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Schlagwort: theodor w. adorno

Lüge

Die Unmoral der Lüge beste­ht nicht in der Ver­let­zung der sakrosank­ten Wahrheit. Auf diese sich zu berufen hat man let­zten eine Gesellschaft das Recht, die ihre Zwangsmit­glieder dazu ver­hält, mit der Sprache her­auszurück­en, um sie dann desto zuver­läs­siger ereilen zu kön­nen. Es kommt der uni­ver­salen Unwahrheit nicht zu, auf der par­tiku­laren Wahrheit zu beste­hen, die sie doch sogle­ich in ihr Gegen­teil verkehrt. Trotz­dem haftet der Lüge etwas Wider­wär­tiges an, dessen Bewußt­sein einem zwar von der alten Peitsche eingeprügelt ward, aber zugle­ich etwas über die Kerk­er­meis­ter besagt. Der Fehler liegt bei der allzu großen Aufrichtigkeit. Wer lügt, schämt sich, denn an jed­er Lüge muß er das Unwürdi­ge der Wel­tein­rich­tung erfahren, die ihn zum Lügen zwingt, wenn er leben will, und ihm dabei auch noch “Üb imer Treu’ und Redlichkeit” vors­ingt. Solche Scham entzieht den Lügen der sub­til­er Organ­isierten die Kraft. Sie machen es schlecht, und damit wird die Lüge recht eigentlich erst zur Unmoral am anderen. Sie schätzt ihn als dumm ein und dient der Nich­tach­tung zum Aus­druck. Unter den abge­feimten Prak­tik­ern von heute hat die Lüge länst ihre ehrliche Funk­tion ver­loren, über Reales zu täuschen. Kein­er glaubt keinem, alle wis­sen Bescheid. Gel­o­gen wird nur, um dem andern zu ver­ste­hen zu geben, daß einem nicht an ihm liegt, daß man sein­er nicht bedarf, daß einem gle­ichgültig ist, was er über einen denkt. Die Lüge, ein­mal ein lib­erales Mit­tel der Kom­mu­nika­tion, ist heut zu ein­er der Tech­niken der Unver­schämtheit gewor­den, mit deren Hil­fe jed­er Einzelne die Kälte um sich ver­bre­it­et, in deren Schutz er gedei­hen kann. Theodor W. Adorno, Min­i­ma moralia, #9, S. 28

Bürger und Kunst

Der Bürg­er wün­scht die Kun­st üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es bess­er. Theodor W. Adorno, Ästhetis­che The­o­rie (Suhrkamp 1989), 27

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