Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: wilhelm müller

Über Lieder von Liebe und Schmerz: Ian Bostridge erklärt Schuberts Winterreise

Es ist nicht mehr als ein klein­er Auss­chnitt der fort­dauern­den Erkun­dung des kom­plex­en und schö­nen Net­zes von Bedeu­tun­gen – musikalis­che und lit­er­arische, textuelle und meta­textuelle –, inner­halb dessen die Win­ter­reise ihren Zauber her­vor­bringt.S. 396

bostridge, schuberts winterreise (cover)– Mit diesem Schluss endet der britis­che Tenor Ian Bostridge (übri­gens ein aus­ge­bilde­ter His­torik­er) sein großes, faszinieren­des und in sein­er bere­ich­ern­den Klugheit aus­ge­sprochen lesenswertes Buch über Schu­berts Win­ter­reise. Aber es ist ein Satz, der das, was auf den knapp vier­hun­dert Seit­en zuvor passiert ist, sehr gut auf den Punkt bringt. Lieder von Liebe und Schmerz hat der deutsche Ver­lag Bostridges Buch im Unter­ti­tel benan­nt. Das englis­che Orig­i­nal finde ich passender: Anato­my of an Obses­sion. Denn bei­des, das sezierende Unter­suchen als auch die obses­sive Beschäf­ti­gung mit dem Kunst­werk, bringt das Ver­hält­nis von Bostridge zur Win­ter­reise sehr gut auf den Punkt. Und bei­des, die Analyse und die emo­tionale Bindung, merkt man dem Text eigentlich auf jed­er Seite an: Jede Seite dieses großar­ti­gen Buch­es, das Lied für Lied die Win­ter­reise unter die Lupe nimmt, lässt die obses­sive Liebe und die jahrzehn­te­lange Beschäf­ti­gung mit Musik und Text, mit Dichter und Kom­pon­ist, mit Hin­ter­grün­den und Bedeu­tun­gen spüren.

Lied für Lied – diese Gliederung greift das gut gemachte (ich habe – abge­se­hen von der prinzip­iell etwas unsin­ni­gen Über­set­zung englis­ch­er Über­set­zun­gen deutsch­er Texte – nur einen Über­set­zungs­fehler bemerkt – der ist allerd­ings etwas pein­lich, weil er das englis­che b‑minor mit b‑moll statt h‑moll über­set­zt und auf der sel­ben Seite auch noch richtig vorkommt …) und schön aus­ges­tat­tete Buch auch äußer­lich auf. Bostridge fol­gt damit zwar der Dra­maturgie Schu­berts (die ja, wie er mehrfach dar­legt, von der Rei­hen­folge Müllers abwe­icht), ges­tat­tet sich aber auch Frei­heit­en: Manche Kapi­tel sind auf­fal­l­end kurz, andere etwas auss­chweifend. Manche bieten eine sehr konzen­tri­erte Analyse von Text und Musik, andere liefern vor allem geschichtliche, poli­tis­che, wirtschaftliche, sozi­ol­o­gis­che Hin­ter­gründe. Wie er prinzip­ielle Beobach­tun­gen und Anmerkun­gen über die einzel­nen Lied­kapi­tel verteilt, das ist sehr geschickt. Die sind dadurch näm­lich immer mehr als bloße Kom­mentare oder Erläuterun­gen, das Buch wird nicht zu ein­er seriell-schema­tis­chen Analyse, son­dern zu einem großen Ganzen: Alles in allem ist das eine großar­tige Samm­lung von Wis­sen aus allen Bere­ichen zu den 1820er Jahren. Da liegt aber auch schon eines der Prob­leme, die ich damit hat­te (neben der meist fehlen­den Ref­eren­zierung des ange­sam­melten Wis­sens): Bei Bostridge wer­den die 1820er in Tech­nik, Ökonomie, Gesellschaft und Poli­tik zu einem frühen Höhep­unkt der Mod­ernisierung. Ich bin mir nicht so recht sich­er, ob das stimmt (und ob es hil­fre­ich wäre). Für ein endgültiges Urteil fehlt mir da freilich etwas Wis­sen, mir scheinen diese Jahre aber doch mehr Durch­gang als Gipfel zu sein.

