Von Mozart zu Šen­derovas, dann noch ein­mal von Mahler zu Aren­sky (zurück ins tief­ere 19. Jahrhun­dert): Das Konz­ert in der Vil­la Musi­ca mit den Dozen­ten Kalle Ran­dalu und David Geringas sowie ein­er Menge Stipen­di­at­en find­et keine Ruhe:

Größere Gegen­sätze sind kaum denkbar: Ein­er­seits ste­hen Mozart und Mahler auf dem Pro­gramm. So hat die Vil­la Musi­ca ihr Stipen­di­atenkonz­ert auch betitelt. Aber das reicht noch nicht für ein Konz­ert. Also kom­men noch zwei Werke von Ana­toli­jus Šen­derovas und Anton Aren­sky dazu. Zwei halb oder gar nicht bekan­nte Kom­po­si­tio­nen, die dann aber wesentlich span­nen­der und inter­es­san­ter waren als der Rest.

Denn Mozarts Klavierquar­tett in Es-Dur schien hier eher belan­g­los und als brav absolvierte Pflichtübung. Mahlers Quar­tettsatz immer­hin kam bre­it aus­ge­spielt und kraftvoll entschlossen mit großem Ges­tus daher – ein­deutig als ein unein­gelöstes Ver­sprechen: Was hätte Gus­tav Mahler nicht auch für die Kam­mer­musik leis­ten kön­nen, wenn er sich nicht auf orches­trale Großw­erke beschränkt hätte. Das kurze Werk des jugendlichen Genies ist eine einzige Vorah­nung auf Späteres. Und genau so, mit dem Wis­sen der späteren Entwick­lung des Kom­pon­is­ten, spiel­ten die die Stipen­di­at­en um Kalle Ran­dalu die einzige erhal­tene Kam­mer­musik Mahlers auch.

Im a‑Moll-Quar­tett des rus­sis­chen Kom­pon­is­ten Anton Aren­sky läuft das Denken in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Denn dieses Stre­ichquar­tett in der unüblichen Beset­zung mit Vio­line, Bratsche und zwei Cel­li ist von Aren­sky als Toten­klage auf seinen Fre­und Tschaikowsky kom­poniert. Vir­tu­os und weit aus­holend begin­nt es, spiel­tech­nisch anspruchsvoll bleibt es auch in den Vari­a­tio­nen über The­ma von Tschaikowsky – ein berühren­der Satz, gründlich durchgear­beit­et und getra­gen von der Dunkel­heit des Abschiedes. Die drei Stipen­di­at­en und Dozent David Geringas am Cel­lo spie­len das gle­icher­maßen wuchtig und ath­mo­sphärisch, fol­gen den elegis­chen Erin­nerun­gen mit viel Klangsinn und Gespür für die mach­mal schmerzvolle, manch­mal wehmütige und manch­mal auch etwas verträumte Musik.

Ath­mo­sphärische und stim­mungsvolle Klänge bietet auch­das zweite Klavier­trio des Litauers Ana­toli­jus Šen­derovas. 1984 kom­poniert, wie Aren­skys Quar­tett in memo­ri­am eines Fre­un­des geschrieben, bietet es in mod­erne Ton­sprache eine bre­ite Aus­druckspalette. Und jun­gen Musik­er wid­men sich dem mit viel Hingabe und Konzen­tra­tion und kön­nen die volle Vielfalt dieser Musik ein­dringlich beschwören. So entste­ht, von den ersten Fla­geo­letts als Bild der fahle Wirk­lichkeit über weite Kan­tile­nen und harsch-drama­tis­che Ein­brüchen, aus dem sprachlosen Raum der Trauer und der Erin­nerung eine echte See­len­musik. Frei von for­malen Zwän­gen, ganz dem Aus­druck ver­schrieben, set­zt Senderovas der schalen Real­ität die man­nig­falti­gen Möglichkeit­en der Kun­st ent­ge­gen. Vielfalt ist eben immer wieder ein großer Gewinn. Und wenn sie nur dazu führt, unbekan­nte Musik zu ent­deck­en.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)