Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: brief

spinnennetz vor natur

Ins Netz gegangen (10.10.)

Ins Netz gegan­gen am 10.10.:

Meldung

Näch­stens mehr, wenn die Stun­den ruhiger wer­den. Goethe an Schiller, Lauch­st­edt, am 28. Juni 1802

Aus-Lese #48

Thomas Brus­sig: Wasser­far­ben. Berlin: Auf­bau Dig­i­tal 2016. 183 Seit­en. ISBN 978–3‑8412–1084‑5.

brussig, wasserfarben (cover)Wasser­far­ben ist der erste Roman von Brus­sig, 1991 unter einem Pseu­do­nym erschienen und jet­zt als E‑Book veröf­fentlicht, deshalb ist er sozusagen bei mir gelandet. Es wird erzählt von einem Abi­turi­ent in Ost-Berlin am Über­gangspunkt zwis­chen noch Schule und bald Leben. Es soll also ganz offen­sichtlich ein com­ing-of-age-Roman sein. Das ist es aber nicht so recht — weil der “Held” sich wenig bis gar nicht entwick­elt und erst am Ende von seinem älteren Brud­er erk­lärt bekommt, wie man erwach­sen wird … Der Text ist vielle­icht typ­isch Brus­sig: gewollt rotzig und trotzig. Und dieses bemühte Wollen merkt man dem Text lei­der immer wieder an — nicht an allen Stellen, aber doch häu­fig. Genau wie er bemüht “frech” sein will ist er auch etwas bemüht witzig. Vor allem aber fehlt mir die eigentliche Moti­va­tion des Erzäh­lers, warum er so ist, wie er ist. Das wird ein­fach nicht klar.

Wasser­far­ben ist dabei sowieso von einem eher lah­men Witz und hink­en­dem Esprit gekennze­ich­net. Das passt insofern, als auch die beschriebene DDR-Jugend in den 80ern so halb auf­säs­sig ist: nicht ganz angepasst, aber auch kein Hang zur Totalver­weigerung oder wenig­stens “ordentlich­er” Oppo­si­tion. Das, der Held und seine Fre­unde und Bekan­nte, denen er im Lauf der Erzäh­lung begeg­net, zeigen dafür sehr schön den Druck, den das Sys­tem auf­bauen und ausüben kon­nte, vor allem in der Schule, aber auch im Pri­vatleben, wo Arnold, der Pro­tag­o­nist und Erzäh­ler (der den Leser schön brav siezt und auch son­st so seine extrem angepassten Momente hat), dur­chaus aneckt — vor allem wohl aus einem unspez­i­fis­chen Frei­heits­drang, weniger aus grund­sät­zlich­er Oppo­si­tion. Das Buch hat dur­chaus einige nette Momente, die auch mal zum Schmun­zeln anre­gen kön­nen, erschien mir auf die Dauer aber etwas fad — so wie die Jugend und die DDR selb­st vielle­icht. Nicht umson­st beschreiben die sich als “wasser­far­ben” im Sinne von: diese Jugend hat die Farbe von Wass­er, ist also ziem­lich blass, durch­scheinend, aber auch vielfältig.

Alke Stach­ler: Dün­ner Ort. Mit fotografis­chen Illus­tra­tio­nen von Sarah Oswald. Salzburg: edi­tion mosaik 2016 (edi­tion mosaik 1.2). 64 Seit­en. ISBN 9783200044548.

Meinen Ein­druck dieses feinen Büch­leins, dass es mir nach anfänglich­er Dis­tanz doch ziem­lich ange­tan hat, habe ich an einem anderen Ort aufgeschrieben: klick.

John Corbett/span>: A Listener’s Guide to Free Impro­vi­sa­tion. Chica­go, Lon­don: The Uni­ver­si­ty of Chica­go Press 2016. 172 Seit­en. ISBN 978–0‑226–35380‑7.

Diese gelun­gene Ein­führung in die frei impro­visierte Musik für inter­essierte Hör­er und Hörerin­nen habe ich auch schon in einem Extra-Beitrag gelobt: klick.