Ein ander­er Punkt, bei dem ich Bostridge immer wieder wider­sprechen möchte, ist die Ironie. Die find­et er in der Win­ter­reise näm­lich wesentlich häu­figer und stärk­er als ich das immer nachvol­lziehen kann. Ähn­lich geht es mir mit der poli­tis­chen Dimen­sion von Text und Musik. In bei­den Fällen möchte ich Bostridges Deu­tun­gen gar nicht von vorn­here­in ver­w­er­fen, sie scheinen mir in diesen Aspek­ten aber etwas über­spitzt. Deut­lich wird das etwa bei seinen Aus­führun­gen zum „Köh­ler“, der (bzw. dessen Hütte, er selb­st ja ger­ade nicht) in der Win­ter­reise genau ein­mal vorkommt: Das kann man als mögliche poli­tis­che Chiffre lesen, so zwin­gend, wie Bostridge das darstellt, ist diese Lesart aber meines Eracht­ens nicht. Über­haupt hat mich seine poli­tis­che Lesart viel­er Lieder (bzw. eigentlich nur ihrer Texte, in diesem Deu­tungszusam­men­hang spielt die Musik keine Rolle) nicht so sehr befriedigt, zumal sie ja doch erstaunlich indif­fer­ent bleibt. Ähn­lich ist es übri­gens um Schu­bert selb­st hier bestellt: Zum einen wird er als poli­tis­ch­er Kün­stler, der extrem unter den harten Bedin­gun­gen der vor­mär­zlichen Zen­sur litt, dargestellt. Zugle­ich ist er für Bostridge aber auch ein Kom­pon­ist, der ganz unbe­d­ingt ein Ide­al des reinen, tran­szen­den­ten Kün­stler­tums ver­fol­gt – zwei Lesarten, die hier fast naht­los ineinan­der überge­hen, die ich aber nicht so recht zusam­men bekomme.

Das alles macht aber wenig bis nicht. Denn Bostridge zu lesen, ja eigentlich: zu schmök­ern, ist auf jeden Fall ein großer Gewinn. Zumal das Buch auch, ich sagte es schon, ein­fach schön ist und auch mit Abbil­dun­gen nicht geizt. Schade fand ich allerd­ings, um das Lob gle­ich wieder ein biss­chen einzuschränken, dass Bostridge so wenig über die Musik und ihre Details spricht. Mein Ein­druck war da, dass dieses Ele­ment in der Fülle der Zugänge und Mate­ri­alien, die er zur Win­ter­reise zusam­menge­tra­gen hat, etwas unterge­ht. Von einem Sänger hätte ich mir ger­ade auf diesem Gebi­et mehr musikol­o­gis­che Analyse und Beschrei­bung gewün­scht. Aber das wäre dann vielle­icht ein anderes Buch gewor­den.

Es ist näm­lich wirk­lich selt­sam mit diesem Buch: Als Ganzes finde ich es immer noch ziem­lich großar­tig, es ist ein (über)reiches Buch, das dem Ver­ständ­nis der Win­ter­reise auf jeden Fall in großem Maße dient und das Hören (oder Musizieren) unge­mein bere­ich­ern kann. Im Detail finde ich aber vieles frag­würdig und würde oft wider­sprechen. Ein paar kleine, fast willkür­liche Beispiele: Den Nation­al­sozial­is­mus und den Zweit­en Weltkrieg aus ein­er typ­isch deutschen „roman­tis­chen Todes­be­sessen­heit“ (118) zu erk­lären wollen – das ist ein­fach Quatsch. Oder wenn ein Fer­maten­ze­ichen zu einem „allesse­hen­den Auge“ (178) wird. Manch­mal ist es auch vor allem eine große Fleißleis­tung, wenn er etwa zum „Früh­lingstraum“ über mehrere Seit­en das Vorkom­men von Eis­blu­men in der Kun­st- und Lit­er­aturgeschichte referiert, was aber wed­er mit Müller noch mit Schu­bert in Verbindung ste­ht. Da erschließt sich mir dann nicht so ganz der Zweck, den das für eine Analyse oder Inter­pre­ta­tion dieses Kunst­werkes haben soll.

