Glückseligkeit und das Gegenteil
Genau wie die beiden Vorgängeralben nimmt auch das hier mich sofort gefangen. Aber das viel Erstaunlichere: Ich bleibe fasziniert. Gerade auch nach wiederholtem Hören: Die Poesie dieser Musik verliert ihre Kraft und ihre Wirkung für mich bisher überhaupt nicht. Im Gegenteil, das Gefallen steigert sich sogar noch, weil feine Details offenbarer werden, als sie es beim anfänglichen Hören tun: denn Auffallen ist nicht gerade das Ziel aller Musiker dieser Aufnahme. Um Buechi versammeln sich wieder ausgezeichnete Mitstreiter, die mit ihrer Stimme und ihren fein-melancholischen, klaren Linien wunderbar harmonieren. An erster Stelle, wenn man denn überhaupt eine Reihenfolge aufstellen möchte (ich bin mir da nicht so ganz sicher), steht wieder der wunderbare Pianist Stefan Aeby, den ich auch in anderen Zusammenhängen sehr schätze. Auch André Pousaz am Bass und Lionel Friedli am Schlagwerk sind integrale Teile dieses Ganzen, das sich nicht mehr in seine Teile aufsplitten lässt. Das ist es gerade, was mich hier bei jedem Hören wieder einfängt: Nicht nur die grundlegende Stimmung des Albums, sondern die Übereinstimmung, die Einstimmigkeit der vielen Töne und Klänge in den feinsten Nuancen der Stimmungen und Harmonien. Wunderbar, ganz einfach. Einen nicht unerhelichen Anteil daran haben natürlich auch die Kompositionen, die alle (mit Ausnahme eines Volksliedes) von Buechi selbst stammen. Und schließlich auch das Streichtrio, das das bewährte Quartett zumindest zeitweise ergänzt und dem ganzen einen Touch Klassiker-Status verleiht.
Und allein “After we’ve kissed” wäre das Album schon wert gewesen: langsam sich entwickelnd und entfaltend, aus dem intimen kammermusikalische Anfang bis zur weltumspannenden Größe anwachsend, ohne den Kern aus den Augen und Ohren zu verlieren. Herrlich. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Das ist beileibe nicht alles Weltschmerzmusik, die sanft vor sich hindümpelt. “Wheel of Temptation” zum Beispiel hat durchaus ordentlich Punch. Aber das wird nie zum Selbstzweck, sondern hat in Komposition und Text seinen Grund.
Orientierungslos im Eis
Malamute, benannt nach den offenbar eher rastlosen und unkalkulierbaren Schlittenhunde Alaskas (so benhaupten es zumindest die Liner Notes), ist ein passender Name für dieses Quartett von Jim Black: Sie wirkt etwas hyperaktiv und ziellos, ohne Grund und Boden will sie irgendwie alles auf einmal sein. Da gibt es nettes fitzeliges Gefritzel vor allem vom Sampler & Keyboard (Elias Stemeseder), schöne, weich-sentimentale Saxophon-Linien (Óskar Gudjónsson), einen grundierenden Bass (Chris Tordini) und selbstverständlich kunstvoll-powervolle Drums (Jim Black natürlich).
Aber dann bleibt doch alles wie hinter einem Schleier, unter einer matten Oberfläche verborgen. Ja, Umbrüche und der häufige Wandel machen die kurzen Stücke durchaus interessant — aber es bleibt in meinen Ohren eine oberflächliche Interessantheit, eher ein Interesse am Neuen, ein Spiel mit der Abwechslung. Aber hier höre ich nichts oder zumindest zu wenig, was mich dauerhaft und nachhaltig faszinieren würde. Das ist mir zu geschmeidig und zu wenig gehaltvoll: Die Ideen sprudeln schon ganz schön, aber sie finden nicht so recht zueinander. Deshalb sind die meisten Stücke auch kurze Zwei-/Drei-Minüter: Dann sind die jeweiligen Ideen, Motive, Einfälle halt durch und es passiert nichts mehr. So versanden die schönen Ideen und die immer wieder aufflackernde Energie verpufft einfach ungenutz. Und das ist mir dann doch ein bisschen wenig.
Business as usual in Berlin
Tja. Das ist guter, schöner Post-Bop oder wie auch immer man das nennen mag. Und erstaunlich langweilig fand ich das. Klar, das ist natürlich handwerklich gut gemacht, das läuft wie geschmiert. Nicht nur das Saxophon von Angelika Niescier, auch Bass (Christopher Tordini) und Schlagzeug (Tyshawn Sorey) sind stets aufmerksam und agil dabei. Überhaupt ist das Zusammenspiel sehr dicht udn von gegenseitiger Aufmerksamkeit und Reaktionsfreudigkeit geprägt. Man merkt, dass es ein konzentriertes Konzert war (aufgenommen wurde das beim Jazzfest Berlin 2017). Das war’s dann aber auch schon, irgendwie scheint mir das doch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, sondern etwas altbacken. Vielleicht ist mein Geschmack aber auch inzwischen zu einseitig oder zu verdorben. Was soll’s, mein Ding ist das jedenfalls nicht. Zumal auch der Klang der Aufnahme mir etwas dumpf und undifferenziert erschien.
Roter Teppich für Hörgenuss
Das ist nahezu unverschämt cool: Schon die Trompete von Christof Mahnig, die den Roten Teppich von Red Carpet zuerst beschreitet, dann Schlagzeug und Bass auch seeehr laid back: Nur allmählich setzt sich aus den Splittern etwas Größeres und sogar ein Ganzes zusammen. Wenn man Klischee bemühen wollte, dann könnte man sagen: Sehr schweizerisch. Und zwar in der unaufgeregten Selbstständigkeit, die durchaus hier und dort die Grenze zur Eigenbrötlerei überschreitet, die sture Gelassenheit — auch grandios dabei: Gitarrist Laurent Méteau. Dazu noch das verspielte Ausprobieren, das ganz unvorsichtige Tasten, das Aufbrechen “Zu neuen Ufern” (so heißt der zweite Track tatsächlich, und es ist tatsächlich kein (zumindest nicht nur) Klischee), und schon entfaltet sich großartige Musik. Ich will das Bild jetzt nicht überstrapazieren, aber man könnte sicherlich noch etwas zur Mischung aus großstädtischer Hipness und verwunschenen Talschlüssen, aus hohen Gipfeln und schroffen Abhängen sagen und schreiben. Egal: Red Carpet macht einfach unmittelbar Spaß. Und macht eben nicht nur unmittelbar Spaß, sondern auch dauerhaft, beim wiederholten Hören. Hatte ich so ehrlich gesagt überhaupt nicht erwartet.
Witz und Humor, tiefgründiges Spielen und erfrisches Genießen — und das funktioniert vor allem deshalb so gut, weil das Quartett klanglich so wunderbar harmonisch rüberkommt und alles immer so selbstverständlich klingt: Das muss genau so sein. Und das ist eine Kunst, die ich sehr zu schätzen weiß.
außerdem neben vielem anderem gehört:
- John Zorn: Insurrection. Tzadik 2018. TZ 8359.
- Marker: Wired for Sound. Audiographic Records 2017. AGR-013.
- Destination Rachmaninov: Arrival. Sergej Rachmaninoff: Klavierkonzerte Nr. 1 & 3. Daniil Trifonov, The Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin. Deutsche Grammophon 2019.
- Asmus Tietchens: Musik aus der Grauzone. 1981.
- Nick Cave & The Bad Seeds: Ghosteen. Ghosteen 2019.