Die westlichen Medien haben das damals mit einem meines Erachtens übertriebenen Unverständnis für die chinesische Regierung als Massaker bezeichnet. Doch was hätte Deng tun sollen? … Wenn er den Platz des Himmlischen Friedens nicht hätte räumen lassen, hätte die Regierung ‘das Gesicht verloren’.
So spricht Helmut Schmidt in einer kurzen Erinnerung über seine Begegnungen mit Deng Xiaoping in der aktuellen Ausgabe der “Zeit Geschichte”, die sich ganz China widment (1/2012, S. 91).
Und genau damit hat mich Helmut Schmidt — nicht zum ersten Mal — gehörig verschreckt. Denn diese Beliebigkeit ist schlimm: ja, was sollen die armen Chinesen denn tun, sie hätten ja “ihr Gesicht” verloren — und das weiß doch jeder, das das in dieser Kultur das Schlimmste überhaupt ist. Was sind schon fast 3000 Tote dagegen? Tote noch dazu, die ja — so die Implikatur — genau gewusst haben, was passieren muss, wenn sie da so blöd in der Öffentlichkeit demonstrieren und so etwas Unverschämtes wie Demokratie verlangen? Mein lieber Mann: Solche Äußerungen sind es immer wieder, die mir die Verehrung Helmut Schmidts gänzlich unbegreiflich machen.
Und dann noch: Was bitte schön ist denn “übertriebenes Unverständnis”? Entweder man versteht etwas nicht — dann versteht man es eben nicht. Das kann man dann nicht mehr übertreiben. Was Schmidt hier offenbar meinen, aber nicht sagen will: Das Unverständnis war keines, die “Medien” wussten genau (nach Schmidts Lesart), worum es ging, und haben das Unverständnis vorgeschoben — und, das ist die Folge davon, sich (meines Erachtens zu Recht) moralisch entrüstet über das Gemetzel. Und das findet Herr Schmidt wohl übertrieben. Nun ja, da muss man ja eigentlich nichts mehr sagen …