Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: friederike mayröcker

day & taxi (gruppenfoto)

Day & Taxi auf der Suche nach dem Weg

day & taxi, way (cover)Vielle­icht sind “Day & Taxi” auch nur auf der Suche nach einem Weg. Auf Way gibt es davon jeden­falls viele. Christoph Gal­lio als Chef dieses Trios mit dem selt­samen Namen “Day & Taxi”, der auch alle Musik für diese im Jan­u­ar im Stu­dio aufgenommene CD beis­teuert, begeg­net mir so halb am Rande meines musikalis­chen Wahrnehmungs­feldes immer mal wieder (die “Soziale Musik” finde ich zum Beispiel konzep­tionelle sehr span­nend). Das Trio gibt es jet­zt schon eine ganze Weile, auch die neue Beset­zung — mit jun­gen Män­nern am Bass und Schlagzeug — ist schon gut einge­spielt.

So ist Way eine sehr kon­trastre­iche CD gewor­den, die viel sehr het­ero­genes Mate­r­i­al ver­sam­melt, auch von unter­schiedlich­er Span­nung und Güte in meinen Ohren. MM (for Mark Müller) als Beispiel ver­sam­melt das meiste davon gle­ich in einem: gemäßigtes Pow­er­play, das dann wieder ins Stock­en gerät, in eine Leere, eine Art musikalis­ches Ein­frieren fällt, daraus aber wieder weit­er­ma­cht und auch poet­isch-ver­sonnene Ein­fälle prob­lem­los inte­gri­ert.

Viele “Wid­mungsstücke” gibt es auf Way, die Namen sagen mir fast alle nichts. Nicht immer wird beim Hören klar, wie viel/was davon jet­zt kom­poniert oder impro­visiert ist — das ist aber eben auch egal: Kontin­gen­zen und Möglichkeits­for­men wer­den nicht ohne Grund in den Lin­er Notes the­ma­tisiert. Das ist vielle­icht das auf­fäl­lig­ste an Way: Dass es kaum eine wirk­liche Rich­tung gibt, son­dern das Trio vie­len Verästelun­gen nachge­ht, an Weg­ga­belun­gen immer neu spon­tan-zufäl­lig entschei­det — und dabei Umwege und Irrun­gen, auch Sack­gassen in Kauf nimmt, nicht ver­schweigt, son­dern auch dem Hör­er offen­bart. Wahrschein­lich fällt mir deshalb das Urteil so schw­er: Ich höre die Qual­ität des Albums, das ist unstre­it­ig richtig gute Musik. Aber ich habe das ganze jet­zt drei- oder vier­mal gehört: Und so richtig mitreißen oder begeis­tern kann es mich als Ganzes nicht. Vielle­icht liegt es am Klang­bild, Gal­lios Sax­o­phone klin­gen mir etwas eng-nasal … Es mag aber aber auch an den Unein­deutigkeit­en liegen. Was aber wieder selt­sam ist, weil ich offene Musik eigentlich favorisiere. Nur bleibt mir diese Offen­heit hier etwas ver­schlossen. (Naja, die Meta­pher habe ich jet­zt genug stra­paziert …). Aber ander­er­seits: Bei jedem Hören ent­decke ich neue span­nende, faszinierende Momente. MM habe ich schon erwäh­nt, auch Snow White Black Mag­ic ist ziem­lich gelassen-großar­tig. Dazwis­chen ste­ht auch viel kurzes Mate­r­i­al, das da ein­fach so herum­ste­ht, wie ein Gewächs am Wegerand: Das ist, das existiert für sich — aber damit passiert nichts. Manch­mal fällt es einem der drei Reisenden auf, dann entwick­eln sich daraus Ideen, kom­plexere Abläufe. Manch­mal ist es nach ein paar Dutzend Sekun­den aber auch wieder aus dem Blick­feld und damit erledigt. Bis etwas Neues auf­taucht, ein­fällt oder passiert.

