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Schlagwort: neue musik

und noch ein konzert: (fast) nur schnittke-kammermusik

ger­ade eben noch fer­tig gewor­den: meine besprechung des heuti­gen konz­ertes der rei­he “neue musik in der alten patrone”, deren def­i­n­i­tion von neuer musik und dementsprechend auch die pro­gram­mgestal­tung mich son­st sel­ten wirk­lich zufrieden stellen kann. aber auch wenn ich immer noch kein wirk­liche fan von alfred schnit­tke bin ‑unter dem heute gehörten war doch einiges bedenkenswertes, etwa die erste sonate für cel­lo und klavier. und auch das klavierquar­tett “mahler-scher­zo” (basierend auf dem frag­ment von mahlers zweit­em satz in seinem nie vol­len­de­ten klavierquar­tett) hat dur­chaus reize ent­fal­ten kön­nen. auch wenn die dar­bi­etung zwar größ­ten­teils ziem­lich ordentlich war, aber noch luft nach oben ließ — was m.e. vor allem daran lag, dass die orch­ester­musik­er solche werke ein­fach zu oft spie­len, da fehlt die rou­tine und tech­nis­che gelassen­heit, mit der das “haup­tamtliche” kam­mer­musik­er spie­len kön­nen, ein­fach an vie­len stellen.

offiziell klingt das dann etwas gemäßigter bzw. fre­undlich­er:

so etwas gehört ja eigentlich ver­boten. denn das ist nichts anderes als emo­tionale erpres­sung, was judith tie­mann und mar­ti­na graf-nießn­er in der alten patrone mit alfred schnit­tkes erster vio­lon­cel­lo-sonate anstellen. ein­fach gemein ist es, denn jede gegen­wehr ist sowieso zum scheit­ern verurteilt. die bei­den sind ein­fach unver­schämt inten­siv, lassen die schat­ti­gen klänge dieser med­i­ta­tion und ihre grotesken anwand­lun­gen der­maßen nach­drück­lich in den raum schweben, dass man der verblüf­fend­en kohärenz dieser emphatis­chen grat­wan­derung, die die bei­den musik­erin­nen mit unfass­bar­er sicher­heit absolvieren, ein­fach nicht entkom­men kann. selb­st auf dem schmalen grat zwis­chen emo­tionaler inten­sität und purem kitsch, auf dem schnit­tke so oft wan­delt, scheuen sie selb­st große gesten nicht. und weil das für sie so selb­stver­ständlich scheint, gelingt es auch: nur wer sein­er selb­st wirk­lich sich­er ist, kann sich so etwas erlauben, ohne zu scheit­ern. dage­gen wirk­te schnit­tkes vio­lin­sonate, die anette seyfried davor gespielt hat­te, auf ein­mal ganz blass und unschein­bar. und das, obwohl sie zunächst recht strin­gend und tre­f­fend musiziert schien.

der zweite teil des konz­ertes war dann dem klavierquar­tett gewid­met, für dass sich die trois femmes malte schae­fer und seine vio­loa als ver­stärkung geholt haben. auch hier das gle­iche spiel: die suite im alten stil, von den musik­ern selb­st für klavierquar­tett arrang­iert, ist vor allem brav und rechtschaf­fen bieder, aber auch reich­lich nichtssagend und lang­weilig. doch das war ja noch nicht alles. denn für schnit­tkes klavierquar­tett „mahler-scher­zo“ bere­it­eten die vier sich zunächst mit mahlers quar­tettsatz vor. schnit­tke bezieht sich in seinem quar­tett ja auf die skizzen mahlers für den nie kom­ponierten zweit­en satz zu einem klavierquar­tett, von dem nur der anfang fer­tig wurde. der mahler klang dann in der alten patrone vor allem sehr orches­tral, reich­lich aufge­plus­tert und dadurch an entschei­den­den stellen etwas unscharf. aber das über­boten die musik­er bei schnit­tkes mahler-fortschrei­bung mit leichtigkeit: den dicht­en, eng ver­wobe­nen satz ließen sie gekon­nt zwis­chen spätro­man­tik und post­mod­erne schwanken, beton­ten geschickt immer wieder die dif­feren­zen dieser klang­wel­ten und das düster-groteske, die auflö­sung der in den mahler­schen entwür­fen noch halb­wegs zusam­men­hän­gen­den welt in den clus­tern und der klin­gen­den entropie des endes – ein passender schlusspunkt lässt sich kaum find­en.

so, das war jet­zt heute ein pro­duk­tiv­er tag.…

und das ist lei­der eine recht lang­weilige sache gewe­sen. es zeigte sich näm­lich mal wieder, dass musik, die ein­fach nur nett und unter­halt­sam sein will, ger­ade in der massierung eines konz­ertes eher ennuierend als unter­hal­tend ist. zumin­d­est für mich, der ich eben auf einen gewis­sen — auch intellek­tuellen — anspruch an die kun­st nicht aufgeben will. so habe ich das ganze für die rhein-zeitung gefasst:

musik darf auch mal nur spaß machen und ein­fach gefall­en wollen. eine ganze gruppe solch­er werke gab es jet­zt in der fün­ften mati­nee des staat­sthe­aters zu hören. im orch­ester­saal des mainz­er the­aters war das allerd­ings ein wenig viel des guten: das sind zwar alles nette stücke, aber auch kaum mehr. und sechs mal nett wird ganz schnell lang­weilig. das liegt lei­der zum teil auch daran, dass die musik­er nicht immer zwin­gende gründe für ihre auswahl haben. casimir lal­li­ets terzet­to zum beispiel ist ja in sein­er ein­fachen ele­ganz und seinem schwungvollen charme angenehm anzuhören, aber lei­der spie­len mar­tin letz (oboe), erik meßmer (fagott) und hatem nadim am klavier immer nur mit sicher­heit­sre­serve. sie lassen nie los: das ist ordentlich ein­studiert, aber sehr viel ausstrahlung kann es nicht ver­mit­teln. auch die „sara­bande et alle­gro“ von gabriel grovlez für oboe und klavier ver­strömt vor allem den hauch ein­er unterge­gan­genen epoche: die ver­staubte und aus­ge­blich­ene ele­ganz des fin-de-siè­cle, immer ein wenig sno­bis­tisch, aber trotz aller kun­sthandw­erk­lichen fer­tigkeit doch inzwis­chen arg abgenutzt.

