Das ist ein wun­der­ba­res net­tes klei­nes Buch, die­ser Welt­mül­ler von Frank Fischer.1 Der hat sich ja – zumb Bei­spiel in der eben­falls amü­san­ten „Zer­stö­rung der Leip­zi­ger Stadt­bi­blio­thek im Jahr 2003“ – schon öfters an kon­tra­fak­ti­schen Repor­ta­gen ver­sucht. Das ist nicht unbe­dingt wahn­sin­nig gehalt­voll und tief­schür­fend, aber hoch­tra­bend unter­halt­sam. Dass wahr­schein­lich kein Publi­kum der Welt den „Ham­let“ so genau kennt, dass es genau fol­gen kann, wenn statt Men­schen Hun­de auf der Büh­ne ste­hen und ent­spre­chend kein ein­zi­ges Wort gespro­chen wird – geschenkt. Dass Godot in einer bahn­bre­chen­den Insze­nie­rung zwar mit „dem bes­ten deutsch­spra­chi­gen“ Schau­spie­ler besetzt wird, aber natur­ge­mäß nicht auf­taucht, nicht ein­mal zum Schluss­ap­plaus, ist natür­lich an sich eine blas­se Poin­te. Aber dar­um allei­ne geht es Fischer ja nicht. Son­dern um die Mit­tel und Mög­lich­kei­ten, sol­che (Nicht-)Ereignisse des Kul­tur­le­bens zu beschrei­ben. Und das kann er rich­tig gut – ein­fach prä­zi­se unter­hal­tend näm­lich, in einer genau durch­ge­führ­ten Stil­par­odie. Mehr ist das gan­ze Büch­lein auch kaum. Aber das ist ja schon nicht wenig.

Der Witz bei den Erzäh­lun­gen hier ist natür­lich, dass sie zwar einer­seits absurd erschei­nen, ande­rer­seits als (fast?) rea­lis­tisch gel­ten müs­sen: Ohne Pro­ble­me kann man sich eine Godot-Insze­nie­rung vor­stel­len, bei der ein Godot besetzt wird. Selbst­ver­ständ­lich liegt es nicht außer­halb des Mög­li­chen, das ein Kunst­werk qua­si im Moment des Ent­ste­hens ver­waist, weil sein vor­geb­li­cher Schöp­fer jede Betei­li­gung leug­net und so eine „seman­ti­sche Zeit­bom­be“ im öffent­li­chen Raum hin­ter­lässt – denn wenn nicht bekannt ist, wer das Kunst­werk (das spricht dem Pro­jekt übri­gens bei Fischer fast nie­mand ab) geschaf­fen hat, ist es auch nicht deut­bar.2 Schließ­lich muss der ima­gi­nä­re Jour­na­list Fischers resü­mie­ren: „Man lässt das Werk nun doch ein­fach gewäh­ren.“ (81)

Das Chan­gie­ren zwi­schen unse­rer „Rea­li­tät“ und kon­tra­fak­ti­schen Situa­tio­nen, denk­ba­ren Ereig­nis­sen in mög­li­chen Wel­ten zieht sei­nen Witz genau dar­aus, dass nicht immer auf den ers­ten Blick erkenn­bar ist, was Rea­li­tät ist oder sein kann und was nur eine mög­li­che Vor­stel­lung dar­stellt. Wer außer­dem noch Freu­de an Meta­spiel­chen (aber ganz unauf­ge­regt, ohne gro­ßes Theo­re­ti­sie­ren) und Schlüs­sel­er­zäh­lun­gen aus dem Kul­tur­be­trieb hat und sich an den vor­ge­führ­ten Hohl­hei­ten von man­nig­fal­ti­gen Wort­hül­sen aus die­sem Sek­tor delek­tie­ren kann, der wird hier sicher­lich eine oder zwei ver­gnüg­li­che Stun­den haben (übri­gens gibt es „Welt­mül­ler“ auch als preis­wer­tes E‑Book).

Frank Fischer: Welt­mül­ler. Ber­lin: Sukul­tur 2012. 120 Sei­ten. ISBN 978−3−941592−32−2.

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  1. Auf­merk­sam gewor­den bin ich dar­auf im „Text & Blog“-Blog (hier), dann auch beim Begleit­schrei­ben: klick.
  2. das ist natür­lich Quatsch … – aber weit ver­brei­ter Blöd­sinn und des­halb hier glaub­wür­dig