Jona­than Safran Foer: Tree of Codes. Lon­don: Visu­al Edi­ti­on 2011. 139 Sei­ten.

Foer, Tree of CodesDie Idee hin­ter Tree of Codes ist aus­ge­spro­chen cool: Foer nahm einen vor­han­de­nen Text – näm­lich The Street of Cro­co­di­les von Bru­no Schulz – und schnei­det ein­fach weg, was ihm im Weg ist oder nicht gefällt. Das Ergeb­nis, ein Cut-up sozu­sa­gen, ist dann ein neu­er Text. Der Witz ist nun, dass nicht ein­fach der neue Text gedruckt wird, son­dern der Pro­zess des Aus­schnei­dens auch im Ergeb­nis, in Tree of Codes also, noch sicht­bar ist. Denn die Sei­ten sind durch­lö­chert. Alles, was für neu­en Text, die Über­schrei­bung (Palim­psest!) nicht benö­tigt wird, wird weg­ge­schnit­ten. Ent­spre­chend löch­rig sind die Sei­ten: Manch­mal ste­hen vom „ori­gi­na­len“ Text noch hal­be Sät­ze oder ein­zel­ne Wort­grup­pen, manch­mal auf einer hal­ben Sei­te auch nur ein ein­zel­nes Wort und sonst vor allem Luft, Nichts, die tat­säch­lich spür­ba­re Abwe­sen­heit des ursprünglichen/​vorhandenen Tex­tes. Das macht die Fra­gi­li­tät des Buches als Ding und als Text (Lücken!) ganz neu deut­lich.

Man ist außer­dem geneigt, dem Text eine gewis­se Offen­heit zuzu­spre­chen: Durch die Lücken, die Löcher auf den Sei­ten, im Papier scheint ja immer das noch kom­men­de schon durch, ist also schon prä­sent – als Wort, als Satz­zei­chen, als Split­ter oder nur als Lücke. Das täuscht aber ziem­lich. Auch die Idee des „Satz­bil­des“ bekommt eine ganz neue Bedeu­tung: Tat­säch­lich macht es irgend­wie doch einen Unter­schied, ob ein Satz mit weni­gen Lücken geschnit­ten ist oder ob ein klei­nes Gebil­de wie „I found mys­elf lost.“ (80÷81) sich über andert­halb Sei­ten – mit enspre­chend viel Luft – erstreckt: Das Gewicht wird ein ande­res (eher rezi­prok aber …)

Lee­re und Abwe­sen­hei­ten spie­len aber auch inhalt­lich eine gewis­se Rol­le (oder mei­ne Per­spek­ti­ve ist durch die Form ver­scho­ben). Der ste­hen­ge­blie­be­ne Text ist dabei manch­mal etwas schräg (wie die ver­rut­schen­den, absin­ken­den Häu­ser …), einen Tick sur­re­al oder expres­sio­nis­tisch (in der Dar­stel­lung der Stadt). Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen, das Ver­schwin­den, Ver­blas­sen und Ver­wan­deln von Per­so­nen und Din­gen spie­len hier eine bedeu­ten­de Rol­le.

The tree of codes was bet­ter than a paper imi­ta­ti­on. (96)

Wolf­gang Hil­big: Eine Über­tra­gung. Frank­furt am Main: Fischer 2011 (Wer­ke 4). 427 Sei­ten.

hilbig, eine übertragungEine Über­tra­gung ist Hil­bigs ers­ter Roman und trotz­dem gleich ein „ech­ter“ und typi­scher Hil­big: Das Pro­blem des Ichs wird hier durch­de­kli­niert, ins­be­son­de­re die Fra­ge nach der Iden­ti­tät eines Schrift­stel­lers. Die Iden­ti­tät der Haupt­fi­gur, eines schrift­stel­lern­den Hei­zers (oder als Hei­zer arbei­ten­den Schrift­stel­lers, das hängt von Stand- und Zeit­punkt ab), steht dabei nicht nur unter inne­rem Druck und Recht­fer­ti­gungs­zwang, son­dern gera­de auch unter äuße­rem Zwang, der sich in den staat­li­chen Repres­sa­li­en der DDR-Insti­tu­tio­nen (geheimdienstlich/​polizeilich) äußert – was natür­lich zusam­men­hängt und sich gegen­sei­tig ver­stärkt.

