Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: theater

Aus-Lese #14

Noah Sow: Deutsch­land Schwarz Weiß. Der all­täg­li­che Ras­sis­mus. Mün­chen: Gold­mann 2009. 320 Sei­ten.

Deutsch­land Schwarz Weiß ist ein wich­ti­ges Buch. Wich­tig, um die vor­herr­schen­den Struk­tu­ren des Ras­sis­mus in Deutsch­land zu erken­nen und so ver­su­chen, sie zu bekämp­fen, und zu über­win­den. Sow zeigt an einer Fül­le von Bei­spie­len, wie tief ver­an­kert ras­sis­ti­sches Den­ken und Ver­hal­ten in der deut­schen Gesell­schaft ist, wie Ras­sis­mus in Deutsch­land zum All­tag gehört – weil er struk­tu­rell-gesell­schaft­lich be“gründet“ und qua­si ver­erbt wird.

Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wer­tun­gen ein­ver­stan­den – aber dar­um geht es auch gar nicht. Son­dern dar­um, zu erken­nen, wie sehr ras­sis­ti­sche Vor­stel­lung unser Den­ken und eben auch unser Han­deln immer wie­der immer noch prä­gen. Dafür ist Sow’s Buch her­vor­ra­gend geeig­net und soll­te fast so etwas wie Pflicht­lek­tü­re für bewuss­te Teil­neh­mer der deut­schen Gesell­schaft sein . Ich hät­te es zwar ger­ne etwas strin­gen­ter und kla­rer in Struk­tur und Spra­che, aber das ist mei­ne per­sön­li­che Prä­fe­renz. Sow bemüht sich um Umit­tel­bar­keit und Wirk­mäch­tig­keit – da hat sie wahr­schein­lich die bes­se­re und wirk­sa­me­re Stra­te­gie und Spra­che gefun­den.

Letzt­lich läuft das gan­ze auf die­sen einen Satz hin­aus: „Ras­sis­mus ist kein Schwar­zes, son­dern ein wei­ßes Pro­blem.“ (272) – das ist der zen­tra­le Punkt. Und den muss man erken­nen, bevor man etwas ändern kann.

Tho­mas Meine­cke: Ana­log. Mit Zeich­nun­gen von Michae­la Melián. Ber­lin: Ver­bre­cher 2013. 111 Sei­ten.

Das neu­e­se (schma­le) schö­ne Bänd­chen (vor allem dank der Zeich­nun­gen Meliáns) von Tho­mas Meine­cke bringt den Buch­le­sern sei­ne gesam­mel­te Kolum­nen aus dem „Groo­ve“ von 2007–2013. Ganz sym­bo­lisch auf­ge­la­den sind das natür­lich 33 – denn es geht vor­wie­gend um Plat­ten bzw. die Musik dar­auf (und auch hin und wie­der um die Unge­wiss­heit, ob eine Plat­te mit 33 oder 45 Umdre­hun­gen abzu­spie­len sei): Das sind kur­ze (oder eigent­lich sehr kur­ze) Text zur Musik über­haupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Impli­ka­tio­nen der Pro­fes­si­on und der Musik. Fas­zi­nie­rend ist dabei immer wie­der, wie genau Meine­cke beob­ach­ten und erken­nen kann (so weit ich das zu ver­fol­gen und beur­tei­len ver­mag, nicht alles ist mir bekannt von dem Vie­len (ist nicht immer mei­ne Musik …), über das er schreibt) – und wie prä­zi­se er die­se Erkennt­nis­se in weni­ge Wor­te fasst. Zum Bei­spiel so:

  • „Respekt, dach­te ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, son­dern was Westbam will.“ (26)
  • „Sie gera­ten ins Fach­sim­peln, und ich wür­de am liebs­ten mit­re­den, aber ich habe ja die Liner-Notes geschrie­ben.“ (38)
  • „Ich konn­te vor allem von Theo­lo­nious Monk mei­ne Augen nicht las­sen: Sei­ne mini­ma­lis­ti­sche Unru­he schien mir von uto­pi­schen Aus­ma­ßen zu sein.“ (43)
  • „Ich habe (spä­tes­tens seit Hoyers­wer­da) her­aus­ge­fun­den, dass ich eine natio­na­le Iden­ti­tät allein über den Holo­caust ent­wi­ckeln kann. (Eigent­lich bräuch­te ich gar kei­ne.)“ (85f.)
  • „Ich hat­te das Gefühl, dass lau­ter Schau­spie­le­rIn­nen (in brand­neu­en Leder­ja­cken) um mich her­um stan­den, und irgend­wo stand sicher auch Man­fred Eicher, der den sonisch anrü­chi­gen Muzak Jazz-Kata­log sei­nes ECM Labels jüngst durch Vill­a­lobos (dem ich hier mal die Ahnungs­lo­sig­keit des Spät­ge­bo­re­ren attes­tie­re) ver­edeln ließ.“ (87)
  • „Logisch bil­det das Mys­te­ri­um der Musik für Schrift­stel­ler (wie mich) einen Sehn­suchts­raum: Wo die Spra­che nur schwer hin­kommt, tut sich ein Gefühl von Frei­heit auf. (Spra­che ist ja ein Knast.) Ande­rer­seit mei­ne (von dekon­struk­ti­vis­ti­schen Femi­nis­tin­nen erlern­te) Erkennt­nis: Vor der Spra­che gibt es nichts. Auch Dis­ko ist dis­kur­siv.“ (93)
Ernst Wünsch: Sprizz bit­ter. Erzäh­lung. Wien: Sisy­phus 2009. 156 Sei­ten.

