Nichts als Hoffnung (aber immerhin)

Tindersticks, No Treasure but Hope (Cover)Ein neues Tin­der­sticks-Album ist ja schon ein Ereig­nis. Auch das fast mys­tisch schwebende und leichte No Trea­sure but Hope fällt in die Kat­e­gorie. Dabei ist es fast ungewöhn­lich für ein Tin­der­stick-Album, weil vieles (nicht alles aber) etwas heller und fre­undlich­er ist als auf älteren Veröf­fentlichun­gen. Natür­lich bleibt Stu­art Sta­ples Stu­art Sta­ples, aber er klingt hier deut­lich weltzuge­wandter, ja sog­ar fre­undlich­er und locker(er), nicht mehr so angestrengt, schw­er, gequält wie auf früheren Alben. Dabei bleibt die Musik irgend­wie schon noch zwis­chne der Lei­der­schaft von Nick Cave und der Verzwei­flung von Leonard Cohen ange­siedelt.

Ins­ge­samt wirkt das auf mich — nach den ersten paar Durchgän­gen — allerd­ings etwas flach­er: Das ist mir oft zu aus­ge­feilt, klan­glich zu detail­ver­liebt, fast prä­ten­tiös. Da fehlt mir dann doch etwas Unmit­tel­barkeit — und damit genau jene Qual­ität, die mich an früheren Alben stark in den Bann gezo­gen hat: Die emo­tionale Stärke, die Unmit­tel­barkeit der Gefüh­le, die die (ältere) Musik immer wieder (und immer noch, das funk­tion­iert auch nach Jahren des wieder­holten Hörens noch, ich habe es ger­ade aus­pro­biert — und das zeigt die wahre Größe dieser Musik) ausze­ich­net, das fehlt mir hier. Vielle­icht — das ist freilich nur eine Ver­mu­tung — sind Tin­der­stick ein­fach zu gut gewor­den. Das ist aber wahrschein­lich Blödsinn, auch die let­zten Alben waren ja schon aus­geze­ich­net pro­duziert.

Hier schlägt aber wohl doch stärk­er der Kunst­wille durch. Und dafür sind die For­mate der Pop­songs dann aber doch wieder zu kon­ven­tionell und deshalb zu schwach, das bleibt dann manch­mal etwas schram­mel­ing-mit­telmäßig. Das heißt nun aber über­haupt nicht, dass No trea­sure but hope schlecht sei. Auch hier gibt es wun­der­bare Momente und schöne, erfül­lende Lieder. “Trees fall” zum Beispiel, oder “Carousel” mit der typ­is­chen Tin­der­stick-Stim­mung, der melan­cholis­chne Grundierung. Und auch “See my Girls” hat dann doch wieder sehr dringliche, inten­sive Momente (und eine schöne Gitarre). Das titel­gebende “No trea­sure but hope” ist in der sehr reduzierten Konzen­tra­tion auf Klavier und Gesang dur­chaus ein kleines kam­mer­musikalis­ches, intimes Meis­ter­w­erk — und ein­fach schön.

Tin­der­sticks: No Trea­sure but Hope. Lucky Dog/City Slang 2019. Slang 50236.

Verspieltes Klavier

Stefan Aeby, Piano Solo (Cover)Ste­fan Aebys erste Soloauf­nahme (soweit ich sehe zumin­d­est), im let­zten Jahr bei Intakt erschienen. Das ist, mehr noch als die Trioauf­nah­men, im Ganzen oft sehr ver­spielt, aber ins­ge­samt vor allem sehr har­monisch: klare Struk­turen und klare Tonal­itäten bes­tim­men den Gesamtein­druck.

Beson­ders wird Piano solo aber vor allem durch den Klavierk­lang, das ist vielle­icht, zusam­men mit sein­er klan­glichen Imag­i­na­tion­skraft, Aebys größter Stärke. Denn der ist vielschichtig und feinsin­nig, mit großem Nuan­cen­re­ich­tum. Hier kommt nun noch dazu, dass das Klavier von Aeby im Stu­dio — er hat das wohl voll­ständig alleine aufgenom­men — teil­weise ver­fremdet, ergänzt und bear­beit­et wurde.

Vieles ist dann auch — wie erwartet — sehr schön. Aber vieles ist auch nicht beson­ders über­wälti­gend: So richtig umge­haut hat mich eigentlich nichts. Das ist solide, dur­chaus mit inspierten und inspieren­den Momenten, über­haupt keine Frage. Mir scheint es aber ins­ge­seamt einen Tick­en zu banal, einen Tick zu flach in der oft unge­broch­enen Schön­heit, in der Suche nach Har­monie und Wohlk­lang. Dabei gibt es dann auf Piano solo auch viele Klang­ef­fek­te. Die machen das aber manch­mal — und teil­weise sog­ar über weit­ere Streck­en — etwas arg kün­stlich für meinen Geschmack (“Dance on a Cloud” wäre dafür ein Beispiel). “Fling­ga” dage­gen ist dann aber wieder her­aus­ra­gend: da kann sein run­der, weich­er, abges­timmter Ton sich voll ent­fal­ten.