Die gan­ze Über­tra­gung ist des­halb eine Art „Selbst­ver­neh­mung“, in dem die erzäh­len­de Haupt­fi­gur ver­sucht, die­sem Pro­blem – also: Wer ist die­ses Ich? Kann ich mei­nen Erin­ne­run­gen trau­en? Und mei­nen Wahr­neh­mun­gen? – auf den Grund zu gehen. Der dabei reich­hal­tig kon­su­mier­te Alko­hol hilft nicht unbe­dingt, Klar­heit zu ver­schaf­fen. Neben­bei gibt es noch ein wei­te­res Pro­blem, das der Unter­su­chung bedarf: Die Lie­be – als Pro­blem in einer Gesell­schaft der Angst/​Sicherheit/​Unterdrückung). Das ist in Hil­bigs typi­scher mäch­ti­ger, har­ter Spra­che manch­mal anstren­gend, über die lan­ge Stre­cke durch­zu­hal­ten. Aber es ist in sei­ner kör­per­li­chen Wucht eben auch immer wie­der groß­ar­tig und berei­tet mir aus­ge­spro­chen gro­ßes Ver­gnü­gen …

Es war da ein Text, der auf sei­nen Ver­fas­ser war­te­te, aber andau­ernd griff das Leben ein und hin­der­te den Ver­fas­ser, indem es sei­ne eige­ne Geschich­te schrieb … […]. (107)

Lui­se F. Pusch: Das Deut­sche als Män­ner­spra­che. Auf­sät­ze und Glos­sen zur femi­nis­ti­schen Lin­gu­is­tik. Frank­furt: Suhr­kamp 1984. 202 Sei­ten.

Man­ches von den hier ver­sam­mel­ten, etwas dis­pa­ra­ten (lin­gu­is­ti­schen) Auf­sät­zen und (jour­na­lis­ti­schen) sprach­kri­ti­schen Glos­sen von Lui­se Pusch ist inzwi­schen etwas geal­tert – vor allem in dem Sinn, dass man die Ent­ste­hungs­zeit der 1980er erkennt. Das meis­te aber ist noch – erschre­ckend eigent­lich – aktu­ell und gül­tig sowie­so: Pusch zeigt einer­seits, wie sehr die deut­sche Spra­che von patriacha­li­schen Struk­tu­ren und Denk­mus­tern geprägt ist und schlägt ande­rer­seits vor, wie man das ändern könn­te – damit die Nicht-Män­ner nicht immer nur „mit­ge­meint“ sind. Ihr Haupt­vor­schlag im titel­ge­ben­den Auf­satz ist letzt­lich so etwas wie eine Ent­ge­schlecht­li­chung (wie sie z.B. im Eng­li­schen weit ver­brei­tet ist): Aus „der Pro­fes­sor“ und „die Pro­fes­so­rin“ wird „der Pro­fes­sor“ und „die Pro­fes­sor“. Ihr ist natür­lich klar, dass das ein recht radi­ka­ler Ein­griff in die über­lie­fer­te Sprach­struk­tur ist und des­halb von vor­ne­her­ein abge­lehnt wird (auch wenn das Ergeb­nis kei­nes­wegs unsys­te­ma­tisch im Deu­schen wäre). Als „klei­ne“ Alter­na­ti­ve bevor­zugt sie dann wenigs­tens die Dop­pel­nen­nung bzw. deren abge­kürz­te Form mit Binnen‑I.

Hel­mut Oeh­ring: Mit ande­ren Augen. Vom Kind gehör­lo­ser Eltern zum Kom­po­nis­ten. Ber­lin: btb 2011. 256 Sei­ten.

