Eberhard Kolb: Otto von Bismarck. Eine Biographie. München: Beck 2014. 208 Seiten. ISBN 978–3‑406–66774‑9.
Als Biographie ist das für mich kaum satisfaktionsfähig: Zu blass und verschwommen bleibt das Bild. Der Mensch Bismarck, die Person, tritt nahezu gar nicht auf — ab und an gibt es Hinweise auf seine Gesundheit oder ein paar ganz wenige auf Frau und Kinder. Im Vordergrund oder besser alleine im Fokus steht sein politisches Handeln. Das beschreibt Kolb mit Zuneigung, aber durchaus auch mit Blick für die Ambivalenzen Bismarcks. Aber auch das Zentrum, die Politik, bleibt blut- und farblos. Das liegt vor allem daran, dass Kolb oft sehr großzügig durch die Geschehnisse und Taten durch eilt udn nur die Ergebnisse berichtet, den Weg aber meist nur summarisch (und oft genug mit dem Hinweis: Die Details sind bekannt). Das wiederum hängt damit zusammen, dass er keinen rechten Zugriff findet: Eigentlich ist das eine preußische/deutsche Geschichte am Beispiel Bismarcks. Und beides ist in diesem Umfang natürlich kaum besonders intensiv oder tiefgehend zu leisten.
Wu Ming: Manituana. Berlin, Hamburg: Assoziation A 2018. 509 Seiten. ISBN 978–3‑86241–465‑9.
Manituana reicht leider nicht an die letzten Bände von Wu Ming heran. Das kann durchaus daran liegen, dass der USA, ihre Unabhängigkeitskrieg und der Kampf mit, um und gegen die “Indianer” schon an sich nicht so ganz mein Ding sind. Da passiert dann zwar wieder viel, es wird gekämpft, betrogen, verraten und verhandelt, eine Delegation darf auch nach England reisen und sich im Luxus (und den Niederungen Londons) des Adelslebens gehörig fremd fühlen. Ich hatte beim Lesen aber schon eigentlich durchweg den Eindruck, dass das an Spannung und vor allem hinsichtlich des bildhaften, detailreichen Erzählens einfach nicht (mehr) so gut ist. Zu sehr dringt hier immer wieder die Absicht an die Oberfläche und stellt sich vor den Text — und damit funktioniert genau das, was bei anderen Texten von Wu Ming die besondere Spannung und den speziellen Reiz ausmacht, hier leider nicht.
Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand. 2. Auflage. München: Berlin 2019. 176 Seiten. ISBN 978–3‑8270–1389‑7.
Das ist ein überraschend feines, kleines Buch. Jan Peter Bremer hatte ich bisher ja überhaupt nicht auf dem Schirm. Aber in Der junge Doktorand zeigt er sich durchaus als gewiefter Erzähler, der sein Handwerk versteht und vor allem ernst nimmt: Ernst nehmen in dem Sinn, dass er sich bemüht, sauber zu arbeiten, Fehler zu vermeiden. Das zeigt der Text, der mit Gespür und Formbewusstsein erzählt ist. Das kunstvolle Beherrschen des Erzählens zeigt sich auch in dem Umfang des Buches: Das ist ein kleiner Roman. Es geht auch gar nicht so sehr um große, allumfassende Dinge — die Welt wird hier nicht gerade erzählt. Aber auch wenn er sich bescheiden gibt: Bremer gelingt es doch, auf den wenigen Seiten mit genauen Sätzen, treffenden Beschreibungen und Bewusstsein für das richtige Tempo große Themen zu erzählen: Es geht um Ehe, um Gesellschaft und Individuum, und natürlich, vor allem, um Kunst — und auch ein bisschen um nicht-normierte Lebensläufe wie den des jungen Doktoranden, der weder jung noch Doktorand ist. Das klingt in der Zusammenfassung recht trocken und ja, fast banal, entfaltet bei Bremer aber eine treffenden und subtile Komik. Und das macht dann einfach Spaß.
