Serialize it!| jungle world → noch einmal georg seeßlen, dieses mal mit einem rundumschlag zu den (neuen) serien udn ihren eroflgen, ihren mthoden, varianten und bedingungen, aber auch ihrer (echten oder vermeintlichen) neuartigkeit
Die Sphären des Geschmacks driften auseinander, aber zugleich differenzieren sich auch die Märkte aus. […] Und auf der anderen Seite wird deutlich, wie sehr die Phase der Innovationen in eine Phase des medialen Kannibalismus übergeht. […] Nicht mehr Neuland soll betreten werden, sondern das Feld der populären Kultur wird abgegrast. Dann muss das Spiel wohl wieder neu beginnen.
„Wir sind nicht eure Diener“ | Tagesspiegel → sehr schönes, informatives, interessantes interview mit einer kinderkrankenschwester über ihren beruf und ihre patient*innen
Thomas Brussig: Wasserfarben. Berlin: Aufbau Digital 2016. 183 Seiten. ISBN 978–3‑8412–1084‑5.
Wasserfarben ist der erste Roman von Brussig, 1991 unter einem Pseudonym erschienen und jetzt als E‑Book veröffentlicht, deshalb ist er sozusagen bei mir gelandet. Es wird erzählt von einem Abiturient in Ost-Berlin am Übergangspunkt zwischen noch Schule und bald Leben. Es soll also ganz offensichtlich ein coming-of-age-Roman sein. Das ist es aber nicht so recht — weil der “Held” sich wenig bis gar nicht entwickelt und erst am Ende von seinem älteren Bruder erklärt bekommt, wie man erwachsen wird … Der Text ist vielleicht typisch Brussig: gewollt rotzig und trotzig. Und dieses bemühte Wollen merkt man dem Text leider immer wieder an — nicht an allen Stellen, aber doch häufig. Genau wie er bemüht “frech” sein will ist er auch etwas bemüht witzig. Vor allem aber fehlt mir die eigentliche Motivation des Erzählers, warum er so ist, wie er ist. Das wird einfach nicht klar.
Wasserfarben ist dabei sowieso von einem eher lahmen Witz und hinkendem Esprit gekennzeichnet. Das passt insofern, als auch die beschriebene DDR-Jugend in den 80ern so halb aufsässig ist: nicht ganz angepasst, aber auch kein Hang zur Totalverweigerung oder wenigstens “ordentlicher” Opposition. Das, der Held und seine Freunde und Bekannte, denen er im Lauf der Erzählung begegnet, zeigen dafür sehr schön den Druck, den das System aufbauen und ausüben konnte, vor allem in der Schule, aber auch im Privatleben, wo Arnold, der Protagonist und Erzähler (der den Leser schön brav siezt und auch sonst so seine extrem angepassten Momente hat), durchaus aneckt — vor allem wohl aus einem unspezifischen Freiheitsdrang, weniger aus grundsätzlicher Opposition. Das Buch hat durchaus einige nette Momente, die auch mal zum Schmunzeln anregen können, erschien mir auf die Dauer aber etwas fad — so wie die Jugend und die DDR selbst vielleicht. Nicht umsonst beschreiben die sich als “wasserfarben” im Sinne von: diese Jugend hat die Farbe von Wasser, ist also ziemlich blass, durchscheinend, aber auch vielfältig.
Alke Stachler: Dünner Ort. Mit fotografischen Illustrationen von Sarah Oswald. Salzburg: edition mosaik 2016 (edition mosaik 1.2). 64 Seiten. ISBN 9783200044548.
Meinen Eindruck dieses feinen Büchleins, dass es mir nach anfänglicher Distanz doch ziemlich angetan hat, habe ich an einem anderen Ort aufgeschrieben: klick.
John Corbett/span>: A Listener’s Guide to Free Improvisation. Chicago, London: The University of Chicago Press 2016. 172 Seiten. ISBN 978–0‑226–35380‑7.