Oehring, Mit anderen AugenOeh­rings frü­he Auto­bio­gra­phie ist als Text bzw. Buch ziem­lich selt­sam und lebt wohl nur von der schon im Unter­ti­tel ver­kün­de­ten Beson­der­heit sei­nes Lebens­we­ges – die Lebens­ge­schich­te eines „nor­ma­len“ (im Sin­ne der stan­dar­di­sier­ten Erwar­tung) Kom­po­nis­ten hät­te wohl nicht die­sen Ver­lag gefun­den. Ich emp­fand das text­lich vor allem also als recht kru­de Mischung aus sehr per­sön­li­chem Erle­ben und Künst­ler­bio­gra­phie mit Beto­nung des Auto­di­dak­ten­tums und der Unwahr­schein­lich­keit des Gelin­gens, dem Hän­gen­blei­ben im Dazwi­schen (zwi­schen Wel­ten) sowie Erläu­te­rung der Ent­ste­hungs­zu­sam­men­hän­ge und Bedeu­tung der eige­nen Wer­ke. Kru­de wirkt das vor allem, weil es so chao­tisch erzählt ist, ohne erkenn­ba­re Abfol­ge oder Zusam­men­hän­ge, in Fet­zen fast. Oeh­ring betont dabei auch ger­ne und wie­der­holt die von ihm erleb­te Wucht der Erfah­rung von Neu­em, ins­be­son­de­re von Kunst – also Oper, Musik, Pop und so wei­ter. Das wird dann aber von ihm immer wei­der mit sehr all­ge­mei­nen Beob­ach­tun­gen und künst­le­ri­schen Arbei­ten (vor allem Aus­schnit­ten aus den Tex­ten sei­ner Kom­po­si­tio­nen) gemischt. Und so ekkle­ti­zis­tisch Oeh­ring sich im Hören gibt (von Schön­berg bis Depe­che Mode rei­chen unge­fähr sei­ne Vor­lie­ben), so unein­heit­lich ist auch sei­ne Spra­che – oft sehr höl­zern, manch­mal sti­lis­tisch aus­ge­spro­chen unge­lenk, an ande­ren Stel­len aber auch sprü­hend vor Begeis­te­rung.

Richard Ale­wyn, Karl Sälz­le: Das gro­ße Welt­thea­ter. Die Epo­che der höfi­schen Fest in Doku­ment und Deu­tung. Ham­burg: Rowohlt 1959. 134 Sei­ten.

Das große WelttheaterDie­se klas­si­sche Dar­stel­lung der Epo­che des Barocks als Zeit­al­ter des Fes­tes war­te­te schon län­ger auf mei­ne Lek­tü­re. Im ers­ten Teil bie­tet Ale­wyn hier eine über­sicht­li­che Mor­pho­lo­gie des baro­cken Fes­tes, die – so weit ich das über­bli­cke – gelun­gen auf grund­le­gen­de Züge abs­tra­hiert, aber das mit Bei­spie­len reich­hal­tig demons­triert. Dem schließt er eine nähe­re Betrach­tung der Ele­men­te des Fes­tes im Barock an (die vor allem das Thea­ter aus­führ­lich wür­digt) und auch eine Situ­ie­rung des baro­cken Fes­tes im Leben & Geselll­schaft. Hier spürt man viel­leicht am deut­lichs­ten das Alter des Tex­tes. Bei der Abgren­zung zum „Volk“ etwa – davon hat Ale­wyn kaum einen Begriff, ihn inter­es­sie­ren die offen­sicht­li­chen Quel­len – und die sind aus adli­gen Krei­sen oder beschrei­ben zumin­dest vor allem den Adel. Dem­entspre­chend kon­zen­triert er sich ganz stark auf die­se „wich­ti­ge“ Schicht – was sich in die­sem Unter­su­chungs­zu­sam­men­hang sach­lich ja auch weit­ge­hend recht­fer­ti­gen lässt -, der Rest ist allen­falls Staf­fa­ge.

