Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: neue musik Seite 2 von 8

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  • Fahrrad­boom und Fahrradin­dus­trie — Vom Draht­e­sel zum “Bike” — ein sehr schön­er, langer, vielfältiger, bre­it­er und inten­siv­er text von gün­ter brey­er zur sit­u­a­tion des fahrrads als pro­dukt in deutsch­land: her­stel­lung, ver­trieb, verkauf in deutsch­land, europa und asien — mit allem, was (ökonomisch) dazu gehört …
  • Geset­zge­bung: Unsinn im Strafge­set­zbuch | ZEIT ONLINE — thomas fis­ch­er legt in sein­er zeit-kolumne unter dem titel “Unsinn im Strafge­set­zbuch” sehr aus­führlich dar, warum es im deutschen recht ein­fach schlechte, d.h. handw­erk­lich verp­fuschte, para­graphen gibt und fordert, in dieser hin­sicht auch mal aufzuräu­men

    Ein Beispiel für miss­glück­te Geset­zge­bung und insti­tu­tion­al­isierte Ver­ant­wor­tungslosigkeit – und ein Aufruf zur Reparatur

  • Anti­semitismus: Was heißt “N.soz”? | ZEIT ONLINE — adam soboczyn­s­ki über den ver­dacht (der sich bis­lang nicht erhärten oder wider­legen lässt), dass die hei­deg­ger-aus­gabe möglicher­weise philol­o­gisch nicht sauber erstellt wurde (was insofern prob­lema­tisch ist, als der zugang zum nach­lass nur eingeschränkt möglich ist und die hei­deg­ger-aus­gabe eh’ schon keine kri­tis­che ist — was bei einem philosophen dieses ranges & ein­flusses eigentlich notwendig wäre)

    Hätte der mas­sive Anti­semitismus des Philosophen Mar­tin Hei­deg­ger früher belegt wer­den kön­nen? Das fragt sich mit­tler­weile auch der Ver­lag der umstrit­te­nen Gesam­taus­gabe und ver­langt jet­zt den Her­aus­ge­bern Rechen­schaft ab.

  • Musik — Der vol­lkommene Musik­er — Süddeutsche.de — rein­hard brem­beck würdigt zum 90. geburt­stag pierre boulez und seine eigentlich irren leis­tun­gen:

    Boulez, der an diesem Don­ner­stag seinen 90.Geburtstag feiert, ist der vol­lkommene Musik­er. Er ist Kom­pon­ist, Diri­gent, Forsch­er, Intellek­tueller, Pro­voka­teur, Päd­a­goge, Ensem­ble- und Insti­tutsgrün­der in Per­son­alu­nion. Und das alles nicht nur im Neben‑, son­dern im Haupt­beruf. Damit ste­ht er heute zwar allein da, er knüpft aber an ein bis in die Roman­tik dur­chaus gängiges Berufs­bild an, das Musik­er nur gel­ten lässt, wenn sie möglichst all diese Tätigkeit­en gle­icher­weise ausüben.
    Boulez ist von Anfang an ein Prak­tik­er gewe­sen. Aber ein­er, der sich nie seine Träume durch die Ein­schränkun­gen und faulen Kom­pro­misse der Prax­is kor­rumpieren ließ.

  • Pierre Boulez: “Sprengt die Opern­häuser!” | ZEIT ONLINE — eine geburt­stagswürdi­gung für pierre boulez von felix schmidt, die sich stel­len­weise schon fast wie ein nachruf liest …

    Boulez hat dem Musik­be­trieb einen gewalti­gen Stoß ver­set­zt und ihm viel von sein­er Gedanken­leere aus­getrieben. Die Langzeit­fol­gen sind unüber­hör­bar.

  • Ille­gale Down­loads machen dem E‑Book-Markt Sor­gen — ein etwas selt­samer artikel von clemens voigt zur pira­terie bei ebooks: eigentlich will er gerne etwas panik ver­bre­it­en (und pira­terie mit dem dieb­stahl physich­er gegen­stände gle­ich­set­zen) und lässt deshalb aus­führlich die abmah­nan­wälte wal­dorf-from­mer zu wort kom­men und anbi­eter von pira­terie-bekämp­fungs-soft­ware. ander­er­seits wollen die ver­leger diese panikmache wohl nicht so ganz mit­machen … — deswe­gen bleibt das etwas ein­seit­ig …
  • Selb­st­bild ein­er Uni­ver­sität « erlebt — françois bry über das prob­lema­tis­che ver­ständ­nis von wis­senschaft & uni­ver­sität, dass “kinderu­nis” ver­mit­teln kön­nen:

    Die Fam­i­lien­vor­lesung war unter­halt­sam. Lehrre­ich war sie insofern, dass sie ein paar Vorstel­lun­gen auf den Punkt brachte:
    Ein Pro­fes­sor ist ein Star.
    Eine Vor­lesung ist eine ein­drucksvolle Schau.
    Ver­ste­hen, worum es bei ein­er Vor­lesung geht, tut man wenn über­haupt außer­halb des Hör­saals.