Die Winterbienen haben mich etwas enttäuscht und ratlos zurückgelassen. Ich habe Scheuer ja durchaus als erfahrenen Erzähler und Autor schätzen gelernt. Dieser Roman hat aber mehr Schwächen als er mit seinen eher mäigen Stärken ausgleichen kann. Da ist zum einen die seltsame Tagebuch-Fiktion. Die passt nämlich vorne und hinten nicht: Gut, dass der Tagebuchtext in Fußnoten die lateinischen Zitate übersetzt, das wird noch von der Herausgeberfiktion gedeckt. Dass (als ein Beispiel von vielen) Egidius Arimond (schon der Name macht mich ja beinahe wahnsinnig) als erfahrener Imker aber nach jahrzehntelanger Tätigkeit seinem Tagebuch erklärt, was er warum bei den Bienen, vor allem eben im Winter, macht, ist einfach handwerklicher bzw. erzähltechnischer Unsinn, der einer Lektorin durchaus mal hätte auffallen dürfen. Der Roman an sich ist für mich etwas zwiespältig: Natürlich sehr durchdrungen von völkischer Ideologie, die eben wieder durch die Tagebuch-Fiktion legitimiert wird. Dann ist da noch das Leiden eines Krieges, der auf die Aggressoren zurückgefallen wird, hier aber — in Arimond und den restlichen, schemenhaft auftauchenden Eifelbewohnern — eher als irgendwie gegeben hingenommen wird. Angeblich ist die erzählte Welt geprägt von dem “Wunsch nach einer friedlichen Zukunft” — davon merkt man im Text aber reichlich wenig. Im ganzen bleibt mir das etwas fragwürdig und vor allem ausgesprochen unbefriedigend: Warum erzählt Scheuer uns das? Und warum versteckt sich der Autor so (beinahe) vollkommen hinter seiner Figur — was will mir das eigentlich sagen?
außerdem gelesen:
Heimito von Doderer: Unter schwarzen Sternen. Erzählungen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1973. 154 Seiten. ISBN 3–7642-0055–3.
Glenn Gould: Freiheit und Musik. Reden und Schriften. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Ditzingen: Reclam 2019 (Was bedeutet das alles?). 84 Seiten. ISBN 978–3‑15–019412‑6.
Algernon Blackwood: Eine Kanufahrt auf der Donau. / Die Weiden. Ulm: danube bookes 2018. 154 Seiten. ISBN 978–3‑946046–13‑4.
Sibylle Schwarz: Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?. Leipzig: Reinecke & Voß 2016. 58 Seiten. ISBN 978–3‑942901–21‑5.
Klaus Wagenbach (Hrsg.): Störung im Betriebsablauf. 77 kurze Geschichten für den öffenlichen Nahverkehr. Berlin: Wagenbach 2014. 143 Seiten.
Eine lustige Edition ist das, die mir zufällig im Buchladen in die Augen und Hände gefallen ist: Klaus Wagenbach hat kleine Texte gesammelt, für die Lektüre unterwegs im ÖPNV. Der Zweck bestimmt auch die Ordnung der Texte nach Anlass und Länge: Kurzstrecken, Bahnhof, Zwei Stationen etc. sind die Kapitel überschrieben. Hinter der witzigen und sympathischen Idee steckt aber vor allem eine schöne und vielfältige Sammlung größtenteils großartiger Kurzprosa: Kurzgeschichten, Parabeln, Anekdoten, Fabeln und vieles mehr. Wagenbachs Auswahl beweist ein sehr hohes Qualitätsniveau ohne Ausreißer: Das ist einfach gut ausgesucht. Und vieles Bekanntes ist dabei, natürlich — aber auch einiges Überraschendes, Unerwartetes. Und auch beim Wiederlesen entwickelt so manches in diesem Zusammenhang neue Aspekte. Das kleine Bändchen ist wirklich eine vortreffliche Lektüre für die Zeit des Bewegt-Werdens — da wünscht man sich manchmal beinahe eine tatsächliche “Störung im Betriebsablauf” …
Ulrike Almut Sandig: Buch gegen das Verschwinden. Geschichten. Frankfurt am Main: Schöffling 2015. 207 Seiten.
