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Aus-Lese #55

Ernst Bau­man: In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre. Her­aus­gegeben von Alfred Bülles­bach udn Rudolf Schicht. München: morisel 2019. 125 Seit­en. ISBN 978–3‑943915–37‑2.

baumann, in die berge (cover)Eine Rezen­sion in der Süd­deutschen Zeitung hat mich auf dieses schöne und span­nende Foto­buch aufmerk­sam gemacht. Die Geschichte der Fotografie ist ja nun nicht ger­ade ein Gebi­et, mit dem ich mich auskenne oder über­haupt irgend­wie beschäftigt habe. Trotz­dem (oder deshalb) macht das Buch viel Spaß. Dazu trägt auch nicht uner­he­blich die sehr infor­ma­tive (und selb­st schon reich bebilderte) Ein­führung von Alfred Bülles­bach bei, die es schafft, auch Laien der Fotografiegeschichte wie mir die Zusam­men­hänge, in den Bau­mann in den 20er und 30er Jahrend (und auch noch nach dem Zweit­en Weltkrieg) arbeit­ete, aufzuzeigen. Dazu gehört nicht nur die wirtschaftliche SIt­u­a­tion freier Fotografen, son­dern auch die Verbindung der Fotografie mit den Bergen, die zunehmende, zu dieser Zeit ja ger­ade in Schwung kom­mende touris­tis­che Erschließung der Alpen (durch den Bau von entsprechen­der Infra­struk­tur, durch den Urlaub­sanspruch der Angestell­ten und natür­lich auch durch die ökonomis­chen Möglichkeit­en bre­it­er­er Bevölkerungss­chicht­en, entsprechende Fahrten und Urlaube zu unternehmen), die als Hin­ter­grund für Bau­manns Fotos unab­d­ing­bar sind. Auch gefall­en hat mir, die Beto­nung der Rel­e­vanz der Bergfilme für die Zeit — nicht nur für das Bild der Berge in der Bevölkerung, son­dern auch als wirtschaftlich­es Stand­bein für nicht wenige Beteiligte

Die Fotos selb­st scheinen mir dann dur­chaus einen eige­nen Blick von Bau­mann zu ver­rat­en (mit dem bere­its erwäh­n­ten caveat, dass ich da über wenig Hin­ter­grund ver­füge): Ganz eigen, vor allem vor dem Hin­ter­grund der gegen­wär­ti­gen Extrem-Ver­mark­tung der Berge als spek­takulärster Spielplatz der Welt, ist die stille Ruhe und Gelassen­heit der Schön­heit der Berge (und auch ihrer Besuch­er, möchte ich sage, Besteiger oder Bezwinger wäre für die hier abge­bilde­ten Men­schen und ihre Hal­tung wohl der falsche Aus­druck, viel zu entspan­nt und zurück­hal­tend-freudi­ge treten sie mir vors Auge).

Ger­ade im Ver­gle­ich zu heuti­gen bildlichen Darstel­lung von Bergen und den Men­schen auf ihnen sieht das hier zahm aus. Auch, weil das eigentliche Erschließen der und das Bewe­gen in den Bergen eher ein Randthe­ma bleibt. Und weil es ver­gle­ich­sweise harm­lose Gipfel der Alpen sidn — aber, und das ist eben der Witz, den­noch unvergesslich in Szene geset­zt. Wahrschein­lich spielt auch die Schwarz-Weiß-Fotografie eine Rolle, wohl ger­ade bei den auf­tauchen­den Per­son­e­nen, die dadurch eine andere Schärfe und Kon­turierung zu haben scheinen als in den späteren Farb­fo­tografien (so ist zumin­d­est mein eigen­er Ein­druck …).

Chris­t­ian Neuhäuser: Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit. 3. Auflage. Ditzin­gen: Reclam 2019 (Was bedeutet das alles?). 89 Seit­en. ISBN 978–3‑15–019602‑1