Aber: Die Welt von Schu­berts Win­ter­reise kann der über­aus gebildete Bostridge mit seinem gesam­meltem Wis­sen und seinen genauen, vielfälti­gen, emphatis­chen Beobach­tun­gen eben doch ganz toll ent­fal­ten und wun­der­bar ver­mit­teln. Es ist übri­gens kein Verse­hen, wenn ich von Schu­berts Win­ter­reise sprach: Der Schw­er­punkt sein­er Betra­ch­tun­gen liegt auf Schu­bert und sein­er Musik, auch wenn der Text und sein Autor, Wil­helm Müller, nicht ganz außen vor bleiben. Auch die Rezep­tion der Win­ter­reise wird nicht vergessen. Und seine intime Ver­trautheit en detail & en gros mit dem Werk sowie seine dop­pelte Autorität als ausüben­der Sänger und forschen­der His­torik­er tun dem Buch sehr gut: Er weiß, wovon er redet. Und nach der Lek­türe seine Buch­es weiß man auch, was man da eigentlich hört (oder: hören kann!), wenn man der Win­ter­reise lauscht.

Ian Bostridge: Schu­berts Win­ter­reise. Lieder von Liebe und Schmerz. 2. Auflage. München: Beck 2015. 405 Seit­en. ISBN 978–3‑406–68248‑3.

Aus-Lese #32

Jan Keupp, Jörg Schwarz: Kon­stanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Darm­stadt: Wis­senschaftliche Buchge­sellschaft 2013. 213 Seit­en.

keupp-schwarz_konstanzEine — vor allem im ersten Teil von Jörg Schwarz — sehr gut zu lesende Darstel­lung für Nicht-Experten des späten Mit­te­lal­ters. Die erste Hälfte befasst sich mit dem eigentlichen Konzil, der Auflö­sung des großen abendländis­chen Schis­mas, bei dem aus drei Päp­sten wieder ein­er wurde und neben­bei unter anderem noch Jan Hus ver­bran­nt wurde. Das ist solide gemacht, geht aber naturgemäß nicht allzu sehr in die Tiefe. Im zweit­en Teil geht es dann in der Darstel­lung von Jan Keupp um Kon­stanz selb­st: Die Stadt, ihre Bürg­er, ihre Poli­tik, ihre Wirtschaft. Das franst dann ein biss­chen aus, der The­men­strauß wird arg bunt und es wirkt etwas ober­fläch­lich und zufäl­lig, die stärkere Kohärenz des ersten Teils wird nicht mehr erre­icht. Das ist weniger ein Prob­lem von Keupp, auch wenn er nicht ganz so ein guter Erzäh­ler ist wie Schwarz (der manch­mal freilich arg sug­ges­tiv schreibt), son­dern eines der Sache — die ist ein­fach so vielfältig, dass sie nur durch den Ort der Über­liefer­ung — Kon­stanz eben — zusam­menge­hal­ten wird. Durch reich­haltige Quel­len­z­i­tate (meist über­set­zt), vor allem aus den Rats- und Gericht­sak­ten, wird das recht lebendig. Lei­der ist aber über­haupt kein Zitat nachgewiesen — das finde ich dann doch immer schade, weil es die Benutzbarkeit natür­lich enorm ein­schränkt.

Pierre Bertaux: Hölder­lin und die Franzö­sis­che Rev­o­lu­tion. Frank­furt am Main: Suhrkamp 1969. 188 Seit­en.

bertaux, hölderlinEin Klas­sik­er der Hölder­lin-Forschung, der zu sein­er Zeit, bei seinem ersten Erscheinen, ziem­lich für Aufruhr sorgte. Denn Bertaux geht es darum, zu zeigen, dass Hölder­lin Jakobin­er — also Anhänger der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion war — und, das ist das wichtige an seinem Buch, dass sich das auch in der Dich­tung Hölder­lins nieder­schlägt. Den ersten Punkt kann ich gut nachvol­lziehen, beim zweit­en wird es schwierig, da scheint mir Bertaux’ Lek­türe von Hölder­lins Lyrik als ver­schlüs­sel­ter Code, der seine poli­tis­che Botschaft ver­steckt, zu ein­seit­ig und etwas übers Ziel hin­aus zu schießen. Let­ztlich ste­ht aber auch recht wenig zu konkreten Werken Hölder­lins drin — dafür entwick­elt Bertaux mit viel Mühe ein bre­ites Panora­ma der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und vor allem ihrer Rezep­tion in Deutsch­land und beson­ders in Tübin­gen und Schwaben, das weit, sehr, sehr weit über Hölder­lin hin­aus geht, aber ander­er­seits zum konkreten Gegen­stand der Unter­suchung eben auch nur bed­ingt etwas beiträgt.

