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Dämonen und andere Chorkunst von Adriana Hölszky

cover“Gemälde eines Erschla­ge­nen”, “Dämo­nen”, “Jagt die Wölfe zurück” — schon die Titel ver­rat­en, dass Adri­ana Höl­szkys Musik sich nicht mit beschaulich­er Besin­nung aufhält. Aus Live-Auf­nah­men von der musi­ca viva haben der Bay­erische Rund­funk und Neos jet­zt eine CD vor allem mit Chor­musik zusam­mengestellt. Und die fängt gle­ich über­wälti­gend, ganz groß an: 72 Stim­men ver­langt das “Gemälde eines Erschla­ge­nen” von 1993, das auf einem Text von Jakob Michael Rein­hard Lenz beruht. Davon schnappt man immer wieder Worte, einzel­nen Sil­ben, kurze Satzteile auf. Ins Zen­trum des Trubels ein­er Mord­szene führt die Musik, hinein in die klan­glich bedrück­ende und ein­drück­liche Schilderung ein­er Tötung eines Wehrlosen. Damit ist das “Gemälde eines Erschla­ge­nen” eine Musik, der man sich aus­liefern muss — und die einen dann in dieser Auf­nahme mit dem von Gustaf Sjökvist vorzüglich geführten Chor des Bay­erischen Rund­funks mit emo­tionaler Gewalt umzin­gelt: Grauen und Schreck­en kann sie dem Hör­er lehren und veg­e­gen­wär­ti­gen, ihn — kör­per­lich ganz unbeschädigt und entspan­nt — mit­ten durch diese dumpfe Szene mench­lis­ch­er Abgründe führen.

Auch die “Dämo­nen” sind wieder groß notiert: Statt 72 sind es immer­hin noch 48 einzeln notierte Stim­men, die Hölzsky dem Chor vor­legt. Wiederum wird die Sprache aufgelöst — und wiederum ist das inhaltlich begrün­det. Dieses Mal — “Dämo­nen” ist ein Auf­tragswerk für das Mozart­jahr 2006 der Salzburg­er Fest­spiele — sind es die inneren Stim­men Don Gio­van­nis bei sein­er Höl­len­fahrt, die sie ver­tont. Das sind wahrhaft dämonis­che, sehr geheimnisvolle Stim­men total ver­wirrter Gedanken, die sich eben auf keinen fes­ten Text mehr zurück­führen lassen. Aus einzel­nen klan­glichen und sprach­lichen Ereignis­sen, die als Impuls­ge­ber dienen, ent­fal­tet die Kom­pon­istin faszinierende Psy­chogramme en minia­ture, die zusam­men das plas­tis­che klan­gliche Abbild ein­er rauen, zer­wühlten und ver­lebten Seele geben. Und genau so rabi­at, roh und ver­wildert lässt der Chor des Bay­erischen Rund­funks, der hier in einem Mitschnitt der deutschen Erstauf­führung zu hören ist, das auch klin­gen — ganz großar­tig!

Fast natur­wis­senschaftlich begrün­det wirkt dage­gen “Formi­car­i­um”, dass auf der Beobach­tung von Ameisen­völk­ern beruht. Auch hier sind die vie­len Stim­men des Chor des Bay­erischen Rund­funks bei der Urauf­führung (fast) immer in Bewe­gung. Kleine Parzellen unter­schiedlich­ster Strukuren lösen einan­der ab. Immer wieder kann man dabei die Auflö­sung von einzel­nen Klang­grup­pen hören, kann man miter­leben, wie die ganz ohne Text funk­tion­ieren­de­nen, streng organ­isierten, weit aufge­fächerten flächi­gen Klänge in ein kraftvolles, aber weit­ge­hend chao­tisch erscheinen­des dicht­es Gewusel der in Grup­pen geord­neten Stim­men auf­brechen — wie in einem Ameisen­stock eben. Über­haupt zeich­net das die hier vom Chor des BR so engagiert aufge­führten Chor­w­erke alles aus: Die Verbindung von oft weit aufge­s­plit­teten, verzweigten und kom­plex organ­isierten Abschnit­ten — die Stim­men­zahl der Chöre gibt einen Hin­weis — mit oft ganz dicht und eng, um Nuan­cen des Klangs und der Erfahrung rin­gen­den Klang­bildern.

Ergänzt wird das auf dieser for­mi­da­blen CD noch um zwei instru­men­tale Werke, die eben­falls im Rah­men der Münchenr “musi­ca viva” auf­ge­om­men wur­den: “on the oth­er side”, ein kleines Konz­ert für Klar­inette, Har­moni­ka, Akko­rdeon und Orch­ester sowie die Arbeit “Jagt die Wölfe zurück” für sechs Schlagzeuger.

Adri­ana Höl­szky: Chor­w­erke und anderes 1993–2010 (musi­ca viva Vol. 19). Neos Music 2014

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 12/2014)

Ins Netz gegangen (28.10.)