Way hat aber noch eine wirk­liche Beson­der­heit. Unter den 22 Titeln sind einige Minia­turen. Und darunter noch drei spezielle: Minia­turen näm­lich, die Texte von Friederike Mayröck­er aufnehmen. Das hat mich — als Mayröck­er-Leser — natür­lich sehr neugierig gemacht. Der Bassist Sil­van Jeger singt also dreimal, jew­eils vier bis sechs Zeilen älter­er Gedichte aus dem umfan­gre­ichen Kat­a­log Mayröck­ers, mit ein biss­chen Geplänkel des Trios dabei. Lei­der sind das wirk­lich knappeste Stückchen — zwis­chen 37 und 47 Sekun­den lang. Und musikalisch passiert da auch nicht sehr viel. Immer­hin wird hier also mal Mayröck­er gesun­gen — so arg häu­fig passiert das ja nicht. Viel mehr höre ich da aber auch nicht. Vor allem keine Antwort auf das Warum? (Warum Mayröck­er? Warum diese Texte?).

Day & Taxi: Way. Per­ca­so 2016: per­ca­so 34. Spielzeit: 1:09:52.

Ins Netz gegangen (12.7.)

Ins Netz gegan­gen am 12.7.:

  • Was lesen Buch­blog­ger: Eine neue Analyse mit Visu­al­isierun­gen und Sta­tis­tiken | lesestunden.de → tobi hat ver­sucht zu analysieren (und visu­al­isieren), was buch­blog­gerin­nen (er hat ein fast auss­chließlich weib­lich­es sam­ple) eigentlich lesen. die daten­grund­lage ist aber zumin­d­est in teilen schwierig, die genre-ein­teilung zum beispiel nahe an der gren­ze zum absur­den (wie er selb­st auch anmerkt)
  • Inte­gra­tive Obstar­beit | Draußen nur Kän­nchen → wun­der­bare “integrations”-begegnung, aufgeschrieben von frau nessy
  • The Peo­ple Who Craft World-Class Stein­way Pianos → schöne foto­strecke (anlässlich eines entsprechen­den buchs …) über die arbeiter/innen in stein­ways fab­riken
  • Besuch bei Ver­leger Jochen Jung: “Du bist ein Schmarotzer! Nutznießer, eine Zecke” | Welt → aus­nahm­sweise mal eine empfehlung zur springer-presse: man­fred reb­han­dl hat näm­lich ein schönes stück über den ver­leger jochen jung geschrieben
  • Zum Ethos der Tech-Szene in der dig­i­tal­en Ökonomie: Zwis­chen Anspruch und Wirk­lichkeit | netzpolitik.org → Maciej Cegłows­ki über pro­gram­mier­er und ihren zugriff auf die wirk­lichkeit und die daraus resul­tieren­den fra­gen und prob­leme

    Unsere Ziele sind ein­fach und klar. Zuerst wer­den wir messen, dann analysieren, dann opti­mieren. Und man wird uns dankbar sein.

    Aber die reale Welt ist eigensin­nig. Sie ist so kom­plex, dass sie Abstrak­tion und Mod­el­lierung wider­ste­ht. Sie erken­nt unsere Ver­suche sie zu bee­in­flussen und reagiert darauf. Genau­so wenig, wie wir aus unser­er eige­nen Haut kön­nen, kön­nen wir hof­fen, die Welt von außen objek­tiv zu erfassen.

    Die ver­net­zte Welt, die wir erschaf­fen, mag Com­put­er­sys­te­men ähneln, aber es bleibt den­noch die gle­iche alte Welt wie vorher, nur mit ein paar Mikro­fo­nen und Tas­taturen und Flatscreens, die hier und dort her­aus­ra­gen. Und sie hat immer noch die gle­ichen alten Prob­leme.

  • „Ein­fach nur pri­vatis­tisch Intim­itäten aus­plaud­ern, kann nicht zielführend sein.“ | fem­i­nis­tis­che stu­di­en → inter­es­santes inter­view mit car­olin emcke über sub­jek­tiv­ität, intim­ität und spreche & sprache

    Ein­fach nur „ich“ sagen, ein­fach nur pri­vatis­tisch Intim­itäten aus­plaud­ern, kann nicht zielführend sein. Die sub­jek­tive Form, das Reflek­tieren auf eigene Erfahrun­gen oder Wahrnehmungen braucht, mein­er Ansicht nach, immer einen Grund, warum sie in einem bes­timmten argu­men­ta­tiv­en, diskur­siv­en Kon­text einge­set­zt wird.

