Es ist schon ein wenig erstaunlich: Da übernimmt eine nur wenigen Insidern wirklich bekannte Sängerin eine Rolle bei den Salzburger Festspielen – und kurz darauf ist die ganze Welt verrückt nach Anna Netrebko. Dafür gibt es mehrere Gründe, ihre stimmlichen Fähigkeiten und ihre Gesangskünste sind nur ein Teil davon. Unbedingt dazu gehören auch ihre Attraktivität, ihre Ausstrahlung auf der Opernbühne und natürlich eine ganz gehörige Portion Marketing. Aber viel mehr scheint hinter dem Coup dann doch nicht zu stecken.
Das ist zumindest das Ergebnis aus Marianne Reissingers „Porträt“ und Gregor Dolaks Überlegungen, den ersten beiden umfangreicheren, als Buch erschienen Versuchen über Person und Erfolg der Netrebko. Vielleicht lässt sich auch noch festhalten, dass es sich bei der Starsopranistin um einen mehr oder minder egomanisch veranlagten Charakter handelt, der nach Aufmerksamkeit und Publikum giert – so direkt mag das aber keinen der beiden sagen.
Dolak, Musikredakteur beim „Focus“, macht die russische Sopranistin dafür gleich auch noch zum Prototypen eines „Opernstars der neuen Generation“. Aber das bleibt eine Behauptung, die von ihm nirgends untermauert wird. Im Unterschied zu der etwas zurückhaltenderen Marianne Reissinger, auch als Musikredakteurin („Abendzeitung“) erprobt, wagt Dalok sich näher an die Person heran und zitiert ausführlich aus längeren Gesprächen. Reissinger dagegen führt mit Vorliebe lange, zuweilen sehr lange Passagen aus russischen und deutschen Kritiken an. Damit ist der Focus-Redakteur viel zurückhaltender. Auf andem Gebiet legt er dafür mächtig vor: Als echter Magazin-Journalist feiert er ein wahres Fest der Adjektive und der ausgewählt blumigen Sprache – die Sopranistin wird da schon mal zur „singenden Königin der Klatschspalten“. Nicht nur sprachlich, auch inhaltlich ist Reissingers Versuch jedoch immer wieder eine Spur exakter: Sie schaut genauer auf die Fakten und verbleibt nicht so stark wie Dolak in der Perspektive des begeisterten Fans.
Doch beide bemühen sich, die Fragilität dieses speziellen Startums zu zeigen, den Spagat zwischen ambitionierter Gesangskunst und Pop-Vermarktung. Beide schwächeln dann leider auch auf einem eigentlich zentralem Gebiet: Der Kritik oder wenigstens der Analyse der sängerischen Fähigkeiten und Interpretationen der Netrebko. Über gröbste Schlagworte oder Zitate wollen und können sie offenbar nicht hinaus kommen. Und noch eines ist ihnen gemeinsam: Wirklich erklären können sie weder Anna Netrebko noch ihren Erfolg.
Gregor Dolak: Anna Netrebko. Opernstar der neuen Generation. München: Heyne 2005. 255 Seiten.
Marianne Reissinger: Anna Netrebko. Ein Porträt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. 205 Seiten.
erschienen in der zeitschrift des deutschen chorverbandes, der „neuen chorzeit”, ausgabe juli/august 2007.