Ins Netz gegan­gen am 28.10.:

  • Ein krim­i­nal­is­tis­ches Lehrstück — taz.de — Faszinierend: Die Physik­erin Inge Schmitz-Feuer­hake erzählt Gabriele Goet­tle in der taz, wie unwis­senschaftlich die Wis­senschaft (der Kern­physik und ver­wandter Bere­iche etwa) lange und oft han­delt und arbeit — und mit welchen schreck­lichen Fol­gen:

    Ich bin da ganz naiv range­gan­gen. Es war mir allerd­ings aufge­fall­en, wie großzügig die Sicher­heits­bes­tim­mungen waren. Ich hat­te den Sicher­heits­bericht ver­fasst, ohne den keine Nuk­lear­an­lage betrieben wer­den kann, und war über­rascht, wie wohlwol­lend das Min­is­teri­um war und wie wohlwol­lend der TÜV sich gegenüber dem Pro­jekt zeigte. Später habe ich dann fest­gestellt, dass das­selbe Wohlwollen auch bei den großen Anla­gen vorherrscht und dass im Grunde keine zweite unab­hängige Kon­trolle da ist. Das ist die Erfahrung, die ich dann später auch mit dem KKW Krüm­mel bzw. mit der Überwachung sein­er Anla­gen gemacht habe. Es gibt allerd­ings doch noch eine unab­hängige Überwachung durch die Auf­sichts­be­hörde, die darin beste­ht, dass im ganzen Land Detek­toren aufgestellt wer­den, die im Gefahren­fall dann anzeigen sollen. Wir haben aber erlebt bei Krüm­mel, dass wenn ein Detek­tor anschlägt, man erst mal davon aus­ge­ht, dass er kaputt ist und aus­gewech­selt wer­den muss. Wenn er dann noch mal anschlägt, wird er wieder aus­gewech­selt.

    Dank biol­o­gis­ch­er Dosime­trie kon­nten wir dann in der Elb­marsch nach­weisen, dass Umge­bungskon­t­a­m­i­na­tio­nen tat­säch­lich Leute ver­strahlt haben, rund ums KKW Krüm­mel. Krüm­mel war für uns das Lehrstück. An 20 Erwach­se­nen und 10 Kindern haben wir mit­tels biol­o­gis­ch­er Dosime­trie fest­gestellt, die haben tat­säch­lich eine Dosis abgekriegt. Wir hat­ten zum Teil bis zu zehn­fach erhöhte Chro­mo­som­enaber­ra­tio­nen, also Abwe­ichun­gen. So war klar, die offiziellen Dosisangaben stim­men nicht! Aber unsere Befunde wur­den ener­gisch bestrit­ten!

    und später erzählt sie:

    Die Auf­sichts­be­hörde, die selb­st den Unfall ver­tuscht hat, war zugle­ich die Kon­troll­be­hörde unser­er Ergeb­nisse! Der Bock als Gärt­ner, das glaubt kein­er. Für die wis­senschaftlichen Kri­tik­er ist es sehr schwierig — selb­st ihren Sym­pa­thisan­ten gegenüber -, das Aus­maß der Kumpanei zwis­chen Behör­den und Betreibern glaub­haft zu machen. Aber das ist inter­na­tionaler Stan­dard!

    total crazy, das alles …

  • Stre­se­mann-Reden — Gus­tav Stre­se­mann, 1923–1929 — kom­men­tierte Edi­tion von Wolf­gang Elz, bish­er für die Jahre 1923–1925 (auch) online erschienen (zwar “nur” als pdf-Dateien, aber immer­hin …)
  • Kom­pon­istin Adri­ana Höl­szky: “Ich muss es ans Licht brin­gen” | ZEIT ONLINE — Adri­ana Höl­szky lässt sich von Chris­tine Lemke-Matwey ein paar Stich­wörter geben, um über Oper, Bal­lett, Fremd­heit und den Prozess des Kom­ponierens zu reden (Inter­view kann man das kaum nen­nen …)

    Kom­ponieren ist, wenn man ein­mal vor dem leeren Noten­blatt am Schreibtisch sitzt, eine sehr konkrete Arbeit. Die Beschaf­fen­heit eines Klangs spüre ich kör­per­lich, wie eine Notwendigkeit. Es ist alles da, ich muss es nur ans Licht brin­gen. Und dann hören es vielle­icht auch andere.

    — wenn ich richtig sehe, sind Grund und The­ma des Gespräch­es zwei Musik­the­ater­w­erke, die im Mai des näch­sten Jahres (!) uraufge­führt wer­den (die also kein­er ken­nt und die ziem­lich sich­er auch noch gar nicht fer­tig sind …)

  • ARD-Pro­gram­mdi­rek­tor ver­hin­dert “Bren­npunkt” zur Späh-Affäre « Ste­fan Nigge­meier — ARD-Pro­gram­mdi­rek­tor ver­hin­dert »Bren­npunkt« zur Späh-Affäre (via Pub­lished arti­cles)

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