Lyt­ton: Deep Mem­o­ry. Intakt Records CD 273, 2016. 52:07 Minuten.

Am großen Rad drehen

christoph irniger pilgrim, big wheel live (cover)Big Wheel Live ist die zweite CD von Christo­pher Irniger Pil­grim, wie der span­nende Sax­o­fon­ist, Kom­pon­ist & Band­leader Irniger sein Quin­tett mit Ste­fan Aeby, Davie Gisler, Raf­faele Bossard und Michi Stulz nen­nt. Auch wenn das “Live” wirk­lich auf Live-Auf­nah­men (in Berlin, Ratze­burg und Altenburg) zurück­ge­ht, klingt die CD richtig gut. Und das ist in sofern beson­ders schön, weil ger­ade Aeby ein sehr klangsin­niger Pianist ist.
Die ganze Musik auf Big Wheel Live zeich­net sich meines Eracht­ens nicht nur durch ihren kraftvollen Sound aus, son­dern vor allem durch ihre Räum­lichkeit und Tiefe. Oft ist das nur lose ver­bun­den, nur lock­er gewebt, gibt so den Fün­fen aber viel Chan­cen zum aus­greifend­en Erforschen. Und der Freiraum zum Erkun­den, die Öff­nung in alle Him­mel­srich­tun­gen wird wei­dlich genutzt: Man hört eigentlich immer eine per­ma­nente Such­be­we­gung, die stets fortschre­it­et, die beim schö­nen Augen­blick ver­weilt, son­dern immer weit­er will — wie es gute impro­visierte Musik eben (fast) immer tut. Neben Aeby, der sich immer mehr zu einem sehr inter­es­san­ten Pianist entwick­eln zu scheint, hat mir hier vor allem die oft sehr span­nende, über­raschende Spiel­weise des Schlagzeugers Michi Stulz gefall­en. Gitar­rist Dave Gisler und Irnigers Sax­ophon umspie­len sich oft sehr eng. Entschei­dend aber in allen sechs Titeln: Das bleibt immer im Fluss, die Ideen ver­sanden eigentlich nie, son­dern find­en immer neue Pfade und Wege.

Christoph Irniger Pil­grim: Big Wheel Live. Intakt Records CD 271, 2016. 62:44 Minuten.

Das unsterbliche Trio

schlippenbach trio, warsaw concert (cover)Vielle­icht ist es das europäis­che Jaz­ztrio schlechthin, sicher­lich wohl das am läng­sten amtierende: Alexan­der von Schlip­pen­bach, Evan Park­er und Paul Lovens sind das Schlip­pen­bach-Trio. Und zwar schon ewig. Und jedes Jahr sind wie wieder unter­wegs (die schöne Film-Doku­men­ta­tion Aber das Wort Hund bellt ja nicht hat die jährliche “Win­ter­reise” des Trios ja sehr anschaulich gemacht), immer wieder in der gle­ichen Beset­zung mit immer ander­er Musik — nicht ohne Selb­stironie nen­nt Schlip­pen­bach das im Beglei­theft deshalb “das unsterbliche Trio”.
Erstaunlich daran ist vor allem, dass es nicht lang­weilig wird, dass diese große Ver­trautheit miteinan­der nicht in Belan­glosigkeit­en mün­det. Auch das War­saw Con­cert ist wieder eine auf­nah­me­tech­nisch und musikalisch gut gelun­gene Live-Auf­nahme vom Okto­ber 2015. Und beim Schlip­pen­bach-Trio heißt das: Eine einzige lange Impro­vi­sa­tion ohne Pausen oder Unter­brechun­gen, ohne Verabre­dun­gen und ohne Kom­po­si­tion — knapp 52 Minuten sind das (dazu kommt noch eine kurze, fast humoris­tis­che Zugabe).
Der erste Ein­druck: Nette Musik — das funk­tion­iert ein­fach, das passt. Und das ist wirk­lich Musik der Frei­heit: Weil sie sich (und dem Pub­likum) nichts (mehr) beweisen müssen. Und: Weil sie viel kön­nen, enorm viel, sowohl alleine mit ihren Instru­menten als auch zusam­men als Trio. Deshalb schöpften sie mit lock­er­er Hand auch in Warschau eine Vielfalt der Stim­mungen. Vieles klingt vielle­icht etwas altersmilde in der Klarheit und dem lyrischen Aus­druck (wenn man das so deuten möchte), stel­len­weise aber dur­chaus auch bohrend und insistierend. Das ist ein­fach aus­geze­ich­neter, gelun­gener, “klas­sis­ch­er” Free Jazz, den man gerne wieder­holt anhört und ver­sucht nachzu­vol­lziehen.

