Eine ganze Woche war ich dieses Jahr in Bayreuth bei den Bayreuther Festspielen. Eine volle Ladung Wagner also: Den kompletten Ring und den Parsifal konnte ich sehen und hören, dazu noch die Villa Wahnfried und das dortige Richard-Wagner-Museum. Damit ist mein Bedarf fürs Erste mal wieder gedeckt …
Aber es war eine tolle Erfahrung, nach meiner bisherigen einmaligen Stippvisite (wo ich nur zu einer Vorstellung kam und direkt danach in der Nacht wieder nach Hause fuhr) mal die Festspiele so richtig zu erleben. Naja, was eben so richtig heißt … Bei mir hieß das: An- und Abreise mit dem Zug (hin hat das wunderbar reibungslos geklappt, zurück war leider der erste Zug ab Bayreuth so verspätet, dass ich meine Anschlüsse nicht mehr schaffte), Übernachtungen in der Jugendherberge, die Festspielhausbesuche vergleichsweise underdressed (keine klassische Abendgarderobe …), dafür aber auch vergleichsweise billige Plätze im Balkon.
Der Aufenthalt in der Jugendherberge, die nicht mehr ganz heutigen Ansprüchen entspricht (etwa: keine Schränke im Zimmer, nur Spinde auf dem Flur; eine Dusche pro Flur für ca. 30 Betten …), deren Nachfolger direkt nebenan aber schon in Bau ist und im nächsten Frühjahr in Betrieb gehen soll, hatte zwar kleinere Komforteinbußen zur Folge, aber dafür einen großen Vorteil: Ich traf gleich dort einige andere Wagnerianer. Genauer gesagt: Einen Engländer, einen Japaner, einen Russen und einen Luxemburger, die (fast) alle im Gegensatz zu mir wesentlich überzeugtere Wagnerianer (und Liebhaber der Oper des 19. Jahrhunderts überhaupt) waren. Die kosmopolitische Zusammensetzung unseres kleinen Trupps führte dazu, dass ich zwar Werke des vielleicht deutschesten aller deutschen Komponisten hörte und sah, sonst aber nahezu ausschließlich englisch redete (und zum Schluss auch schon dachte). Eine sehr interessante und sehr bereichernde Erfahrung war es auf jeden Fall.
Aber zur Hauptsache: Der Ring also. Die Inszenierung von Frank Castorf hat ja nun schon einige Jahre auf dem Buckel. Beliebter geworden ist sie dadurch beim Bayreuther Publikum nicht gerade. Das ist auch nicht nur Reflex und Faulheit, sondern liegt — vermute ich — zumindest teilweise an der Inszenierung selbst. Castorf hat nämlich, könnte man sagen, einfach seine bewährte Theatermethode der Dramatisierung großer Romane auf den Ring des Nibelungen angewandt. Das funktioniert aber nur so halbwegs, es kracht an allen Ecken und Enden. Zum einen hat er für mich keine Idee, was der gesamte Ring eigentlich soll und (bedeuten) will. Zumindest keine erkennbar. Ja, es gibt das Motiv des Öls, das irgendwie das neue Rheingold ist (gerade im Rheingold_wird das recht stark gemacht). Aber das bleibt eine Idee unter vielen, die nicht konsequent umgesetzt ist und in der Götterdämmerung nur noch eine ferne Erinnerung ist. (Zumal ist die Idee auch zwanzig bis vierzig Jahre zu spät — heute ist Öl ja nicht (mehr) unbedingt das wertvollste, da sind Daten inzwischen viel wichtiger …)
Mein Problem mit der Castorf-Inszenierung als Ganzer war aber — neben vielen, vielen Details, die mir verschlossen blieben — ein Grundsätzliches: Mir scheint, Castorf hat nicht das Musiktheaterwerk inszeniert, sondern den Text gelesen und damit gearbeitet. Zwischen Musik und Bühne gibt es eigentlich keinerlei Verbindung (dass der Dirigent Marke Janowski die Inszenierung für Unsinn hält, mag da mit eine Rolle spielen). Vor allem aber passt meines Erachtens das Theaterkonzept Castorfs (das an sich durchaus sehr interessant ist!) nicht zum Wagnerschen Musiktheater. Die Bühnenbilder, die Aktionen und vor allem die Videos, die nicht nur Live-Übertragungen des Bühnengeschehens, sondern auch vorfabrizierte Einspieler sind, dazu das Orchester, die Sänger und Sängerinnen und der Text: Das alles auf einmal lässt sich nicht verarbeiten, geschweige denn deutend entschlüsseln. Ich befand mit im permanenten Überforderungsmodus, der Überfluss an Zeichen und Bedeutungen führte zur Kapitulation …
