Schade: Nach nicht einmal einer halben Stunde ist das Vergnügen schon wieder vorbei. Oder es beginnt von vorne. Denn Illuminate von OnAir, die dritte CD der jungen Berliner Gruppe, möchte man eigentlich gerne sofort noch einmal hören.
In den sechs Songs dreht es sich immer wieder um das Licht, das physische Licht der Sterne und das metaphorische der Erleuchtung. Schon der Beginn – eine der beiden Originalkompositionen neben vier Coversongs – setzt die Erleuchtung leicht und unbeschwert in einer eingängigen Hymne in Töne. Klar, das ist keine große Kunst — aber herrlich-perfekte Gute-Laune-Musik mit gut durchdachtem Arrangement und genau ausbalanciertem Klang.
Auch der Rest bleibt auf allerhöchstem Niveau. Denn so viel wird ganz schnell klar (viel Zeit ist ja auch nicht): die Präzision, mit der OnAir durch die Pop- und A‑cappella-Geschichte hüpfen, ist großartig. Noch besser ist aber, wie sie die komplexen und ausgefeilten Arrangements singen können: Das klingt stets locker, oft unbeschwert und vor allem immer musikalisch zwingend.
So kann man in „Sonne“, dem Rammstein-Cover, den schwachen Text leicht vergessen und stattdessen lieber den feinen Arrangement-Ideen nachhören. Wie OnAir die Sonne zwischen dumpf-dröhnendem Bass und Vocal Percussion im instrumental klingenden Satz und den darüber schwebenden melodischen Elementen, vorwiegend der beiden Frauen, aufscheinen lässt — das ist klasse.
„Stairway to Heaven“ beginnt dagegen sehr oldiemäßig, mit zeitgemäßem Rauschen und leichter Verzerrung — wunderbar, wie OnAir das in sein Arrangement einbaut und in eine großartige Steigerung zu einem energetisch pulsierenden Finale überführt. Überhaupt ist auf „Illuminate“ sehr bemerkenswert, wie sie jeden Song entwickeln, ihm ein eigenes Profil und einen neuen Klang geben. Da klingt wirklich jeder Song anders — anders als der vorangehende, aber auch anders als die Vorlage. Herbert Grönemeyers “Der Weg” zeigt das mit seinem zurückgenommenen, zerbrechlichem Arrangement ganz typisch: Hier klingen OnAir wohl am klassischsten, sehr offen und verletzlich. Und immer wieder hört man neue Details, die jede Strophe und jeden Refrain anders klingen lassen.
Dem Sextett gelingt es überhaupt scheinbar mühelos, auf knappem Raum sechs ganz verschiedene Klangbilder zu schaffen. Das verdankt OnAir nicht nur ihren Stimmkehlen, sondern auch dem gefühlvollen Einsatz der Tontechnik — auf der sehr abwechslungsreich klingenden CD macht sich wohl auch die Erfahrung von Bill Hare bemerkbar. Illuminate ist von der ersten bis zur letzten perfekten Note schimmernder und funkelnder Vocal-Pop, weil OnAir sowohl den druckvollen Breitwandsound (wie im abschließenden “Illuminated”) als auch den zarten Klang der kammermusikalisch gesetzten Ballade vollendet beherrscht. Nach den 25 Minuten kann man nur sagen: Das hat wirklich etwas von Erleuchtung.
OnAir: Illuminate. Heart of Berlin 2016. Spielzeit: 24:56.
(Zuerst erschienen in »Chorzeit – Das Vokalmagazin« No. 32, November 2016.)