Diese gelungene Einführung in die frei improvisierte Musik für interessierte Hörer und Hörerinnen habe ich auch schon in einem Extra-Beitrag gelobt: klick.
Nora Gomringer: ach du je. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2015 (edition spoken script/Sprechtexte 16).153 Seiten. ISBN 9783038530138.
Dieser Band versammelt Sprechtexte Gomringers. Die zielen auf die Stimme und ihre körperliche Materialität, sie setzen sie voraus, sie machen sie zu einem Teil des Textes selbst — oder, wie es im Nachwort heißt: “Die Niederschrift ist für sie ein Behelf, um das lyrische schlechthin zur Erfüllung zu bringen.” (144). Das ist gewissermaßen Vorteil und Problem zugleich. Dass man den Texten ihre Stimme sozusagen immer anmerkt, ist konsequent. Und sie passen damit natürlich sehr gut in die “edition spoken script”. Ich — und das ist eben eine rein subjektive Position — mag das allerdings oft nicht so gerne, zu sprechende/gesprochene Texte lesen — da fehlt einfach wesentliche Dimension beim “bloßen” Lesen. Und was übrig bleibt, funktioniert nicht immer, nicht unbedingt so richtig gut. Das soll aber auch gar keine Rüge sein und keinen Mangel anzeigen: Sprechtexte, die als solche konzipiert und geschrieben wurden, sind eben mit bzw. in der Stimme gedacht. Ist ja logisch. Wenn die nun im gedruckten Text wegfällt, fehlt eine Dimension des Textes, die sich imaginativ für mich nicht immer reibungs-/nahtlos ersetzen lässt. Ich denke durchaus, dass mindeste ein Teil der Texte gut sind. Gefallen hat mir zum Beispiel das wiederholte Ausprobieren und Bedenken, was Sprache vermag und in welcher Form: was sich also (wie) sagen lässt. Anderes dagegen schien mir doch recht banal. Und manchmal auch etwas laut und etwas „in your face“, eine Spur zu aufdringlich und über-direkt. Insgesamt hinterlässt der Band damit bei mir einen sehr divergenten, uneinheitlichen Eindruck.
Modern
Einen Baum pflanzen Auf ihm ein Haus bauen Da rein ein Kind setzen Das Kind zweisprachig Anschreien (116)
Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips: Listening. Carnet de Route — LDP 2015. Nantes: Lenka Lente 2016. 269 Seiten. ISBN 9791094601051.
Listening ist das Tourtagebuch des Improvisationstrios LDP, also des Saxophonisten Urs Leimgruber, des Pianisten Jacques Demierre und des Bassisten Barre Phillips. Ursprünglich haben die drei das als Blog geschrieben und auch veröffentlicht. Drei Musiker also, die in drei Sprachen schreiben — was dazu führt, dass ich es nicht ganz gelesen habe, mein Französisch ist doch etwas arg eingerostet. Das geht mal ein paar Sätze, so manches habe ich dann aber doch übersprungen. Und die ganz unterschiedliche Sichtweisen und Stile beim Erzählen des Tourens haben. Da geht es natürlich auch um den Touralltag, das Reisen spielt eine große Rolle. Wichtiger aber noch sind die Veranstalter, die Organisation und vor allem die Orte und Räume, in den sich die Musik des Trios entwickeln kann. Und immer wieder wird die Mühe des Ganzen deutlich: Stunden- bis tagelang fahren, unterwegs sein für ein bis zwei Stunden Musik. Und doch ist es das wert, sowohl den Produzenten als auch den Rezipienten der freien Musik.