“Es ist so leicht zu verschwinden.” (35) Das ist das ganze Problem. Denn wir Menschen sind tatsächlich kaum mehr als ein Gras im Wind — einmal hier, bald wieder weg. Und darum geht es in diesem Geschichten-Band (ausdrücklich nicht Erzählungen!): Um das Verschwinden, um das Vergessen. Und darum, wie sich das (vielleicht) doch verhindern oder aufschieben lässt — mit dem Erzählen zum Beispiel. Aber wer sagt dann, dass das Erzählte was mit der vergangenen/verschwundenen Realität zu tun hat? Doch: Das ist keine philosophische Abhandlung, kein Essay — und will es auch gar nicht sein. Sondern eine Feier des Erzählens. Denn Sandig ist eine großartige Erzählerin, deren breites stilistisches Repertoire und deren Sprache ich sehr mag (das war auch schon bei den Flamingos so!). Ich zitiere aus Faulheit mal die Verlagswebseite:
Ein junger Journalist versucht inmitten der Unruhen um den Istanbuler Gezi-Park die Erwartungen seiner Mutter abzuschütteln, die nach dem Mauerfall 1989 das Reisefieber gepackt hat. Ein Wanderer geht während eines Schneesturms in den uralten verwunschenen Wäldern des Engadin verloren. Ein kleines Mädchen wird zum nächsten Venusdurchgang von der Großmutter ans Ende der Welt geflogen. Wohin ihre Spuren führen, ist eines der vielen Rätsel dieser Geschichten.
Rätsel weisen Sandigs Geschichten immer wieder auf. Aber keine Spannungs- oder Krimi-Rätsel, sondern Rätsel, die auf die Frage nach der Wahrheit, der Wirklichkeit der Vergangenheit und der Erinnerung verweisen. Mir ist dann die eigentlich Geschichte oft gar nicht so wichtig — ob es nun um einen Witwer geht, der sich und seine Einsamkeit sowie seine fortschreitende Demenz beobachtet, um einen jungen Journalisten, die Wanderer im Engadin, die den mythisch-verklärten Tamangur-Wald entdecken wollen — die Hauptsache ist immer wieder das Erzählen selbst.
Ja, an diesem Tag und in dieser Minute findet sie plötzlich, dass sie sich diese Geschichte immer wieder anhören könnte und immer wieder in der jeweils aktuellen Version, und jeder Version würde sie Glauben schenken, wohl wissend, dass wir, jede Einzelne von uns, die Erzählerinnen unserer eigenen Geschichten sind und dass es nicht darauf ankommt, was in Wirklichkeit passiert ist, solange wir eine Version haben, die uns das Leben und alle, die darin verschwinden, erträglicher macht. (36f.)
Es gibt auch ein nett gemachtes “Video zum Buch” von Harald Opel:
Ulrike Almut Sandig — Buch gegen das Verschwinden
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Joachim Zelter: Wiedersehen. Tübingen: Klöpfer und Meyer 2015. 126 Seiten.
Offiziell als “Novelle” betitelt — und das haut auch hin. Ein kurzer Text für zwischendurch (die 126 Seiten sind recht großzügig gesetzt), mit hohem Spaßfaktor: Der Lieblingsschüler Arnold Litten trifft nach zwanzig Jahren wieder auf seinen immer schon etwas kauzigen Lieblingslehrer Thorsten Korthausen, der ihn, der mittlerweile zum Germanistik-Professor (vermutlich …) geworden ist, damals im Fach Deutsch unterrichtet und für die Literatur begeistert hat. Im Rückblick tauchen die sehr ungewöhnlichen Lehrmethoden Korthausens noch einmal auf (die jeder Ordnung, Vergleichbarkeit oder Planmäßigkeit spotten, aber natürlich höchst genial waren und alle Schülerinnen und Schüler enorm begeisterten …). Jetzt also das Wiedersehen, auf einer von Korthausen extra dafür ausgerichteten Party, bei der Litten auch noch ohne Vorwarnung einen Vortrag halten soll. Das alles geht, fast erwartungsgemäß, fürchterlich schief und gibt allen, vor allem aber Litten selbst, gründlich Gelegenheit, sich selbst, ihre Stellung und ihrer (Lebens-)Ziele, aber auch die gemeinsame Vergangenheit, noch einmal gründlich zu überdenken. Das ist alles sehr liebevoll geschildert, mit wunderbaren Typen (gerade die Nebenfiguren sind herrlich). Die konfrontative Situation steigert sich immer mehr, bis das Ganze schließlich in eine ziemlich wilde Groteske umkippt. Kurz vor dem Schluss (der noch einmal eine absolut unnötige “überraschende Wendung” bietet) heißt es dann:
Er hätte niemals hierherkommen dürfen. […] Dass es ein Fehler sei, einen Menschen wie Korthausen nach über zwanzig Jahren einfach wiederzusehen. Dass man dabei nur verlieren kann, zuerste einen geliebten Lehrer udn dann sich selbst. Dass man sich dadurch seiner grundlegensten Ebenen beraubt. Und seiner schönsten Bilder. (125)
Paulus Böhmer: Werichbin. Gedichte. Frankfurt am Main: Edition Faust 2014. 56 Seiten.