Neuhäuser, Wie reich darf man sein? (Cover)Neuhäuser betra­chtet Reich­tum und damit zusam­men­hän­gende Tugen­den und Prob­leme wie Gier, Gerechtigkeit, und Neid — der Titel ist hier tat­säch­lich sehr genau. Er argu­men­tiert dabei vor allem moral­philosophisch. Ökonomis­che, poli­tis­che und/oder soziale Kri­te­rien spie­len nur am Rand eine Rolle. Und den­noch ist das natür­lich — das bleibt bei dem The­ma und auch bei seinem Zugang gar nicht aus — natür­lich ein poli­tis­ches Buch, dass vor allem Super­re­iche für ihn unter moralis­chen, philosophis­chen und gesellschaftlichen (und damit ja auch poli­tis­chen) Aspek­ten dur­chaus kri­tisch zu betra­chen sind. Dabei geht es ihm aber über­haupt nicht um die Per­so­n­en, son­dern um die sich an ihnen man­i­festieren­den Reichtümer — und damit auch die Unter­schiede, die Gren­zen. Und das hängt eben oft mit Ungerechtigkeit­en zusam­men. Eines sein­er Kernar­gu­mente ist, dass Super­re­ich­tum — im Gegen­satz zu Wohl­stand und Reich­tum — nicht (mehr) ver­di­ent sein kann und damit moral­philosophisch ein Prob­lem ist.

Ein biss­chen schade ist, dass Neuhäuser dabei oft nicht sehr in die Tiefe geht: Das ist manch­mal etwas plaud­ernd ger­at­en — was nicht heißt, dass Neuhäuser mit sein­er Argu­men­ta­tion falsch läge. Aber manch­es scheint mir nicht zu ende gedacht/geschrieben, zumin­d­est in diesem Büch­lein (es ist ja nun nicht die einzige Auseinan­der­set­zung des Autors mit diesem The­ma).

Björn Kuh­ligk: Die Sprache von Gibral­tar. Gedichte. München: Hanser Berlin 2016. 85 Seit­en. ISBN 978–3‑446–25291‑2.

kuhligk, sprache von gibraltar (cover)Kuh­ligk habe ich bish­er eher am Rande wahrgenom­men: Dur­chaus offen­bar ansprechende Qual­itäten im lit­er­arischen Schreiben, aber nicht mein drin­gen­ster Lek­türewun­sch. Die Sprache von Gibral­tar kön­nte das ändern. Das ist näm­lich ein feines Buch.

Ganz beson­ders der erste Teil, der titel­gebende Zyk­lus über Gibral­tar und die europäis­che Enklave dort, ist richtig gut. Das ist keine über­mäßige Betrof­fen­heit­slit­er­atur, der man die Bemühtheit an jedem Wort anmerkt. Aber es ist ein genaues Hin­schauen (was an sich schon dur­chaus eine lohnenswerte Leis­tung wäre). Und es ist vor allem die Fähigkeit, aus dem Hin­schauen, aus der Absur­dität und auch der Grausamkeit der Welt in diesem kleinen Ort eine poet­is­che Sprache zu find­en und zu bilden. Damit lässt Kuh­ligk auch immer wieder die zwei Wel­ten aufeinan­der prallen und sich nicht nur heftig aneinan­der reiben, son­dern krachend miteinan­der Ver­hak­en.

Sehr passend scheint mir auch das (son­st bei Kuh­ligk meines Wis­sens nicht vorherrschend, sog­ar sehr sel­ten einge­set­zte) Mit­tel der lan­gen, erschöpfend­en, ermü­den­den Rei­hung in diesem Zyk­lus einge­set­zt zu wein — etwa die sehr ein­drück­lich wirk­ende und genaue Litanei “wenn man …”.

Und dann gibt es auch noch in den restlichen Abschnit­ten, in der zweit­en Hälfte des Ban­des, gute und schöne Gedichte, die etwa sehr gelun­gen die Trost­losigkeit des Landlebens im “Dor­fkrug” (47) ein­fan­gen oder in der Dopplung von “Was wir haben” (50) und “Was fehlt” (51) beina­he so etwas wie eine unsen­ti­men­tale Land­schaft­slyrik entwick­eln.

wenn man das Wort „Kap­i­tal­is­mus“ ausspricht, ist im Mund viel los / wenn man Kohle hochträgt, trägt man Asche runter (35)

Jür­gen Kaube: Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? 2. Auflage. Berlin: Rowohlt Berlin 2019. 335 Seit­en. ISBN 978–3‑7371–0053‑3.