The performing musician’s handicap is that each concert is the last one ever. It’s never going to get any better than it is today. The concert is ‚do or die‘ time. This moment is your truth and the groups truth. (65)
Die Räume, Publika und auch die bespielten Instrumente werden immer wieder beschrieben und bewerten. Demierre führt zum Beispiel genau Buch, welche Klaviere und Flügel er bespielt, bis hin zur Seriennummer der Instrumente. Und da ist vom Steinway-Konzertflügel der D‑Reihe bis zum abgewrackten “upright” alles dabei … Leimgruber interessiert sich mehr für die Städte und Organisationszusammenhänge, in denen die Konzerte stattfinden. Und natürlich immer wieder die Musik: Wie sie entsteht und was dabei herauskommt, wenn man in vertrauter Besetzung Tag für Tag woanders neu und immer wieder frei improvisiert. Und wie die Reaktionen sind. Da finden sich, im Text des Tourtagebuch verteilt, immer wieder interessante Reflexionen des Improvisierens und Selbstpositionierungen, die ja bei solcher, in gewisser Weise marginaler, Musik immer auch Selbstvergewisserungen sind. Nur geübt wird eigentlich überhaupt nicht (außer Barre Phillips, der sich nach monatelanger Abstinenz aus Krankheitsgründen wieder neu mit seinem Bass vertraut machen muss). Und im Trio gibt’s immerhin kurze Soundchecks, die aber wohl vor allem der Erprobung und Anpassung an die jeweilige Raumakustik dienen. Und nicht zuletzt bietet der Band noch viele schöne Fotos von Jacques Demierre.
Konzentriertes Hören, Verantwortung, materielle Voraussetzungen und spontane Eingaben bilden die Basis der Musik. Wir agieren, intensivieren, dekonstruieren, eliminieren, addieren und multiplizieren… Wir praktizieren Musik in Echtzeit, sie entsteht, indem sie entsteht. Gesten und Spielweisen vermischen sich und lösen sich ab. Wir halten nichts fest. Das Ausgelassene zählt genauso wie das Eingefügte. Jedes Konzert ist auf seine Art ein Original. Jede Situation ist anders. Der akustische Raum, das Publikum, die gesamte Stimmung im Hier und Jetzt. (134f.)
Hubert Fichte: Ich beiße Dich zum Abschied ganz zart. Briefe an Leonore Mau. Hrsg. von Peter Braun. Frankfurt am Main: S. Fischer 2016. 256 Seiten. ISBN 978–3‑10–002515‑9.
Zusammengerechnet sind es knapp 60 Seiten Briefe, für die man 26 Euro bezahlt. Und viele der Briefe Hubert Fichtes an seine Lebensgefährtin Leonore Mau sind (sehr) knappe, kurze Mitteilungen, die oft in erster Linie die Banalitäten des (Zusammen-)Lebens zum Inhalt haben.
Ich will: keinerlei familiäre Bindungen. Ich will frei leben — als Sohn Pans — wenn Du willst und ich will schreiben. (28)
Die Briefe zeichnen nicht unbedingt ein neues Fichte-Bild — aber als Fan muss man das natürlich lesen. Auch wenn ich mit schlechtem Gewissen lese, weil es dem Autorwillen ausdrücklich widerspricht, denn der wollte diese Dokumente vernichtet haben (was Leonore Mau in Bezug auf seinen sonstigen schriftlichen Nachlass auch weitgehend befolgte, bei den Briefen (zumindest diesen) aber unterließ, so dass sie nach ihrem Tod jetzt sozusagen gegen beider willen doch öffentlich werden können und das Private der beiden Künstlerpersonen also der Öffentlichkeit einverleibt werden kann …) Vor allem bin ich mir nicht sicher, ob sich — wie Herausgeber Peter Braun im Nachwort breit ausführt — daraus wirklich ein “Relief” im Zusammenspiel mit den Werken bildet. Und wie immer bin ich mir ziemlich unsicher, ob das den Werken (es geht ja vor allem um die unfertige “Geschichte der Empfindlichkeit”) wirklich gut tut (bzw. der Lektüre), wenn man sie mit den Briefen — und damit mit ihrem Autor — so eng verschränkt. Und ob es in irgend einer Weise notwendig ist, scheint mir auch zweifelhaft. Ja, man erkennt die autobiographische Grundierung mancher Jäcki-Züge und auch der Irma-Figur nach der Lektüre der Briefe noch einmal. Aber verleitet das Briefe-Lesen dann nicht doch dazu, aus Jäcki Hubert und aus Irm Leonore zu machen und damit wieder am Text der Werke vorbei zu lesen? Andererseits: ein wirklich neues Bild, eine unentdeckte Lesart der Glossen oder der Alten Welt scheint sich dann selbst für Braun doch nicht zu ergeben.