  • Fehlende Net­zneu­tral­ität für Telekom-Kun­den spür­bar | daniel-weber.eu — daniel weber erk­lärt, wie die telekom den fehlen­den zwang zur net­zneu­tral­ität aus­nutzt und warum das auch für ganz “nor­male” kun­den schlecht ist
  • Autoren nach der Buchmesse — Sibylle-Berg-Kolumne — SPIEGEL ONLINE — sibylle berg ist gemein — zu ihre kol­le­gen schrif­stellern und den vertretern des lit­er­ar­jour­nal­is­mus:

    Auf allen Kanälen wur­den Schrift­steller wieder über ihr Schrift­steller­tum befragt, und sie gaben mit schiefgelegtem Kopf Auskun­ft. Warum Leute, die schreiben, auch noch reden müssen, ist unklar. Aber sie tun es. Es wird erwartet. Da muss irgen­dein Anspruch befriedigt wer­den, von wem auch immer. Da muss es wabern, tief und kapriz­iös sein. Das muss sein, denn das Schreiben ist so ein unge­mein tiefer Beruf, dass jed­er gerne ein wenig von der lei­den­den tiefen Tiefe spüren mag.

    (das beste kann ich nicht zitieren, das muss man selb­st lesen …)

  • Rus­s­land: Was Putin treibt | ZEIT ONLINE — gerd koe­nen als (zeit-)historiker über ukraine, rus­s­land und was putin so umtreibt … (und die kom­mentare explodieren …)
  • Woh­nungs­bau: Es ist zum Klotzen | ZEIT ONLINE — han­no rauter­berg rantet über den ein­fall­slosen woh­nungs­bau in ham­burg — gilt aber so ähn­lich auch für andere städte …

    Häuser wer­den streng rasiert geliefert, oben alles ab. Das alte Spiel mit Trapez- und Trep­pengiebeln, mit Walm‑, Sat­tel- oder Mansard­däch­ern, ein Spiel, das Häusern etwas Gemütvolles ver­lei­ht, auch etwas Behü­ten­des, scheint die meis­ten Architek­ten kaum zu inter­essieren. Es regiert die kalte Logik des Funk­tion­al­is­mus, sie macht aus dem Wohnen eine Ware. Und da kann ma…

  • Ukraine: Frei­heit gibt es nicht umson­st | ZEIT ONLINE — geigerin Lisa Bati­ashvili zur sit­u­a­tion in der ukraine und europa sowie seine werte
  • Son­nen­fin­ster­n­is: Ein Main­stream der Angst­mache — Feuil­leton — FAZ — Main­stream der Angst­mache
  • Amerikanis­ch­er Drohnenkrieg — Was die Regierung unter Aufk­lärung ver­ste­ht — Süddeutsche.de — die süd­deutsche über die unfähigkeit der bun­desregierung, sich ans völk­er­recht zu hal­ten (wollen), hier beim drohnenkrieg der usa:

    Jenen “Frage­bo­gen”, auf dessen Beant­wor­tung die Bun­desregierung ange­blich so gedrun­gen hat, erachteten die Amerikan­er jeden­falls “als beant­wortet”, teilte das Auswär­tige Amt jüngst auf Fra­gen der Linkspartei-Abge­ord­neten Andrej Hunko und Niema Movas­sat mit. Man sehe die Angele­gen­heit damit als “gek­lärt” an, schrieb eine Staatssekretärin. Die Fra­gen bleiben also weit­ge­hend unbeant­wortet. Und die Bun­desregierung nimmt das ein­fach so hin. “Das Auswär­tige Amt will keine Aufk­lärung, inwiefern US-Stan­dorte in Deutsch­land am tödlichen Drohnenkrieg der US-Armee in Afri­ka und Asien beteiligt sind”, kri­tisieren die Par­la­men­tari­er Hunko und Movas­sat. “Das ist nicht nur undemokratisch, son­dern es erfüllt den Tatbe­stand der Strafvere­it­elung.”

