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An den Grenzen des Klangs

Die Energie im Roten Saal der Musikhochschule ist fast mit den Hän­den zu greifen. Dabei sind es bloß die Fin­ger der kanadis­chen Pianistin Cather­ine Vick­ers, die diese Energie freiset­zen. Und eigentlich war es ganz harm­los als „Klavier­abend“ angekündigt, in der Mitte des diesjähri­gen Mainz­Musik-Fes­ti­vals, das die Musikhochschule mit Unter­stützung der Streck­er-Dae­len-Stiftung aus­richtet. Aber es ist viel mehr als ein „nor­males“ Konz­ert gewor­den: Vick­ers untern­immt – mit ger­ade eine­mal drei Kom­po­si­tio­nen — eine Wel­treise, eine Expe­di­tion in die unzählbaren Möglichkeit­en des Klavierk­langs und sein­er kom­pos­i­torischen Gestal­tung im 20. Jahrhun­dert. Sie ist mehr als gut vor­bere­it­et für diese Ent­deck­ungs­fahrt. Mit makel­los­er Präzi­sion und unnachgiebiger Aus­dauer, unbe­d­ingter Konzen­tra­tion und höch­ster Sorgfalt macht sie sich auf den Weg. Aus­gangspunkt ist das Ameri­ka kurz nach 1900, in der Sonata No. 1 von Charles Ives, dem fast hun­dert Jahre alte Klas­sik­er der mod­er­nen Klavier­musik. Für diesen Abend bleibt das noch die „tra­di­tionell­ste“ Form – aber auch die ist bei Ives nur noch in Resten, in Bruch­stück­en erkennbar. Ein großes Panora­ma voller Dringlichkeit­en, gespickt mit rhyth­mis­chen und melodis­chen Ver­satzstück­en sowie Anklän­gen macht Vick­ers daraus. Schon vom ersten Beginn an war dabei vor allem die Präzi­sion – und die Begeis­terung der Pianistin für diese Musik — zu spüren. Und sie sollte bis in den Schluss der Zugabe, dem Walz­er aus Schön­bergs op. 23, zu hören sein.

Auch bei Lui­gi Nonos „… sof­ferte onde serene …“ bleibt sie ein wesentlich­es Moment von Vick­ers Inter­pre­ta­tion. 1976 für Klavier und Ton­band mit im Ton­stu­dio bear­beit­eten Klavierk­län­gen kom­poinert, führt Nonos Klavier­stück die Klang­forschung am Flügel mit enor­men Erre­gungspoten­zial in die Weite des Raums.

Diesen Weg schlägt auch Nico­laus A. Hubers „Dis­ap­pear­ances“ ein: Eine Studie, die das Ver­schwinden unter­sucht, die Auflö­sung der Klänge in den Blick nimmt – und das auch tran­szendiert. Ein fein­er, hauchzart ver­hal­len­der Beginn, in den einzelne Töne explodieren, die sich zu Haufen verdicht­en, zunehmend manip­ulierte Klänge, von insistierend häm­mern­den Rep­e­ti­tio­nen unter­brochen – damit lässt Cather­ine Vick­ers mit bren­nen­der Klarheit eine ganz unmit­tel­bar aufwüh­lende und ver­schreck­ende Musik entste­hen. Bei all dem ver­bis­se­nen Bohren in Details und Klangnu­an­cen schafft sie es aber tat­säch­lic auch noch, dieser Musik Offen­heit und vor­sichtige Unbes­timmtheit mitzugeben: Eine wun­der­bar energiere­iche, kom­plexe Vielfalt – und alles mit lediglich zehn Fin­gern aus dem Flügel ent­lockt.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Meisterhafte Meisterwerke im Meisterkonzert

Sel­ten war wohl eine Konz­ert­pause so notwendig wie bei diesem Meistkonz­ert. Denn nicht nur waren in der Rhein­gold­halle größere Umbaut­en auf der Bühne und das Nach­stim­men des Flügels notwendig. Nein, vor allem waren das eigentlich zwei eigene Konz­erte, die von der Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz unter Karl-Heinz Stef­fens hier im Dop­pel­pack ange­boten wur­den.

Zunächst also zwei Bal­lett-Musiken: Mit dem Klas­sik­er „Prélude de l’après-midi d’un faune” von Claude Debussy eröffnete das Lud­wigshafen­er Orch­ester der Abend. Diri­gent Stef­fens wählte einen vor­sichti­gen, zurückgenom­men Zugang: Zart ent­fal­tet sich schon das ini­tiale Flö­ten­the­ma, und sacht, manch­mal etwas stock­end, dann aber wieder deut­lich treibend entwick­elt er die impres­sion­is­tis­che Klangschilderung sehr behut­sam. Als Fort­set­zung der Entwick­lung der mod­er­nen Bal­lettmusik sehr logisch fol­gte dieser Naturidylle Bela Bartóks Musik für die Tanz­pan­tomine „Der wun­der­bare Man­darin”. Die ließ Stef­fens deut­lich offen­er und fordernd-drägned­er musizieren – anderes wäre bei dieser Musik auch wider­natür­lich.

Grandios wurde es in der Rhein­gold­halle aber erst nach der Pause. Ent­ge­gen den üblichen Konz­ert­ge­wohn­heit­en kam das Solis­tenkonz­ert näm­lich zum Schluss – mit gutem Grund. Zum einen ist Brahms’ B‑Dur-Klavierkonz­ert mit unge­fähr 45 Minuten schon recht lang. Zum anderen kann man danach kaum noch sin­nvoll andere Musik machen. Zumin­d­est, wenn man es so wie Antti Siirala spielt, mit vollem Ein­satz, auf Leben und Tod qua­si. Da passt dann auch keine Zugabe mehr, obwohl der Saal danach gierte. Aber das war die richtige Entschei­dung – alles hätte den Ein­druck dieser großen Inter­pre­ta­tion höch­stens geschmälert. Denn Siirala und Stef­fens fan­den hier wun­der­bare Wege, die gesamte Vielfalt des Konz­ertes voll auszuschöpfen. Sie weigerten sich ein­fach – und sehr kon­se­quent -, sich auf einen einzi­gen Stan­dort zu begeben. Ständig wech­sel­ten sie die Per­spek­tive, zoomten von großen Gesten bis in fein­ste Details

Siirala kann sich diese unge­heure Vielgestaltigkeit leis­ten, weil er als Pianist viel­seit­ig genug ist. Sein kerniges, deut­lich akzen­tu­iertes Spiel kann phasen­weise auch ganz weich und san­ft tönen. Immer bleibt er aber aus­ge­sprochen agil – nicht ohne Grund sitzt er wie sprung­bere­it nur auf der vorder­sten Kante sein­er Klavier­bank. Und diese konzen­tri­erte Aufmerk­samkeit für alle Aspek­te der Par­ti­tur ermöglicht zwar nicht immer völ­lig schlüs­sige Entwick­lun­gen, aber auf jeden Fall eine Fülle faszinieren­der Momente, und genial span­nend erscheinen­der Pas­sagen – die dann selb­st den Diri­gen­ten immer wieder ganz verblüfft zu seinem Pianis­ten blick­en lassen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

 

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