Ich will Freiheit, Freiheit — und dazu bedarfs Witzes und Lachens. (42)
Selbst Willi Winkler, durchaus enthusiastischer Fichteaner, befindet in der Süddeutschen Zeitung: “Diese Briefe, einmal muss es doch heraus, sind nämlich von sensationeller Belanglosigkeit” und schießt dann noch recht böse gegen die tatsächlich manchmal auffallenden Banalitäten des Kommentars (mein Lieblingskommentar: „Darmgeräusche: Darmgeräusche sind ein Ausdruck der Peristaltik von Magen und Darm und insofern Anzeichen für deren normale oder gestörte Tätigkeit.“ (167)) und das etwas hochtrabende Nachwort von Herausgeber Braun. Überhaupt macht das Drumherum, das ja eine ganze Menge Raum einnimmt, eher wenig Spaß. Das liegt auch an der eher unschönen, lieblose Gestaltung. Und den — wie man es bei Fichte und Fischer ja leider gewöhnt ist — vagen, ungenauen Editionsrichtlinien. Der Titel müsste eigentlich auch anders heißen, das Zitat geht nämlich noch ein Wort weiter und heißt dann: “Ich beiße dich zum Abschied ganz zart / wohin.” So steht es zumindest im entsprechenden Brief, war dem Verlag aber wohl zu heikel. Und das ist dann doch schade …
Aber für uns ist ja nur das Unvorsichtige das richtige. (141)
außerdem gelesen:
T. E. Lawrence: Wüsten-Guerilla. Übersetzt von Florian Tremba. Herausgegeben von Reiner Niehoff. Berlin: blauwerke 2015 (= splitter 05/06). 98 Seiten. ISBN 9783945002056.
Björn Kuhligk: Ich habe den Tag zerschnitten. Riga: hochroth 2013. 26 Seiten. ISBN 97839934838309.
Christian Meierhofer: Georg Philipp Harsdörffer. Hannover: Wehrhahn 2014 (Meteore 15). 134 Seiten. ISBN 978–3‑86525–418‑4.
Fausts Erlösung — NZZ — hans belting über eine mögliche quelle für den schluss von goethens faust II: die sixtinische madonna raffaels
Fausts Erlösung ereignet sich allein in der Kunst, in diesem Fall in der Poesie. Goethe redet zwar von «Rettung» und «Erlösung», aber die Engel deuten in dem zitierten Doppelzeiler eine Selbsterlösung an. Auch die «Sixtinische Madonna» wurde von den meisten nur im Museum und dort als Exemplum der Kunst aufgefasst. Goethe führt die romantische Kunstreligion, gerade in ihren religiösen Neigungen, auf ihren ästhetischen Sinn zurück. […]
Die verdeckte Bildbetrachtung wird bei Goethe zu einer Bilderfindung, die sich von der «Sixtinischen Madonna» löst. Sie lebt von der Erkenntnis, dass man nur noch in Bildern reden kann, wenn es um letzte Dinge geht.
Mommsen repräsentierte jene westdeutsche Historikergeneration, die in der sozialliberalen Ära nicht nur die Geschichtswissenschaft für neue Fragen und Methoden öffnete, sondern auch die akademischen Bildungswege für breitere Gesellschaftsschichten.
Selbst auf Lovelybooks wird ein kitschiger Liebesroman ernsthafter diskutiert, als es die Schmolllippigen über ihre Bücher im Quartett vorführen.