Worauf es ankam, war, an einem Beispiel zu zeigen, daß die »poli­tis­che« Inter­pre­ta­tion der Dich­tung Hölder­lins auch — und nicht zulet­zt — einen gülti­gen Beitrag zu einem besseren Ver­ständ­nis leis­ten kann und diese Dich­tung wieder aufleben läßt in ihrer Aktu­al­ität, als laufend­en Kom­men­tar zum Prob­lem der Rev­o­lu­tion und des Mannes im Zeital­ter der Rev­o­lu­tio­nen. (138)/

Oswald Egger: Tag und Nacht sind zwei Jahre. Kalen­dergedichte. Warm­bronn: Ulrich Keich­er 2006. 31 Seit­en.

Egger, Tag und NachtKalen­dergedichte? Wirk­lich? Das würde mich bei einem Autor wie Oswald Egger allerd­ings über­raschen. Und natür­lich ist das wed­er Kalen­der noch Gedicht — zumin­d­est nach herkömm­lichem Ver­ständ­nis. Aber das zählte für Egger ja (noch) nie. Ein ander­er, ein neuer Gang durch’s (Natur-)Jahr hat er hier aufgeschrieben — Men­schen kom­men nicht vor (nur das „ich“, das aber dur­chaus häu­fig), höch­stens ihre Arte­fak­te wie die „Fahrstraße“ (14), die Wege etc, die in der Natur liegen – ein Jahres­reigen, wirk­lich ein Reigen. Hier kann man sehen, was passiert, wenn sich ein Sprach­meis­ter und ‑magi­er wie Egger der Natur annimmt: Ihren Erschei­n­un­gen und ihrem Erklin­gen. Das ist — wie immer — phan­tastisch: Kaum jemand kann Sprache so magisch und kraftvoll ver­for­men wie Egger — und damit Bilder und Töne evozieren, die nor­male Sätze oder Wörter nicht aufrufen kön­nen: Die sind zu schwach, zu aus­ge­laugt, zu abgenutzt, sie tre­f­fen das einzi­gar­tige, beson­dere des jew­eili­gen Moments nicht — und deshalb gibt’s halt Neues. Das hat immer etwas von einem Aben­teuer: Man weiß wed­er, wo der Satz einen hin­führt, noch, was der näch­ste Satz, die näch­ste Seite/Doppelseite (ein „Gedicht“) bringt.

[…] wie far­big flam­mendere Träume / schreck­ten diese hier, kalbend­sten sel­ban­der, als Vögel / im Fieber­schlaf erstar­rt, und floureszieren etwas (wie nichts) /| auf Gran­it, die wie Por­phyrpflaster­plat­ten der Zufluß-Gneise / schiefer­n­der Wege, alles Fir­ma­ment verbleite licht­grau und / betrübt sich richtig — (richtig)? (2f.)
Moni­ka Rinck: Helle Ver­wirrung. Gedichte — Rincks Ding- und Tier­leben. Texte & Zeich­nun­gen. Idstein: kook­books 2009. 139 Seit­en.

rinck, helle verwirrungGle­ich zwei Büch­er auf ein­mal hier. Aber zwei ganz ver­schiedene Seit­en von Moni­ka Rinck. In Helle Ver­wirrung die “nor­male” Lyrik­erin, in Rincks Ding- und Tier­leben die Zeich­ner­in von kuriosen Din­gen. Aber Rinck hat ja sowieso Auge und Ohr für das Ungewöhn­liche, das Kuriose — etwas im “Begriff­sstu­dio”. Das schlägt sich vor allem in den küh­nen Bildern der Hellen Ver­wirrung nieder — und in den starken Titel der Gedichte, die — sel­ten genug — wirk­liche Titel sind: „erschöpfte konzepte: die liebe“, „immer nie“ …
Und allein der Quit­ten-Zyk­lus ist mit seinen phan­tastis­chen, vielfälti­gen und vol­lkom­men über­raschen­den Bildern den Band schon wert.

Weniger kon­nte ich dage­gen mit dem Ding- und Tier­leben anfan­gen: Das ist sehr spielerisch und humoris­tisch, mit Lust an Kon­tradik­tio­nen und Null-Sinn und dem sprach­lichen extem­po­ri­eren. Aber einen recht­en Zugang habe ich dazu nicht gefun­den.

