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Schlagwort: alexander von schlippenbach

Aber das Wort Hund bellt ja nicht

Das Set­ting kling nicht ger­ade inter­es­sant — im Gegen­teil: ein Mann filmt drei alte Män­ner dabei, wie sie Musik machen — das soll ein pack­ender Film wer­den? Was so lang­weilig und unin­spiri­ert klingt, ist aber dann faszinierend: Bernd Schochs Film Aber das Wort Hund bellt ja nicht ist wirk­lich ein toller Musik­film.

Über mehrere Jahre hin­weg hat er die Auftritte des Trios im Jaz­zclub Karl­sruhe gefilmt. Daraus ist ein empathis­ch­er und begeis­tert­er Film über das Schlip­pen­bach-Trio, diese europäis­che Urgestein des Free Jazz, gewor­den. Das Trio war ja irgend­wie schon immer da: Seit 1970, also mit­tler­weile deut­lich über 40 Jahre musizieren Alexan­der von Schlip­pen­bach, Evan Park­er und Paul Lovens tat­säch­lich schon zusam­men. Nähe und Zurück­hal­tung zeich­net Aber das Wort Hund bellt ja nicht beson­ders aus: Bernd Schoch rückt ihnen ganz und gar auf die Pelle, ohne jeden Abstand — aber durch die ewigen Ein­stel­lun­gen und der enge, kaum verän­derte Bil­dauss­chnitt ver­mit­telt das eine große Konzen­tra­tion — genau so wie auch die Musik, die gemacht wird. Und darum geht es ja: Nicht um die drei Her­ren, son­dern um die Musik, ihre Musik. Die inten­siv­en, lange Blicke, die den Akteuren ganz nah auf die Haut rück­en — beim Spie­len und ganz oft auch beim Hören (was die anderen spie­len) — das ist in sein­er Ein­fach­heit über­raschend schön. Das Versenken, das Aufge­hen in der Musik des Moments so mitzuer­leben, ist ein Genuss. Und es ist wun­der­bar, wie der Film das zeigt, ganz unaufgeregt, aber genau und streng kom­poniert.

Zwis­chen die lan­gen Musik­pas­sagen sind kurze Sprech­ab­schnitte der drei Musik­er (aus einem Gespräch?) mon­tiert, die Musik und Leben des Trios nicht so sehr erk­lären, als vielmehr unter bes­timmten Aspek­ten beleucht­en. Da sagt ein­er (Park­er) der drei den schö­nen Satz: „use the known to reach the unknown“. Es ist auf eine rührende Weise schön, den Musik­ern so nah und dicht beim Musik-Machen zuzuse­hen — das ver­mit­telt ein Gefühl, direkt dabei zu sein, Teil der Musik selb­st zu wer­den: “Wir wer­den sowieso spie­len, bis es nicht mehr geht”.

Taglied 20.9.2012

dewes­gen das hier:

Alexan­der von Schlip­pen­bach solo

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Schlippenbachs Monk

Eine neue CD, die mir mein Abon­nement der Intakt-Veröf­fentlichun­gen ins Haus bringt: Schlip­pen­bach plays Monk. Das macht er ja nicht zum ersten Mal, Intakt hat ja auch seine grandiose “Gesam­tauf­nahme” des Monkschen Oeu­vres mit den großar­ti­gen Musik­ern von Die Ent­täuschung veröf­fentlich. Das hier ist aber noch ein­mal etwas anderes. Ob bess­er oder schlechter, ist schw­er zu sagen. Schlip­pen­bachs Musik ist hier lockere Kom­plex­ität: Jed­er Moment atment Luft, jed­er Klang bleibt offen, Lück­en in der Form beflügeln Monks geniale Kom­po­si­tio­nen in dieser Ein­spielung von Alexan­der von Schlip­pen­bach, die neun Kom­po­si­tio­nen (eine dop­pelt einge­spielt) mit kurzen, frei impro­visierten Zwis­chen­spie­len Schlip­pen­bachs kom­biniert.
In kom­plex­en Mustern und Abläufen bleibt diese Inter­pre­ta­tion Monks quick­lebendig. Sich­er, immer wieder kann man die (geistige) Nähe zur kom­ponierten Neuen Musik hören. Über­haupt kann man hier schon mal (wieder) die Frage stellen, ob das Jazz ist (oder sein soll). Das klan­gliche Ergeb­nis unter­schei­det sich — ger­ade bei den Eigenkompositionen/Improvisationen Schlip­pen­bachs — zumin­d­est beim ersten hören nicht wesentlich von vie­len Kom­po­si­tio­nen der let­zten 50 jahre oder so. Bei den Monk-Inter­pre­ta­tio­nen, die so etwas wie das Gerüst dieser Ein­spielung bilden, ist das jazz­ig-impro­visatorische Moment stärk­er zu hören — weil hier mit klas­sis­chen Vor­gaben gear­beit­et wird: ein­er Melodie und zuge­höriger Akko­rd­folge als Aus­gangspunkt. Aber selb­st das stimmt nicht immer, man kann sich da schnell täuschen: Weil Monk sich Schlip­pen­bach annähert und Schlip­pen­bach sich monk anver­wan­delt. Ulf Drech­sel schreibt im Begleit­text deshalb ganz tre­f­fend:

MonkIst­MonkWird­Schlip­pen­bach­Bleibt­MonkBleibtSchlip­pen­bach

Das triff die Qual­ität dieser CD vielle­icht am besten: Dass sich hier zwei Musik­er, zwei See­len tre­f­fen, ver­mis­chen, ver­wan­deln und doch sie selb­st bleiben. Klan­glich ist das faszinierend und belebend, der Sound der Auf­nahme ist wun­der­bar lebendig und detailgesät­tigt, so dass man Schlip­pen­bachs behut­sames Spiel auf dem großen Stein­way in allen Facetten wahrnehmen, nach­spüren und mit-/nachvol­lziehen kann. Diese schein­bar ganz schlichte Musik, die solis­tis­che Impro­vi­sa­tion mit und über neun Monk-Kom­po­si­tio­nen ist aber unge­heuer ein­nehmend. Nicht nur durch ihre kul­tiviert-ver­fein­erte Gelehrsamkeit und for­male Klarheit — von dem wun­der­baren Klang sprach ich ja schon -, son­dern auch dadurch, dass sie ganz unbeküm­mert frisch und lebendig bleibt. Das Alter der Werke und des Pianis­ten hört man eben ger­ade nicht. Höch­stens mal in der abgek­lärten Entspan­ntheit, mit der Schlip­pen­bach das monksche Mate­r­i­al benutzt und ver­ar­beit­et — er muss sich und uns nichts mehr beweisen. Und das hört man unbe­d­ingt — mit großer Freude. Irgend­wie spüre ich da mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit als in der meis­ten Musik, die uns son­st so umgibt (ohne jet­zt direkt sagen zu kön­nen, welche Wahrheit das ist): Das hat die Wirkung erhaben­er Kun­st — sie verän­dert den Hör­er, läutert ihn oder lässt ihn zumin­d­est die Erhaben­heit de Schön­heit wahrnehmen.

Alexan­der von Schlip­pen­bach: Piano Solo. Schlip­pen­bach plays Monk. Intakt CD 207, 2012.

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