    Als Pub­lizistin füh­le ich mich verpflichtet, mit sprach­lichen Mit­teln jene ide­ol­o­gisch aufge­lade­nen Bilder und Begriffe, jene Assozi­a­tions­ket­ten und Vorstel­lun­gen aufzubrechen, die Ressen­ti­ments gegenüber Frauen oder Homo­sex­uellen, Gehör­losen oder Jüdin­nen, Linkshän­dern oder Schalke-Fans trans­portieren. Und dazu gehört dann, dass wir nor­ma­tive Begriffe in Erfahrun­gen über­set­zen, dass wir das, was uns wütend oder verzweifelt zurück lässt, ver­ste­hbar machen für diejeni­gen, die diese Erfahrun­gen nicht teilen.

  • Fetisch Effizienz | Mar­cel Häng­gi → markus häng­gi hat für “zeit wis­sen” die geschichte und the­o­rie der energieef­fizienz schön aufgeschrieben.

    Die unter dem Gesicht­spunkt der Energieef­fizienz bemerkenswerteste Erfind­ung der Mod­erne war das Fahrrad

    Es gibt keinen Grund, Energi­eträger, deren Nutzung die men­schliche Zivil­i­sa­tion bedro­hen, über­haupt auf den Markt zu lassen.

  • Inter­view: „Ich bin kein Fotoro­bot­er“ | der Fre­itag → inter­es­santes inter­view mit dem fotografen christoph bangert (der mit “war porn” ein her­vor­ra­gen­des foto­buch über den krieg veröf­fentlichte) über krieg, gewalt, absur­dität, ver­ste­hen und ver­ar­beit­en
  • Aut­o­fahren in Deutsch­land: Die Strafen für Ras­er und Verkehrssün­der sind lächer­lich — Poli­tik — Tagesspiegel Mobil → hein­rich schmitz hat wort­ge­waltig und fak­tengesät­tig genug von der ver­harm­lo­sung der ras­er und der mitlei­d­slosen inkauf­nahme der tödlichen verkehrsun­fälle

    Bei „bereiften Mördern“ – so wer­den hier in der Region scherzhaft Aut­o­fahrer mit einem BM-Kennze­ichen aus Bergheim genan­nt – packt die Poli­tik die Samthand­schuhe aus. Aut­o­fahrer sind halt Wäh­ler und nicht mal wenige. Da wer­den selb­st die in der son­st für ihre Poli­tik so heiß geliebten Schweiz gel­tenden Regeln nicht einge­führt.

  • Zu Besuch Friederike Mayröck­er: Eine Gle­ichung von math­e­ma­tis­ch­er Ele­ganz | FAZ → der bald-büch­n­er-preisträger mar­cel bey­er über einen besuch bei büch­n­er-preisträgerin friederike mayröck­er

    Leben = Schreiben: Mir fiele nie­mand ein, für den diese Gle­ichung so wenig antast­bar, so pro­duk­tiv, schlicht unum­stößlich wahr wäre wie für Friederike Mayröck­er. Eine Gle­ichung von math­e­ma­tis­ch­er Ele­ganz.

  • Mar­tin Vogel: Anmerkung zu einem richti­gen Urteil | perlentaucher.de → mar­tin vogel legt noch ein­mal seine/die sicht der urhe­berin­nen zur vg wort, ihren auss­chüt­tun­gen und ihrer krachen­den nieder­lage vor dem bgh dar. sehr lesenswert
  • Diedrich Diederich­sen im Gespräch über poli­tis­che Kor­rek­theit in öffentlichen Debat­ten | jungle-world.com → span­nen­des, langes inter­view mit diedrich diederich­sen über poli­tis­che kor­rek­theit, kul­turkampf, (neue) rechte und die entwick­lun­gen in der (deutschen) diskurs­ge­sellschaft der let­zten jahre/jahrzehnte