So spannend das in einigen Momenten ist, so großartig die Bühnenbilder sind — so richtig aufnehmen und genießen konnte ich das nicht. Zumindest nicht beim ersten Sehen und Hören. Das Hören war leider auch nicht eines, das mich zu absoluten Begeisterungstürmen hinrisse. Ja, die Qualität aller Beteiligten ist hoch. Aber Janowskis Dirigat zündete für mich nicht so richtig toll. Das lag zum einen an der bereits angesprochenen Divergenz zwischen Bühne und Musik, zum anderen an einem seltsamen Phänomen: An jedem Abend begann Janowski recht schwach, steigerte sich aber zum Schluss hin regelmäßig. Und vielleicht auch vom Rheingold zur Götterdämmerung hin noch einmal. Am stärksten ist es mir im Siegfried aufgefallen: Der Anfang bis ungefähr zur Mitte des zweiten Aktes klang sehr nach überlegter, feiner, um Details und vorsichtig-zurückgenommene Feinheit und Balance bemühter Orchesterarbeit, die es auch den Sängern sehr leicht machen wollte. Irgendwann schien er aber davon genug zu haben und gab sich der Emotionalität und der Überwältigungskraft der Wagnerschen Musik hin, als hätte er sich gesagt: Na gut, dann lasst uns halt mal Spaß haben …
Der Parsifal dagegen, die diesjährige Neuinszenierung des Wiesbadener Intendanten Uwe-Eric Laufenberg, war ein ganz anderes Erlebnis. Musikalisch ließ er, das heißt vor allem: der eingesprungene Dirigent Hartmut Haenchen, (fast) nichts zu wünschen übrig, das war eine ausgesprochen stringente, (auch zügige), gut entwickelte und spannende Arbeit, die er und das Orchester ablieferten. Zumal die vokale Besetzung auch ausgesprochen fein war: Der wirklich rundum großartige, wunderbare, herrliche Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der sehr gute, jugendlich-starke Klaus Florian Vogt als Parsifal und ebenfalls auf höchstem Niveau begeisternde Kundry von Elena Pankratova.
Die Inszenierung Laufenbergs hat mich, wenn ich es auf einen Punkt bringen müsste, eher gelangweilt — weil sie mich kaum herausgefordert hat, sondern eher zu deutlich und zu plakativ ihre Positionen zeigte. Laufenberg hat ja im Vorfeld kaum eine Gelegenheit ausgelassen, allen zu verkünden, wie großartig sein Konzept sei. Das besteht im Grunde aus der Idee, der Parsifal sei eine Kritik aller Religionen. Das ist natürlich so einfach Unsinn und führte zu einigen kuriosen Szenen auf der Bühne. Vor allem passierte auf der Bühne aber immer wieder das: Laufenberg, so nahm ich es wahr, hatte eine Idee für ein schönes Bild, ein Tableau. Dann hat er das etwas politisch-religionskritisch aufgeladen. Und fertig ist die Parsifal-Inszenierung (ok, das ist jetzt etwas arg polemisch). Aber so manches Geschehen konnte ich mir nur so erklären. Und so manches wird unfassbar plakativ und kitschig. Und so manches wird unpassend, scheint mir mit der Partitur Wagners nicht in Einklang zu bringen. Das ist ja überhaupt ein Problem, das mich zunehmend beschäftigt: Die Musiker werden, was die Beschäftigung mit und Auslegung der Partituren angeht, immer kritischer und feinsinniger — Haenchen zum Beispiel legte wohl viel Wert auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Artikulationszeichen wie Punkt, Strich oder Keil bei Wagner. Die Bühne dagegen nimmt sich immer mehr Freiheiten, erzählt ja oft eine ganz andere Geschichte, die nur noch punktuelle Überschneidungen mit der Partitur hab. Das soll jetzt keineswegs eine Ablehnung des Regietheaters sein, es ist nur ein Dilemma, aus dem ich kaum eine Lösung sehe …
Was noch?
