Wolfgang Frömberg: Etwas Besseres als die Freiheit. Luhmar: Hablizel 2013. 202 Seiten.
Der Rezensent der taz war von Frömbergs zweitem Roman ziemlich begeistert, ich nicht so sehr. Es fiel mir schwer, da überhaupt reinzukommen, in den Text über den Text über den Text: Die (Erzähl-)Ebenen verschwimmen hier permanent (im Roman gibt es z.B. einen Roman, der heißt wie der Roman). Das wäre ja noch kein Problem (eher ein Pluspunkt), aber Frömbergs spröder Stil, seine trockene Sprache machten es mir schwer, den verschiedenen Handlungssträngen und Figurenkonstellationen, die lose immer mal wieder mit einander verknüpft werden, ohne dass das besonders deutlich wird, zu folgen — dazu kommen noch verschiedene Zeit-Handlungs-Ebenen und Träume und Erinnerungen. Vielleicht lag’s auch an meiner Lesesituation — aber ich sehe nicht recht, was Frömberg hier eigentlich will. Es geht irgendwie um die Alt-68er und deren Kinder. Der Sohn zweier 68er und Kommunarden, Leo, ist so etwas wie die Zentralfigur. Er beschäftigt sich ablehnend mit der Geschichte seine Eltern, das als “Künstler” verarbeitend, seine Frau/Ex, die als „Detektivin“ zu den 68ern unterwegs ist/war, die aber auch schon tot sind, spielt auch eine Rolle. Und dazu kommt noch die gesamte neueste Geschichte Deutschlands und der Welt, vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, die unbedingt ind en Text hinein gepackt werden musste. Das führt zu entsprechend langen Erklärungen und Abschweifungen, trocken und zäh macht es den Text. Und wieder mal schreiben alle Figuren: Werner und sein Sohn Leo, Ursula und auch der extrimistische Aktivist Andreas, selbst die „Geologin“ Victoria — da kann man schön immer daraus zitieren, ohne sich die Zitate zu eigen machen zu müssen. Deshalb ist Etwas Besseres als die Freiheit auch voller gewichtiger Sätze, die als philosophische Erkenntnisse/Sätze/Wahrheiten daherkommen, meist aber Platitüden sind. Und natürlich endet das wieder im Schreiben: “Victoria schloss die Augen, setzte den Stift aufs Papier, öffnete die Tür und stürzte sich in eine neue Welt.” (196)
Außerdem ist das Buch ganz schlecht gesetzt: ungünstiger Seitenspiegel, schlechter Blocksatz (teilweise richtige Löcher in den Zeilen) — das sind handwerkliche Fehler, die beim Lesen ermüden, vor allem weil der Text selbst nur sehr grob gegliedert ist.
Angelika Meier: Stürzen, drüber schlafen. Kleine Geschichten und Stücke. Zürich: Diaphanes 2013. 194 Seiten.
Skuriles und Absurdes mischt sich in Meiers kleinen Geschichten mit Groteskem und auch Lustigem: Das sind Miniaturen, die unsere ach-so-bekannte Welt einfach auf den Kopf stellen und mögliche Welten erzählen. Da sich oft nur eine kleine Bedingung oder Begebenheit ändert, kann man wunderbar sehen, was dann passiert — und hat erzählte Welten, die der “Realität” unwahrscheinlich gleichen und doch ganz anders sind.
Wunderbar ist auch die Erzähltechnik Meiers, die ich schon in Heimlich, heimlich mich vergiss bewunderte. Zum Beispiel die Raffinesse der Informationsvergabe, die (meistens) sehr zurückhaltend, unaufdringlich, fast unmerklich geschieht. So kann Meier etwa lange offen lassen kann, ob die Erzählerstimme weiblich oder männlich ist (wenn es eben keine Rolle spielt). Eine souveräne Erzähltechnik, die hier oft im Dienst des Wunderns und Verwunderns steht, des Aufmerksammachen auf die Gestalt der Welt, die wir immer wieder als gegeben und “normal” hinnehmen, die ja aber oft auch ganz kontingent ist und durchaus auch (ganz) anders sein könnte — zum Beispiel so, wie Meier es uns hier mal vorführt und worüber wir dann staunen dürfen oder ratlos und perplex sein dürfen. “Ihre Miniaturen sind vergnüglich zu lesende Etüden in Sarkasmus, allesamt dazu geeignet, die Zumutungen der Wirklichkeit auf Distanz zu halten” hat Jörg Magenau das in seiner Kritik genannt — und das stimmt. Auch wenn manchmal — etwa und vor allem in den beiden Theaterstücken am Ende des Bandes das Moment der Fingerübung etwas arg deutlich wird — die beiden Texte hinterlassen mich etwas ratlos, vor allem Wasser! Element! Penthesilea liest Kleist scheint mir in erster Linie eine solche (stilistische) Fingerübung — aber vielleicht übersehe ich einfach den entscheidenden Punkt …
Berthold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht. Berlin: Edition Tiamat 2013. 352 Seiten.
