Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: festspiele

spinnennetz vor natur

Ins Netz gegangen (19.7.)

Ins Netz gegan­gen am 19.7.:

  • Eine Welt jen­seits von Face­book: Auf der Suche nach Alter­na­tiv­en zum dig­i­tal­en Kap­i­tal­is­mus | Berlin­er Gazette → geert lovink über soziale net­zw­erke, offene net­ze und alter­na­tiv­en …
  • Das Luther­jahr sollte ein großer Erfolg wer­den, doch die Besuch­er bleiben aus | FAZ → der faz ist aufge­fall­en, dass zwis­chen pla­nung und wirk­lichkeit der besuch­er­ströme ein unter­schied beste­ht — luther alleine scheint nicht über­all die massen zu lock­en (da er aber ja über­all ist, sind es wohl doch recht viele …)
  • “Es ist eine andere Welt gewor­den” | Zeit → inter­es­santes inter­view — ger­ade in sein­er rel­a­tiv­en unspek­takulärtheit — mit markus hin­ter­häuser, dem inten­dan­ten der salzburg­er fest­spiele
  • Die falschen Ver­heißun­gen der E‑Mobilität | Blät­ter für deutsche und inter­na­tionale Poli­tik → über die notwendigkeit ein­er mobil­itärs-rev­o­lu­tion — die wende vom ver­bren­nungs- zum e‑motor reicht da näm­lich bei weit­em nicht aus …

    Es bedarf nicht primär ein­er tech­nol­o­gis­chen Erneuerung des beste­hen­den autodo­minierten Indi­vid­u­alverkehrs, son­dern ein­er umfassenden Mobil­itätswende. Deren Ziel muss sein, den öffentlichen und schienenge­bun­de­nen Verkehr zu stärken, die Fahrrad­in­fra­struk­tur auszubauen und das Verkehrsaufkom­men radikal zu ver­ringern – und zwar auf den Straßen und in der Luft. Die fos­silen Antrieb­sag­gre­gate müssen zum Aus­lauf­mod­ell wer­den und nur der unbe­d­ingt nötige Bedarf an indi­vidu­ellen Auto­mo­bilen sollte auf eine elek­trische Basis gestellt wer­den. Nur auf diese Weise kön­nten die gegen­wär­ti­gen Ansätze ein­er Verkehr­swende zu ein­er umfassenden Mobil­itätswende weit­er­en­twick­elt wer­den. […] Let­ztlich brauchen wir eher eine Rev­o­lu­tion als eine Wende: Wir müssen das Auto­mo­bil als zen­trales Sym­bol für Fortschritt und sozialen Sta­tus wie auch für indi­vidu­elle Frei­heit ent­thro­nen – auf der Straße, aber auch in unseren Köpfen.

  • In guter Ord­nung, aber schlechter Ver­fas­sung | FAZ → michael knoche weist in darauf hin, dass deutsch­land sein kul­turelles erbe der (gedruck­ten) büch­er seit langem arg ver­nach­läs­sigt … (auch in der faz darf man also für die dig­i­tal­isierung sein ;-) …)

    Wis­senschaft und Gesellschaft brauchen bei­des, das Orig­i­nal und das Dig­i­tal­isat. Aber wed­er mit der Bewahrung der Orig­i­nale noch mit der Dig­i­tal­isierung der his­torischen Buchbestände geht es in Deutsch­land recht voran. Dabei müsste die Sicherung der schriftlichen Über­liefer­ung auf der kul­tur­poli­tis­chen Agen­da ganz oben ste­hen. Ziel müsste sein, das Gros der alten Bestände in Bib­lio­theken und Archiv­en zugle­ich zu erhal­ten und dig­i­tal ver­füg­bar zu machen, natür­lich in klug abges­timmter Weise.

    Bei­de Aspek­te ließen sich fabel­haft miteinan­der kom­binieren, wenn entsprechende För­der­mit­tel zur Ver­fü­gung stün­den: Was dig­i­tal­isiert wird, sollte zugle­ich kon­ser­va­torisch gesichert wer­den. Was gesichert ist, wird auch dig­i­tal­isiert. Das Prinzip lautet: Kon­ver­sion nicht ohne Kon­servierung.