Kaube, Ist die Schule zu blöd (Cover)Nun ja. Das war eine eher ent­täuschende Lek­türe. Kaube beobachtet das Bil­dungssys­tem im weit­eren Sinne schon länger und hat sich auch immer wieder darüber geäußert, dur­chaus auch jen­seits der tae­sak­tuellen Anlässe. Seine kleine Schrift Im Reformhaus habe ich damals dur­chaus mit Gewinn gele­sen. Bei Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? ist das aber lei­der anders. Der Titel hätte ja schon eine War­nung sein kön­nen. Schon die ersten Seit­en und die anfänglichen Kapi­tel zeigen schnell ein Haupt­manko des Buch­es: viel Gerede, viel schöne Beispiele, aber eher wenig Sub­stanz.

Vor allem hat mich sehr schnell und recht nach­haltig gen­ervt, wie selek­tiv er liest/wahrnimmt und dann lei­der auch argu­men­tiert. Das wird zum Beispiel in Bezug auf Bil­dungsem­pirik­er (für ihn ja fast ein Schimpf­wort) sehr deut­lich, aber auch in seinen aus­g­wählten Bezü­gen auf Bil­dung­sun­gle­ich­heit und Chan­ce­nun­gle­ich­heit im Bil­dungs­bere­ich. Das ist ja eines sein­er Haup­tar­gu­mente hier: Dass die Schule nicht dafür da ist, Ungle­ich­heit zu beseit­i­gen, dass sie von Politiker*innen zunehmend dazu “benutzt” wird, soziale Prob­leme zu lösen. Ich kann ihm ja dur­chaus darin (cum gra­no salis) zus­tim­men, dass die Schule das kaum leis­ten kann. Ich bin mir aber nicht so sich­er, ob das wirk­lich ein so bes­tim­mendes Motiv der Bil­dungspoli­tik und so sehr ein wirk­lich­es Prob­lem ist. Jeden­falls haben diese Nach­läs­sigkeit­en mir es dann aus­ge­sprochen schw­er gemacht, die pos­i­tiv­en Aspek­te wirk­lich zu würdi­gen (die aber dur­chaus vorhan­den sind, nur lei­der eben etwas begraben unter dem ein­seit­i­gen, schimpfend­en Gewet­ter Kaubes).

außer­dem gele­sen:

  • Lüt­fiye Güzel: sans trophée. Duis­burg, Berlin: go-güzel-pub­lish­ing 2019.
  • Siegfried Völl­ger: (so viel zeit hat nie­mand). Gedichte. München: Allit­era 2018 (Lyrikedi­tion 2000). 105 Seit­en. ISBN 978–3‑96233–075‑0.
  • Philipp Hübl: Bull­shit-Resistenz. 2. Auflage. Berlin: Nico­lai 2019 (Tugen­den für das 21. Jahrhun­dert). 109 154 Seit­en. ISBN 978–3‑96476–009‑8.

Ins Netz gegangen (12.10.)

Ins Netz gegan­gen am 12.10.:

  • Lit­er­atur-Nobel­preis: Georg Diez über Patrick Modi­ano und Lutz Seil­er — SPIEGEL ONLINE — georg diez hadert mit dem “ästhetis­chen und strukurellen kon­ser­vatismus der buch­branche”:

    Das ist der Hin­ter­grund, vor dem der ästhetis­che Kon­ser­vatismus eines Romans wie “Kru­so” zele­bri­ert wird und erk­lär­bar wird: der dig­i­tale, wirtschaftliche, möglicher­weise auch poli­tis­che Epochen­bruch. Dieser Roman, der Roman an sich, so wie er ger­ade definiert wird, ist damit vor allem eine Schutzbe­haup­tung der Erin­nerung.

  • Peter Kurzeck: Der Mann, der immer gear­beit­et hat — der stroem­feld-ver­lag wird/will wohl alles, was kurzeck hin­ter­lassen hat, zu geld machen. bei einem autor, der der­maßen fast man­isch kor­rigierte und verbesserte bis zum schluss, halte ich frag­ment-aus­gaben ja nur für mäßig sin­nvoll (und es ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug kurzeck zu lesen …). aber trotz­dem freue ich mich und bin ges­pan­nt, was da noch kommt in den näch­sten jahren