Nora Gom­ringer: ach du je. Luzern: Der gesunde Men­schen­ver­sand 2015 (edi­tion spo­ken script/Sprechtexte 16).153 Seit­en. ISBN 9783038530138.

gomringer, ach du je (cover)Dieser Band ver­sam­melt Sprech­texte Gom­ringers. Die zie­len auf die Stimme und ihre kör­per­liche Mate­ri­al­ität, sie set­zen sie voraus, sie machen sie zu einem Teil des Textes selb­st — oder, wie es im Nach­wort heißt: “Die Nieder­schrift ist für sie ein Behelf, um das lyrische schlechthin zur Erfül­lung zu brin­gen.” (144). Das ist gewis­ser­maßen Vorteil und Prob­lem zugle­ich. Dass man den Tex­ten ihre Stimme sozusagen immer anmerkt, ist kon­se­quent. Und sie passen damit natür­lich sehr gut in die “edi­tion spo­ken script”. Ich — und das ist eben eine rein sub­jek­tive Posi­tion — mag das allerd­ings oft nicht so gerne, zu sprechende/gesprochene Texte lesen — da fehlt ein­fach wesentliche Dimen­sion beim “bloßen” Lesen. Und was übrig bleibt, funk­tion­iert nicht immer, nicht unbe­d­ingt so richtig gut. Das soll aber auch gar keine Rüge sein und keinen Man­gel anzeigen: Sprech­texte, die als solche konzip­iert und geschrieben wur­den, sind eben mit bzw. in der Stimme gedacht. Ist ja logisch. Wenn die nun im gedruck­ten Text wegfällt, fehlt eine Dimen­sion des Textes, die sich imag­i­na­tiv für mich nicht immer rei­bungs-/naht­los erset­zen lässt. Ich denke dur­chaus, dass min­deste ein Teil der Texte gut sind. Gefall­en hat mir zum Beispiel das wieder­holte Aus­pro­bieren und Bedenken, was Sprache ver­mag und in welch­er Form: was sich also (wie) sagen lässt. Anderes dage­gen schien mir doch recht banal. Und manch­mal auch etwas laut und etwas „in your face“, eine Spur zu auf­dringlich und über-direkt. Ins­ge­samt hin­ter­lässt der Band damit bei mir einen sehr diver­gen­ten, unein­heitlichen Ein­druck.

Mod­ern

Einen Baum pflanzen
Auf ihm ein Haus bauen
Da rein ein Kind set­zen
Das Kind zweis­prachig
Anschreien (116)

Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips: Lis­ten­ing. Car­net de Route — LDP 2015. Nantes: Lenka Lente 2016. 269 Seit­en. ISBN 9791094601051.

Lis­ten­ing ist das Tourtage­buch des Impro­vi­sa­tion­strios LDP, also des Sax­o­phon­is­ten Urs Leim­gru­ber, des Pianis­ten Jacques Demierre und des Bassis­ten Barre Phillips. Ursprünglich haben die drei das als Blog geschrieben und auch veröf­fentlicht. Drei Musik­er also, die in drei Sprachen schreiben — was dazu führt, dass ich es nicht ganz gele­sen habe, mein Franzö­sisch ist doch etwas arg eingerostet. Das geht mal ein paar Sätze, so manch­es habe ich dann aber doch über­sprun­gen. Und die ganz unter­schiedliche Sichtweisen und Stile beim Erzählen des Tourens haben. Da geht es natür­lich auch um den Tourall­t­ag, das Reisen spielt eine große Rolle. Wichtiger aber noch sind die Ver­anstal­ter, die Organ­i­sa­tion und vor allem die Orte und Räume, in den sich die Musik des Trios entwick­eln kann. Und immer wieder wird die Mühe des Ganzen deut­lich: Stun­den- bis tage­lang fahren, unter­wegs sein für ein bis zwei Stun­den Musik. Und doch ist es das wert, sowohl den Pro­duzen­ten als auch den Rezip­i­en­ten der freien Musik.

The per­form­ing musician’s hand­i­cap is that each con­cert is the last one ever. It’s nev­er going to get any bet­ter than it is today. The con­cert is ‚do or die‘ time. This moment is your truth and the groups truth. (65)