Die Festival-Atmosphäre ist in Bayreuth schon ziemlich interessant. In der Stadt (die übrigens nicht sehr groß, aber sehr hübsch ist) selbst merkt man recht wenig von den Festspielen. Auf dem grünen Hügel ist das natürlich anders. Zum einen kommen recht viele Besucher ziemlich früh. Dann hat man in Bayreuth immer die Kartensucher (für den Ring gab es immer problemlos noch Karten zu ergattern, für den Parsifal war es fast unmöglich) und einen Schwarzmarkthändler. Und das Publikum ist etwas kosmopolitischer, etwas (nun ja, ziemlich viel) formeller gekleidet als in den meisten deutschen Theatern.
Der Zaun (und auch wenn alle Medien etwas anderes behaupten): Das Festspielhaus ist nicht eingezäunt gewesen. Lediglich die BÜhneneingänge waren davon betroffen. Und natürlich war das “Sicherheitskonzept”, wie das heute so schön heißt, noch zu spüren. Von Konzept kann man allerdings kaum sprechen. Gut, der Sicherheitsdienst wachte ziemlich genau darüber, dass nur Menschen mit jeweiliger Tageseintrittskarte Zugang zum Gebäude hatten. Die erhöhte Polizeipräsenz (da war sie ja schon immer, sie hat ja sogar eine eigene temporäre Wache in unmittelbarer Nachbarschaft) war aber in meinen Augen eher Augenwischerei. An jedem Abend funktionierte das nämlich anders: Manchmal standen an den Aufgängen zwei oder drei Polizisten und schauten, manchmal waren am überdachten Gang vor dem Kartenbüro noch einzelne Posten aufgestellt, manchmal hatten sie Schutzwesten, manchmal nicht, bei der Götterdämmerung kontrollierten sie plötzlich (ohne dass es, nach ihrer Aussage, einen speziellen Anlass gab) auch alle Handtaschen der Damen am Beginn des Festivalgeländes — mir scheint, die Strenge der Kontrolle unterschied sich vor allem nach diensthabender Polizeiführungskraft erheblich. Aber sei’s drum, ein Gutes hatte das ganze Bohei auf jeden Fall: Erstmals gab es eine Gepäckaufbewahrung, bei der man bequem seine Tasche mit Verpflegung für die langen Abende deponieren konnte …
Ach ja, die Sitzplätze in Bayreuth. Ich war durchweg im Balkon. Für den Ring hatte ich Karten in der fünften Reihe — die Bayreuth-Kenner wissen, dass das keine normalen Sitzplätze mehr sind, sondern in Nischen nach hinten versteckten Sitze. Da wird es schön warm und stickig und die eigentlich ausgezeichnete Akustik des Festspielhauses wird doch auch etwas gedämpft, mit etwas Pech hat man auch noch eine Säule im Blickfeld. Zum Glück konnte ich aber für Siegfried und Götterdämmerung einige Reihen nach vorne rücken, weil Plätze frei blieben — das war eine deutliche Verbesserung der Akustik und des Komforts. Das lässt sich Bayreuth aber auch immer gut bezahlen, denn es gibt zwar billige Plätze, aber sowie Sicht und Akustik etwas besser werden, steigen die Preise sehr schnell recht steil nach oben. Und für den Ring braucht man eben immer gleich vier Karten …
(Und natürlich habe ich wieder mal keine Fotos gemacht …)