Gedenken kann immer nur dezentral funktionieren. Es kann nur funktionieren, wenn wir uns wirklich erinnern wollen. Und es kann nie nur über ein Medium funktionieren. Es muss künstlerische Formen der Erinnerung ebenso geben wie historische Gedenktafeln.
Hans Mommsen war fast fünfzig Jahre lang einer der einflussreichsten Zeithistoriker in Deutschland und einer der wenigen, dessen Arbeiten weltweite Verbreitung fanden. Fast die gesamte Forschung zur Weimarer Republik und zur Geschichte des Nationalsozialismus fußt in der einen oder anderen Weise auf seinen Arbeiten.
Das ist der Hintergrund, vor dem der ästhetische Konservatismus eines Romans wie “Kruso” zelebriert wird und erklärbar wird: der digitale, wirtschaftliche, möglicherweise auch politische Epochenbruch. Dieser Roman, der Roman an sich, so wie er gerade definiert wird, ist damit vor allem eine Schutzbehauptung der Erinnerung.
Peter Kurzeck: Der Mann, der immer gearbeitet hat — der stroemfeld-verlag wird/will wohl alles, was kurzeck hinterlassen hat, zu geld machen. bei einem autor, der dermaßen fast manisch korrigierte und verbesserte bis zum schluss, halte ich fragment-ausgaben ja nur für mäßig sinnvoll (und es ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug kurzeck zu lesen …). aber trotzdem freue ich mich und bin gespannt, was da noch kommt in den nächsten jahren
Und dann sind da noch die Notizzettel, die Kurzeck zu Materialsammlungen zusammengestellt hat, mit Titeln wie „Staufenberg II“ und „Staufenberg III“. Sie dienten ihm zur Arbeit an „Kein Frühling“ und „Vorabend“, zeigen aber auch, dass „Ein Sommer, der bleibt“, das erste der erfolgreichen Erzähl-Hörbücher, die Kurzeck seit 2007 einsprach, schriftliche Vorstufen gehabt hat. Mittendrin ein Notizzettel, der wie der Anfang von allem anmutet: „Das Dorf steht auf einem Basaltfelsen eh + je. Jetzt soll es das Dorf werden (sein) + liegt unerreichbar im Jahr 1947, im Abend.“ Unerreichbar. Das Vergangene wieder erreichbar zu machen, hat Kurzeck bis zuletzt versucht. Losse erinnert sich an eine Bemerkung des Autors im Frankfurter Krankenhaus: „Wir hätten noch mehr arbeiten müssen.“ An der Präsentation dessen, was fertig geworden ist, arbeitet Kurzecks Verlag.
Schattenbibliotheken: Piraterie oder Notwendigkeit? — sehr spannend: In gewaltigen, frei zugänglichen Online-Datenbanken verbreiten anonyme Betreiber wissenschaftliche Literatur, ohne Beachtung des Urheberrechtes. Doch die digitalen Sammlungen sind nicht nur Piraterie, sie weisen auch auf große Versäumnisse der Wissenschaftsverlage hin – sagt der ungarische Piraterie-Forscher Balázs Bodó. Im Interview mit der Journalistin Miriam Ruhenstroth erklärt er, wieso die Schattenbibliotheken in Ost- und Mitteluropa so gefragt sind und wie das Problem zu lösen wäre.
Wer kifft, gefährdet den Straßenverkehr. Auch ohne Rausch, jederzeit. Das glauben zumindest Behörden. Sie entziehen selbst nüchternen Taxikunden den Führerschein. […] Behörden haben anscheinend Gefallen daran gefunden, über den Umweg des Verwaltungsrechts, eigenmächtig ein bisschen für Ordnung unter Cannabis-Konsumenten zu sorgen.
