Glückseligkeit und das Gegenteil

Sarah Buechi, Contradictions of Happiness (Cover)

Genau wie die bei­den Vorgänger­al­ben nimmt auch das hier mich sofort gefan­gen. Aber das viel Erstaunlichere: Ich bleibe fasziniert. Ger­ade auch nach wieder­holtem Hören: Die Poe­sie dieser Musik ver­liert ihre Kraft und ihre Wirkung für mich bish­er über­haupt nicht. Im Gegen­teil, das Gefall­en steigert sich sog­ar noch, weil feine Details offen­bar­er wer­den, als sie es beim anfänglichen Hören tun: denn Auf­fall­en ist nicht ger­ade das Ziel aller Musik­er dieser Auf­nahme. Um Buechi ver­sam­meln sich wieder aus­geze­ich­nete Mit­stre­it­er, die mit ihrer Stimme und ihren fein-melan­cholis­chen, klaren Lin­ien wun­der­bar har­monieren. An erster Stelle, wenn man denn über­haupt eine Rei­hen­folge auf­stellen möchte (ich bin mir da nicht so ganz sich­er), ste­ht wieder der wun­der­bare Pianist Ste­fan Aeby, den ich auch in anderen Zusam­men­hän­gen sehr schätze. Auch André Pousaz am Bass und Lionel Friedli am Schlag­w­erk sind inte­grale Teile dieses Ganzen, das sich nicht mehr in seine Teile auf­s­plit­ten lässt. Das ist es ger­ade, was mich hier bei jedem Hören wieder ein­fängt: Nicht nur die grundle­gende Stim­mung des Albums, son­dern die Übere­in­stim­mung, die Ein­stim­migkeit der vie­len Töne und Klänge in den fein­sten Nuan­cen der Stim­mungen und Har­monien. Wun­der­bar, ganz ein­fach. Einen nicht uner­he­lichen Anteil daran haben natür­lich auch die Kom­po­si­tio­nen, die alle (mit Aus­nahme eines Volk­sliedes) von Buechi selb­st stam­men. Und schließlich auch das Stre­ichtrio, das das bewährte Quar­tett zumin­d­est zeitweise ergänzt und dem ganzen einen Touch Klas­sik­er-Sta­tus ver­lei­ht.

Und allein “After we’ve kissed” wäre das Album schon wert gewe­sen: langsam sich entwick­el­nd und ent­fal­tend, aus dem inti­men kam­mer­musikalis­che Anfang bis zur wel­tumspan­nen­den Größe anwach­send, ohne den Kern aus den Augen und Ohren zu ver­lieren. Her­rlich. Damit kein falsch­er Ein­druck entste­ht: Das ist beileibe nicht alles Weltschmerz­musik, die san­ft vor sich hindüm­pelt. “Wheel of Temp­ta­tion” zum Beispiel hat dur­chaus ordentlich Punch. Aber das wird nie zum Selb­stzweck, son­dern hat in Kom­po­si­tion und Text seinen Grund.

Sarah Buechi: Con­tra­dic­tions of Hap­pi­ness. Intakt Records 2019. Intakt CD 299.

Orientierungslos im Eis

Jim Black, Malamute (Cover)

Mala­mute, benan­nt nach den offen­bar eher rast­losen und unkalkulier­baren Schlit­ten­hunde Alaskas (so ben­haupten es zumin­d­est die Lin­er Notes), ist ein passender Name für dieses Quar­tett von Jim Black: Sie wirkt etwas hyper­ak­tiv und ziel­los, ohne Grund und Boden will sie irgend­wie alles auf ein­mal sein. Da gibt es nettes fitzeliges Gefritzel vor allem vom Sam­pler & Key­board (Elias Stemeseder), schöne, weich-sen­ti­men­tale Sax­ophon-Lin­ien (Óskar Gud­jóns­son), einen grundieren­den Bass (Chris Tor­di­ni) und selb­stver­ständlich kun­stvoll-pow­er­volle Drums (Jim Black natür­lich).

Aber dann bleibt doch alles wie hin­ter einem Schleier, unter ein­er mat­ten Ober­fläche ver­bor­gen. Ja, Umbrüche und der häu­fige Wan­del machen die kurzen Stücke dur­chaus inter­es­sant — aber es bleibt in meinen Ohren eine ober­fläch­liche Inter­es­san­theit, eher ein Inter­esse am Neuen, ein Spiel mit der Abwech­slung. Aber hier höre ich nichts oder zumin­d­est zu wenig, was mich dauer­haft und nach­haltig faszinieren würde. Das ist mir zu geschmei­dig und zu wenig gehaltvoll: Die Ideen sprudeln schon ganz schön, aber sie find­en nicht so recht zueinan­der. Deshalb sind die meis­ten Stücke auch kurze Zwei-/Drei-Minüter: Dann sind die jew­eili­gen Ideen, Motive, Ein­fälle halt durch und es passiert nichts mehr. So ver­sanden die schö­nen Ideen und die immer wieder auf­flack­ernde Energie ver­pufft ein­fach ungenutz. Und das ist mir dann doch ein biss­chen wenig.