Mein Lieblingsz­i­tat:

in jedem buch gibt es zeilen, die man gar nicht lesen darf. (14)

Schöne Stellen gibt es aber unendlich viele. Zitierenswert erschien mir auch noch das hier — vielle­icht gibt das ja einen Ein­druck, warum ich das so gern gele­sen habe:

das fand für dich auf der gren­ze statt, die meis­ten dein­er gäste / haben sich entsch­ieden für: nor­mal­ität. ein­sam waren sie trotz­dem. (16)/

Oswald Egger: Deutsch­er sein. Warm­bronn: Ulrich Keich­er 2013 (Rei­he Lit­er­aturhaus Stuttgart 4). 28 Seit­en.

Egger, Deutscher-seinEin klein­er, bei Keich­er sorgsam gedruck­ter Essay über die deutsche Sprache, ihre Struk­tur und ihren Laut, ihre Möglichkeit­en und Schwierigkeit­en. Zugle­ich geht es, der Titel ver­rät es ja, auch um die Möglichkeit­en und Beschw­ernisse, Deutsch­er zu sein. Dieses Sein scheint sich aber — für Egger ja nicht beson­ders ver­wun­der­lich — vor allem oder haupt­säch­lich in der Sprache abzus­pie­len und zu entwick­eln. Deswe­gen geht es also auch um solche Erleb­nisse wie den “Schmuggel” von Sinn und Bedeu­tung in Wörter, Sätze und Texte. Oder um Klang und Musik, Lieder und Melos des Deutschen — vor allem natür­lich des “Deutsch­land­sliedes”, der Nation­al­hymne. The­men sind außer­dem: Der Umgang “der Deutschen” — und ihrer Dichter — mit ihrer Sprache und den ihr innewohnen­den Möglichkeit­en. In An- und Halb­sätzen zeigen sich dabei auch einige Bausteine der Poet­ik Eggers — näm­lich eben in seinem Ver­ständ­nis der Sprache, die wohl etwas sehr offenes und flu­ides ist.

da gabelt sich die Gabe der Sprache in irrwis­che Wün­schel, durch und durch die Gegend ohne Gegen­stand als ein eingepeitschter Schlingerkreisel im ergat­terten Mis­chmasch (5)

Oswald Egger: Nichts, das ist. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2001. 160 Seit­en.

egger, nichts das istAußer­dem noch diesen drit­ten Egger gele­sen. Aber da sehe ich mich außer­stande, etwas halb­wegs kluges dazu zu sagen …

In den Gedicht­en oder 200 Strophen/4‑Zeiler mit angehängter/überlagerter Poet­ik & Sprachkri­tik & Sprach­suche im poet­is­chen Modus steckt — so viel merke ich schon beim ersten Lesen — unheim­lich viel drin. Hyper­kom­plex gibt sich das, vielle­icht ist das aber auch nur gefakt? Beim (ersten) Lesen bleiben eigentlich nur Sin­n­fet­zen, Assozi­a­tio­nen, Klänge, Klang­wortrei­hen und ‑entwick­lun­gen — aber davon so viel, dass es die Lek­türe lohnt. Die 3–5fache Par­al­lelität des Textes (der Texte? — was ist hier über­haupt “der” Text? und was machen die Zeichnungen/Grafiken da drin?), hor­i­zon­tal und ver­tikal auf den Seit­en, vom Kolum­nen­ti­tel oben bis zum unteren Rand, über­haupt das per­ma­nente Überkreuzen und Queren — von Sinn, von Einheit(en), von Text und Sprache machen schon eine “nor­male” Lek­türe unmöglich — ein “Ver­ste­hen” erst recht. Immer neue Ansätze scheinen sich hier aufzu­tun, Iter­a­tio­nen vielle­icht auch, oder Bohrun­gen in der Art von Ver­suchen mit offen­em Aus­gang: kein fes­ter BOden, kein festes/dauerndes Ergeb­nis ist das einzig Ergeb­nishafte, was die Lek­türe ergibt.