Der zwei­te Teil des Taschen­buchs fügt dem dann noch eini­ge Beschrei­bun­gen gro­ßer Fes­te des Barocks an, die lei­der nicht vor­wie­gend Quel­len sind, son­dern in der Haupt­sa­che Quel­len­pa­ra­phra­sen (was inso­fern ver­ständ­lich ist, als die baro­cken Fest­be­schrei­bun­gen natür­lich barock sind – d.h. unse­ren heu­ti­gen Lese­ge­wohn­hei­ten viel­leicht ein wenig zu aus­führ­lich …).

Die Geschich­te des höfi­schen Fes­tes, eines der glän­zends­ten Kapi­tel abend­län­di­scher Kul­tur­ge­schich­te, war­tet umge­schrie­ben und kaum gese­hen der Auf­er­ste­hung aus den Grüf­ten unse­rer Archi­ve und gra­phi­schen Samm­lun­gen. Es fehlt nicht an der Samm­lung und Kata­lo­gi­sie­rung die­ser Schät­ze, aber es fehlt an jeder geis­ti­gen Ord­nung und Deu­tung. (16)

Ein jedes Zeit­al­ter schafft sich ein Gleich­nis, durch das es im Bild sei­ne Ant­wort gibt auf die Fra­ge nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüs­sel aus­lie­fert zu sei­nem Geheim­nis. Die Ant­wort des Barock lau­tet: Die Welt ist ein Thea­ter. Groß­ar­ti­ger kann man viel­leicht von der Welt, aber schwer­lich vom Thea­ter den­ken. Kein Zeit­al­ter hat sich mit dem Thea­ter tie­fer ein­ge­las­sen als das Barock, kei­nes hat es tie­fer ver­stan­den. In kei­nem Stoff aber auch hat das Barock sich völ­li­ger offen­bart als im Thea­ter. Es hat das Thea­ter zum voll­stän­di­gen Abbild und zum voll­kom­me­nen Sinn­bild der Welt gemacht. (48)

Andre­as Alt­mann: Die lich­ten Lie­der der Bäu­me lie­gen im Gras und schei­nen nur so. Leip­zig: Poe­ten­la­den 2014. 101 Sei­ten.

Altmann, Die lichten LiederDas Mot­to stellt gleich wich­ti­ge Ele­men­te des sehr fas­zi­nie­ren­den Gedicht­ban­des von Alt­mann vor:

erin­ne­run­gen häu­ten sich. immer wie­der /​stel­len sie mir ihre kör­per in die spie­gel.

heißt es da: Erin­ne­run­gen, Kör­per, auch die Kör­per­lich­keit der Erinnerung(en) sowie Spie­gel und Selbst­be­trach­tun­gen durch­zie­hen als Moti­ve vie­le der Gedich­te. Gera­de der Aspekt des Zusam­men­hangs von Erin­ne­rung und Geschich­te schlägt sich bei Alt­mann oft nie­der. Das sind kon­kre­te (teil­wei­se sogar sehr kon­kre­te!), streng öko­no­misch „erzähl­te“ Sze­nen und klei­ne Geschich­ten, die mit spar­sa­men Hin­wei­sen auf ihre geschicht­li­che Situ­ie­rung über das eigent­lich Erzähl­te ger­ne hin­aus­wei­sen. Dafür reicht manch­mal schon ein ein­zel­nes Wort – „Grenz­weg“ zum Bei­spiel situ­iert das Gedicht zeit­lich und ört­lich an der inner­deut­schen Gren­ze. Trotz­dem neigt Alt­mann dazu, sei­ne Lyrik prä­sen­tisch zu prä­sen­tier­ten, als ob sie ohne Zeit wäre: „… aus der zeit fällt. die wun­den sind leer.“ heißt es ein­mal. (11)