Adobe is Spying on Users, Collecting Data on Their eBook Libraries — The Digital Reader — adobe spioniert mit digital editions 4 die nutzer aus: im klartext (!) werden nicht nurin de4 geöffnete bücher mit ihren metadaten und denen der leserin übertragen, sondern de4 durchsucht auch ohne sich das genehmigen zu lassen den gesamten computer nach irgendwelchen ebooks (auch solchen, die nicht in de4 benutzt werden), um deren daten ebenfalls an adobe zu senden. grausam.
Zu den Kollateralschäden der Ersatzreligion Liebe gehören aber auch die vielen Menschen, die allein sind. Ihr Leben wird als defizitär wahrgenommen. Man vermutet, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Dass jemand freiwillig einen anderen als den Weg in die Partnerschaft geht, ist schlechterdings unverständlich. Dass jemand einen geeigneten Partner nicht gefunden hat, gilt als sein ganz persönliches Versagen. So oder so, er hat von seiner Umwelt bestenfalls Mitleid zu erwarten. […]
Ist der Mythos Liebe nicht wenigstens dafür gut, den Menschen aus seinem Egoismus herauszuführen? Ist die Sehnsucht nach Partnerschaft nicht immer noch besser als die Selbstsucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur scheinbar eine Überwindung der eigenen Grenzen. In Wahrheit handelt es sich um eine Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wunsch zu lieben, sondern der, geliebt zu werden.
Man kann vermutlich lange warten, bis zum ersten Mal ein Bankier, eine Schriftstellerin oder ein Ausländer den Historikertag eröffnet.
Wäre es nicht an der Zeit, einmal zum Thema „Vergangenheit“ zu tagen?
Eine sinnvolle Einheit dessen, was die Historiker tun, die sich durch alle ihre Forschungen zöge, gibt es nicht. Und wenn die Göttinger Stichprobe nicht täuschte, dann gibt es nicht einmal Hauptlinien oder Trends.
Wilder Kaiser extreme on Vimeo — wohl das verrückteste video, das ich in letzter zeit sah (fahrradfahren kann man diesen stunt allerdings kaum noch nennen. und vernünftig ist natürlich auch etwas ganz anderes …)
Denn die landläufige Behauptung, dass man etwas heute «so» nicht mehr machen könne, ist nicht nur teleologischer Unfug, sie ist überdies unlauter. In den Opernhäusern regiert nämlich ein unangefochtener Kanon, der weitaus fester zementiert ist als noch vor fünfzig Jahren. So spricht gewiss nichts dagegen, den Anteil neuer Werke zu erhöhen, aber es ist mehr als fragwürdig, die alten Werke mit immer neuen Bildern vermeintlich «modern» zu machen und sich damit behaglich im Kanon einzurichten. Zudem hat der Moderne-Begriff, der hier bedient wird – das «Verstörende», «Provozierende», «Bestürzende» –, inzwischen selbst so viel Patina angesetzt, dass man ihn getrost in die Geschichte entlassen sollte.
ich bin durchaus geneigt, ihm da zumindest in teilen zuzustimmen: die regie hat sich oft genug verselbständigt (auch wenn ich eine totalablehnung, die ich bei ihm zwischen den zeilen lese, nicht befürworte). dagegen führt er an:
Die historische Verantwortung im Umgang mit Texten der Vergangenheit ist nichts Entbehrliches, sie ist auch nicht, wie so oft behauptet, ein Relikt altmodischen Philologentums, zumal das Argument für die Musik nicht geltend gemacht wird. Was aber nützt eine kritische Ausgabe des «Don Giovanni», wenn die Szenerie kurzerhand (wie in Linz) von Sex and Crime der Pop-Stars erzählt? Texte, Partituren der Vergangenheit bedürfen vielmehr einer besonderen Sensibilität, denn erst, wenn es gelingt, im Vergangenen das Gegenwärtige aufzuspüren (statt die Gegenwart dem Historischen einfach nur überzustülpen), kann sich der Rang eines Kunstwerks, auch eines musikalischen Bühnenkunstwerks, bewähren.
