Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: schlippenbach-trio

spinnennetz mit tau

Ins Netz gegangen (19.12.)

Ins Netz gegan­gen am 19.12.:

  • ÖPNV der Herzen | fairkehr → das mag­a­zin des vcd stellt möglichkeit­en vor, den öpnv in deutsch­land attrak­tiv­er zu machen (es gibt schon eine erstaunliche menge pilot­pro­jek­te dazu, die aber anscheinend alle isoliert vor sich hin wurschteln …)
  • Der Zürcher Lit­er­aturstre­it vor 50 Jahren: Kehren wir zu Mozart zurück | NZZ → roman buche­li erin­nert in der “nzz” an den zürcher lit­er­aturstre­it, der vor 50 jahren mit der rede emil staigers begann.

    Emil Staiger hat­te die Uni­ver­sität, die Bühne des städtis­chen The­aters und auch das Feuil­leton als die let­zten Boll­w­erke ein­er Kun­st bewahren wollen, die unberührt von den Erschei­n­un­gen verän­dert­er Lebenswel­ten und Zeit­en, aber im Zeichen ewiger Werte ste­hen sollte. Mit sein­er Rede jedoch brachen die Dämme, die er eigentlich zu erricht­en beab­sichtigt hat­te.

    Ein für alle Mal hat­te er die Frage klären wollen, welche Kun­st allein Bestand habe und welch­es ihre Auf­gabe nur sein könne. Seine Dankesrede aber ent­fachte diese Kon­tro­ver­sen erst richtig.

  • Nichts gegen pinke Ein­hörn­er, aber… | Spiegel Online → sibylle berg wet­tert (mit recht!) gegen gegen­dertes spielzeug und den ganzen pinken mäd­chen­wahnsin …
  • Das Schlip­pen­bach Trio auf Win­ter­reise | Jazzzeitung → beim blog der “jazzzeitung” gibt es schöne fotos von der aktuellen “win­ter­reise” des schlip­pen­bach-trios
free music (unsplash.com)

Hineingehört #1

Eine kleine Intakt-Auslese aus dem zweit­en Hal­b­jahr — dank des vortr­e­f­flichen Abon­nements bekomme ich ja immer alle Veröf­fentlichun­gen post­wen­dend geliefert:

Musikalische Monster

musical monsters (cover)Die Musi­cal Mon­sters sind eigentlich gar keine neue Musik. Aufgenom­men wurde das näm­lich schon 1980 bein Jaz­zfes­ti­val Willisau. Dessen Chef Niklaus Trox­ler hat die Bän­der gut aufge­hoben. Und Intakt kon­nte sie jet­zt, nach umständlich­er Rechte­abklärung, endlich veröf­fentlichen. Zu hören ist ein Quin­tett mit großen Namen: Don Cher­ry, Irène Schweiz­er, Pierre Favre, John Tchi­cai und Léon Fran­ci­oli, das es so son­st nicht zu hören gibt. Am erstaunlich­sten fand ich, wie wenig man die 36 Jahre, die die Auf­nahme alt ist, der Musik anhört. Die vier groß­for­mati­gen, größ­ten­teils freien Impro­vi­sa­tio­nen — es gibt ein paar melodisch fix­ierte Anker­punk­te, die als fest­gelegte Scharniere zwis­chen Solo- und Kollek­tivim­prosi­a­tio­nen dienen — klin­gen erstaunlich frisch, ja fast zeit­los: Die intu­itive Spon­taneität und Inten­sität ist ziem­lich fes­sel­nd. Vor allem, weil sie von allem etwas bietet — ver­spielte Fax­en, intime Momente, pack­ende Energien … Und weil die fünf ziem­lich gle­ich­w­er­tige, gle­icher­maßen faszinierende Musik­erin­nen sind, die sich immer wieder zu großen Momenten inner­er Stärke auf­schwin­gen, die in erstaunlich­er Dichte aufeinan­der fol­gen und zuweilen sog­ar echt­es Pathos erzeu­gen. Beson­ders faszinierend fand ich das in der zweit­en Impro­vi­sa­tion, mit über zwanzig Minuten auch die läng­ste, in der sich großar­tige Soli (vor allem Tchi­cai sticht hier her­vor) und span­nende, in ihrer fra­gen­den Offen­heit unge­mein fes­sel­nde Grup­pen­im­pro­vi­sa­tio­nen ballen.