    Und dann sind da noch die Notizzettel, die Kurzeck zu Mate­ri­al­samm­lun­gen zusam­mengestellt hat, mit Titeln wie „Staufen­berg II“ und „Staufen­berg III“. Sie dien­ten ihm zur Arbeit an „Kein Früh­ling“ und „Vor­abend“, zeigen aber auch, dass „Ein Som­mer, der bleibt“, das erste der erfol­gre­ichen Erzähl-Hör­büch­er, die Kurzeck seit 2007 ein­sprach, schriftliche Vorstufen gehabt hat. Mit­ten­drin ein Notizzettel, der wie der Anfang von allem anmutet: „Das Dorf ste­ht auf einem Basalt­felsen eh + je. Jet­zt soll es das Dorf wer­den (sein) + liegt unerr­e­ich­bar im Jahr 1947, im Abend.“ Unerr­e­ich­bar. Das Ver­gan­gene wieder erre­ich­bar zu machen, hat Kurzeck bis zulet­zt ver­sucht. Losse erin­nert sich an eine Bemerkung des Autors im Frank­furter Kranken­haus: „Wir hät­ten noch mehr arbeit­en müssen.“ An der Präsen­ta­tion dessen, was fer­tig gewor­den ist, arbeit­et Kurzecks Ver­lag.

  • Schat­ten­bib­lio­theken: Pira­terie oder Notwendigkeit? — sehr span­nend: In gewalti­gen, frei zugänglichen Online-Daten­banken ver­bre­it­en anonyme Betreiber wis­senschaftliche Lit­er­atur, ohne Beach­tung des Urhe­ber­recht­es. Doch die dig­i­tal­en Samm­lun­gen sind nicht nur Pira­terie, sie weisen auch auf große Ver­säum­nisse der Wis­senschaftsver­lage hin – sagt der ungarische Pira­terie-Forsch­er Balázs Bodó. Im Inter­view mit der Jour­nal­istin Miri­am Ruhen­stroth erk­lärt er, wieso die Schat­ten­bib­lio­theken in Ost- und Mit­teluropa so gefragt sind und wie das Prob­lem zu lösen wäre.
  • Mar­i­hua­na: Die selt­same Ver­fol­gung der nüchter­nen Kif­fer | ZEIT ONLINE -

    Wer kifft, gefährdet den Straßen­verkehr. Auch ohne Rausch, jed­erzeit. Das glauben zumin­d­est Behör­den. Sie entziehen selb­st nüchter­nen Taxikun­den den Führerschein. […] Behör­den haben anscheinend Gefall­en daran gefun­den, über den Umweg des Ver­wal­tungsrechts, eigen­mächtig ein biss­chen für Ord­nung unter Cannabis-Kon­sumenten zu sor­gen.

  • xkcd: The Sake of Argu­ment — xkcd über’s Argu­men­tieren: The Sake of Argu­ment
  • Adobe is Spy­ing on Users, Col­lect­ing Data on Their eBook Libraries — The Dig­i­tal Read­er — adobe spi­oniert mit dig­i­tal edi­tions 4 die nutzer aus: im klar­text (!) wer­den nicht nurin de4 geöffnete büch­er mit ihren meta­dat­en und denen der leserin über­tra­gen, son­dern de4 durch­sucht auch ohne sich das genehmi­gen zu lassen den gesamten com­put­er nach irgendwelchen ebooks (auch solchen, die nicht in de4 benutzt wer­den), um deren dat­en eben­falls an adobe zu senden. grausam.
  • Ego­is­tis­che Zweisamkeit: Ersatzre­li­gion Liebe — Men­schen — FAZ — markus gün­ther über die “ersatzre­li­gion liebe”, die sich in let­zter zeit immer mehr aus­bre­it­et (und abso­lut set­zt):

    Zu den Kol­lat­er­alschä­den der Ersatzre­li­gion Liebe gehören aber auch die vie­len Men­schen, die allein sind. Ihr Leben wird als defiz­itär wahrgenom­men. Man ver­mutet, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Dass jemand frei­willig einen anderen als den Weg in die Part­ner­schaft geht, ist schlech­ter­d­ings unver­ständlich. Dass jemand einen geeigneten Part­ner nicht gefun­den hat, gilt als sein ganz per­sön­lich­es Ver­sagen. So oder so, er hat von sein­er Umwelt besten­falls Mitleid zu erwarten.
    […] Ist der Mythos Liebe nicht wenig­stens dafür gut, den Men­schen aus seinem Ego­is­mus her­auszuführen? Ist die Sehn­sucht nach Part­ner­schaft nicht immer noch bess­er als die Selb­st­sucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur schein­bar eine Über­win­dung der eige­nen Gren­zen. In Wahrheit han­delt es sich um eine Fort­set­zung der Ich-Bezo­gen­heit mit anderen Mit­teln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wun­sch zu lieben, son­dern der, geliebt zu wer­den.