sein argument übrigens, statt immer wieder das selbe neu aufzufrischen öfters mal neues zu spielen, würde ich unbedingt gerne verwirklicht sehen — ich verstehe die repertoire-fixierung der oper eh’ nicht so ganz (die ja auch gewissermaßen unhistorisch ist — “die entführung aus dem serail” beispielsweise war kaum dazu gedacht, heute noch aufgeführt zu werden …)
Die FAZ berichtet heute im Feuilleton (S. 31, leider nicht online), dass das Thomas-Mann-Archiv in Zürich ungefähr dreitausend Briefe aus dem Nachlass des Autors bzw. seiner Frau Katia bis zum Dezember 2012 einfach “vergessen” hat. Das sind schlappe 13 Kisten, die die Archivare dort in den letzten Jahrzehnten komplett “übersehen” haben: Die wurden nicht erfasst, nicht katalogisiert, nicht ausgewertet und waren auch niemandem zugänglich — nicht den Forschern, aber auch nicht den Familienmitgliedern. Schon die Umstände, wie die Briefe ins Archiv gelangt sind, sind seltsam (für Schriftsteller-Nachlässe allerdings wiederum gar nicht so sehr …):
Derzeit bemüht man sich im TMA, die Herkunft der aufgetauchten Briefbestände zu rekonstruieren – auch das führt auf dunkle Pfade. Ein Teil der Briefe sei wohl bereits 1981 ins Archiv gelangt, gebracht von Anita Naef, der Sekretärin erst von Erika, später von Golo Mann; der größere Teil sei 1994 geschenkt worden, ebenfalls aus der Hand von Anita Naef. […] Nach den heutigen Recherchen des TMA brachte sie den größten Teil des jetzt aufgetauchten Briefbestands 1994, im Todesjahr Golo Manns, als „Schenkung“ ins TMA, ohne dass dies verzeichnet oder im Jahresbericht des Archivs vermerkt worden wäre.
Das ist schon eine ganz schöne Schlamperei — auch wenn Tilmann Lahme in der FAZ sicherlich zu recht darauf hinweist, dass das TMA sich mehr als Forschungsstätte denn als klassisches Archiv verstand:
Demgegenüber sind Erfassung, Erschließung und Sicherung der Archivalien nicht auf dem Stand eines modernen Archivs.
Immerhin scheint sich nun etwas zu tun:
Die Leitung der Hochschule hat nun, nach der Eingliederung des TMA und unter dem Eindruck des Auftauchens der dreitausend Katia-Mann-Briefe, kurzfristig ein größeres Projekt bewilligt. Mehr als eine halbe Million Schweizer Franken stehen von sofort an für Erschließung und Digitalisierung der Archivbestände zur Verfügung. Bis zum Ende des kommenden Jahres sollen die Bestände komplett in einem modernen, online abrufbaren System erfasst und digitalisiert sein
Andererseits gehen die Merkwürdigkeiten aber gleich weiter: Frido Mann, Enkel Thomas’, hat — offenbar als eine Art “Entschädigung” für das lange währende Versäumnis des Archivs, “etwa fünfzig Briefe seines Vaters Michael an Katia Mann” ausgehändigt bekommen. Die sind also aus dem Archiv gleich wieder verschwunden …
Das Archiv selbst scheint auch sonst eher nachlässig geführt zu werden, der FAZ-Artikel lässt da einiges anklingen (und macht darauf aufmerksam, dass das nicht unbedingt die Schuld der beteiligten Personen sein muss, sondern auch in seiner Konstruktion und der mangelnden Wertschätzung durch die Hochschul-Leitung geschuldet sein kann). Die Internetseite des Archivs jedenfalls gibt keinen Hinweis auf den Fund der Manuskripte …
“Es thut mir leid daß Sie vom nahen Bauwesen so viel dulden. Es ist ein böses Leiden und dabei ein reizender Zeitverderb, in seiner Nähe arbeitende Handwerker zu haben.”