Die Räume, Pub­li­ka und auch die bespiel­ten Instru­mente wer­den immer wieder beschrieben und bew­erten. Demierre führt zum Beispiel genau Buch, welche Klaviere und Flügel er bespielt, bis hin zur Seri­en­num­mer der Instru­mente. Und da ist vom Stein­way-Konz­ert­flügel der D‑Reihe bis zum abgewrack­ten “upright” alles dabei … Leim­gru­ber inter­essiert sich mehr für die Städte und Organ­i­sa­tion­szusam­men­hänge, in denen die Konz­erte stat­tfind­en. Und natür­lich immer wieder die Musik: Wie sie entste­ht und was dabei her­auskommt, wenn man in ver­trauter Beset­zung Tag für Tag woan­ders neu und immer wieder frei impro­visiert. Und wie die Reak­tio­nen sind. Da find­en sich, im Text des Tourtage­buch verteilt, immer wieder inter­es­sante Reflex­io­nen des Impro­visierens und Selb­st­po­si­tion­ierun­gen, die ja bei solch­er, in gewiss­er Weise mar­ginaler, Musik immer auch Selb­stvergewis­serun­gen sind. Nur geübt wird eigentlich über­haupt nicht (außer Barre Phillips, der sich nach monate­langer Absti­nenz aus Krankheits­grün­den wieder neu mit seinem Bass ver­traut machen muss). Und im Trio gibt’s immer­hin kurze Sound­checks, die aber wohl vor allem der Erprobung und Anpas­sung an die jew­eilige Rau­makustik dienen. Und nicht zulet­zt bietet der Band noch viele schöne Fotos von Jacques Demierre.

Konzen­tri­ertes Hören, Ver­ant­wor­tung, materielle Voraus­set­zun­gen und spon­tane Eingaben bilden die Basis der Musik. Wir agieren, inten­sivieren, dekon­stru­ieren, eli­m­inieren, addieren und mul­ti­plizieren… Wir prak­tizieren Musik in Echtzeit, sie entste­ht, indem sie entste­ht. Gesten und Spiel­weisen ver­mis­chen sich und lösen sich ab. Wir hal­ten nichts fest. Das Aus­ge­lassene zählt genau­so wie das Einge­fügte. Jedes Konz­ert ist auf seine Art ein Orig­i­nal. Jede Sit­u­a­tion ist anders. Der akustis­che Raum, das Pub­likum, die gesamte Stim­mung im Hier und Jet­zt. (134f.)

Hubert Fichte: Ich beiße Dich zum Abschied ganz zart. Briefe an Leonore Mau. Hrsg. von Peter Braun. Frank­furt am Main: S. Fis­ch­er 2016. 256 Seit­en. ISBN 978–3‑10–002515‑9.

fichte, briefe (umschlag)Zusam­men­gerech­net sind es knapp 60 Seit­en Briefe, für die man 26 Euro bezahlt. Und viele der Briefe Hubert Ficht­es an seine Lebens­ge­fährtin Leonore Mau sind (sehr) knappe, kurze Mit­teilun­gen, die oft in erster Lin­ie die Banal­itäten des (Zusammen-)Lebens zum Inhalt haben.

Ich will: kein­er­lei famil­iäre Bindun­gen. Ich will frei leben — als Sohn Pans — wenn Du willst und ich will schreiben. (28)

Die Briefe zeich­nen nicht unbe­d­ingt ein neues Fichte-Bild — aber als Fan muss man das natür­lich lesen. Auch wenn ich mit schlechtem Gewis­sen lese, weil es dem Autor­willen aus­drück­lich wider­spricht, denn der wollte diese Doku­mente ver­nichtet haben (was Leonore Mau in Bezug auf seinen son­sti­gen schriftlichen Nach­lass auch weit­ge­hend befol­gte, bei den Briefen (zumin­d­est diesen) aber unter­ließ, so dass sie nach ihrem Tod jet­zt sozusagen gegen bei­der willen doch öffentlich wer­den kön­nen und das Pri­vate der bei­den Kün­stler­per­so­n­en also der Öffentlichkeit ein­ver­leibt wer­den kann …) Vor allem bin ich mir nicht sich­er, ob sich — wie Her­aus­ge­ber Peter Braun im Nach­wort bre­it aus­führt — daraus wirk­lich ein “Relief” im Zusam­men­spiel mit den Werken bildet. Und wie immer bin ich mir ziem­lich unsich­er, ob das den Werken (es geht ja vor allem um die unfer­tige “Geschichte der Empfind­lichkeit”) wirk­lich gut tut (bzw. der Lek­türe), wenn man sie mit den Briefen — und damit mit ihrem Autor — so eng ver­schränkt. Und ob es in irgend ein­er Weise notwendig ist, scheint mir auch zweifel­haft. Ja, man erken­nt die auto­bi­ographis­che Grundierung manch­er Jäc­ki-Züge und auch der Irma-Fig­ur nach der Lek­türe der Briefe noch ein­mal. Aber ver­leit­et das Briefe-Lesen dann nicht doch dazu, aus Jäc­ki Hubert und aus Irm Leonore zu machen und damit wieder am Text der Werke vor­bei zu lesen? Ander­er­seits: ein wirk­lich neues Bild, eine unent­deck­te Lesart der Glossen oder der Alten Welt scheint sich dann selb­st für Braun doch nicht zu ergeben.