Schlip­pen­bach Trio: War­saw Con­cert. Intakt Records CD 275, 2016. 56:36 Minuten.

Zur Erleuchtung

aeby trio, to the light (cover)Ste­fan Aeby war ja auch schon im Christoph Irniger Pil­grim vertreten, hier ist nun noch ein­mal als “Chef” mit seinem eige­nen Trio zu hören, das aber mit Michi Stulz am Schlagzeug noch eine weit­ere Per­son mit dem Pil­grim-Ensem­ble teilt. To the Light ist eine Musik des Klanges: Ich höre hier nicht so sehr rhyth­misch und/oder har­monis­che Struk­turen, son­dern vor allem Klänge. Klänge, die sich immer wieder zu kleinen Szenen und imag­inären Bildern for­men. Das Trio passt da in dieser Hin­sicht aus­geze­ich­net zusam­men: Nicht nur Ste­fan Aeby am Klavier ist ein biss­chen ein Klang­magi­er, auch der Bass von André Pousaz hat erstaunliche Qual­itäten (beson­ders schön im Titel­stück wahrzunehmen, das sowieso eine ziem­lich großar­tige Sache ist). Und Michi Stulz, mit hal­li­gen Beck­en und eng klin­gen­den Toms zaubert für einen Schlagzeuger erstaunlich flächige Klänge. Das ist ein poet­is­ch­er Sound, eine weiche und wan­del­bare Klanggestalt, die mir aus­geze­ich­net gefällt. Vieles ist (min­destens ten­den­ziell) leicht verträumt und klingt mit roman­tisch-impres­sion­is­tis­chem Ein­schlag, ist dabei aber keineswegs schwind­süchtig, son­dern dur­chaus mit gesun­der Kraft und Potenz musiziert, die aber nie auftrumpfend aus­ge­spielt wird: So klin­gen Musik­er, die sich nichts beweisen müssen, möchte ich ver­muten. Die Musik­er muss man sich wohl immer als lauschende Instru­men­tal­is­ten vorstellen: Vielle­icht ist es ja sowieso ger­ade das (Zu-)Hören, das gute Impro­visatorin­nen (oder Jazzer) aus­macht. Oder, wie es Flo­ri­an Keller im Begleit­text sehr tre­f­fend for­muliert: “Eine Musik, die die Fig­ur des Lausch­ers entste­hen lässt. Und diesem viel Raum für seine Fan­tasie gewährt.”

Ste­fan Aeby Trio: To the Light. Intakt Records CD 274, 2016. xx:28 Minuten.
day & taxi (gruppenfoto)

Day & Taxi auf der Suche nach dem Weg

day & taxi, way (cover)Vielle­icht sind “Day & Taxi” auch nur auf der Suche nach einem Weg. Auf Way gibt es davon jeden­falls viele. Christoph Gal­lio als Chef dieses Trios mit dem selt­samen Namen “Day & Taxi”, der auch alle Musik für diese im Jan­u­ar im Stu­dio aufgenommene CD beis­teuert, begeg­net mir so halb am Rande meines musikalis­chen Wahrnehmungs­feldes immer mal wieder (die “Soziale Musik” finde ich zum Beispiel konzep­tionelle sehr span­nend). Das Trio gibt es jet­zt schon eine ganze Weile, auch die neue Beset­zung — mit jun­gen Män­nern am Bass und Schlagzeug — ist schon gut einge­spielt.

So ist Way eine sehr kon­trastre­iche CD gewor­den, die viel sehr het­ero­genes Mate­r­i­al ver­sam­melt, auch von unter­schiedlich­er Span­nung und Güte in meinen Ohren. MM (for Mark Müller) als Beispiel ver­sam­melt das meiste davon gle­ich in einem: gemäßigtes Pow­er­play, das dann wieder ins Stock­en gerät, in eine Leere, eine Art musikalis­ches Ein­frieren fällt, daraus aber wieder weit­er­ma­cht und auch poet­isch-ver­sonnene Ein­fälle prob­lem­los inte­gri­ert.