  • Mys­tery of Greek Amphitheater’s Amaz­ing Sound Final­ly Solved | Live Sci­ence → wieder ein rät­sel gelöst: die phänom­e­nale akustik des the­aters von epi­dau­ros liegt an den mate­ri­alien …

Bayreuth-Notizen 2016

Eine ganze Woche war ich dieses Jahr in Bayreuth bei den Bayreuther Fest­spie­len. Eine volle Ladung Wag­n­er also: Den kom­plet­ten Ring und den Par­si­fal kon­nte ich sehen und hören, dazu noch die Vil­la Wah­n­fried und das dor­tige Richard-Wag­n­er-Muse­um. Damit ist mein Bedarf fürs Erste mal wieder gedeckt …

Aber es war eine tolle Erfahrung, nach mein­er bish­eri­gen ein­ma­li­gen Stip­pvis­ite (wo ich nur zu ein­er Vorstel­lung kam und direkt danach in der Nacht wieder nach Hause fuhr) mal die Fest­spiele so richtig zu erleben. Naja, was eben so richtig heißt … Bei mir hieß das: An- und Abreise mit dem Zug (hin hat das wun­der­bar rei­bungs­los geklappt, zurück war lei­der der erste Zug ab Bayreuth so ver­spätet, dass ich meine Anschlüsse nicht mehr schaffte), Über­nach­tun­gen in der Jugend­her­berge, die Fest­spiel­haus­be­suche ver­gle­ich­sweise under­dressed (keine klas­sis­che Abendgarder­obe …), dafür aber auch ver­gle­ich­sweise bil­lige Plätze im Balkon.

Der Aufen­thalt in der Jugend­her­berge, die nicht mehr ganz heuti­gen Ansprüchen entspricht (etwa: keine Schränke im Zim­mer, nur Spinde auf dem Flur; eine Dusche pro Flur für ca. 30 Bet­ten …), deren Nach­fol­ger direkt nebe­nan aber schon in Bau ist und im näch­sten Früh­jahr in Betrieb gehen soll, hat­te zwar kleinere Kom­fortein­bußen zur Folge, aber dafür einen großen Vorteil: Ich traf gle­ich dort einige andere Wag­ne­r­i­an­er. Genauer gesagt: Einen Englän­der, einen Japan­er, einen Russen und einen Lux­em­burg­er, die (fast) alle im Gegen­satz zu mir wesentlich überzeugtere Wag­ne­r­i­an­er (und Lieb­haber der Oper des 19. Jahrhun­derts über­haupt) waren. Die kos­mopoli­tis­che Zusam­menset­zung unseres kleinen Trup­ps führte dazu, dass ich zwar Werke des vielle­icht deutschesten aller deutschen Kom­pon­is­ten hörte und sah, son­st aber nahezu auss­chließlich englisch redete (und zum Schluss auch schon dachte). Eine sehr inter­es­sante und sehr bere­ich­ernde Erfahrung war es auf jeden Fall.

Aber zur Haupt­sache: Der Ring also. Die Insze­nierung von Frank Cas­torf hat ja nun schon einige Jahre auf dem Buck­el. Beliebter gewor­den ist sie dadurch beim Bayreuther Pub­likum nicht ger­ade. Das ist auch nicht nur Reflex und Faul­heit, son­dern liegt — ver­mute ich — zumin­d­est teil­weise an der Insze­nierung selb­st. Cas­torf hat näm­lich, kön­nte man sagen, ein­fach seine bewährte The­ater­meth­ode der Drama­tisierung großer Romane auf den Ring des Nibelun­gen ange­wandt. Das funk­tion­iert aber nur so halb­wegs, es kracht an allen Eck­en und Enden. Zum einen hat er für mich keine Idee, was der gesamte Ring eigentlich soll und (bedeuten) will. Zumin­d­est keine erkennbar. Ja, es gibt das Motiv des Öls, das irgend­wie das neue Rhein­gold ist (ger­ade im Rhein­gold_wird das recht stark gemacht). Aber das bleibt eine Idee unter vie­len, die nicht kon­se­quent umge­set­zt ist und in der Göt­ter­däm­merung nur noch eine ferne Erin­nerung ist. (Zumal ist die Idee auch zwanzig bis vierzig Jahre zu spät — heute ist Öl ja nicht (mehr) unbe­d­ingt das wertvoll­ste, da sind Dat­en inzwis­chen viel wichtiger …)

Mein Prob­lem mit der Cas­torf-Insze­nierung als Ganz­er war aber — neben vie­len, vie­len Details, die mir ver­schlossen blieben — ein Grund­sät­zlich­es: Mir scheint, Cas­torf hat nicht das Musik­the­ater­w­erk insze­niert, son­dern den Text gele­sen und damit gear­beit­et. Zwis­chen Musik und Bühne gibt es eigentlich kein­er­lei Verbindung (dass der Diri­gent Marke Janows­ki die Insze­nierung für Unsinn hält, mag da mit eine Rolle spie­len). Vor allem aber passt meines Eracht­ens das The­aterkonzept Cas­torfs (das an sich dur­chaus sehr inter­es­sant ist!) nicht zum Wag­n­er­schen Musik­the­ater. Die Büh­nen­bilder, die Aktio­nen und vor allem die Videos, die nicht nur Live-Über­tra­gun­gen des Büh­nengeschehens, son­dern auch vor­fab­rizierte Ein­spiel­er sind, dazu das Orch­ester, die Sänger und Sän­gerin­nen und der Text: Das alles auf ein­mal lässt sich nicht ver­ar­beit­en, geschweige denn deu­tend entschlüs­seln. Ich befand mit im per­ma­nen­ten Über­forderungsmodus, der Über­fluss an Zeichen und Bedeu­tun­gen führte zur Kapit­u­la­tion …