  • Deutsch­land: Am Arsch der Welt | ZEIT ONLINE — david hugen­dick haut den deutschen das abend­land um die ohren

    Das Abend­land ist ein deutsch­er Son­der­weg von Kul­tur, Geist, Stolz, Volk und Wein­er­lichkeit. Warum dieses Geis­ter­re­ich der Gefüh­le nicht totzukriegen ist. Eine Polemik

Ins Netz gegangen (13.11.)

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Orgelphantasien — Zsigmond Szathmáry in Mainz

Zum Schluss wurde es richtig ver­rückt. Was Zsig­mond Sza­th­máry da mit Orgel und Ton­band anstellte, war schon ganz schön abge­dreht. „Labi­al“ heißt die Kom­po­si­tion von Wil­fried Michel, mit der der Spezial­ist für zeit­genös­sis­che Orgel­musik sein Konz­ert, das die Musikhochschule im Rah­men von „Mainz-Musik“ in ihrem Orgel­saal organ­isierte, abschloss. Und da ging es wild zu: Das Ton­band knarzt, knirpst, qui­etscht, fiepst, klin­gelt, quäkt und pfeift wie ein außer Rand und Band ger­atenes Spielzeug. Die Orgel stand dem wenig nach – und war oft genug kaum von der Ton­band­musik zu unter­schei­den. Komisch bis grotesk wirk­te das häu­fig und beim ersten Hören furcht­bar wirr: Eine per­ma­nente Über­forderung – und doch zugle­ich eine Musik, die in einen Bere­ich der unbeschränk­ten Imag­i­na­tion und Ander­sar­tigkeit ent­führt. Von wegen, die Orgel ist ein lang­weiliges Instru­ment mit sta­tis­chem Klang: Hier führt sie sich auf wie ein Der­wisch.

Über­haupt hat Sza­th­máry sich gut dem Mot­to des Fes­ti­vals „Klang­far­ben“ angepasst. Wenn etwas die sechs Werke seines Konz­ertes zusam­men­hielt, dann die jew­eils neuar­tige und eigen­ständi­ge Organ­i­sa­tion von Klän­gen. Györ­gy Ligeti, der in diesem Jahr 90 gewor­den wäre, ist damit in den 1960ern berühmt gewor­den. Und sein „Volu­mi­na“ für Orgel ist ein echter Klas­sik­er der avant­gardis­tis­chen Orgel­musik, auch wenn er im Konz­ert gar nicht so oft zu hören ist. Die Vor­bere­itung der auss­chließlich grafisch notierten Par­ti­tur, die für ihre wan­deren­den und in alle Orgel­far­ben chang­ieren­den Clus­ter bekan­nt ist, ver­langt schließlich einige Arbeit und etwas Mut. Aber von Anstren­gung ist bei Sza­th­máry nichts zu merken: Im Gegen­teil, seine Ver­sion zeich­net sich ger­ade durch ihre Gelassen­heit und Abgek­lärtheit aus – von den weich geset­zten Klangflächen des Anfangs bis hin zum leise ausklin­gen­den Schluss spielt er das in der Musikhochschule mit ein­er unaufgeregten Selb­stver­ständlichkeit, der man die lange Beschäf­ti­gung mit diesem Stück und der neuen Orgel­musik über­haupt immer anhört.

Eine ähn­liche Kon­te­nance, wenn auch in ganz anderen Klän­gen, strahlen dann nur noch Hide­ki Chi­ha­ras „Due Stelle del­la sfera celeste in lon­tanan­za“ aus. Hier meint man, das Vor­bild Olivi­er Mes­si­aen noch mitzuhören, wenn sich die fast allein gelasse­nen Melo­di­en in ihrer freien, ver­track­ten Rhyth­mik weit aus­pan­nen und die Sterne der Unendlichkeit im Klang einz­u­fan­gen zu scheinen. Rou­tine und Sou­veränität bes­tim­men nicht nur hier Sza­th­márys Vor­trag – eine Ruhe freilich, die immer auch eine gewisse Dis­tanz ausstrahlt.
Das gilt in gewis­sem Maße auch für seine eigene Kom­po­si­tion „Stro­phen“, die die Orgel wieder mit ein­er vor­bere­it­eten Ein­spielung ergänzt. Von der abstrak­ten Klan­gor­gan­i­sa­tion bis zu Jahrmark­tan­klän­gen steck­en die „Stro­phen“ voller Über­raschun­gen aller Far­ben und For­men, die eine Menge Möglichkeit­en ein­fach mal durchdek­lin­ieren. Und wieder führen sie weit ins Reich der Imag­i­na­tion: Man muss sich nur der sicheren Führung Sza­th­márys über­lassen, der sein Pub­likum behütet durch eigene und fremde Klang­land­schaften leit­et – er selb­st scheint sich dort jeden­falls aus­ge­sprochen wohl zu fühlen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Taglied 13.3.2013: Hans-Joachim Hespos zum Geburtstag