Zwei Beispiel­seit­en — beina­he zufäl­lig aus­gewählt ;-) — mögen das illus­tri­eren:
egger, nichts das ist, 18

egger, nichts das ist, 48

Scott Jurek with Steve Fried­man: Eat & Run. My unlike­ly Jour­ney to Ultra­ma­rathon Great­ness. Lon­don u.a.: Blooms­bury 2012. 260 Seit­en.

Ist das ein Lauf­buch? Der Autor­name lässt es ver­muten: Scott Jurek ist ein­er der großen Ultra­läufer. Aber Eat & Run — der Titel ver­rät es ja schon — dreht sich nicht nur ums Laufen. Im Gegen­teil: Über weite Streck­en geht es vor allem ums Essen. Nicht ohne Grund ste­ht das im Titel vorne. Und zwar um das richtige Essen — näm­lich die veg­ane Ernährung. Jurek schildert aus­führlich seinen Weg von der “nor­malen” amerikanis­chen Kost des mit­tleren West­ens zur veg­an­is­chen Ernährung. Das geschieht bei ihm vor allem aus (schein­bar) gesund­heitlichen Grün­den und weil er meint zu beobacht­en, dass er sich damit bess­er fühlt. Zugle­ich pla­gen ihn aber auch lange und immer wieder die Zweifel, ob er mit veg­a­nen Lebens­mit­teln aus­ge­wogen, gesund und in allen Bere­ichen aus­re­ichend genährt ist, um Ultras zu laufen.

So recht warm gewor­den bin ich mit Eat & Run aber nicht. Obwohl ich die Leis­tun­gen Jureks sehr schätze, blieb mir seine Hal­tung zum Laufen, wie sie sich hier zeigt, ein­fach fremd. Mehr dazu ste­ht in meinem Lauf­blog: klick.

span style=“font-variant: small-caps”>Werner Laub­sch­er: Win­ter­reise. Win­ter­sprache. Annweil­er: Thomas Plöger 1989. 58 Seit­en.

laubscher, winterreiseDarauf bin ich nur zufäl­lig durch einen Beitrag in der Poet #15 gekom­men. Zunächst mal ist das ein schönes Buch, auch die Her­stel­lung ist ein Teil des Kunst­werks: Tra­di­tioneller Bleisatz, feines Papi­er (unaufgeschnit­ten und deswe­gen dop­pelt — so wird aus 58 Seit­en ein Buch), lebendi­ger Druck, schön­er Ein­band, dazu die far­bigen Bilder Laub­sch­ers — so macht man Büch­er.

Wil­helm Müllers Win­ter­reise — oder wohl doch eher Schu­berts Liedzyk­lus — dient Laub­sch­er als Anre­gung und Aus­gangspunkt für seine kleinen Gedichte. Die haben etwas von Preziosen: Fein und feinsin­nig beobachtet, sehr klug und sehr sprachge­wandt, auch sehr geschlif­f­en und fest, über­haupt nicht spielerisch. Teil­weise funk­tion­ieren sie als Über­schrei­bung: Einzelne Worte und Sätze aus dem “Orig­i­nal” sind als Zitate und Ankläge eingear­beit­et — sehr dicht, fast naht­los fügen sie sich in Laub­sch­ers wesentlich mod­erneren (wenn auch nicht avant­gardis­tis­chen) Ton ein, der es trotz sein­er Moder­nität schafft, ver­gle­ich­sweise zeit­los zu bleiben. Ziem­lich düster, grau und trau­rig ist diese Win­ter­welt hier. Aber, und das macht es lesenswert, es sind ganz viele Graus. Vielle­icht kön­nte man sagen, dass Laub­sch­er hier die Müller­sche Win­ter­reise über­bi­etet: Mit mehr Real­is­mus und zugle­ich mehr poet­is­ch­er Entrück­ung geht das weit­er als die roman­tis­chen Urgedichte. Und bleibt dabei ander­er­seits auch doch sehr zurück­hal­tend — arg bre­it ist das the­ma­tis­che Feld nicht. Das macht aber nicht, weil es handw­erk­lich sehr geschickt — etwa in der Ver­ket­tung der einzel­nen Gedichte — und dur­chaus fein gemacht ist: (Be)rührend sind hier viele der Gedichte, emo­tion­al durch oder in ihrer Kun­st­fer­tigkeit.

Eines mein­er Lieblings­gedichte aus dem titel­geben­den Zyk­lus ist das auf Seite 19:
laubscher_19

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