“Gedichte” stimmt hier gerade so — es sind nämlich genau zwei Langgedichte, die in diesem kleinen Bänchen zu finden sind: “Werichbin” (das scheint die bevorzugte Schreibweise des Titels zu sein) und “Über das Zusammenfügen von Teilen”. Beide sind wieder typische Böhmer-Schöpfungen: Auf Mittelachse stehen diese Texttürme, ohne Reim oder festes Metrum, sind sie fortlaufende Ketten von Einfällen und Assoziationen. Formgebend ist beim Titelgedicht “Wer ich bin” zum Beispiel das “Wie” — “So” und “Daß” am Beginn der einzelnen Versgruppen in den drei Teilen des Titelgedichts.
Wer diesen (Vor-)Namen trägt, muss vielleicht so schreiben: voller Bildgewalt, voller Wissen, immer alles wollend und auch alles sagen wollend, Texte voller Welthaltigkeit (oder vielleicht auch Weltallhaltigkeit?) und Sprachbeherrschung produzierend. Auch “Werichbin” überwältigt mit dieser Vielfalt, wie immer bei Böhmer ist das alles kaum fassbar. Seine Gedichte hinterlassen bei mir den Eindruck von Größe und auch Erhabenheit (das mag mit dem hymnischen Ton seiner Lyrik zusammenhängen), von Sprachgewalt und wissender Klugheit, die den Leser emporzuheben scheint (auch wenn ich nicht unbedingt sagen könnte, wohin — oder was ich daraus “gelernt” hätte): Man kann — und das behaupte ich ja gerne von guten Kunstwerken — das nicht lesen (bzw. sehen oder hören), ohne danach ein anderer Mensch zu sein. Und hat immer etwas von permanenter Überforderung: Ich habe beim Lesen immer das Gefühl, dass mir viel entgeht — zugleich aber auch den Eindruck, dass ich ganz viel davon habe, das jetzt zu lesen. Michael Braun hat in seiner Rezension wohl nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, dass Böhmers Lyrik als “Überfluss-Produktion” funktioniere. Das macht sie aber eben schwierig und faszinierend zugleich … Das kleine Bändchen — sozusagen Böhmer für Einsteiger (Kaddish ist da allein wegen seines Umfangs ja schon abschreckender …) — enthält außer den beiden Gedichten noch ein kurzes Nachwort (das mir wenig brachte) und drei Collagen — eine bunte vom Autor auf dem Umschlag, eine schwarz-weiße von ihm im Vorsatz und eine weitere von Lydia Böhmer zu Beginn von “Über das Zusammenfügen von Teilen”.
Marc Degens: Fuckin Sushi. Köln: DuMont 2014. 320 Seiten.
Ein tolles Buch übers Erwachsenwerden in Bonn, die Musik (und den Alkohol), das Leben und den ganzen Rest: intelligent ausgedacht, schnell und flott geschrieben und auch zügig gelesen — und zudem gibt es einereichhaltigecrossmedialeBegleitung für die, die so etwas mögen — die fängt übrigens mit Playlists des Protagonisten (u.a. sein erster Ipod mit “langer” Musik) schon im Buch selbst an. Mehr zu dieser Leseempfehlung gibt es in einem eigenen Text, nämlich hier.