Don Cher­ry, John Tchi­cai, Irène Schweiz­er, Léon Fran­ci­oli, Pierre Favre: Musi­cal Mon­sters. Intakt Records CD 269, 2016. 59:28 Minuten.

Tiefe Gedächtnismusik

deep memory (cover)Für Deep Mem­o­ry hat sich Bar­ry Guy, der die CD im Trio mit Mar­i­lyn Crispell und Paul Lyt­ton auf­nahm, von den Bildern Hughie O’ Donoghues zu Kom­po­si­tio­nen anre­gen lassen. Die sieben Stücke tra­gen die Titel der Bilder: Sleep­er, Dark Days, Fall­en Angeld oder Silenced Music heißen sie etwa. Das sind aber keine musikalis­chen Ekphrasen, son­dern eher Kom­po­si­tio­nen, die sich von dem Bild — seinen Far­ben, sein­er Gestalt und vor allem vielle­icht: sein­er Stim­mung — zu akustis­chen Ein­drück­en inspiri­eren lassen. Vieles davon lässt sich in weit­en Bögen, oft verträumt-ver­spon­nen und/oder nach­den­klich, tra­gen und speist sich nicht unwesentlich aus dem inti­men Zusam­men­spiel des Trios, das ja schon seit gefühlten Ewigkeit­en immer wieder miteinan­der musiziert und der Effek­thascherei aus­ge­sprochen abhold ist. Und das auch auf Deep Mem­o­ry vor allem durch seine kam­mer­musikalis­che Dichte und Inten­sität der far­ben­prächti­gen, ten­den­ziell melan­cholis­chen Klang­malerei gefällt. Die befind­en sich, so hört es sich an, eigentlich immer auf der gle­ichen Wellen­länge, um dieses stra­pazierte, hier aber sehr passende Bild zu benutzen.

Bar­ry Guy, Mar­i­lyn Crispell, Paul Lyt­ton: Deep Mem­o­ry. Intakt Records CD 273, 2016. 52:07 Minuten.

Am großen Rad drehen

christoph irniger pilgrim, big wheel live (cover)Big Wheel Live ist die zweite CD von Christo­pher Irniger Pil­grim, wie der span­nende Sax­o­fon­ist, Kom­pon­ist & Band­leader Irniger sein Quin­tett mit Ste­fan Aeby, Davie Gisler, Raf­faele Bossard und Michi Stulz nen­nt. Auch wenn das “Live” wirk­lich auf Live-Auf­nah­men (in Berlin, Ratze­burg und Altenburg) zurück­ge­ht, klingt die CD richtig gut. Und das ist in sofern beson­ders schön, weil ger­ade Aeby ein sehr klangsin­niger Pianist ist.
Die ganze Musik auf Big Wheel Live zeich­net sich meines Eracht­ens nicht nur durch ihren kraftvollen Sound aus, son­dern vor allem durch ihre Räum­lichkeit und Tiefe. Oft ist das nur lose ver­bun­den, nur lock­er gewebt, gibt so den Fün­fen aber viel Chan­cen zum aus­greifend­en Erforschen. Und der Freiraum zum Erkun­den, die Öff­nung in alle Him­mel­srich­tun­gen wird wei­dlich genutzt: Man hört eigentlich immer eine per­ma­nente Such­be­we­gung, die stets fortschre­it­et, die beim schö­nen Augen­blick ver­weilt, son­dern immer weit­er will — wie es gute impro­visierte Musik eben (fast) immer tut. Neben Aeby, der sich immer mehr zu einem sehr inter­es­san­ten Pianist entwick­eln zu scheint, hat mir hier vor allem die oft sehr span­nende, über­raschende Spiel­weise des Schlagzeugers Michi Stulz gefall­en. Gitar­rist Dave Gisler und Irnigers Sax­ophon umspie­len sich oft sehr eng. Entschei­dend aber in allen sechs Titeln: Das bleibt immer im Fluss, die Ideen ver­sanden eigentlich nie, son­dern find­en immer neue Pfade und Wege.