Der großar­tige, nicht genug zu lobende Kom­pon­ist Hans-Joachim Hes­pos wird heute 75 Jahre alt — Her­zlichen Glück­wun­sch! Eine schöne Würdi­gung seines reich­halti­gen Schaf­fens & Treibens ste­ht unter dem tre­f­fend­en Titel “Quirlig ver­man­scht und näsel­nd ver­beult” in der Neuen Musikzeitung.

Es gibt von ihm unzäh­lige gute & span­nende Werke, da fällt die Auswahl nicht leicht. Vielle­icht ist das hier ganz gut: “iOSCH” für Trompete, Eupho­ni­um, Alphorn (hier gespielt von Malte Bur­ba)

Malte Bur­ba: Hans-Joachim Hes­pos — iOSCH 1/2

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Malte Bur­ba: Hans-Joachim Hes­pos — iOSCH 2/2

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Eine kleine Doku über ihn heißt “Tatort Gan­derke­see”:

Tatort Gan­derke­see — Der Kom­pon­ist hans-joachim hes­pos

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Netzfunde vom 12.2. bis zum 20.2.

Meine Net­z­funde für die Zeit vom 12.2. zum 20.2.:

Taglied 23.7.2012

sehr fein: Bal­la­ta No. 2 von France­so Fil­idei (mir bish­er völ­lig unbekan­nt …)

Francesco Fil­idei: Bal­la­ta No.2 (2012)

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Neu und alt, friedlich vereint — im Gedenken

Es war wie bei der Urauf­führung: Das Pub­likum war von Béla Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ so begeis­tert, dass das Orch­ester den let­zten Satz wieder­holen musste. Damals, vor fast 75 Jahren in Basel genau so wie jet­zt im Kur­fürstlichen Schloss. Das Orch­ester der Mainz­er Musikhochschule unter Wol­fram Koloseus war schuld an dieser Par­al­lelität. Denn beim Abschluss der diesjähri­gen „MainzMusik“-Konzertreihe bot es ein span­nen­des und über­raschen­des Pro­gramm, bei dem der Schlus­sap­plaus vol­lkom­men gerecht­fer­tigt war.

Der Beginn des Konz­ertes war aber etwas aktueller, mit der Stre­icher­musik „Der Opfer Hiroshi­mas gedenk­end“. Uwe Lohrmann — geboren im Jahr der Urauf­führung der Bartók-Musik – schrieb dieses Stück für dop­peltes Stre­i­chorch­ester und Solovi­o­line zur Erin­nerung an und aus Anlass des 60. Jahrestages des ersten Atom­bombenein­satz. Dichte, kom­plexe Akko­rde der vie­len Stre­ich­er­stim­men sind das, die das schreck­liche Geschehen sehr bild­haft ein­fan­gen. Vor allem aber ist es eine Musik der Trauer, des Schmerzes und des Ver­lustes – und darin ganz unmit­tel­bar. Genau darauf legt es auch Koloseus, der 2005 schon die Urauf­führung dirigierte, an. Und auch Ben­jamin Bergmann als Solist, der aber als solch­er gar nicht sehr her­aussticht, son­dern sich eng in das Orch­estergeschehen inte­gri­ert, fol­gt ihm eng. Zusam­men wid­men sie sich Lohrmanns Musik sehr effek­tiv und kon­trol­liert: Sie machen bewe­gende, emo­tionale Musik, ohne sich in Sen­ti­men­tal­itäten zu ver­lieren.
Der Trauer­musik fol­gt dann ein uner­warteter Abstech­er in die Wiener Klas­sik: Mozarts große g‑Moll-Sin­fonie. Und es funk­tion­ierte. Denn Mozarts vor­let­zte Sin­fonie erweist sich im Schloss als wun­der­bare Ergänzung, wie ein Kom­men­tar aus der Ver­gan­gen­heit. In gewiss­er Weise ist das ein biss­chen wie ein Rück­kehr in die Nor­mal­ität, die aber auch nie eine heile Welt war – denn Koloseus führt auch die Abgründe und Brüche dieser Musik vor, ohne sich darin zu ver­lieren. Geschmei­dig und für ein Stu­den­tenorch­ester sehr klangkul­tiviert navigiert er sich­er durch Mozarts Spätwerk.

