Ins Netz gegangen am 3.4.:
- Oh-ranienplatz, Ih-ranienplatz | taz → roland berg über die fehlende schöne/ästhetische gestaltung von bauten in der stadt heute:
Und stets orientiert man sich dabei an der vermeintlich „schönen“ Vergangenheit. Zeitgenössisch-verbindliche Vorstellungen über das Schöne scheinen zu fehlen. Also das, was Immanuel Kant seinerzeit „Gemeinsinn“ nannte. Heute scheint das Vormoderne aus der Geschichte als einzige Norm für die Gegenwart als verbindlich. Und seltsamerweise wird – zumindest in ästhetischer Hinsicht – von den meisten das Frühere dem Heutigen vorgezogen. […] Retrospektive Ästhetik und Rekonstruktion von (Alt‑)Bauten und ganzer Stadträume bis hin zu Wiederauferstehung des abgerissenen Berliner Schlosses füllen die Leere, die der Verlust des Gemeinsinns für das Schöne in der Gegenwart mit sich gebracht hat.
- Wer Gedichte liest, weiss mehr über das Leben | NZZ → die nzz dokumentiert leicht gekürzt die dankesrede von michael brauch für den alfred-kerr-preis
Bei der Beschäftigung mit der Frage, warum sich einer wie ich mit Gedichten befasst und Rezensionen zu Gedichtbänden schreibt, gelangt man zu ähnlichen Einsichten, wie sie Nicolas Born 1970 formuliert hat: Es hat mit dem eigenen Existieren zu tun, mit dem Versuch, dem Rätsel des eigenen Daseins auf die Spur zu kommen. Beim Lesen von Gedichten ist man fast immer mit den Fragen nach den letzten Dingen konfrontiert, wir werden unmittelbar und ohne schützende Einleitung in medias res geworfen. Die Verse der Gedichte, die wir lesen, vermitteln uns das «punktuelle Zünden der Welt im Subjecte», wie es ein Schüler des Philosophen Hegel formulierte. […] Beim Lesen von Gedichten wird ein Riss sichtbar in dem Weltgebäude, das uns eben noch vertraut schien. Ein Riss wird sichtbar im Weltgebäude, und – so sagt es einmal der russische Weltpoet Ossip Mandelstam – die poetische Rede weckt uns mitten im Wort auf. Gedichte sprechen von dem skandalösen Faktum, dass wir geboren worden sind und dass wir in noch nicht vorstellbarer, aber doch nicht allzu ferner Zukunft sterben werden.
- Über ein richtiges Lehrer-Leben im falschen Schulsystem | Bildungslücken → schreibt über kritik an schule und ihrem system und möglichkeiten der verbesserung und veränderung, auch auf individueller ebene
Denn unser Schulsystem hat so viele grundlegende Mängel, dass ich mir oft die Frage stelle, ob es das überhaupt geben kann: ein richtiges Lehrerleben im falschen Schulsystem. Im Laufe der Zeit habe ich einige (Über-)Lebensstrategien entwickelt.
- Security | Ohne Text singt kein Mensch mit →
Die Change-Management-Fachkraft einer großen Unternehmensberatung und ein Student im dunklen Kapuzenpulli legen in der Schlange nacheinander ihre Gürtel, die Geldbörsen und ihre Laptops in die Durchleuchtungs-Schalen auf das Band der Sicherheitskontrolle. Sie schauen sich kurz lächelnd an, weil beide dasselbe Laptop-Modell aus ihren Handgepäck-Reisetaschen nesteln.
- Radfahren in Kopenhagen und Berlin: Vom Paradies in die Vorhölle| Deutschlandfunk Kultur → die überschrift sagt eigentlich schon alles — ein kurzer, subjektiver vergleich der radfahrmöglichkeiten in den beiden städten
Lieber über gute Radwege ohne Helm als über schlechte mit.
- Jüdisch, ehrenhalber | FAZ → claudius seidl sehr richtig zu dem blödsinnigen geschwätz von “jüdisch-christlicher prägung”:
Insofern schließt die Rede von der „jüdisch-christlichen Prägung“ nicht nur den Islam aus – was ja der eigentliche Zweck dieser Behauptung ist. Auch Aufklärung und Atheismus, auch die, gerade in der deutschen Literaturgeschichte, so wichtige Sehnsucht nach jenem heitereren Himmel, in welchem die menschlicheren Götter der Griechen wohnen, werden von dieser Rede, wenn nicht ausgeschlossen, dann doch zu den Apokryphen einer Tradition, deren Kanon angeblich jüdisch-christlich ist (man möchte die Namen all derer, die diese Rede zu Fremden macht in der deutschen Kultur, gar nicht aufzählen müssen).
- Wunderbarer Eigensinn| Faust Kultur → ein wunderbares, kluges gespräch mit dem lyrikkritiker michael braun, den ich immer wieder gerne lese (auch wenn ich nicht in allem mit ihm übereinstimme …):
Ich würde für mich sagen: Es muss eine Störung der geläufigen Sprachstrukturen erfolgen, wir müssen beim Sprechen und Schreiben die Vertrautheit verlieren – auch in unserem Verstehen -, wir müssen ausgehebelt werden beim Lesen solcher Verse, sonst kann kein gutes Gedicht entstehen. […] Das poetische Selbstgespräch vermag manchmal eben doch andere zu erreichen. Und ob das nun 17 oder 97 oder 1.354 sind, spielt keine Rolle. Also, 1.354, diese berühmte Enzensbergersche Konstante, ist ja noch zu optimistisch angelegt. Nicht 1.354 Menschen pro Population, ob in Island oder den USA, greifen zu Gedichtbänden, sondern nur 135,4 Lyrikleser! Also die Enzensbergersche Konstante müsste durch 10 geteilt werden. 135,4 Rezipienten pro Gedichtband ist die neue Konstante für öffentliche Aufmerksamkeit auf Gedichte.