Der Konzerveranstalter Seliger schreibt, warum das Musikgeschäft (womit er in erster Linie das des Pop & Rock meint) so ist, wie es ist: Verkommen, korrupt, unbefriedigend. Eine “Streitschrift für eine andere Kultur” (so nennt der Klappentext das) ist dieser Bericht. Und er ist zunächst mal ernüchternd und desillusionierend: Seliger hat vieles zusammengetragen zum Zustand der Kulturindustrie, des “Geschäfts mit der Musik” — vieles, das dem aufmerksamen Zeitgenossen durchaus schon bekannt sein dürfte (GEMA, Einkommen, Konzentrationsprozesse im Label- & Verlagswesen, Musikergagen, Sponsoring & Werbung), hier aber noch mal geballt und zusammengeführt, detailliert an vielen Beispielen aufgezeigt. Besonders beschäftigen ihn die vielfältigen Konzentrationsprozesse im Geschäft rund um die Musik und die Frage: “Doch was bedeutet das [die oligarische Konzentration] für die Kultur, was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Was bringt unsere Gesellschaft voran? Ist es die Quote, die zählen soll, oder ist es die Qualität von Kultur?” (14). Das ist nicht nur ein Vorwurf an den versagenden Markt — auch wenn dessen Neuaurichtung (shareholder-value statt stakeholder-value) seit den 1980er wesentlicher Antrieb für den “Verfall” ist, sondern auch eine Anklage an die diese Prozesse unterstützende willfährige Politik, die dem Ausverkauf der Kultur nicht nur nichts entgegensetzt, sondern ihn auch vorantreibt und finanziell unterstützt. Seliger pragnert das als Verlust der Vielfalt an — und zwar eben nicht nur musikalisch, musik-intrinsisch sozusagen, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Stattdessen wünscht Seliger sich eine Kultur der Dissidenz — marktkonform ist aber immer nur der Gehorsam, weshalb die reine Marktorientierung der Kultur (als ganzes) schaden muss, weil das Moment des Gegenläufigen wegfallen muss (dazu gezwungen wird …): “Heute dagegen beherrscht der Quotenterror unser kulturelles Leben, ob beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, bei der staatlichen Filmförderung oder bei unseren musikalischen Freizeitvergnügen. Wir leisten uns ein hochsubventioniertes Kultursystem, unterwerfen es allerdings freiwillig dem Diktat der Quote. Es zählt nur, was verkauft.” (20), oder: “Dissidenz ist in den modernen Geschäftsmodellen der Kulturindustrie nicht als Möglichkeit vorgesehen.” (21). Das ist keine neue oder überraschende Erkenntnis — nicht ohne Grund ist Adorno (mit seinen Arbeiten über die Kulturindustrie) sein Kronzeuge -, aber weil Seliger viel aus seinen langjährigen Erfahrungen mit den verschiedensten Musikern, Veranstaltern etc. erzählt, — manchmal hat das auch ein bisschen etwas von “Opa erzählt von früher” … — ist das eine durchaus spannende und anregende Lektüre. Er klagt dabei auch so ziemlich alle Beteiligten an, von der Musikerin bis zum Hörer/Konsumenten, vom Label über Konzernveranstalter, Werbende bis zu Journalistinnen oder Medienarbeiter. Und natürlich auch die Politik (Urheberrecht! Fördergelder!). Er sieht das Problem aber immer als eines des Systems, nicht des Individuums — ohne diesem allerdings Handlungsmöglichkeit und Verantwortung abzunehmen oder abzusprechen (dafür führt er ja auch Gegenbeispiele an, die sich dem Zwang zur absoluten Unterwerfung unter den Markt und seine (scheinbaren) Gesetze verweigern). Letzlich hängt auch für ihn alles an der “Haltung” des Individuums: “In einer Zeit, in der das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe weltweit durch multinationale Konzerne massiv gefährdert ist, kommt es mehr denn je darauf an, Haltung zu zeigen.” (348) — das ist so etwas wie der Kern, Ausgangs- und Endpunkt des Buches.
Christian Hwakey: Sonette mit elisabethanischem Maulwurf. Übertragen von Uljana Wolf. Berlin: hochroth 2010. 38 Seiten.
Eigentlich ganz spannende und vielfältige Gedichte, die Sonette von Hawkey. Die Übertragung von Wolf ist eigentlich eine Übersetzung, die fast eine interlineare ist — extrem nah an dem Original. Das ist mal derb und verspielt, mal hochgemut und ordinär zugleich — ein seltsames sic-et-non, ein Pendeln zwischen den Welten und Sprachen macht die Sonette Hawkeys aus — und im Umschlag des Pendels passiert die Kunst, dort, wo die Sprache glitzert und glänzt und funkelt …
& they slept, soundly. sleep was a sound & / they floated into it — sie legten sich aufs ohr & schlaf war ein laut. / sie schwebten hinein (36/37)