Wie über­haupt vieles klappte an diesem Abend. Selb­st die kleinen Unge­nauigkeit­en, die sich in Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ hin und wieder ein­schlichen, gehören dazu: Denn Koloseus wirft sich und das Hochschu­lorch­ester betont ungestüm in die kul­tivierte Wild­heit Bartóks, ihre ewig drän­gen­den Unruhe und rast­losen Bewe­gung, die nur kurze Momente des Innehal­tens, der idyl­lis­chen Inseln der Har­monie im Meer der Unrast erlaubt. Und das ist so mitreißend, dass selb­st der Diri­gent auf­passen muss, auf der Bühne nicht ein­fach loszu­tanzen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Trommeln, Glocken und anderes Geklöppel

Grandios: Die Eröff­nung des diejähri­gen Mainz­Musik-Fes­ti­vals der Mainz­er Musikhochschule. Ein Fest für ent­deck­ende Ohren, für offene Köpfe und Sinne.

Banner am Gebäuder der Musikhochschule

Aus der angekündigten Eröff­nung mit dem Pauken­schlag wurde dann doch nichts. Das Radyan-Ensem­ble hat­te für das Eröff­nungskonz­ert der diesjähri­gen Aus­gabe von Mainz­Musik näm­lich über­haupt keine Pauke mit­ge­bracht. Dafür waren auf der Bühne im Roten Saal der Musikhochschule aber jede Menge andere mehr oder wenige ungewöhn­liche Schla­gin­stru­mente. Und ja, ein paar Trom­meln waren auch dabei. Aber die spiel­ten gar keine so große Rolle.

Schon beim Auf­takt, einem Teil von Guo Wen­jings „Dra­ma“, kam das Per­cus­sion-Quar­tett ganz ohne Trom­mel aus: Nur mit drei Paaren des chi­ne­sis­chen Beck­ens, wie es eigentlich auss­chließlich in der Volk­sop­er Chi­nas ver­wen­det wird, arbeit­eten die Musik­er. Das reichte aber, um eine faszinierende Vielfalt des drama­tis­chen Aus­drucks, des genau struk­turi­erten Auf und Ab herzustellen. Das schep­perte dur­chaus mal kräftig, dröh­nte dumpf in den Ohren oder klir­rte flir­rend durch den Saal.

Ein vielver­sprechen­der Beginn. Und das Radyan-Ensem­ble löste das Ver­sprechen den Rest des Abend ein: Ein genau geplanter Ablauf, der nichts dem Zufall über­lässt, und naht­lose Übergänge machen aus der Rei­hung ver­schieden­ster Kom­po­si­tio­nen machen ihren Auftritt zu einem Ereig­nis, ein­er wun­der­baren Ent­deck­ungsreise in die Welt der kom­plex­en Rhyth­men.

Sich­er tauchen da auch Skuril­itäten auf: Ob Vito Zura­js „Top Spin“, das hier uraufge­führt wurde, wirk­lich dadurch gewin­nt, dass die drei Spiel­er am run­den Tisch mit den aus­gelegten Instru­menten immer mal wieder ihre Plätze wech­seln und die Stimme des anderen fort­set­zen? Beim ersten Hören zumin­d­est nicht. Es scheint, so der Klangein­druck, jeden­falls eine irrsin­nig kom­plizierte Par­ti­tur zu sein. Immer mal wieder schält sich aber aus dem ver­meintlichen Chaos so etwas wie Ord­nung her­aus – aber vielle­icht istauch das nur eine Täuschung, eine Illu­sion des Zuhör­ers.

Doch genau darum geht es hier ja: Neue Klänge ent­deck­en, neue Kom­bi­na­tio­nen erspüren, die Offen­heit des Hörens zu erfahren. Das kön­nen etwa die Uchi­wa Taikos sein, chi­ne­sis­che Trom­meln ohne Zarge, die fast nur aus dem Schlagfell beste­hen. Jar­rod Cagwin, der auch selb­st mit­spielt, hat für diese Instru­ment mit „Mut­tekopf“ eine Art Naturschilderung geschrieben – zumin­d­est hat er sich bei der Kom­posi­ton von der Berg­welt um den Mut­tekopf inspiri­eren lassen. Mit min­i­malen Ton­höhen­ver­schiebun­gen, erzeugt durch wan­dernde Schlag­punk­te auf den fächer­ar­ti­gen Trom­meln, und mit über­lagern­den Rhyth­men erzeugt er faszinierende Muster, aus denen man dann wirk­lich den Wasser­fall, den hin­ab­stürzen­den Stein oder den schnellen Abstieg ins Tal her­auzuhören meint.