Christoph Irniger Pil­grim: Big Wheel Live. Intakt Records CD 271, 2016. 62:44 Minuten.

Das unsterbliche Trio

schlippenbach trio, warsaw concert (cover)Vielle­icht ist es das europäis­che Jaz­ztrio schlechthin, sicher­lich wohl das am läng­sten amtierende: Alexan­der von Schlip­pen­bach, Evan Park­er und Paul Lovens sind das Schlip­pen­bach-Trio. Und zwar schon ewig. Und jedes Jahr sind wie wieder unter­wegs (die schöne Film-Doku­men­ta­tion Aber das Wort Hund bellt ja nicht hat die jährliche “Win­ter­reise” des Trios ja sehr anschaulich gemacht), immer wieder in der gle­ichen Beset­zung mit immer ander­er Musik — nicht ohne Selb­stironie nen­nt Schlip­pen­bach das im Beglei­theft deshalb “das unsterbliche Trio”.
Erstaunlich daran ist vor allem, dass es nicht lang­weilig wird, dass diese große Ver­trautheit miteinan­der nicht in Belan­glosigkeit­en mün­det. Auch das War­saw Con­cert ist wieder eine auf­nah­me­tech­nisch und musikalisch gut gelun­gene Live-Auf­nahme vom Okto­ber 2015. Und beim Schlip­pen­bach-Trio heißt das: Eine einzige lange Impro­vi­sa­tion ohne Pausen oder Unter­brechun­gen, ohne Verabre­dun­gen und ohne Kom­po­si­tion — knapp 52 Minuten sind das (dazu kommt noch eine kurze, fast humoris­tis­che Zugabe).
Der erste Ein­druck: Nette Musik — das funk­tion­iert ein­fach, das passt. Und das ist wirk­lich Musik der Frei­heit: Weil sie sich (und dem Pub­likum) nichts (mehr) beweisen müssen. Und: Weil sie viel kön­nen, enorm viel, sowohl alleine mit ihren Instru­menten als auch zusam­men als Trio. Deshalb schöpften sie mit lock­er­er Hand auch in Warschau eine Vielfalt der Stim­mungen. Vieles klingt vielle­icht etwas altersmilde in der Klarheit und dem lyrischen Aus­druck (wenn man das so deuten möchte), stel­len­weise aber dur­chaus auch bohrend und insistierend. Das ist ein­fach aus­geze­ich­neter, gelun­gener, “klas­sis­ch­er” Free Jazz, den man gerne wieder­holt anhört und ver­sucht nachzu­vol­lziehen.

Schlip­pen­bach Trio: War­saw Con­cert. Intakt Records CD 275, 2016. 56:36 Minuten.