Sei­ne kon­kre­te, auf der Ebe­ne der Lexik gera­de­zu all­täg­li­che Spra­che ver­bin­det sich zu star­ken Bil­dern, die gera­de durch ihre Genau­ig­keit und Schlicht­heit wirk­mäch­tig sind. Dabei füh­len sich vie­le sei­ner Gedich­te, die auch immer wie­der die Natur an den Kul­tur­rän­dern, an den Schnitt­stel­len zwi­schen mensch­li­chen Arte­fak­ten und „rei­ner“ Natur evo­zie­ren, sehr men­schen­leer an, obwohl das „Ich“ – aller­dings bevor­zugt im spie­gel – durch­aus vor­kommt. Prä­gen­der sind aller­dings die (Natur-)Räume mit Schnee (auch Regen) und ihrem spe­zi­el­len Licht, die „geschich­te im land­schafts­park“ (16) oder die „ana­to­mie der erin­ne­rung“ (22).

In den oft stil­len, unauf­ge­reg­ten Gedich­ten schwingt immer eine gewis­se, star­ke Leich­tig­keit mit, eine schein­ba­re Natür­lich­keit der Spra­che, wie sie im immer wie­der vor­kom­men­den Bild der Feder sich typisch mani­fes­tiert. Die Feder ist auch inhalt­lich ganz tref­fend: Als Rest eines Leben­we­sens, als Stell­ver­tre­ter, zugleich aber auch eine Wun­de (hin­ter­las­send), dabei sich schwe­bend fort­be­we­gend (kein eigent­li­ches flie­gen …), ziel­los, unge­steu­ert und unre­gel-/steu­er­bar, zugleich Teil der Land­schaft (der Natur) und der/​ihrer Geschöp­fe.

… die geräu­sche in der land­schaft /​sind blind. ich tast mich an wor­ten durch /​die gedächt­nis­räu­me. … (26)

Nina Buß­mann: Gro­ße Feri­en. Ber­lin: Suhr­kamp 2012. 200 Sei­ten.

Bußmann, Große FerienBuß­manns Roman ist ein schö­nes, inten­si­ves Kam­mer­spiel der Moral. Der Text lebt stark von sei­ner geschick­ten Infor­ma­ti­ons­ver­ga­be, der all­mäh­li­chen, immer wie­der durch Abschwei­fun­gen, Ablen­kun­gen und Sprün­ge unter­bro­che­nen Auf­klä­rung des Lesers – die übri­gens bis zum Schluss nicht voll­stän­dig geschieht. Aber wie immer gilt ja: Der Pro­zess ist meis­tens inter­es­san­ter als das Erge­benis. Hier geht es um einen älte­ren Leh­rer und sein Ver­hält­nis zu einem begab­ten Schü­ler, das zu einem Eklat – dem „Vor­fall“ – sich stei­gert und dar­in aber auch, gemein­sam mit der Sicher­heit des Gewis­sens, der Wahr­neh­mung (und der Anstel­lung) des Leh­rers, der kei­nen Vor­na­men hat, sei­nen Schluss fin­det. Ent­we­der ist das ein gewal­ti­ger Kli­max, der sich in einer Ohr­fei­ge ent­lädt – oder eben nicht, weil die Ohr­fei­ge aus­bleibt, mit ihr aber eben auch die Ori­en­tie­rung im Leben und der Moral, im Wis­sen um Gut und Böse, Falsch und Rich­tig. Und das ist eben das zen­tra­le Schei­tern Schramms, der Haupt­fi­gur:

Sie sind Leh­rer, Sie müs­sen die Din­ge klä­ren und nicht ein Geheim­nis dar­aus machen. (129)

Buß­mann erzählt das in einem sehr schö­nen, stän­dig flie­ßen­den Wech­sel im Hin und Her zwi­schen der Gegen­wart (dem Sor­gen um den Gar­ten, die Befrei­ung der Auf­fahrt vom Unkraut – wun­der­bar, wie genau und prä­zi­se Buß­mann das schil­dern kann!) und der Vor­ge­schich­te, dem Her­an­tas­ten an den „Vor­fall“. Die genaue Beob­ach­tung und Wahr­neh­mung der Umge­bung (der Umwelt) durch die Augen Schramms spielt eine wesent­li­che Rol­le gera­de weil sie in der erzähl­ten Zeit, die bru­tal ver­lang­samt erscheint, kon­tras­tiert mit der Unge­wiss­heit in im wei­tes­ten Sin­ne mora­li­schen Fra­ge.