Ich will Frei­heit, Frei­heit — und dazu bedarfs Witzes und Lachens. (42)

Selb­st Willi Win­kler, dur­chaus enthu­si­astis­ch­er Fichtean­er, befind­et in der Süd­deutschen Zeitung: “Diese Briefe, ein­mal muss es doch her­aus, sind näm­lich von sen­sa­tioneller Belan­glosigkeit” und schießt dann noch recht böse gegen die tat­säch­lich manch­mal auf­fal­l­en­den Banal­itäten des Kom­men­tars (mein Lieblingskom­men­tar: „Dar­mgeräusche: Dar­mgeräusche sind ein Aus­druck der Peri­staltik von Magen und Darm und insofern Anze­ichen für deren nor­male oder gestörte Tätigkeit.“ (167)) und das etwas hochtra­bende Nach­wort von Her­aus­ge­ber Braun. Über­haupt macht das Drumherum, das ja eine ganze Menge Raum ein­nimmt, eher wenig Spaß. Das liegt auch an der eher unschö­nen, lieblose Gestal­tung. Und den — wie man es bei Fichte und Fis­ch­er ja lei­der gewöh­nt ist — vagen, unge­nauen Edi­tion­srichtlin­ien. Der Titel müsste eigentlich auch anders heißen, das Zitat geht näm­lich noch ein Wort weit­er und heißt dann: “Ich beiße dich zum Abschied ganz zart / wohin.” So ste­ht es zumin­d­est im entsprechen­den Brief, war dem Ver­lag aber wohl zu heikel. Und das ist dann doch schade …

Aber für uns ist ja nur das Unvor­sichtige das richtige. (141)

außer­dem gele­sen:

  • T. E. Lawrence: Wüsten-Gueril­la. Über­set­zt von Flo­ri­an Trem­ba. Her­aus­gegeben von Rein­er Niehoff. Berlin: blauw­erke 2015 (= split­ter 05/06). 98 Seit­en. ISBN 9783945002056.
  • Björn Kuh­ligk: Ich habe den Tag zer­schnit­ten. Riga: hochroth 2013. 26 Seit­en. ISBN 97839934838309.
  • Chris­t­ian Meier­hofer: Georg Philipp Hars­dörf­fer. Han­nover: Wehrhahn 2014 (Mete­o­re 15). 134 Seit­en. ISBN 978–3‑86525–418‑4.
  • Edit #66
  • Mütze #12 & #13 (mit inter­es­san­ten Gedicht­en von Kurt Aebli und Rain­er René Mueller)

Ins Netz gegangen (10.11.)

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  • Fausts Erlö­sung — NZZ — hans belt­ing über eine mögliche quelle für den schluss von goethens faust II: die six­tinis­che madon­na raf­faels

    Fausts Erlö­sung ereignet sich allein in der Kun­st, in diesem Fall in der Poe­sie. Goethe redet zwar von «Ret­tung» und «Erlö­sung», aber die Engel deuten in dem zitierten Dop­pelzeil­er eine Selb­ster­lö­sung an. Auch die «Six­tinis­che Madon­na» wurde von den meis­ten nur im Muse­um und dort als Exem­plum der Kun­st aufge­fasst. Goethe führt die roman­tis­che Kun­stre­li­gion, ger­ade in ihren religiösen Nei­gun­gen, auf ihren ästhetis­chen Sinn zurück.
    […] Die verdeck­te Bild­be­tra­ch­tung wird bei Goethe zu ein­er Bilderfind­ung, die sich von der «Six­tinis­chen Madon­na» löst. Sie lebt von der Erken­nt­nis, dass man nur noch in Bildern reden kann, wenn es um let­zte Dinge geht.

