Ger­ade erschienen und schon wegge­le­sen: Das “Lob der Kopie”, das Dirk von Gehlen unter dem Titel “Mashup” geschrieben hat.
Worum geht’s? Eigentlich sagen die bei­den Titel schon das wesentliche: von Gehlen geht es darum, der Kopie zu ihrem Recht zu ver­helfen. Er will zeigen, dass die Kopie nicht zwangsläu­fig etwas min­der­w­er­tiges, etwas weniger wertvolles sein muss/ist als das Orig­i­nal. Inspiri­ert ist das natür­lich wesentlich von der Erfahrung der Möglichkeit der Dig­i­tal­isierung, die die Kopie ja nicht nur iden­tisch macht, son­dern das “Orig­i­nal” auch unbeein­trächtigt lässt, ihm nichts “weg­n­immt” (weswe­gen es, abge­se­hen von den juris­tis­chen Aspek­ten, eine dig­i­tale “Raubkopie” ja nicht geben kann).

Das ist ein unge­heuer mate­ri­algesät­tigtes Büch­lein gewor­den: Dirk von Gehlen, im wahren Leben Leit­er der Jetzt.de-Redak­tion der Süd­deutschen, hat ganz fleißig recher­chiert und gele­sen — und er lässt den Leser an seinen Forschungs­frücht­en teil­haben. Wer also irgend welche Infor­ma­tio­nen zu irgend einem Aspekt der Kopie sucht, sollte hier ziem­lich sich­er einige Hin­weise find­en. Schade nur, dass Suhrkamp (oder von Gehlen?) auf ein lit­er­aturverze­ich­nis verzichtet haben — bei der Fülle der ver­wen­de­ten Quellen hätte ich das sehr hil­fre­ich gefun­den.

Der entschei­dende Punkt, warum Kopi­en zu loben sind, ist — trotz des Hin­ter­grund des dig­i­tal turns — ein alter: Kreativ­ität etc. ist nur mit der Ver­wen­dung anderen Mate­ri­als möglich. Das ist ein ganz alter Gedanke, der mehr oder weniger par­al­lel zur Etablierung der Orig­i­nal­ität in der Frühen Neuzeit auch schon gedacht und for­muliert wurde, von Gehlen weist auf einige Fund­stellen hin. Auch Goethe wird in diesem Zusam­men­hang mehrfach zitiert — genau wie diverse Pop­musik­er und viele andere “Kreative” aus vie­len Zeit­en. Dieses “Mashup”, das ver­ar­bei­t­ende Benutzen (frem­den) Mate­ri­als, ist natür­lich nicht nur auf Kun­st oder Denken beschränkt — auch im Fußball z.B. kann man das beobacht­en (das liefert den Ein­stieg in das Lob der Kopie: Das von Mes­si kopierte Maradona-Tor).

Von Gehlen selb­st beschreibt das Ziel dieses Buch­es so:

Über die beste­hende Strate­gie der tech­nis­chen und juris­tis­chen Erschwerung und Ver­hin­derung des Kopierens hin­aus will ich ein­er­seits die Chan­cen des tech­nol­o­gis­chen Fortschritts aufziegen und vor allem die Gefahren benen­nen, die die bish­erige Krim­i­nal­isierungsstrate­gie mit sich bringt. Wer die Kopie ein­seit­ig ver­dammt, greift damit die Grund­la­gen unser­er Kul­tur an. (15, Her­vorhe­bung von mir)

- das ist doch mal eine Ansage.

Er tut dies in eigentlich fünf Schrit­ten: Von der “Krise des Orig­i­nals” über das “Gesetz der vagabundieren­den Kopie” bis zum abschließen­den “Plä­doy­er für einen neuen Begriff des Orig­i­nals”.
Das wesentliche Moment dabei ist, ich habe es ja bere­its erwäh­nt, zunächst das Lob der Kopie:

Das hier anges­timmte Lob der Kopie ist als alles andere als ein Abge­sang auf das Urhe­ber­recht und auch kein Plä­doy­er für die vergü­tungs­freie Nutzung kul­tureller Erzeug­nisse. Mir geht es nur darum zu beto­nen, dass es frucht­bar sein kann, sich von einem über­steigerten Orig­i­nal­be­griff zu lösen, die sprach­lichen Prob­leme mit dme Konzept des geisti­gen Eigen­tums zu benen­nen und darauf hinzuweisen, dass nur ein Urhe­ber­recht, das sich als Imma­te­ri­al­güter­recht ver­ste­ht und die Veräd­nerun­gen der Read-write-Soci­ety und des kopieren­den Ver­brauch­ers berück­sichtigt, seine gesellschaftliche Legit­i­ma­tion wieder erlan­gen und somit auch seine eigentliche Inten­tion erfüllen kann: Kreativ­ität zu fördern.” (123)

Diese und andere Über­legun­gen (und Beobach­tun­gen) führen von Gehlen dann eben dazu, einen neuen Begriff des Orig­i­nals vorzuschla­gen, der durch drei Aspek­te gekennze­ich­net ist: Das Orig­i­nal

ist kein binär zu unter­schei­den­dens solitäres Werk (1), son­dern ein in Bezüge und Ref­eren­zen ver­strick­ter Prozess (2), und seine skalierte Orig­i­nal­ität beruht immer auf Zuschrei­bun­gen und Kon­struk­tio­nen (3), die man mit ihm verbinden will.” (174)

Das ist, diese Volte sei hier noch erlaubt, auch nicht wahnsin­nig bahn­brechend und orig­inell, im Kern steckt das alles schon in der post­mod­er­nen The­o­rie und anderen (sozial­philosophis­chen) Über­legun­gen der let­zten Jahrzehnte. Es muss aber wohl mal so dezi­diert gesagt wer­den. Vor allem, weil das nicht nur eine rein the­o­retis­che Gedanken­spiel­erei ist:

Ich halte diese verän­derte Herange­hensweise nicht nur as intellek­tuellen oder kün­st­lerischen Grün­den für notwendig, son­dern aus poli­tis­chen. Denn […] ich ver­ste­he das Mashup als poli­tis­ches Instru­ment, als Form von “ulti­ma­tiv­er Demokratie, offen für unbe­gren­zte Kri­tik, Neu-Inter­pre­ta­tion und Weit­er­en­twick­lung”. (174, er zitiert hier Matt Mason)

Schade fand ich allerd­ings, dass nach dem mate­r­i­al- und zita­tre­ichen Ritt der Text hier fast abbricht und ger­ade die gen­uin poli­tis­che Kom­po­nente, ihre (Spreng-)Kraft und ihre (utopis­chen?) Möglichkeit­en nicht noch näher aus­führt.

Abgerun­det wird das Buch, das man fast als eine Art Werk­stat­tbuch oder Gedanken­jour­nal lesen kann, durch einige kurze Inter­views mit ein­schlägig bekan­nten und aktiv­en Per­so­n­en, eine Auflis­tung musikalis­ch­er Mashups (die auch vorher schon auf­tauchen und die im Blog Dirk von Gehlens (als Kopie) zu bestaunen sind) und schließlich einem super aus­führlichen Glos­sar — für all die, die noch nicht wis­sen, was A2K meint, was Retweet­en ist oder was die Cre­ative Com­mons vom Copy­left unter­schei­det (und noch vieles, vieles mehr).

Dirk von Gehlen: Mashup. Lob der Kopie. Berlin: Suhrkamp 2011. 233 Seit­en. ISBN 78–3‑518–12621‑9. 15,50 Euro.