So span­nend das in eini­gen Momenten ist, so großar­tig die Büh­nen­bilder sind — so richtig aufnehmen und genießen kon­nte ich das nicht. Zumin­d­est nicht beim ersten Sehen und Hören. Das Hören war lei­der auch nicht eines, das mich zu absoluten Begeis­terungstür­men hin­risse. Ja, die Qual­ität aller Beteiligten ist hoch. Aber Janowskis Diri­gat zün­dete für mich nicht so richtig toll. Das lag zum einen an der bere­its ange­sproch­enen Diver­genz zwis­chen Bühne und Musik, zum anderen an einem selt­samen Phänomen: An jedem Abend begann Janows­ki recht schwach, steigerte sich aber zum Schluss hin regelmäßig. Und vielle­icht auch vom Rhein­gold zur Göt­ter­däm­merung hin noch ein­mal. Am stärk­sten ist es mir im Siegfried aufge­fall­en: Der Anfang bis unge­fähr zur Mitte des zweit­en Aktes klang sehr nach über­legter, fein­er, um Details und vor­sichtig-zurückgenommene Fein­heit und Bal­ance bemühter Orch­ester­ar­beit, die es auch den Sängern sehr leicht machen wollte. Irgend­wann schien er aber davon genug zu haben und gab sich der Emo­tion­al­ität und der Über­wäl­ti­gungskraft der Wag­n­er­schen Musik hin, als hätte er sich gesagt: Na gut, dann lasst uns halt mal Spaß haben …

Der Par­si­fal dage­gen, die diesjährige Neuin­sze­nierung des Wies­baden­er Inten­dan­ten Uwe-Eric Laufen­berg, war ein ganz anderes Erleb­nis. Musikalisch ließ er, das heißt vor allem: der einge­sprun­gene Diri­gent Hart­mut Haenchen, (fast) nichts zu wün­schen übrig, das war eine aus­ge­sprochen strin­gente, (auch zügige), gut entwick­elte und span­nende Arbeit, die er und das Orch­ester abliefer­ten. Zumal die vokale Beset­zung auch aus­ge­sprochen fein war: Der wirk­lich run­dum großar­tige, wun­der­bare, her­rliche Georg Zep­pen­feld als Gurne­manz, der sehr gute, jugendlich-starke Klaus Flo­ri­an Vogt als Par­si­fal und eben­falls auf höch­stem Niveau begeis­ternde Kundry von Ele­na Pankra­to­va.

Die Insze­nierung Laufen­bergs hat mich, wenn ich es auf einen Punkt brin­gen müsste, eher gelang­weilt — weil sie mich kaum her­aus­ge­fordert hat, son­dern eher zu deut­lich und zu plaka­tiv ihre Posi­tio­nen zeigte. Laufen­berg hat ja im Vor­feld kaum eine Gele­gen­heit aus­ge­lassen, allen zu verkün­den, wie großar­tig sein Konzept sei. Das beste­ht im Grunde aus der Idee, der Par­si­fal sei eine Kri­tik aller Reli­gio­nen. Das ist natür­lich so ein­fach Unsinn und führte zu eini­gen kuriosen Szenen auf der Bühne. Vor allem passierte auf der Bühne aber immer wieder das: Laufen­berg, so nahm ich es wahr, hat­te eine Idee für ein schönes Bild, ein Tableau. Dann hat er das etwas poli­tisch-reli­gion­skri­tisch aufge­laden. Und fer­tig ist die Par­si­fal-Insze­nierung (ok, das ist jet­zt etwas arg polemisch). Aber so manch­es Geschehen kon­nte ich mir nur so erk­lären. Und so manch­es wird unfass­bar plaka­tiv und kitschig. Und so manch­es wird unpassend, scheint mir mit der Par­ti­tur Wag­n­ers nicht in Ein­klang zu brin­gen. Das ist ja über­haupt ein Prob­lem, das mich zunehmend beschäftigt: Die Musik­er wer­den, was die Beschäf­ti­gung mit und Ausle­gung der Par­ti­turen ange­ht, immer kri­tis­ch­er und feinsin­niger — Haenchen zum Beispiel legte wohl viel Wert auf die unter­schiedlichen Aus­prä­gun­gen der Artiku­la­tion­sze­ichen wie Punkt, Strich oder Keil bei Wag­n­er. Die Bühne dage­gen nimmt sich immer mehr Frei­heit­en, erzählt ja oft eine ganz andere Geschichte, die nur noch punk­tuelle Über­schnei­dun­gen mit der Par­ti­tur hab. Das soll jet­zt keineswegs eine Ablehnung des Regi­ethe­aters sein, es ist nur ein Dilem­ma, aus dem ich kaum eine Lösung sehe …

