stachler, dünner ort (cover)Der Dünne Ort von Alke Stach­ler ist ein schönes kleines Büch­lein. Die Buchgestal­tung (von Sarah Oswald) hat dabei einen sehr inter­es­san­ten Effekt, der eng mit den Inhal­ten zusam­men­hängt. Da ist zum einen die Offen­heit des Buch­es, das ohne Rück­en sein Inneres — die Faden­hef­tung und Kle­bung — sozusagen den Blick­en preis­gibt. Und es schwebt zwis­chen Heftchen und Buch: Ein­er­seits das kleine Taschen­for­mat, der offene Rück­en, ander­er­seits der feste, dop­pelte Natronkar­ton des Umschlags und das ordentliche, grifffeste Papi­er der Seit­en.

Auch die Texte kön­nte man Textlein nen­nen, klänge das nicht so verniedlichend — beson­ders niedlich sind sie näm­lich nicht. “Texte” schreibe ich mit Bedacht — denn was ist das eigentlich? Sie “schweben” zwis­chen dem, was man üblicher­weise Gedicht nen­nt bzw. als Gedicht erwartet und Prosa. Auf der einen Seite: die kon­trol­lierte und gestal­tete Ober­fläche, das strenge Gefüge des Block­satzes, der durch gezielte Löch­er aufgebohrt/aufgelockert wird. Daneben aber wiederum die Sprache, die (meist) wie “nor­male” Prosa daherkommt. Also darf man sie wohl als Prosagedichte einord­nen (auch wenn ich von solchen oxy­moron­is­chen Klas­si­fizierun­gen wenig halte …). Vielle­icht sind das aber auch ein­fach kurze Ttexte zwis­chen Miniatur und Gedicht.

Das sind sozusagen die Charak­ter­is­ti­ka von Dün­ner Ort, die sich sofort offen­baren. Und sie sind weg­weisend. Denn auch in den Tex­ten von Stach­ler geht es immer wieder um ein Zwis­chen, um ein wed­er-noch, um etwas ahn­bares, aber kaum begreif­bares, um Wis­sen, das sich nur schw­er oder kaum ver­sprach­lichen (im Sinne von: auf den Begriff brin­gen) lässt. So über­rascht es auch nicht, dass (nach dem etwas über­flüs­sigem Vorge­plänkel des Her­aus­ge­ber-Vor­wortes) die Seele schon gle­ich am Anfang ste­ht, mit einem starken ersten Satz:

die men­schliche seele wiegt 21 gramm: kannst du sie greifen, mit einem spat­en im kör­p­er tas­ten, wo sie klimpert, schaukelt und gegen die haut flat­tert wie ein panis­ch­er fal­ter, als wäre deinen haut von innen licht.

oder eigentlich/besser so, allerd­ings im Block­satz:

die men­schliche seele wiegt 21 gramm:
kannst du sie greifen, mit einem spat­en im
kör­p­er tas­ten, wo sie klimpert, schaukelt und
gegen die haut flat­tert wie ein panis­ch­er fal-
ter, als wäre deinen haut von innen licht.

Oder noch bess­er, weil der reine Text das, was den Dün­nen Ort als Werk aus­macht, kaum wiedergeben kann:

stachler, dünner ort, 9 (doppelseite)

Wesentliche, wiederkehrende The­men­felder sind Wald, Ein­samkeit, Tod bzw. Ster­ben und das Suchen, die Bewe­gung des suchen­den Ichs. Und natür­lich der Schat­ten (und auch noch so manch andere Uneigentlichkeit).

nachts fällt ein schwarzes knack­en aus dem / schrank, das uns an etwas erin­nert. an wald viel- / leicht, holz, farn, harz. an gerüche, geti­er, an wün- / sche: im wald möcht­en wir uns ver­lieren, im wun­den schat­ten liegen, selb­st wund sein, selb­st harz. / […] (21)

