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Schlagwort: dialektik

Ins Netz gegangen (31.10.)

Ins Netz gegan­gen am 31.10.:

  • 9Nov38 – ein Exper­i­ment auf Twit­ter | Schmalenstroer.net — Auch Michael Schmalen­stroer hat noch ein paar Absätze zu seinem Pro­jekt @9Nov38:

    Es ist aber etwas anderes, eine küh­le Ver­wal­tungsak­te zu lesen, in der mit aller ver­wal­tung­stech­nis­chen Akribe die Entrechung, Ermor­dung und Beraubung von Men­schen aus­gear­beit­et wird. In einem nor­malen Geschichts­buch wird von “Het­ze und Pro­pa­gan­da” in den Zeitun­gen geschrieben. Das zu lesen, kann schon an die Nieren gehen.

    Das ist ja ger­ade das, was ich an Twit­ter, Blogs etc so liebe: Man kann solche “Kleinigkeit­en” aus den Quellen ein­fach mal vorstellen, zeigen, zitieren und erzählen, ohne gle­ich ein richtiges “The­ma” oder eine Forschungs­frage haben zu müssen (oder die gar beant­worten zu müssen).

  • Pro­tokolle des Preußis­chen Staatsmin­is­teri­ums Acta Borus­si­ca — Das von 1994 bis 2003 tätige Akademien­vorhaben “Die Pro­tokolle des Preußis­chen Staatsmin­is­teri­ums (1817–1934/38)“ hat in 12 Regesten­bän­den über 5.200 Sitzung­spro­tokolle der ober­sten Kol­le­gial­be­hörde des preußis­chen Staates wis­senschaftlich erschlossen.
    Die gesamte Edi­tion fundiert auf Quel­lenbestän­den des Geheimen Staat­sarchivs Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz Berlin-Dahlem sowie des Bun­de­sarchivs Berlin-Lichter­felde und ist im Ver­lag Olms-Wei­d­mann erschienen — alle online frei zugänglich als pdfs.
  • Neue Dis­count­marke “Ohne teuer”: Real will jet­zt auch bil­lig kön­nen | Super­mark­t­blog — “(Klein­er Tipp: Weniger Phil Collins kön­nte die Kun­den­fre­quenz von alleine drastisch erhöhen.)” #wahrheit >
  • Kommt ein Imam in eine Kirche… « Radikale Ansicht­en — Manch­mal ist Deutsch­land ein­fach nur ver­rückt:

    Kommt ein Imam in eine Kirche …
    … dann gibt es mit­tler­weile immer öfter Ärg­er. Zulet­zt im pfälzis­chen Ham­bach, als während ein­er Anti-Kriegsmesse ein islamis­ch­er Gebet­sruf erk­lang. Für selb­ster­nan­nte “Islamkri­tik­er” ein Anlass zur Hys­terie.

    Yassin Mushar­bash bei Zeit-Online über die total hys­ter­ischen (und die Wahrheit mehr als ein­mal kräftig ver­drehen­den) Proteste anlässlich der Auf­führung ein­er Messe von Karl Jenk­ins.

  • » @9Nov38: Ein Pro­jekt als Kom­pro­miss — @hellojed erk­lärt das span­nende Pro­jekt, über Tweets den 9.11.1938 (und etwas Vorgeschichte) zu — nun ja, wie soll man’s nen­nen? — erzählen, verge­gen­wär­ti­gen, lebendig zu machen oder zu hal­ten
  • Schluss mit Lustig? Über die sehr gerin­gen Chan­cen, vor Lachen einen klaren poli­tis­chen Gedanken zu fassen. | Das Schön­ste an Deutsch­land ist die Auto­bahn — Georg Seeßlen schreibt einen sehr lesenswerten, nach­den­klichen und besorgten Text über unsere Zeit:

    Ich bin ges­pal­ten. Ich wün­sche mir keine Rück­kehr der Sauertöpfe und der Rechthaber, schon gar keine der Stal­in­is­ten und Sem­i­nar­is­ten. Zu Recht mis­straut die Kul­tur des Unern­stes den großen Wel­terzäh­lun­gen und hero­is­chen Mythen der Geschichte, zu Recht mis­straut sie Lösun­gen, Mod­ellen, Pro­jek­tio­nen, Helden und Vor­denkern; zu Unrecht aber glaubt sie, man könne sich durch Ironie, Mod­er­a­tion und Dis­tanz von der Ver­ant­wor­tung für den Lauf der Dinge befreien. Zu Unrecht glaubt sie an eine Möglichkeit, sich rauszuhal­ten und trotz­dem alles zu sehen. Zu Unrecht glaubt die Kul­tur von Abklärung und Unernst, den Mächti­gen sei am besten mit tak­tis­ch­er Nachgiebigkeit und einem Hauch von Sub­ver­sion zu begeg­nen. Lei­den­schaftliche und zornige Gesten erscheinen in der Kul­tur als kindisch, vul­gär und unan­genehm.
    […] Bis­lang hat doch noch ein jed­er zu Ende gedachter Gedanken nichts als Ter­ror oder Wahn mit sich gebracht. Bis­lang ist aus jed­er Überzeu­gung eine Ide­olo­gie, und aus dieser ein neuer Unter­drück­ungsap­pa­rat gewor­den.