eben­falls ganz nett, aber ohne beson­dere span­nung: die oboen­sonate von gor­don jacob. gut, der englän­der ist immer­hin schon teil­weise im zwanzig­sten jahrhun­dert angekom­men. aber auch hier sind die bei­den instru­men­tal­is­ten dann am besten, wenn sie leicht gefühls­selig, klangver­liebten wohllaut her­vor­brin­gen kön­nen, wenn sie in die welt des schö­nen traumes und scheins schweifen kön­nen.

knack­ig wird das erst mit eugène boz­za. dessen „réc­it, sicili­enne et ron­do“ für fagott und klavier zeigt zwar nicht unbe­d­ingt geniale kom­po­si­tion­sid­een, aber immer­hint pack­endes musikan­ten­tum, das ernst meßmer mit nach­druck und gewandter geläu­figkeit vor­bringt.

das trio von jean fran­caix bringt das ganze dann noch ein­mal auf den punkt: musik um des spaßes an der musik willen. und hier ist das inter­pre­ten-trio auch wirk­lich wach: das sprudelt nun mit der notwendi­gen klan­glichen kraft und instru­men­taler präzi­sion, in der das andante durch seine coole läs­sigkeit und beein­druck­ende klarheit beson­ders her­vorsticht. die spielerische freude, mit der sie dann auch noch das finale aufrol­len, gibt der mati­nee wenig­stens noch einen würdi­gen abschluss, der sich nicht im puren spaß erschöpft.

die rheinische orchesterakademie entdeckt amerika

ein nettes abschlusskonz­ert der fün­ften arbeit­sphase der rheinis­chen orch­ester­akademie mainz im kur­fürstlichen schloss — mit drei ganz ver­schiede­nen vertretern “amerikanis­ch­er” musik:

ameri­ka ist ein großes land mit vie­len leuten, die gerne auch so viel tra­di­tion und geschichte hät­ten wie die europäer. vor allem wenn es um die musik für den konz­ert­saal geht – da tat­en sich die siedler und ihre nach­fahren näm­lich lange schw­er.

inzwis­chen ist das prob­lem freilich nicht mehr so zu erken­nen, auch die amerikan­er haben eine musik­tra­di­tion.

drei möglichkeit­en des kom­ponierens in und mit ameri­ka beschäftiget die fün­fte aus­gabe der rheinis­chen orch­ester­akademie mainz (roam), die ihre ergeb­nisse bei einem abschlusskonz­ert im schloss präsen­tierte.

sergej prokof­jew muss her­hal­ten als ein emi­grant, der zumin­d­est zeitweise in den usa lebte. seine 7. sin­fonie freilich ist erst viel später ent­standen und ver­ar­beit­et deshalb auch andere ein­flüsse, vor allem die bes­tim­mungen der sow­jetis­chen kul­tur­poli­tik nach dem zweit­en weltkrie. aber let­ztlich ist es auch ein­fach nur musik. die strenge, fast mil­itärisch straffe organ­i­sa­tion, die der junge diri­gent tobias rokahr der roam verord­netet, ver­hil­ft dieser sin­fonie zu ein­drück­lichem erfolg. keine spur von chaos, kein unkon­trol­liert­er tumult trüben die große überzeu­gungskraft.

weniger glück­lich zeigte sich rokahr dage­gen beim con­certi­no für marim­baphon und orch­ester von paul cre­ston, das für die zweite möglichkeit des amerikanis­chen kom­ponierens stand: die verbindung von u- und e‑musik, wohl die erfol­gre­ich­ste form. am solis­ten ben­jamin schäfer lag das freilich nicht: der ließ seine schlegel mit viel feuer und gehörig druck tanzen. die roam wirk­te dage­gen wie ziem­lich schw­er­fäl­liger dampfer – aber da sie eh’ nicht so wichtig ist für das gelin­gen dieses con­certi­nos, macht das nichts.

charles ives schließlich ist einen drit­ten weg gegan­gen: vor allem der kün­st­lerischen avant­garde verpflichtet, ohne seine heimat darüber zu vergessen. „the unan­swered ques­tion“ ist ein echter dauer­bren­ner, um das zu beweisen. zum glück spielte die roam auch den dazuge­höri­gen zweit­en teil. denn schon der anfang ist ein­fach unwer­fend: zart flir­ren die stre­ich­er, darüber erhebt sich die tas­tend fra­gende trompete, die eigentlich schon jede hoff­nung auf eine antwort aufgegeben hat und zunehmend desparater wirkt, aber den stachel der hoff­nung nie ganz ent­fer­nen kann: vielle­icht klappt es ja doch noch ein­mal. die antwort ver­suchen die holzbläs­er – und find­en keine. sie erge­hen sich in hek­tis­chem ges­tam­mel, wis­sen allerd­ings selb­st immer schon, dass das keine antwort wer­den wird, bis sie schließlich genug haben und selb­st den ver­such aufgeben – da hat tobias rokahr die tragik der mod­erne wirk­lich wun­der­bar her­aus­gek­itzelt.

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