Dün­ner Ort lässt sich allerd­ings nur sehr unzure­ichend in dieser Art zusam­men­fassend beschreiben und auch kaum, ich habe es ja schon erwäh­nt, ein­fach so zitieren, weil “Inhalt” und “Form” (und das heißt auch: Zusam­men­hang im Buch, zumin­d­est auf der Dop­pel­seite) der Texte so eng miteinan­der ver­woben sind, so sehr ineinan­der überge­hen, dass man ihn sehr stark beraubt, wenn man einen Tex­tauss­chnitt auf die reine Wort­folge reduziert. Das Konzept des “dün­nen Ortes” ist ja auch ger­ade eines, das der Benen­nung ver­wehrt bleibt. Man kön­nte das, was Stach­ler in Dün­ner Ort macht, vielle­icht eine “dichte Beschrei­bung” der eige­nen Art nen­nen. Die „all­ge­meinen“ (auch als all­ge­me­ingültig behaupteten, vgl. den Anfang­s­text zur Seele) Beobach­tun­gen wer­den dabei fast immer wieder ins Ich gespiegelt, ins Indi­vidu­elle geführt und über­führt, sie sind in ein­er Über­gangs­be­we­gung. Denn der “dünne Ort” ist zu ver­ste­hen als eine Über­gangszone, eine Gren­ze oder Schwelle, der Bere­ich zwis­chen Leben und Tod vor allem.

der nebel bildet fehlende stellen im wald, ein opa- / kes lochmuster. beim ver­such, die löch­er anzuse- / hen, ver­schwindet man, franst aus wie eine dün- / ne tablette im wass­er. […] (15, Anfang)

Dazu noch die Textlück­en, ‑löch­er, die wie zufäl­lig im Block­satz unüberse­hbar auf­tauchen, den Fluss der Sprache unter­brechen und vielle­icht auch den dün­nen Ort, der so schw­er zu fassen ist, den Über­gang, die Schwelle ein­fach markieren oder zumin­d­est evozieren. Und sie weisen qua­si expliz­it auf die Offen­heit der Texte hin. Das ist ein biss­chen para­dox, neigt der Block­satz (der hier in wech­sel­nden Zeilen­län­gen genutzt wird) doch eigentlich zu ein­er gewis­sen Abgeschlossen­heit. Doch die ist, das wird in Dün­ner Ort schnell deut­lich, nur ober­fläch­lich. Denn so wie die Lück­en Löch­er in den Text reißen, ihm also Freiräume schaf­fen, so sind die Texte in der Regel auch seman­tisch nicht abgeschlossen oder gar ver­schlossen, son­dern offen. Das meint nicht nur ihre Unbes­timmtheit, son­dern auch Phänomene wie Abbrüche am Seit­e­nende mit­ten im Satz oder, als Gegen­pol, ein Beginn mit einem Kom­ma (also mit­ten in einem imag­inären größeren Zusam­men­hang).

im wald gibt es einen kern, der nie trock­net / um ihn herum ord­nen sich schicht­en im kreis / schicht­en von hal­men, scharnieren, stück­en von / licht. licht, das far­ben trägt, die es nicht gibt, das / man schnei­den kön­nte, hätte man. […] (13, Anfang)

Zum Buch gehören dann auch noch einige von der Autorin gele­sene Auf­nah­men einiger Texte, die dann das Pen­del noch mehr zur Prosa hin auss­chla­gen lassen, wenn man den zügi­gen Vor­trag von Stach­ler im Ohr hat. Und nicht zulet­zt gehören auch die “fotografis­chen Illus­tra­tio­nen” von Sarah Oswald unbe­d­ingt zu dem Buch. Mit bedacht wur­den die so genan­nt (nehme ich zumin­d­est an), denn sie geben sich als zwis­chen Foto und “freier” Kun­st chang­ierend: stark ver­fremdete, oft ver­wis­chte, über­lagerte, verun­k­larte Abbilder der “Welt”. Sie begleit­en den Text nicht ein­fach illus­tra­tiv oder kom­men­tierend, son­dern wer­fen im anderen Medi­um noch einen weit­eren Blick auf den “dün­nen Ort”. Ihre ver­schwommene Präg­nanz, ihre gemachte Unschärfe und Schat­ten­haftigkeit unter­stützt und ergänzt die suchende Präzi­sion der Texte aus­geze­ich­net. So wird Dün­ner Ort dann (fast) zu einem Gesamtkunst­werk — jeden­falls zu einem mul­ti­me­di­alen Gemein­schaftswerk …

die luft fällt ins schloss, verfugt sich hin­ter / dir als wärst du nie dagewe­sen, und viel- / leicht stimmt das auch. […] (44, Anfang)

Alke Stach­ler: Dün­ner Ort. Mit fotografis­chen Illus­tra­tio­nen von Sarah Oswald. Salzburg: edi­tion mosaik 2016 (edi­tion mosaik 1.2). 64 Seit­en. ISBN 9783200044548.