    Es ist ja auch ver­rückt: Alles hat seine Dialek­tik, alles hat sein Gegen­teil. Und Extreme sowieso. Vielle­icht müssen wir uns wirk­lich wieder ganz weit zurück besin­nen. Zum Beispiel auf die Niko­machis­che Ethik des Aris­tote­les? Aber deren poli­itis­che Imp­lika­tio­nen sind vielle­icht auch nicht unbe­d­ingt unser Ding (und unser Heil wohl auch nicht …). Es ist eben schwierig, das alles. Und Auswege gibt es vielle­icht auch gar nicht. Denn die Gefahr ist immer dar. Im Moment zum Beispiel so:

    Aber sie ist auf dem besten Weg, eine Gesellschaft der grausamen Gle­ichgültigkeit zu wer­den, eine Gesellschaft, die aus lauter Ironie und Mod­er­a­tion der poli­tis­chen Lei­den­schaften gar nicht mehr erken­nt, dass sie sel­ber zu etwas von dem gewor­den ist, was sie fürchtet. Denn auch die Abklärung hat so ihre Dialek­tik, auch sie kann zum Dog­ma und zum Wahn wer­den.

Politik, Gesellschaft, das Lachen und der Ernst in unserer Postmoderne

Georg Seeßlen schreibt heute in seinem Blog (das ja über­haupt sehr empfehlenswert ist, schon wegen seines Titels — “Das Schön­ste an Deutsch­land ist die Auto­bahn”) einen sehr lesenswerten, nach­den­klichen und besorgten Text über unsere Zeit, den ich zur heuti­gen Pflichtlek­türe erk­läre: “Schluss mit Lustig? Über die sehr gerin­gen Chan­cen, vor Lachen einen klaren poli­tis­chen Gedanken zu fassen.” Darin heißt es zum Elend der Post­mod­erne (die Diag­nose ist ja nicht neu, hier aber schön auf den Punkt gebracht) in Bezug auf Poli­tik und Gesellschaft unter anderem:

Ich bin ges­pal­ten. Ich wün­sche mir keine Rück­kehr der Sauertöpfe und der Rechthaber, schon gar keine der Stal­in­is­ten und Sem­i­nar­is­ten. Zu Recht mis­straut die Kul­tur des Unern­stes den großen Wel­terzäh­lun­gen und hero­is­chen Mythen der Geschichte, zu Recht mis­straut sie Lösun­gen, Mod­ellen, Pro­jek­tio­nen, Helden und Vor­denkern; zu Unrecht aber glaubt sie, man könne sich durch Ironie, Mod­er­a­tion und Dis­tanz von der Ver­ant­wor­tung für den Lauf der Dinge befreien. Zu Unrecht glaubt sie an eine Möglichkeit, sich rauszuhal­ten und trotz­dem alles zu sehen. Zu Unrecht glaubt die Kul­tur von Abklärung und Unernst, den Mächti­gen sei am besten mit tak­tis­ch­er Nachgiebigkeit und einem Hauch von Sub­ver­sion zu begeg­nen. Lei­den­schaftliche und zornige Gesten erscheinen in der Kul­tur als kindisch, vul­gär und unan­genehm.
[…] Bis­lang hat doch noch ein jed­er zu Ende gedachter Gedanken nichts als Ter­ror oder Wahn mit sich gebracht. Bis­lang ist aus jed­er Überzeu­gung eine Ide­olo­gie, und aus dieser ein neuer Unter­drück­ungsap­pa­rat gewor­den.

Es ist ja auch ver­rückt: Alles hat seine Dialek­tik, alles hat sein Gegen­teil. Und seine Extreme sowieso. Vielle­icht müssen wir uns wirk­lich wieder ganz weit zurück besin­nen. Zum Beispiel auf die Niko­machis­che Ethik des Aris­tote­les? Aber deren poli­itis­che Imp­lika­tio­nen sind vielle­icht auch nicht unbe­d­ingt unser Ding (und unser Heil wohl auch nicht …). Es ist eben schwierig, das alles. Und Auswege gibt es vielle­icht auch gar nicht. Denn die Gefahr ist immer dar. Im Moment zum Beispiel so:

Aber sie ist auf dem besten Weg, eine Gesellschaft der grausamen Gle­ichgültigkeit zu wer­den, eine Gesellschaft, die aus lauter Ironie und Mod­er­a­tion der poli­tis­chen Lei­den­schaften gar nicht mehr erken­nt, dass sie sel­ber zu etwas von dem gewor­den ist, was sie fürchtet. Denn auch die Abklärung hat so ihre Dialek­tik, auch sie kann zum Dog­ma und zum Wahn wer­den.

Aber ander­er­seits lehrt uns die Geschichte nicht nur, dass Gedanken zu Ter­ror wer­den (kön­nen). Son­dern auch, dass es immer andere und neue Gedanken gibt, die den Ter­ror — zumin­d­est zeitweise — beseit­i­gen oder ein­schränken zu ver­mö­gen. Wenn es also doch keine “Lösung” gibt, so gibt es doch zumin­d­est Hoff­nung. Die lasse ich mir nicht nehmen. Jet­zt zumin­d­est noch nicht.

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