Jim Black: Mala­mute. Intakt Records 2017. Intakt CD 283.

Business as usual in Berlin

Angelika Niescier, The Berlin Concert (Cover)

Tja. Das ist guter, schön­er Post-Bop oder wie auch immer man das nen­nen mag. Und erstaunlich lang­weilig fand ich das. Klar, das ist natür­lich handw­erk­lich gut gemacht, das läuft wie geschmiert. Nicht nur das Sax­ophon von Ange­li­ka Niesci­er, auch Bass (Christo­pher Tor­di­ni) und Schlagzeug (Tyshawn Sorey) sind stets aufmerk­sam und agil dabei. Über­haupt ist das Zusam­men­spiel sehr dicht udn von gegen­seit­iger Aufmerk­samkeit und Reak­tions­freudigkeit geprägt. Man merkt, dass es ein konzen­tri­ertes Konz­ert war (aufgenom­men wurde das beim Jaz­zfest Berlin 2017). Das war’s dann aber auch schon, irgend­wie scheint mir das doch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, son­dern etwas alt­back­en. Vielle­icht ist mein Geschmack aber auch inzwis­chen zu ein­seit­ig oder zu ver­dor­ben. Was soll’s, mein Ding ist das jeden­falls nicht. Zumal auch der Klang der Auf­nahme mir etwas dumpf und undif­feren­ziert erschien.

Ange­li­ka Niesci­er, Christo­pher Tor­di­ni, Tyshawn Sorey: The Berlin Con­cert. Intakt Records 2018. Intakt CD 305.

Roter Teppich für Hörgenuss

Christof Mahnig & Die Abmahnung, Red Carpet (Cover)

Das ist nahezu unver­schämt cool: Schon die Trompete von Christof Mah­nig, die den Roten Tep­pich von Red Car­pet zuerst beschre­it­et, dann Schlagzeug und Bass auch seeehr laid back: Nur allmäh­lich set­zt sich aus den Split­tern etwas Größeres und sog­ar ein Ganzes zusam­men. Wenn man Klis­chee bemühen wollte, dann kön­nte man sagen: Sehr schweiz­erisch. Und zwar in der unaufgeregten Selb­st­ständigkeit, die dur­chaus hier und dort die Gren­ze zur Eigen­brötlerei über­schre­it­et, die sture Gelassen­heit — auch grandios dabei: Gitar­rist Lau­rent Méteau. Dazu noch das ver­spielte Aus­pro­bieren, das ganz unvor­sichtige Tas­ten, das Auf­brechen “Zu neuen Ufern” (so heißt der zweite Track tat­säch­lich, und es ist tat­säch­lich kein (zumin­d­est nicht nur) Klis­chee), und schon ent­fal­tet sich großar­tige Musik. Ich will das Bild jet­zt nicht über­stra­pazieren, aber man kön­nte sicher­lich noch etwas zur Mis­chung aus großstädtis­ch­er Hip­ness und ver­wun­sch­enen Talschlüssen, aus hohen Gipfeln und schrof­fen Abhän­gen sagen und schreiben. Egal: Red Car­pet macht ein­fach unmit­tel­bar Spaß. Und macht eben nicht nur unmit­tel­bar Spaß, son­dern auch dauer­haft, beim wieder­holten Hören. Hat­te ich so ehrlich gesagt über­haupt nicht erwartet.

Witz und Humor, tief­gründi­ges Spie­len und erfrisches Genießen — und das funk­tion­iert vor allem deshalb so gut, weil das Quar­tett klan­glich so wun­der­bar har­monisch rüberkommt und alles immer so selb­stver­ständlich klingt: Das muss genau so sein. Und das ist eine Kun­st, die ich sehr zu schätzen weiß.

Christof Mah­nig & Die Abmah­nung: Red Car­pet. Leo Records 2019. LR 854.

außer­dem neben vielem anderem gehört:

  • John Zorn: Insur­rec­tion. Tzadik ‎2018. TZ 8359.
  • Mark­er: Wired for Sound. Audio­graph­ic Records 2017. AGR-013.
  • Des­ti­na­tion Rach­mani­nov: Arrival. Sergej Rach­mani­noff: Klavierkonz­erte Nr. 1 & 3. Dani­il Tri­fonov, The Philadel­phia Orches­tra, Yan­nick Nézet-Séguin. Deutsche Gram­mophon 2019.
  • Asmus Tietchens: Musik aus der Grau­zone. 1981.
  • Nick Cave & The Bad Seeds: Ghos­teen. Ghos­teen 2019.