  • Zum Tod des His­torik­ers Hans Momm­sen: Die Analyse der deutschen Katas­tro­phe — NZZ-Feuil­leton — nachruf von christoph jahr:

    Momm­sen repräsen­tierte jene west­deutsche His­torik­er­gen­er­a­tion, die in der sozial­lib­eralen Ära nicht nur die Geschichtswis­senschaft für neue Fra­gen und Meth­o­d­en öffnete, son­dern auch die akademis­chen Bil­dungswege für bre­it­ere Gesellschaftss­chicht­en.

  • Lit­er­atur als Kasper­lethe­ater: Das belei­digte Quar­tett — literaturcafe.de — wolf­gang tis­ch­er war auch mit der zweit­en aus­gabe des neuen lit­er­arischen quar­tetts nicht zufrieden (das ist noch pos­i­tiv gesagt …) und ver­mis­ste vor allem die lit­er­aturkri­tik:

    Selb­st auf Lovely­books wird ein kitschiger Liebesro­man ern­sthafter disku­tiert, als es die Schmol­l­lip­pi­gen über ihre Büch­er im Quar­tett vor­führen.

  • Johannes Tuchel zum The­ma Stolper­steine: „Erin­nerung mit Zwang funk­tion­iert nicht“ -

    Gedenken kann immer nur dezen­tral funk­tion­ieren. Es kann nur funk­tion­ieren, wenn wir uns wirk­lich erin­nern wollen. Und es kann nie nur über ein Medi­um funk­tion­ieren. Es muss kün­st­lerische For­men der Erin­nerung eben­so geben wie his­torische Gedenk­tafeln.

  • Unde­liv­ered let­ters shed light on 17th-cen­tu­ry soci­ety | World news | The Guardian — sehr cool: eine samm­lung teil­weis­er ungeöffneter briefe aus dem 17. jahrhun­dert aus den nieder­lan­den wird unter­sucht und aus­gew­ertet — eine wahre fund­grube für his­torik­er etc.
  • Ulrich Her­bert würdigt Hans Momm­sen: Licht ins Halb­dunkel der poli­tis­chen Wil­lens­bil­dung — Feuil­leton — FAZ -

    Hans Momm­sen war fast fün­fzig Jahre lang ein­er der ein­flussre­ich­sten Zei­this­torik­er in Deutsch­land und ein­er der weni­gen, dessen Arbeit­en weltweite Ver­bre­itung fan­den. Fast die gesamte Forschung zur Weimar­er Repub­lik und zur Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus fußt in der einen oder anderen Weise auf seinen Arbeit­en.

  • Louis Althuss­er ǀ Der große Abwe­sende — der Fre­itag — schöne erin­nerung an den großen/vergessenen philosophen louis althuss­er

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  • Lit­er­atur-Nobel­preis: Georg Diez über Patrick Modi­ano und Lutz Seil­er — SPIEGEL ONLINE — georg diez hadert mit dem “ästhetis­chen und strukurellen kon­ser­vatismus der buch­branche”:

    Das ist der Hin­ter­grund, vor dem der ästhetis­che Kon­ser­vatismus eines Romans wie “Kru­so” zele­bri­ert wird und erk­lär­bar wird: der dig­i­tale, wirtschaftliche, möglicher­weise auch poli­tis­che Epochen­bruch. Dieser Roman, der Roman an sich, so wie er ger­ade definiert wird, ist damit vor allem eine Schutzbe­haup­tung der Erin­nerung.

  • Peter Kurzeck: Der Mann, der immer gear­beit­et hat — der stroem­feld-ver­lag wird/will wohl alles, was kurzeck hin­ter­lassen hat, zu geld machen. bei einem autor, der der­maßen fast man­isch kor­rigierte und verbesserte bis zum schluss, halte ich frag­ment-aus­gaben ja nur für mäßig sin­nvoll (und es ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug kurzeck zu lesen …). aber trotz­dem freue ich mich und bin ges­pan­nt, was da noch kommt in den näch­sten jahren