Und solche Fasz­i­na­tio­nen gibt es immer wieder eine Menge an diesem Abend – etwa Sal­va­tore Scia­r­ri­nos kleines Glock­en­stück „Appen­dice alla per­fezione“ oder das große „Psap­pha“ von Ian­nis Xenakis. Genau solche Ent­deck­un­gen sind ja das Ziel von Mainz­Musik – und deshalb war das Radyan-Ensem­ble ein wun­der­bar­er Griff für das Eröff­nungskonz­ert.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

jörg widmann, neue musik & kritik

das ist mal eine abrech­nung: unter dem titel “halb­bil­dung, schwärmerei, leere” ste­ht sie im bad blog of musick der neuen musikzeitung. da geht es zunächst um wid­mann, seine (inzwis­chen) leere, belan­glose, aus ver­satzstück­en geschus­terte musik (ich kon­nte den hype um ihn noch nie so recht ver­ste­hen — ein­fach, weil seine musik mich nur sel­ten berührte oder faszinierte. vielle­icht war das ja intu­itiv richtig …). dann aber auch um die ver­strick­un­gen im musik­be­trieb, um die ver­gabe von preisen etc., um fes­ti­vals und der­gle­ichen — anhand von wid­mann und wolf­gang rihm. und dann auch noch um die nicht (mehr) vorhan­dene musikkri­tik. und sog­ar die musik­wis­senschaft ent­täuscht arno lück­er (der auch mal selb­st kom­poniert) mit inhalt­sleere und unge­nauigkeit bei der unter­suchung wid­mannsch­er musik. er ver­sucht sich stattdessen selb­st an ein­er analyse. da kommt weniger gutes bei raus:

Wid­mann kommt es nicht auf Struk­tur, auf Form, auf Reflex­ion, auf Tiefe, son­dern auf Wirkung, Aus­druck, Effekt, Gefüh­ligkeit und auf den „span­nen­den“ Moment im Konz­ert an, mit dem er das – wie er: naive – Pub­likum beein­druck­en kann

und kurz darauf, am ende der fün­ften these, kom­men noch so ein paar schöne, tre­f­fende sätze:

Wid­manns kom­pos­i­torische Ästhetik ist unre­flek­tiert, juve­nil, affir­ma­tiv bis zur Anbiederung, schein­au­then­tisch und ohne Utopie. Wid­mann sehnt sich ins 19. Jahrhun­dert zurück. Zurück zu den Schwärmern, zurück zum Bie­der­meier. Seine Ästhetik ist ver­al­tet, aber genau das ist es, was seinen Erfolg aus­macht, was ihn – aus der Gruppe jün­ger­er Neue-Musik-Kom­pon­is­ten – zum Pub­likum­sliebling der Phil­har­monieabon­nen­ten Deutsch­lands wer­den ließ.

hach, das sitzt. und gefällt mir … auch das: “Was hier in Wahrheit ver­mit­telt wird, ist schlechte, prim­i­tiv-mon­u­men­tale Naiväs­thetik mit unaufgek­lärtem, geschichtlich blin­dem Spaß­fak­tor.”

und sehr schön auch noch der nach­trag, daraus muss ich noch ein­mal zitieren:

… der Autor des Textes schätzt Jörg Wid­mann, als jeman­den, der – würde er nicht von der ihn umar­menden Öffentlichkeit zeitlich und dadurch auch kün­st­lerisch über­fordert wer­den – dur­chaus das Poten­tial hätte, gute Musik zu kom­ponieren. Vielmehr weiß er von eini­gen Kom­pon­is­ten, deren Per­sön­lichkeit­en nicht der­art strom­lin­ien­för­mig justiert wur­den, dass sie sich an alles und jeden anzu­passen gewil­lt sind, dabei aber kün­st­lerisch unsag­bar Wert- und Span­nungsvolles zu sagen, zu kom­ponieren haben. Diesen Kom­pon­is­ten wird zu wenig Aufmerk­samkeit geschenkt.

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