Viele “Wid­mungsstücke” gibt es auf Way, die Namen sagen mir fast alle nichts. Nicht immer wird beim Hören klar, wie viel/was davon jet­zt kom­poniert oder impro­visiert ist — das ist aber eben auch egal: Kontin­gen­zen und Möglichkeits­for­men wer­den nicht ohne Grund in den Lin­er Notes the­ma­tisiert. Das ist vielle­icht das auf­fäl­lig­ste an Way: Dass es kaum eine wirk­liche Rich­tung gibt, son­dern das Trio vie­len Verästelun­gen nachge­ht, an Weg­ga­belun­gen immer neu spon­tan-zufäl­lig entschei­det — und dabei Umwege und Irrun­gen, auch Sack­gassen in Kauf nimmt, nicht ver­schweigt, son­dern auch dem Hör­er offen­bart. Wahrschein­lich fällt mir deshalb das Urteil so schw­er: Ich höre die Qual­ität des Albums, das ist unstre­it­ig richtig gute Musik. Aber ich habe das ganze jet­zt drei- oder vier­mal gehört: Und so richtig mitreißen oder begeis­tern kann es mich als Ganzes nicht. Vielle­icht liegt es am Klang­bild, Gal­lios Sax­o­phone klin­gen mir etwas eng-nasal … Es mag aber aber auch an den Unein­deutigkeit­en liegen. Was aber wieder selt­sam ist, weil ich offene Musik eigentlich favorisiere. Nur bleibt mir diese Offen­heit hier etwas ver­schlossen. (Naja, die Meta­pher habe ich jet­zt genug stra­paziert …). Aber ander­er­seits: Bei jedem Hören ent­decke ich neue span­nende, faszinierende Momente. MM habe ich schon erwäh­nt, auch Snow White Black Mag­ic ist ziem­lich gelassen-großar­tig. Dazwis­chen ste­ht auch viel kurzes Mate­r­i­al, das da ein­fach so herum­ste­ht, wie ein Gewächs am Wegerand: Das ist, das existiert für sich — aber damit passiert nichts. Manch­mal fällt es einem der drei Reisenden auf, dann entwick­eln sich daraus Ideen, kom­plexere Abläufe. Manch­mal ist es nach ein paar Dutzend Sekun­den aber auch wieder aus dem Blick­feld und damit erledigt. Bis etwas Neues auf­taucht, ein­fällt oder passiert.

Way hat aber noch eine wirk­liche Beson­der­heit. Unter den 22 Titeln sind einige Minia­turen. Und darunter noch drei spezielle: Minia­turen näm­lich, die Texte von Friederike Mayröck­er aufnehmen. Das hat mich — als Mayröck­er-Leser — natür­lich sehr neugierig gemacht. Der Bassist Sil­van Jeger singt also dreimal, jew­eils vier bis sechs Zeilen älter­er Gedichte aus dem umfan­gre­ichen Kat­a­log Mayröck­ers, mit ein biss­chen Geplänkel des Trios dabei. Lei­der sind das wirk­lich knappeste Stückchen — zwis­chen 37 und 47 Sekun­den lang. Und musikalisch passiert da auch nicht sehr viel. Immer­hin wird hier also mal Mayröck­er gesun­gen — so arg häu­fig passiert das ja nicht. Viel mehr höre ich da aber auch nicht. Vor allem keine Antwort auf das Warum? (Warum Mayröck­er? Warum diese Texte?).

Day & Taxi: Way. Per­ca­so 2016: per­ca­so 34. Spielzeit: 1:09:52.

spinnennetz mit tau (unsplash.com)

Ins Netz gegangen (25.9.)

Ins Netz gegan­gen am 25.9.:

vorderseite der verpackten cd

Verpackte Musik

So gestal­tet man heute eine CD-Ver­pack­ung (ja, die gibt es noch …). Zumin­d­est kann man es tun, wenn man die richti­gen Leute zur Hand hat:


Es han­delt sich übri­gens um das vorzügliche, inten­sive und span­nende Album “Lover” des Carate Urio Orches­tra.

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