Was noch?
Die Fes­ti­val-Atmo­sphäre ist in Bayreuth schon ziem­lich inter­es­sant. In der Stadt (die übri­gens nicht sehr groß, aber sehr hüb­sch ist) selb­st merkt man recht wenig von den Fest­spie­len. Auf dem grü­nen Hügel ist das natür­lich anders. Zum einen kom­men recht viele Besuch­er ziem­lich früh. Dann hat man in Bayreuth immer die Karten­such­er (für den Ring gab es immer prob­lem­los noch Karten zu ergat­tern, für den Par­si­fal war es fast unmöglich) und einen Schwarz­mark­thändler. Und das Pub­likum ist etwas kos­mopoli­tis­ch­er, etwas (nun ja, ziem­lich viel) formeller gek­lei­det als in den meis­ten deutschen The­atern.

Der Zaun (und auch wenn alle Medi­en etwas anderes behaupten): Das Fest­spiel­haus ist nicht eingezäunt gewe­sen. Lediglich die BÜhnene­ingänge waren davon betrof­fen. Und natür­lich war das “Sicher­heit­skonzept”, wie das heute so schön heißt, noch zu spüren. Von Konzept kann man allerd­ings kaum sprechen. Gut, der Sicher­heits­di­enst wachte ziem­lich genau darüber, dass nur Men­schen mit jew­eiliger Tage­sein­trittskarte Zugang zum Gebäude hat­ten. Die erhöhte Polizeipräsenz (da war sie ja schon immer, sie hat ja sog­ar eine eigene tem­poräre Wache in unmit­tel­bar­er Nach­barschaft) war aber in meinen Augen eher Augen­wis­cherei. An jedem Abend funk­tion­ierte das näm­lich anders: Manch­mal standen an den Aufgän­gen zwei oder drei Polizis­ten und schaut­en, manch­mal waren am über­dacht­en Gang vor dem Karten­büro noch einzelne Posten aufgestellt, manch­mal hat­ten sie Schutzwest­en, manch­mal nicht, bei der Göt­ter­däm­merung kon­trol­lierten sie plöt­zlich (ohne dass es, nach ihrer Aus­sage, einen speziellen Anlass gab) auch alle Hand­taschen der Damen am Beginn des Fes­ti­val­gelän­des — mir scheint, die Strenge der Kon­trolle unter­schied sich vor allem nach dien­sthaben­der Polizeiführungskraft erhe­blich. Aber sei’s drum, ein Gutes hat­te das ganze Bohei auf jeden Fall: Erst­mals gab es eine Gepäck­auf­be­wahrung, bei der man bequem seine Tasche mit Verpfle­gung für die lan­gen Abende deponieren kon­nte …

Ach ja, die Sitz­plätze in Bayreuth. Ich war durch­weg im Balkon. Für den Ring hat­te ich Karten in der fün­ften Rei­he — die Bayreuth-Ken­ner wis­sen, dass das keine nor­malen Sitz­plätze mehr sind, son­dern in Nis­chen nach hin­ten ver­steck­ten Sitze. Da wird es schön warm und stick­ig und die eigentlich aus­geze­ich­nete Akustik des Fest­spiel­haus­es wird doch auch etwas gedämpft, mit etwas Pech hat man auch noch eine Säule im Blick­feld. Zum Glück kon­nte ich aber für Siegfried und Göt­ter­däm­merung einige Rei­hen nach vorne rück­en, weil Plätze frei blieben — das war eine deut­liche Verbesserung der Akustik und des Kom­forts. Das lässt sich Bayreuth aber auch immer gut bezahlen, denn es gibt zwar bil­lige Plätze, aber sowie Sicht und Akustik etwas bess­er wer­den, steigen die Preise sehr schnell recht steil nach oben. Und für den Ring braucht man eben immer gle­ich vier Karten …

(Und natür­lich habe ich wieder mal keine Fotos gemacht …)

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