Ulrich Lappenküper & Ulf Morgenstern (Hrsg.): Dem Otto sein Leben von Bismarck. Die besten Anekdoten über den Eisernen Kanzler. München: Beck 2015. 128 Seiten.
Der Titel ist natürlich selten dämlich. Wieso sich der Beck-Verlag zu so einem Unsinn hinreißen lassen hat, verstehe ich nicht. Denn das Büchlein hat ja durchaus einen hohen Anspruch. Sicher, es geht um Anekdoten. Aber die sollen viel leisten, wie die beiden Herausgeber in der Einleitung betonen:
[…] hegen die Herausgeber die Hoffnung, mitels der hier versammelten Äußerungen von und über Bismarck seiner Persönlichkeit näher zu kommen, als es manch tiefgründige historische Darstellung vermag. (8)
Ich halte das prinzipiell für gewagt und im Falle dieser kleinen Sammlung auch für nicht erfüllt. So viel also zum Negativen. Was bleibt dann? Eine kuriose Sammlung von mehr oder minder amüsanten Begegnungen, Begebenheiten und Erinnerungen Bismarcks und seines Umfeldes. Die ersten Jahre sind naturgemäß schwach vertreten und gerade dort bleibt der Protagonist auch blass, wenn auch seine Genialität natürlich (schließlich wurden die Anekdoten alle Jahrzehnte später niedergeschrieben) schon allen Verständigen sichtbar war. Überhaupt entsteht hier das Bild eines Bismarck, der nicht so sehr “Eiserner Kanzler” war, sondern vor allem ein gewitzter Draufgänger. Das liegt natürlich (auch) in der Natur der hier versammelten Quellen begründet — wie wahr das ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Feststellen lässt sich aber auch ohne detaillierte Bismarck-Kenntnisse die Neigung zur frühen und ziemlich vollständigen (Selbst-)Stilisierung.
Daneben werden aber durchaus auch schöne Begebenheiten hier berichtet. Zum Beispiel über die Rolle des Rauchens im Frankfuter Bundestag, das schnell als Rangmerkmal, als Statussymbol entdeckt wird (wer darf in den Sitzungen rauchen?) und das fast genauso schnell seine Untauglichkeit dafür erweist, weil schließlich (nahezu) alle rauchen, selbst wenn sie, d.h. die Gesandten, es nur unter größtem persönlichem Widerwillen tun. Auch schön: Bismarcks etwas dämlicher Feldzug gegen die Antiqua-Drucke und sein Bestehen auf Fraktur-Schriften für den Dienstgebrauch. Und hier darf natürlich nicht fehlen: Sein Widerstand gegen die Einführung einer neuen Rechtschreibung (1876). Dazu heißt es in diesem Bändchen, das alles in allem doch eine nette Lektüre für zwischendurch ist:
Er sprach mit wahrem Ingrimm über die Versuche, eine neue Orthographie einzuführen. Er werde jeden Diplomaten in eine Ordnungsstrafe nehmen, welcher sich derselben bediene. Man mute dem Menschen zu, sich an neue Maße, Gewichte, Münzen zu gewöhnen, verwirre alle gewohnten Begriffe, und nun wolle man auch noch eine Sprachkonfusion einführen. Das sei unerträglich. Beim Lesen auch noch Zeit zu verlieren, um sich zu besinnen, welchen Begriff das Zeichen ausdrücke, sei eine unerhörte Zumutung. Ebenso sei es Unsinn, Deutsch mit lateinischen Lettern zu schreiben und zu drucken, was er sich in seinen dienstlichen Beziehungen verbitten werde, solange er noch etwas zu sagen habe. (79)
Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan. Parabelstück. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1964. 144. Seiten.
Gottfried Immanuel Wenzel: Verbrechen aus Infamie. Eine theatralische Menschenschilderung für Richter und Psichologen in drei Akten. Mit einem Nachwort herausgegeben von Alexander Kosenina. Hannover: Wehrhahn 2014 [1788] (Theatertexte, Bd. 43). 64 Seiten.