    Und dann sind da noch die Notizzettel, die Kurzeck zu Mate­ri­al­samm­lun­gen zusam­mengestellt hat, mit Titeln wie „Staufen­berg II“ und „Staufen­berg III“. Sie dien­ten ihm zur Arbeit an „Kein Früh­ling“ und „Vor­abend“, zeigen aber auch, dass „Ein Som­mer, der bleibt“, das erste der erfol­gre­ichen Erzähl-Hör­büch­er, die Kurzeck seit 2007 ein­sprach, schriftliche Vorstufen gehabt hat. Mit­ten­drin ein Notizzettel, der wie der Anfang von allem anmutet: „Das Dorf ste­ht auf einem Basalt­felsen eh + je. Jet­zt soll es das Dorf wer­den (sein) + liegt unerr­e­ich­bar im Jahr 1947, im Abend.“ Unerr­e­ich­bar. Das Ver­gan­gene wieder erre­ich­bar zu machen, hat Kurzeck bis zulet­zt ver­sucht. Losse erin­nert sich an eine Bemerkung des Autors im Frank­furter Kranken­haus: „Wir hät­ten noch mehr arbeit­en müssen.“ An der Präsen­ta­tion dessen, was fer­tig gewor­den ist, arbeit­et Kurzecks Ver­lag.

  • Schat­ten­bib­lio­theken: Pira­terie oder Notwendigkeit? — sehr span­nend: In gewalti­gen, frei zugänglichen Online-Daten­banken ver­bre­it­en anonyme Betreiber wis­senschaftliche Lit­er­atur, ohne Beach­tung des Urhe­ber­recht­es. Doch die dig­i­tal­en Samm­lun­gen sind nicht nur Pira­terie, sie weisen auch auf große Ver­säum­nisse der Wis­senschaftsver­lage hin – sagt der ungarische Pira­terie-Forsch­er Balázs Bodó. Im Inter­view mit der Jour­nal­istin Miri­am Ruhen­stroth erk­lärt er, wieso die Schat­ten­bib­lio­theken in Ost- und Mit­teluropa so gefragt sind und wie das Prob­lem zu lösen wäre.
  • Mar­i­hua­na: Die selt­same Ver­fol­gung der nüchter­nen Kif­fer | ZEIT ONLINE -

    Wer kifft, gefährdet den Straßen­verkehr. Auch ohne Rausch, jed­erzeit. Das glauben zumin­d­est Behör­den. Sie entziehen selb­st nüchter­nen Taxikun­den den Führerschein. […] Behör­den haben anscheinend Gefall­en daran gefun­den, über den Umweg des Ver­wal­tungsrechts, eigen­mächtig ein biss­chen für Ord­nung unter Cannabis-Kon­sumenten zu sor­gen.

  • xkcd: The Sake of Argu­ment — xkcd über’s Argu­men­tieren: The Sake of Argu­ment
  • Adobe is Spy­ing on Users, Col­lect­ing Data on Their eBook Libraries — The Dig­i­tal Read­er — adobe spi­oniert mit dig­i­tal edi­tions 4 die nutzer aus: im klar­text (!) wer­den nicht nurin de4 geöffnete büch­er mit ihren meta­dat­en und denen der leserin über­tra­gen, son­dern de4 durch­sucht auch ohne sich das genehmi­gen zu lassen den gesamten com­put­er nach irgendwelchen ebooks (auch solchen, die nicht in de4 benutzt wer­den), um deren dat­en eben­falls an adobe zu senden. grausam.
  • Ego­is­tis­che Zweisamkeit: Ersatzre­li­gion Liebe — Men­schen — FAZ — markus gün­ther über die “ersatzre­li­gion liebe”, die sich in let­zter zeit immer mehr aus­bre­it­et (und abso­lut set­zt):

    Zu den Kol­lat­er­alschä­den der Ersatzre­li­gion Liebe gehören aber auch die vie­len Men­schen, die allein sind. Ihr Leben wird als defiz­itär wahrgenom­men. Man ver­mutet, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Dass jemand frei­willig einen anderen als den Weg in die Part­ner­schaft geht, ist schlech­ter­d­ings unver­ständlich. Dass jemand einen geeigneten Part­ner nicht gefun­den hat, gilt als sein ganz per­sön­lich­es Ver­sagen. So oder so, er hat von sein­er Umwelt besten­falls Mitleid zu erwarten.
    […] Ist der Mythos Liebe nicht wenig­stens dafür gut, den Men­schen aus seinem Ego­is­mus her­auszuführen? Ist die Sehn­sucht nach Part­ner­schaft nicht immer noch bess­er als die Selb­st­sucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur schein­bar eine Über­win­dung der eige­nen Gren­zen. In Wahrheit han­delt es sich um eine Fort­set­zung der Ich-Bezo­gen­heit mit anderen Mit­teln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wun­sch zu lieben, son­dern der, geliebt zu wer­den.