Zur Erleuchtung

aeby trio, to the light (cover)Ste­fan Aeby war ja auch schon im Christoph Irniger Pil­grim vertreten, hier ist nun noch ein­mal als “Chef” mit seinem eige­nen Trio zu hören, das aber mit Michi Stulz am Schlagzeug noch eine weit­ere Per­son mit dem Pil­grim-Ensem­ble teilt. To the Light ist eine Musik des Klanges: Ich höre hier nicht so sehr rhyth­misch und/oder har­monis­che Struk­turen, son­dern vor allem Klänge. Klänge, die sich immer wieder zu kleinen Szenen und imag­inären Bildern for­men. Das Trio passt da in dieser Hin­sicht aus­geze­ich­net zusam­men: Nicht nur Ste­fan Aeby am Klavier ist ein biss­chen ein Klang­magi­er, auch der Bass von André Pousaz hat erstaunliche Qual­itäten (beson­ders schön im Titel­stück wahrzunehmen, das sowieso eine ziem­lich großar­tige Sache ist). Und Michi Stulz, mit hal­li­gen Beck­en und eng klin­gen­den Toms zaubert für einen Schlagzeuger erstaunlich flächige Klänge. Das ist ein poet­is­ch­er Sound, eine weiche und wan­del­bare Klanggestalt, die mir aus­geze­ich­net gefällt. Vieles ist (min­destens ten­den­ziell) leicht verträumt und klingt mit roman­tisch-impres­sion­is­tis­chem Ein­schlag, ist dabei aber keineswegs schwind­süchtig, son­dern dur­chaus mit gesun­der Kraft und Potenz musiziert, die aber nie auftrumpfend aus­ge­spielt wird: So klin­gen Musik­er, die sich nichts beweisen müssen, möchte ich ver­muten. Die Musik­er muss man sich wohl immer als lauschende Instru­men­tal­is­ten vorstellen: Vielle­icht ist es ja sowieso ger­ade das (Zu-)Hören, das gute Impro­visatorin­nen (oder Jazzer) aus­macht. Oder, wie es Flo­ri­an Keller im Begleit­text sehr tre­f­fend for­muliert: “Eine Musik, die die Fig­ur des Lausch­ers entste­hen lässt. Und diesem viel Raum für seine Fan­tasie gewährt.”

Ste­fan Aeby Trio: To the Light. Intakt Records CD 274, 2016. xx:28 Minuten.

Aber das Wort Hund bellt ja nicht

Das Set­ting kling nicht ger­ade inter­es­sant — im Gegen­teil: ein Mann filmt drei alte Män­ner dabei, wie sie Musik machen — das soll ein pack­ender Film wer­den? Was so lang­weilig und unin­spiri­ert klingt, ist aber dann faszinierend: Bernd Schochs Film Aber das Wort Hund bellt ja nicht ist wirk­lich ein toller Musik­film.

Über mehrere Jahre hin­weg hat er die Auftritte des Trios im Jaz­zclub Karl­sruhe gefilmt. Daraus ist ein empathis­ch­er und begeis­tert­er Film über das Schlip­pen­bach-Trio, diese europäis­che Urgestein des Free Jazz, gewor­den. Das Trio war ja irgend­wie schon immer da: Seit 1970, also mit­tler­weile deut­lich über 40 Jahre musizieren Alexan­der von Schlip­pen­bach, Evan Park­er und Paul Lovens tat­säch­lich schon zusam­men. Nähe und Zurück­hal­tung zeich­net Aber das Wort Hund bellt ja nicht beson­ders aus: Bernd Schoch rückt ihnen ganz und gar auf die Pelle, ohne jeden Abstand — aber durch die ewigen Ein­stel­lun­gen und der enge, kaum verän­derte Bil­dauss­chnitt ver­mit­telt das eine große Konzen­tra­tion — genau so wie auch die Musik, die gemacht wird. Und darum geht es ja: Nicht um die drei Her­ren, son­dern um die Musik, ihre Musik. Die inten­siv­en, lange Blicke, die den Akteuren ganz nah auf die Haut rück­en — beim Spie­len und ganz oft auch beim Hören (was die anderen spie­len) — das ist in sein­er Ein­fach­heit über­raschend schön. Das Versenken, das Aufge­hen in der Musik des Moments so mitzuer­leben, ist ein Genuss. Und es ist wun­der­bar, wie der Film das zeigt, ganz unaufgeregt, aber genau und streng kom­poniert.

Zwis­chen die lan­gen Musik­pas­sagen sind kurze Sprech­ab­schnitte der drei Musik­er (aus einem Gespräch?) mon­tiert, die Musik und Leben des Trios nicht so sehr erk­lären, als vielmehr unter bes­timmten Aspek­ten beleucht­en. Da sagt ein­er (Park­er) der drei den schö­nen Satz: „use the known to reach the unknown“. Es ist auf eine rührende Weise schön, den Musik­ern so nah und dicht beim Musik-Machen zuzuse­hen — das ver­mit­telt ein Gefühl, direkt dabei zu sein, Teil der Musik selb­st zu wer­den: “Wir wer­den sowieso spie­len, bis es nicht mehr geht”.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén