Er hat Hände wie ein Schmetter­ling: Nicht nur auf den Tas­ten schweben sie, in jed­er Pause, vor jedem Ein­satz set­zen sie zu einem kleinen Flug durch die Luft an. In jede Pause schwebt die Hand von den Tas­ten in den Luft, die Fin­ger flat­tern und schwin­gen wie ein Schmetter­ling von Blüte zu Blüte, bevor sie wieder ein – vorüberge­hen­des – Ziel find­en und sich auf den Tas­ten nieder­lassen. Olli Mus­to­nen ist ein faszinieren­der Pianist. Und nicht nur wegen sein­er Fin­gertänze.

Alles kommt aus ihm. Nicht, weil er die Musik für seinen Auftritt im Schloss Waldthausen umformt. Son­dern weil er sie sich vol­lkom­men zu eigen macht. Ob Robert Schu­mann, Alexan­der Skr­jabin, Rodi­on Schtschedrin oder Bohuslav Mar­t­inů: Jede Musik, die er in Angriff nimmt, zeich­net sich schließlich durch unge­heure Dringlichkeit aus. Das muss er jet­zt spie­len, genau so, genau in diesem Moment, es drängt ger­adezu aus ihm her­aus. Obwohl natür­lich auch Mus­to­nen schon vor Monat­en genau fest­gelegt hat, was er im Schloss Waldthausen, an diesem speziellen Abend, beim Mainz­er Musik­som­mer, spie­len wird. Und doch ist in seinem Spiel eben immer wieder die Frische, die neugierige Begeis­terung des Ent­deck­ers zu hören: Alle seine Töne atmen Unmit­tel­barkeit. Ob das die Frucht eines Mönchs oder eines Magiers ist, bleibt unentsch­ieden.

Wie ein Schmetter­ling plöt­zlich auf­taucht, so unmit­tel­bar wech­selt er die Klang­farbe, wenn es nötig ist. Das heißt aber nicht, dass er auss­chließlich san­ft und zurück­hal­tend vor­sichtig spie­len würde: Sobald es nötig wird – und es erscheint ihm öfter nötig, als man glauben möchte – wird aus der Schmetter­ling­s­hand ein jagen­der Adler: Der kreist noch kurz über der Tas­tatur, stürzt dann im tod­sicheren Sturzflug rapi­de hinab, trifft natür­lich unweiger­lich die richtige Taste. Aber auch den richti­gen Ton: Mus­to­nen ist genau, was seine Klanggestal­tung ange­ht, über­aus genau.

Und immer wieder fliegt der Schmetter­ling dazwis­chen – Mus­to­nen lock­ert die Hand und die Fin­ger für neue Aben­teuer. Ob das in den sattsam bekan­nten Kinder­szenen Schu­manns ist oder den nur sel­ten gespiel­ten Prälu­di­en & Fugen von Schtschedrin: Klangkom­bi­na­tion ist sein große The­ma, am besten zu erfahren in den zart abgetön­ten Akko­r­den. Kein Wun­der: Im Zen­trum des Abends ste­ht schließlich Skr­jabin, der große Klangkün­stler. Mus­to­nen beweist das zunächst mit den Préludes op. 13 und 16, und dann vor allem mit dem späten „Poème“, „Vers la flamme“. Wirk­lich als ein sprachlos­es Gedicht erklingt das, unver­gle­ich schön und berauschend. Wie ein Schmetter­ling eben: Der Flug sieht wie ein Taumeln aus, ist aber schön und ziel­gerichtet. Und so spielt auch Mus­to­nen: Die Form der Musik ist oft kaum erkennbar, aber das Erleb­nis der Rein­heit und Frei­heit des Klangs überdeckt alle Män­gel.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)