  • Deutsch­er His­torik­ertag: Die These vom Son­der­weg war ja selb­st ein­er — jür­gen kaube berichtet sehr lau­nig, pointiert (und mit gemeinen, natür­lich abso­lut fehlgeleit­eten seit­en­hieben gegen die ger­man­is­tik …) vom göt­tinger his­torik­ertag:

    Man kann ver­mut­lich lange warten, bis zum ersten Mal ein Banki­er, eine Schrift­stel­lerin oder ein Aus­län­der den His­torik­ertag eröffnet.

    Wäre es nicht an der Zeit, ein­mal zum The­ma „Ver­gan­gen­heit“ zu tagen?

    Eine sin­nvolle Ein­heit dessen, was die His­torik­er tun, die sich durch alle ihre Forschun­gen zöge, gibt es nicht. Und wenn die Göt­tinger Stich­probe nicht täuschte, dann gibt es nicht ein­mal Hauptlin­ien oder Trends.

  • Wilder Kaiser extreme on Vimeo — wohl das ver­rück­teste video, das ich in let­zter zeit sah (fahrrad­fahren kann man diesen stunt allerd­ings kaum noch nen­nen. und vernün­ftig ist natür­lich auch etwas ganz anderes …)
  • Auswüchse des Regi­ethe­aters: Oper der Beliebigkeit­en — Bühne Nachricht­en — NZZ.ch — der musik­wis­senschaftler lau­renz lüt­teken rech­net mit dem regi­ethe­ater aktueller prä­gung auf der opern­bühne ab:

    Denn die landläu­fige Behaup­tung, dass man etwas heute «so» nicht mehr machen könne, ist nicht nur tele­ol­o­gis­ch­er Unfug, sie ist überdies unlauter. In den Opern­häusern regiert näm­lich ein unange­focht­en­er Kanon, der weitaus fes­ter zemen­tiert ist als noch vor fün­fzig Jahren. So spricht gewiss nichts dage­gen, den Anteil neuer Werke zu erhöhen, aber es ist mehr als frag­würdig, die alten Werke mit immer neuen Bildern ver­meintlich «mod­ern» zu machen und sich damit behaglich im Kanon einzuricht­en. Zudem hat der Mod­erne-Begriff, der hier bedi­ent wird – das «Ver­störende», «Provozierende», «Bestürzende» –, inzwis­chen selb­st so viel Pati­na ange­set­zt, dass man ihn get­rost in die Geschichte ent­lassen sollte.

    ich bin dur­chaus geneigt, ihm da zumin­d­est in teilen zuzus­tim­men: die regie hat sich oft genug verselb­ständigt (auch wenn ich eine tota­l­ablehnung, die ich bei ihm zwis­chen den zeilen lese, nicht befür­worte). dage­gen führt er an:

    Die his­torische Ver­ant­wor­tung im Umgang mit Tex­ten der Ver­gan­gen­heit ist nichts Ent­behrlich­es, sie ist auch nicht, wie so oft behauptet, ein Relikt alt­modis­chen Philolo­gen­tums, zumal das Argu­ment für die Musik nicht gel­tend gemacht wird. Was aber nützt eine kri­tis­che Aus­gabe des «Don Gio­van­ni», wenn die Szener­ie kurz­er­hand (wie in Linz) von Sex and Crime der Pop-Stars erzählt? Texte, Par­ti­turen der Ver­gan­gen­heit bedür­fen vielmehr ein­er beson­deren Sen­si­bil­ität, denn erst, wenn es gelingt, im Ver­gan­genen das Gegen­wär­tige aufzus­püren (statt die Gegen­wart dem His­torischen ein­fach nur überzustülpen), kann sich der Rang eines Kunst­werks, auch eines musikalis­chen Büh­nenkunst­werks, bewähren.

    sein argu­ment übri­gens, statt immer wieder das selbe neu aufzufrischen öfters mal neues zu spie­len, würde ich unbe­d­ingt gerne ver­wirk­licht sehen — ich ver­ste­he die reper­toire-fix­ierung der oper eh’ nicht so ganz (die ja auch gewis­ser­maßen unhis­torisch ist — “die ent­führung aus dem serail” beispiel­sweise war kaum dazu gedacht, heute noch aufge­führt zu wer­den …)