Gefal­len hat mir aber auch die Viel­falt der erzähl­ten Aspek­te. Eine Rol­le spie­len unter ande­rem auch noch das memen­to mori für die Mut­ter, der Vater als Pro­blem­fi­gur der Ver­gan­gen­heit und Vikk­tor als undurch­schau­ba­rer Bru­der (der ein­mal sogar als Ter­ro­rist ver­mu­tet wird) … Auch sti­lis­tisch hat Buß­mann mit ihren gesta­pel­ten Sät­ze eine pas­sen­de Form gefun­den: Die Sät­ze sind ein­fach nie fer­tig, nie abge­schlos­sen, immer wie­der gibt es wie nach­träg­lich ein­ge­füg­te, ein­ge­scho­be­ne Ergän­zun­gen, Prä­zi­sie­run­gen, Erwei­te­run­gen, die als sol­che eben über­deut­lich kennt­lich blei­ben, was zu einer frag­men­tier­ten Syn­tax, einer per­ma­nen­ten Sto­ckung und Unter­bre­chung führt (und das Lesen dadurch bewusst ver­lang­samt …):

Zwan­zig Jah­re oder län­ger hat­te er dort ver­bracht, im Hin­ter­land, in einem von allen Ver­kehrs­we­gen abge­schie­de­nen Berg­dorf, und auch wenn es dar­um für einen Dok­tor nie gereicht hat­te, war er jeden­falls, ent­ge­gen allen Erwar­tun­gen, Arzt gewor­den, ein rich­ti­ger, wahr­schein­lich nicht ein­mal ein schlech­ter Arzt. (145)

Ein sehr klu­ges, schö­nes und lesen­wer­tes Buch.

Alex­an­der Schim­mel­busch: Die Murau Iden­ti­tät. Ber­lin: Metro­lit 2014. 206 Sei­ten.

Schimmelbusch, Murau IdentitätDie Murau Iden­ti­tät (sic, der Autor schreibt das – wohl in Anleh­nung an die „Bourne Iden­ti­ty“ – ohne not­wen­di­gen Bin­de­strich) ist lei­der doch ein ziem­lich lang­wei­li­ges Buch. Hin­ter der „Murau-Iden­ti­tät“ ver­birgt sich ein unto­ter Tho­mas Bern­hard, der ein­fach wei­ter lebt (war­um, wird nicht so recht klar), was wir aus „Rei­se­be­rich­ten“ sei­nes Ver­le­gers, die dem Erzäh­ler zuge­spielt wer­den, erfah­ren. Das ist natür­lich eine Stil­ko­pie Tho­mas Bern­hards, auch in den Rants, die ver­su­chen, Bern­hard zu imi­tie­ren – aber lei­der nur eine mäßi­ge, in der Regel bleibt es flach, niveau­los und vor allem völ­lig banal. Wahr­schein­lich ist das Bern­hard-Imi­tat immer nur bein ers­ten Mal über­haupt inter­es­sant … Manch­mal blitzt immer­hin etwas Witz (und ganz sel­ten auch Esprit) hin­durch, eini­ge schö­ne Absur­di­tä­ten hat zusam­men mit viel Leer­lauf auch ein­ge­streut. Irgend­wie scheint mir das Ziel eine Mischung aus gewe­sen zu sein. Lei­der bleibt der Text aber eine bloß not­dürf­ti­ge zusam­men­ge­stop­pel­te Rah­men­hand­lung für die fünf Berich­te des „Ver­le­gers“ zum Unto­ten Tho­mas Bern­hard (und sei­nem Roman­pro­jekt Àni­ma Negra über die posi­ti­ven Sei­ten der Ehe & Fami­lie) – viel mehr als die­se Idee ist in den 200 Sei­ten ein­fach nicht drin.