Die Idee, den Klavierk­lang nicht alleine zu lassen, ihn aufzu­pep­pen, zu erweit­ern, zu ver­frem­den, ist ja ganz schön und nett. Aber das Ergeb­nis oder bess­er die Ergeb­nisse überzeu­gen mich nicht immer vol­lends. Vor allem scheint mir die klan­gliche Erweiterung oder Ver­frem­dung nicht immer aus­re­ichend musikalisch begrün­det und zwin­gend. Zumin­d­est wurde mir das beim Hören nicht entsprechend klar. Und dann bleibt es halt vor allem eine (tech­nis­che) Spiel­erei. Trotz alle­dem ist Piano solo aber den­noch eine defin­i­tiv schöne, überzeu­gende Auf­nahme mit ein­nehmenden Klang­bildern.

Ste­fan Aeby: Piano solo. Intakt Records 2019. Intakt CD 332.

Die Winterreise als Gruppenwanderung

Schubert, Winterreise (Cover)Das ist Schu­berts Win­ter­reise — und auch wieder nicht. Denn sie ist — teil­weise — für Stre­ichquar­tett tran­skri­biert und mit Inter­mezzi verse­hen von Andreas Höricht.

Die Idee scheint ja erst ein­mal ganz vielver­sprechend: Die Win­ter­reise — bzw. ihre “wichtig­sten” (das heißt vor allem: die bekan­ntesten) Lieder — auf die Musik zu reduzieren, zum Kern vorzus­toßen, den Text zu sub­lim­ieren. Das Ergeb­nis ist aber nicht mehr ganz so vielver­sprechend. Die Inter­mezzi, die zwar viel mit Schu­bertschen Motiv­en spie­len und ver­suchen, die Stimmung(en) aufzu­greifen, sind ins­ge­samt dann doch eher über­flüs­sig. Und die Lieder selb­st: Nun ja, bei mir läuft men­tal dann doch immer der Text mit. Und es gibt dur­chaus schöne Momente, wo das Konzept aufzuge­hen scheint. Im ganzen bleibt mir das aber zu wenig: Da fehlt zu viel. Selb­st eher mit­telmäßige Inter­pre­ta­tio­nen haben heute ein Niveau, das mehr an Emo­tion und Ein­druck, mehr Inhalt und Struk­tur ver­mit­telt als es diese Ver­sion beim Voy­ager-Quar­tett tut. Als beken­nen­der Win­ter­reise-Fan und ‑Samm­ler darf das bei mir natür­lich nicht fehlen. Ich gehe aber stark davon aus, dass ich in Zukun­ft eher zu ein­er gesun­genen Inter­pre­ta­tion greifen werde …

Franz Schu­bert: Win­ter­reise for string quar­tet. Voy­ager Quar­tet. Solo Musi­ca 2020. SM 335.

Dreifache Freiheit

Kaufmann/Gratkowski/de Joode, Oblengths (Cover)Sowohl Kauf­mann als auch Gratkows­ki sind Impro­visatoren, deren Arbeit ich immer ver­suche im Blick zu haben. Sie verkör­pern näm­lich eine Form der impro­visierten Musik oder des freien Jazz (oder wie immer man das genau klas­si­fizieren mag), die ver­schiedene Aspek­te vere­int und zusam­men­bringt: Sie sind Kün­stler, die viel am und mit dem Klang arbeit­en (ger­ade bei Achim Kauf­mann fällt mir das immer wieder auf, wie klangstark er das Klavier zu spie­len weiß) und zugle­ich im freien Impro­visieren und Zusan­men­spiel Struk­turen entste­hen lassen kön­nen, die das Hören span­nend und über­raschungsvoll machen. Das gilt auch für ihre Zusam­me­nar­beit mit Wilbert de Joode, die auf Oblengths doku­men­tiert ist. Aufgenom­men wurde ein Aben im Jan­u­ar 2014 im Köl­ner Loft, veröf­fentlicht hat es das immer wieder und immer noch großar­tige Label Leo Records.

Das beste an dieser Auf­nahme ist die Kom­bi­na­tion von gle­ichen oder ähn­lich­er Musiz­er­weisen der drei Tri­opart­ner und der immer wieder über­raschen­den Vielfalt an konkreten klan­glichen Ereignis­sen, die daraus entste­hen. Da ist schon viel Gek­narze, Gerumpel, Kratzen und Fiepen. Aber auch viel Wohlk­lang: Oblengths, das ist eine der großen Stärken dieses Trios, wartet mit ein­er unge­wohn­ten Band­bre­ite vom Geräusch bis zum har­monis­chen Dreik­lang und klas­sisch gebaut­en Melo­di­en oder Motiv­en auf. Man merkt beim Hören aber eben auch unmit­tel­bar, dass das hier kein Selb­stzweck ist, son­dern einge­set­zt wird, um Zusam­men­hänge herzustellen und umfassenderen Aus­druck zu ermöglichen. Dazu passt auch, dass der Klan­graum ein wirk­lich weites Reper­toire umfasst und auch im leisen, vere­inzel­ten, sog­ar im stillen Moment noch sehr aus­d­if­feren­ziert ist. Ich würde nicht sagen, dass das Trio erzählt — aber irgend­wie ergeben sich dann doch so etwas wie Geschicht­en, Abfol­gen von Momenten, die zusam­menge­hören und eine gemein­same Struk­tur haben.

Achim Kauf­mann, Frank Gratkows­ki, Wilbert de Joode: Oblengths. Leo Records 2016. CD LR 748.