Das ist über­haupt nicht bit­ter, aber dafür ganz beson­der sprit­zig: Eine kaum zu beschrei­ben­de Erzäh­lung vol­ler Humor (weni­ger dage­gen wit­zig). Wild und aus­ufernd ist der Text, der dien Lebens­ab­schnitt eines Lang­zeit­ar­beits­lo­sen, der einen 97jährigen Thea­ter­künst­ler als Mäd­chen für alles dient. Unwahr­schein­lich und den Leser auch schon mal bedrän­gend sta­pel sich da die Ver­rückt­hei­ten. Der Rezen­sent von literaturkritik.de weist dar­auf hin, dass das zumin­dest teil­wei­se trotz sei­ner gera­de­zu phan­tas­ti­schen Gestalt durch­aus rea­le Bege­ben­hei­ten der Thea­ter­sze­ne der 1970er Jah­re beschreibt. Davon aber mal abge­se­hen, ist das ein­fach gran­di­os unter­hal­tend: Wild und unge­zähmt ist die­ser Text wie sein Sujet, frei vaga­bun­die­rend zwi­schen Exkur­sen und Fuß­no­ten, viel­schich­tig zwi­schen rea­len, irrea­len und sur­rea­len Abschnit­ten wie in einem Traum hin und her sprin­gend. Fas­zi­nie­rend und sym­pa­thisch…

Weltmüller und andere Fast-Reportagen

Das ist ein wun­der­ba­res net­tes klei­nes Buch, die­ser Welt­mül­ler von Frank Fischer.1 Der hat sich ja – zumb Bei­spiel in der eben­falls amü­san­ten „Zer­stö­rung der Leip­zi­ger Stadt­bi­blio­thek im Jahr 2003“ – schon öfters an kon­tra­fak­ti­schen Repor­ta­gen ver­sucht. Das ist nicht unbe­dingt wahn­sin­nig gehalt­voll und tief­schür­fend, aber hoch­tra­bend unter­halt­sam. Dass wahr­schein­lich kein Publi­kum der Welt den „Ham­let“ so genau kennt, dass es genau fol­gen kann, wenn statt Men­schen Hun­de auf der Büh­ne ste­hen und ent­spre­chend kein ein­zi­ges Wort gespro­chen wird – geschenkt. Dass Godot in einer bahn­bre­chen­den Insze­nie­rung zwar mit „dem bes­ten deutsch­spra­chi­gen“ Schau­spie­ler besetzt wird, aber natur­ge­mäß nicht auf­taucht, nicht ein­mal zum Schluss­ap­plaus, ist natür­lich an sich eine blas­se Poin­te. Aber dar­um allei­ne geht es Fischer ja nicht. Son­dern um die Mit­tel und Mög­lich­kei­ten, sol­che (Nicht-)Ereignisse des Kul­tur­le­bens zu beschrei­ben. Und das kann er rich­tig gut – ein­fach prä­zi­se unter­hal­tend näm­lich, in einer genau durch­ge­führ­ten Stil­par­odie. Mehr ist das gan­ze Büch­lein auch kaum. Aber das ist ja schon nicht wenig.

Der Witz bei den Erzäh­lun­gen hier ist natür­lich, dass sie zwar einer­seits absurd erschei­nen, ande­rer­seits als (fast?) rea­lis­tisch gel­ten müs­sen: Ohne Pro­ble­me kann man sich eine Godot-Insze­nie­rung vor­stel­len, bei der ein Godot besetzt wird. Selbst­ver­ständ­lich liegt es nicht außer­halb des Mög­li­chen, das ein Kunst­werk qua­si im Moment des Ent­ste­hens ver­waist, weil sein vor­geb­li­cher Schöp­fer jede Betei­li­gung leug­net und so eine „seman­ti­sche Zeit­bom­be“ im öffent­li­chen Raum hin­ter­lässt – denn wenn nicht bekannt ist, wer das Kunst­werk (das spricht dem Pro­jekt übri­gens bei Fischer fast nie­mand ab) geschaf­fen hat, ist es auch nicht deut­bar.2 Schließ­lich muss der ima­gi­nä­re Jour­na­list Fischers resü­mie­ren: „Man lässt das Werk nun doch ein­fach gewäh­ren.“ (81)

Das Chan­gie­ren zwi­schen unse­rer „Rea­li­tät“ und kon­tra­fak­ti­schen Situa­tio­nen, denk­ba­ren Ereig­nis­sen in mög­li­chen Wel­ten zieht sei­nen Witz genau dar­aus, dass nicht immer auf den ers­ten Blick erkenn­bar ist, was Rea­li­tät ist oder sein kann und was nur eine mög­li­che Vor­stel­lung dar­stellt. Wer außer­dem noch Freu­de an Meta­spiel­chen (aber ganz unauf­ge­regt, ohne gro­ßes Theo­re­ti­sie­ren) und Schlüs­sel­er­zäh­lun­gen aus dem Kul­tur­be­trieb hat und sich an den vor­ge­führ­ten Hohl­hei­ten von man­nig­fal­ti­gen Wort­hül­sen aus die­sem Sek­tor delek­tie­ren kann, der wird hier sicher­lich eine oder zwei ver­gnüg­li­che Stun­den haben (übri­gens gibt es „Welt­mül­ler“ auch als preis­wer­tes E‑Book).

Frank Fischer: Welt­mül­ler. Ber­lin: Sukul­tur 2012. 120 Sei­ten. ISBN 978−3−941592−32−2.

Show 2 foot­no­tes

  1. Auf­merk­sam gewor­den bin ich dar­auf im „Text & Blog“-Blog (hier), dann auch beim Begleit­schrei­ben: klick.
  2. das ist natür­lich Quatsch … – aber weit ver­brei­ter Blöd­sinn und des­halb hier glaub­wür­dig

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