Vergessen: 3000 unbekannte Briefe im Thomas-Mann-Archiv

Die FAZ berichtet heute im Feuil­leton (S. 31, lei­der nicht online), dass das Thomas-Mann-Archiv in Zürich unge­fähr dre­itausend Briefe aus dem Nach­lass des Autors bzw. sein­er Frau Katia bis zum Dezem­ber 2012 ein­fach “vergessen” hat. Das sind schlappe 13 Kisten, die die Archivare dort in den let­zten Jahrzehn­ten kom­plett “überse­hen” haben: Die wur­den nicht erfasst, nicht kat­a­l­o­gisiert, nicht aus­gew­ertet und waren auch nie­man­dem zugänglich — nicht den Forsch­ern, aber auch nicht den Fam­i­lien­mit­gliedern. Schon die Umstände, wie die Briefe ins Archiv gelangt sind, sind selt­sam (für Schrift­steller-Nach­lässe allerd­ings wiederum gar nicht so sehr …):

Derzeit bemüht man sich im TMA, die Herkun­ft der aufge­taucht­en Brief­bestände zu rekon­stru­ieren – auch das führt auf dun­kle Pfade. Ein Teil der Briefe sei wohl bere­its 1981 ins Archiv gelangt, gebracht von Ani­ta Naef, der Sekretärin erst von Eri­ka, später von Golo Mann; der größere Teil sei 1994 geschenkt wor­den, eben­falls aus der Hand von Ani­ta Naef. […] Nach den heuti­gen Recherchen des TMA brachte sie den größten Teil des jet­zt aufge­taucht­en Brief­be­stands 1994, im Todes­jahr Golo Manns, als „Schenkung“ ins TMA, ohne dass dies verze­ich­net oder im Jahres­bericht des Archivs ver­merkt wor­den wäre.

Das ist schon eine ganz schöne Schlam­perei — auch wenn Tilmann Lahme in der FAZ sicher­lich zu recht darauf hin­weist, dass das TMA sich mehr als Forschungsstätte denn als klas­sis­ches Archiv ver­stand:

Demge­genüber sind Erfas­sung, Erschließung und Sicherung der Archiva­lien nicht auf dem Stand eines mod­er­nen Archivs.

Immer­hin scheint sich nun etwas zu tun:

Die Leitung der Hochschule hat nun, nach der Eingliederung des TMA und unter dem Ein­druck des Auf­tauchens der dre­itausend Katia-Mann-Briefe, kurzfristig ein größeres Pro­jekt bewil­ligt. Mehr als eine halbe Mil­lion Schweiz­er Franken ste­hen von sofort an für Erschließung und Dig­i­tal­isierung der Archivbestände zur Ver­fü­gung. Bis zum Ende des kom­menden Jahres sollen die Bestände kom­plett in einem mod­er­nen, online abruf­baren Sys­tem erfasst und dig­i­tal­isiert sein

Ander­er­seits gehen die Merk­würdigkeit­en aber gle­ich weit­er: Fri­do Mann, Enkel Thomas’, hat — offen­bar als eine Art “Entschädi­gung” für das lange währende Ver­säum­nis des Archivs, “etwa fün­fzig Briefe seines Vaters Michael an Katia Mann” aus­ge­händigt bekom­men. Die sind also aus dem Archiv gle­ich wieder ver­schwun­den …

Das Archiv selb­st scheint auch son­st eher nach­läs­sig geführt zu wer­den, der FAZ-Artikel lässt da einiges anklin­gen (und macht darauf aufmerk­sam, dass das nicht unbe­d­ingt die Schuld der beteiligten Per­so­n­en sein muss, son­dern auch in sein­er Kon­struk­tion und der man­gel­nden Wertschätzung durch die Hochschul-Leitung geschuldet sein kann). Die Inter­net­seite des Archivs jeden­falls gibt keinen Hin­weis auf den Fund der Manuskripte …

Bauwesen

“Es thut mir leid daß Sie vom nahen Bauwe­sen so viel dulden. Es ist ein bös­es Lei­den und dabei ein reizen­der Zeitverderb, in sein­er Nähe arbei­t­ende Handw­erk­er zu haben.”

Goethe an Schiller, 17.5.1797

“was machte ich …

… mit dem gelde, wenn ich nicht büch­er kaufte?” — got­thold ephramim less­ing an nico­lais frau

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