    Mit der soge­nan­nten PC kam der Ärg­er auf ein­er unge­wohn­ten Ebene zurück, als Debat­te um Sprache. Let­ztlich war der dann fol­gende Auf­schrei in der kon­ser­v­a­tiv­en bis reak­tionären Mitte vor allem ein Symp­tom der Ent­täuschung. Man hat­te gehofft, ganz demarkiert Poli­tik und Geschäfte machen zu kön­nen, und wollte mit inhaltlichen Auseinan­der­set­zun­gen, die dann auch noch auf poli­tis­chen oder ethis­chen Grundüberzeu­gun­gen – Beze­ich­nun­gen wie Ras­sis­mus waren ja wichtig, wir woll­ten Ras­sis­mus Ras­sis­mus nen­nen, die anderen Frem­den­feindlichkeit – nichts mehr zu tun haben.

    Das ist eine schlimme Entwick­lung, die die strate­gisch berechtigte Idee, Orte zu schaf­fen, in denen man zum Beispiel vor trans- und homo­phober Ver­fol­gung sich­er ist, in eine völ­lig bescheuerte Rich­tung ver­schoben haben. Safe Spaces sind jet­zt Sem­i­nare, die als so eine Art erweit­ertes Kinderz­im­mer mit Kuschelkul­tur nur über Dinge sprechen, die die behüteten Mit­telschicht­skinder nicht erschreck­en. »Trig­ger Warn­ings« sollen helfen, dass man das Böse gar nicht erst zur Ken­nt­nis nimmt. Von Verge­wal­ti­gung und Ras­sis­mus darf man dann gar nicht mehr sprechen.

Ins Netz gegangen (17.6.)

Ins Netz gegan­gen (15.6.–17.6.):

  • Kom­men­tar: Absur­der Rol­len­tausch in der Atom­poli­tik — FAZ — Absurd. In der Tat. Aber das ist eben die hes­sis­che CDU-Regierung. Da gel­ten ein­fach andere Maßstäbe …

    Als die Züge noch regelmäßig den lan­gen Weg nach Gor­leben zurück­legten, warnte nie­mand in Hes­sen vor den damit ver­bun­de­nen Gefahren; vielmehr stellte die Regierung zum Schutz der Trans­porte Polizis­ten, die nach der jet­zt gülti­gen Logik akuter Lebens­ge­fahr aus­ge­set­zt wur­den.

  • WikiPedalia — Wikipedalia ist ein Pro­jekt zum Auf­bau ein­er fahrrad­be­zo­ge­nen Enzyk­lopädie aus freien Inhal­ten.
  • BBC News — Why Finnish babies sleep in card­board box­es — Das sind die kleinen Unter­schiede: In Finn­land bekommt jede werde Mut­ter (wenn sie es möchte) ein Box mit der Baby­er­stausstat­tung. In Deutsch­land bietet ein pri­vates Wirtschaft­sun­ternehmen — dm — ein paar Prozente Rabatt …

    And in addi­tion to all this, Pul­ma says, the box is a sym­bol. A sym­bol of the idea of equal­i­ty, and of the impor­tance of chil­dren.

  • “Ich heule ja beim Schreiben” — Lit­er­atur — DIE WELT — Friederike Mayröck­er, die Grandiose, im Inter­view mit Paul Jan­dl über ihr dem­nächst erscheinen­des neues Buch: “Es geht um den Wah­n­witz der Sprache, der Leser kann einem jet­zt schon lei­d­tun.”
  • load­ing: Das IOC-Buch | Dig­i­tale Noti­zen — Jens Wein­re­ich erk­läte Dirk von Gehlen, warum er seine Recherche zu den IOC-Wahlen per crowd­sourc­ing finanzieren möchte. Das ist eine gute und wichtige Sache, die unbe­d­ingt Unter­stützung erfordert — und für das Geld, das man dem sehr inte­gren Wein­re­ich vorschießt, bekommt man ja auch etwas …

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