  • Deutsch­er His­torik­ertag: Die These vom Son­der­weg war ja selb­st ein­er — jür­gen kaube berichtet sehr lau­nig, pointiert (und mit gemeinen, natür­lich abso­lut fehlgeleit­eten seit­en­hieben gegen die ger­man­is­tik …) vom göt­tinger his­torik­ertag:

    Man kann ver­mut­lich lange warten, bis zum ersten Mal ein Banki­er, eine Schrift­stel­lerin oder ein Aus­län­der den His­torik­ertag eröffnet.

    Wäre es nicht an der Zeit, ein­mal zum The­ma „Ver­gan­gen­heit“ zu tagen?

    Eine sin­nvolle Ein­heit dessen, was die His­torik­er tun, die sich durch alle ihre Forschun­gen zöge, gibt es nicht. Und wenn die Göt­tinger Stich­probe nicht täuschte, dann gibt es nicht ein­mal Hauptlin­ien oder Trends.

  • Wilder Kaiser extreme on Vimeo — wohl das ver­rück­teste video, das ich in let­zter zeit sah (fahrrad­fahren kann man diesen stunt allerd­ings kaum noch nen­nen. und vernün­ftig ist natür­lich auch etwas ganz anderes …)
  • Auswüchse des Regi­ethe­aters: Oper der Beliebigkeit­en — Bühne Nachricht­en — NZZ.ch — der musik­wis­senschaftler lau­renz lüt­teken rech­net mit dem regi­ethe­ater aktueller prä­gung auf der opern­bühne ab:

    Denn die landläu­fige Behaup­tung, dass man etwas heute «so» nicht mehr machen könne, ist nicht nur tele­ol­o­gis­ch­er Unfug, sie ist überdies unlauter. In den Opern­häusern regiert näm­lich ein unange­focht­en­er Kanon, der weitaus fes­ter zemen­tiert ist als noch vor fün­fzig Jahren. So spricht gewiss nichts dage­gen, den Anteil neuer Werke zu erhöhen, aber es ist mehr als frag­würdig, die alten Werke mit immer neuen Bildern ver­meintlich «mod­ern» zu machen und sich damit behaglich im Kanon einzuricht­en. Zudem hat der Mod­erne-Begriff, der hier bedi­ent wird – das «Ver­störende», «Provozierende», «Bestürzende» –, inzwis­chen selb­st so viel Pati­na ange­set­zt, dass man ihn get­rost in die Geschichte ent­lassen sollte.

    ich bin dur­chaus geneigt, ihm da zumin­d­est in teilen zuzus­tim­men: die regie hat sich oft genug verselb­ständigt (auch wenn ich eine tota­l­ablehnung, die ich bei ihm zwis­chen den zeilen lese, nicht befür­worte). dage­gen führt er an:

    Die his­torische Ver­ant­wor­tung im Umgang mit Tex­ten der Ver­gan­gen­heit ist nichts Ent­behrlich­es, sie ist auch nicht, wie so oft behauptet, ein Relikt alt­modis­chen Philolo­gen­tums, zumal das Argu­ment für die Musik nicht gel­tend gemacht wird. Was aber nützt eine kri­tis­che Aus­gabe des «Don Gio­van­ni», wenn die Szener­ie kurz­er­hand (wie in Linz) von Sex and Crime der Pop-Stars erzählt? Texte, Par­ti­turen der Ver­gan­gen­heit bedür­fen vielmehr ein­er beson­deren Sen­si­bil­ität, denn erst, wenn es gelingt, im Ver­gan­genen das Gegen­wär­tige aufzus­püren (statt die Gegen­wart dem His­torischen ein­fach nur überzustülpen), kann sich der Rang eines Kunst­werks, auch eines musikalis­chen Büh­nenkunst­werks, bewähren.

    sein argu­ment übri­gens, statt immer wieder das selbe neu aufzufrischen öfters mal neues zu spie­len, würde ich unbe­d­ingt gerne ver­wirk­licht sehen — ich ver­ste­he die reper­toire-fix­ierung der oper eh’ nicht so ganz (die ja auch gewis­ser­maßen unhis­torisch ist — “die ent­führung aus dem serail” beispiel­sweise war kaum dazu gedacht, heute noch aufge­führt zu wer­den …)

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