Johan­nes Bobrow­ski: Nach­bar­schaft. Gedich­te. Aus­ge­wählt und mit einem Nach­wort von Klaus Wagen­bach. Ber­lin: Klaus Wagen­bach 2010 (Klaus Wagen­bachs Oktav­hef­te). 77 Sei­ten.

Eine Aus­wahl­aus­ga­be der Gedich­te Bobrow­skis, die im Wagen­bach-Ver­lag zum Ver­lags­ju­bi­lä­um erschien und mich, da ich noch nichts von Bobrow­ski (außer sei­nem Namen) kann­te, ange­lacht hat. Nach dem Lesen war das nicht mehr so sehr der Fall: Einen rech­ten Zugang habe ich nicht gefun­den, die Lyrik Bobrow­skis reso­niert nicht so recht bei mir. Es ist eine ganz bestim­te Art von Dich­tung der und über Land­schaf­ten, was hier immer gan­ze Land­schaf­ten meint, mit ihren Leu­ten, Tie­ren und der Gegend – aber eben nicht nur die der Natur etc. Er beschreibt das weni­ger, son­dern besingt die – auch schon zum Ent­ste­hungs­zeit­punkt – unter­ge­gan­ge­ne, ver­lo­ren gegan­ge­ne Land­schaf­ten sehr poe­tisch und auch gewollt poe­tisch. Das klingt mir dann oft sehr empha­tisch auf­ge­la­den, in einer bewusst und gewollt artis­tisch über­höh­ten Spra­che, die ihre (Landschafts-)Bilder immer gera­de­zu zwang­haft meta­pho­risch und mythisch ergänzt bzw. über­höht – das pas­siert natür­lich fast immer bei (guter) Land­schafts­dich­tung, fiel mir hier aber als beson­ders gesuch­te Form sehr auf.

Ildi­kó Noé­mi Nagy: Oh Bume­rang. Sto­ries. Salz­burg: Jung und Jung 2013. 127 Sei­ten.

Das Som­mer­buch von Tubuk-Delu­xe. Und ein ech­tes Spät­som­mer­buch, das schon ein biss­chen auf den Herbst ein­stimmt. Nagys „Sto­ries“ sind wirk­li­che kur­ze Geschich­ten, die man kaum Erzäh­lung nen­nen mag: Moment­auf­nah­men, fast lyrisch ver­dich­tet, manch­mal nur knap­pe zwei Sei­ten lang – aber immer sehr genau und prä­zi­se. Immer geht es hier um eine Art Lee­re, vor allem die emo­tio­na­le. Auch eine gewis­se Orts­lo­sig­keit spielt da häu­fig mit hin­ein, die irgend­wie mit der unga­risch-stäm­mi­gen Ame­ri­ka­ne­rin als Ich-Erzäh­le­rin (die Ähn­lich­kei­ten mit der Autorin hat) zusam­men­hängt: Die „Unbe­haust­heit“ ist hier nicht nur (aber auch) meta­phy­sisch, sie mani­fes­tiert sich hier immer wie­der. Und dann ist da noch eine Art offe­ne Trau­rig­keit, die die Stim­mung der meis­ten Sto­ries prägt. Auch in den Per­so­nen­kon­stel­la­tio­nen, dem Umgang der Per­so­nen mit­ein­an­der, der fast immer beim Neben­ein­an­der ver­bleibt, zeigt sich das immer wie­der. So gibt es nur ganz weni­ge Gesprä­che, in denen Kom­mu­ni­ka­ti­on wirk­lich gelingt. Die gro­ße Fremd­heit geht aber noch wei­ter, sie umschließt auch das eige­ne Lebens und das eige­ne Selbst. Über­haupt ist (oder scheint?) immer alles schon länst ver­gan­gen und ver­lo­ren – Zukunft gibt es nur ganz sel­ten, Gegen­wart auch nicht so häu­fig. Das ist dann nur in klei­nen Dosen genieß­bar, sonst ver­liert man sich dar­in wie in einer boden­lo­sen Tie­fe. Aber das ist auch kein Pro­blem, die „Sto­ries“ sind ja alle kurz und knapp.

Pas­cal Mer­cier: Nacht­zug nach Lis­sa­bon. 8. Auf­la­ge. Mün­chen: btb 2008. 697 Sei­ten.

Ein schö­nes Buch hat Pas­cal Mer­cier da geschrie­ben, über die Mög­lich­keit des rech­ten, rich­ti­gen und wah­ren Lebens. Und über die Tie­fe der See­le. Und über die Mög­lich­keit, einen ande­ren Men­schen ken­nen: Das Pro­blem fängt ja schon beim Indi­vi­du­um selbst an: Kann man sich selbst ken­nen? Und kann man dann ande­re Men­schen (er-)kennen? Und kann man Men­schen nach ihrem Tod noch ken­nen ler­nen? In den Erin­ne­run­gen derer, die die­sen Men­schen über­leb­ten? In sei­nen Taten? In sei­nen poe­ti­schen Erkun­dun­gen, sei­nen Nota­ten und sei­nen Nie­der­schrif­ten?

Das Leben ist nicht das, was wir leben; es ist das, was wir uns vor­stel­len zu leben.

Der Plot dafür ist manch­mal etwas arg kon­stru­iert für mei­nen Geschmack, und manch­mal wird es auch etwas lang­at­mig. Aber schön – nicht nur inhalt­lich, auch gera­de im sprach­li­chen Sin­ne – ist der Nacht­zug nach Lis­sa­bon trotz­dem.

Kitsch ist das tückischs­te aller Gefäng­nis­se. Die Git­ter­stä­be sind mit dem Gold ver­ein­fach­ter, unwirk­li­cher Gefüh­le ver­klei­det, so daß man sie für die Säu­len eines Palas­tes hält.