Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: messe

bachs h‑moll-messe in neuer ausgabe

Warum ver­tont der evan­ge­lis­che Kan­tor über­haupt in Deutsch­land die große katholis­che Messe? Wollte Bach seine Kol­le­gen mal zeigen, wie man das richitg, nach allen Regeln der Kun­st, macht? Darauf weiß auch Joshua Rifkin keine endgültige Antwort.
Doch kaum jemand hat die Diskus­sion um die „richtige“ Auf­führung der Bach’schen Vokalw­erke in den let­zten Jahren so befruchtet wie der amerikanis­che Forsch­er und Diri­gent. Also ist es auch vol­lkom­men fol­gerichtig, dass er eine neue kri­tis­che Aus­gabe der Messe ver­ant­wortet. Denn dass mit der Edi­tion der Neuen Bach-Aus­gabe noch nicht das let­zte Wort gesprochen ist, war schon lange klar.
Das wesentliche Prob­lem aller bish­eri­gen Aus­gaben ist näm­lich, dass sie große Teile von
Carl Philipp Emanuels Ergänzun­gen und – gut­ge­mein­ten – Verbesserun­gen des Auto­graphes beibehal­ten haben. Joshua Rifkin war da nun um einiges genauer und hat den Auto­graph noch ein­mal ein­er peniblen kri­tis­chen Prü­fung unter­zo­gen.
Das Ergeb­nis bet­rifft – auf unter­schiedliche Weise – große Teile des Noten­textes. Im Detail sind das eigentlich immer nur Kleinigkeit­en, die auch nicht unbe­d­ingt dazu nöti­gen, die Messe kom­plett neu zu ver­ste­hen. Da aber auch viele Artiku­la­tio­nen, Phrasierun­gen und Vor­trags­beze­ich­nun­gen betrof­fen sind, geben sie in der Summe allerd­ings doch die Möglichkeit, die h‑Moll-Messe auch inter­pre­ta­torisch neu zu ent­deck­en.
Das klare, über­sichtliche Noten­bild erle­ichert den Umgang und macht das Lesen in der Par­ti­tur auch optisch zum Vergnü­gen. Sehr schön ist außer­dem, dass Bre­itkopf auch für die Käufer der Stu­di­en­par­ti­tur den Kri­tis­chen Bericht im Inter­net zum Down­load bere­it­stellt. So kann jed­er Leser die Entschei­dun­gen Rifkins nachvol­lziehen.

Johann Sebas­t­ian Bach: Messe H‑Moll. BWV 232. Her­aus­gegeben von Joshua Rifkin. Stu­di­en­par­ti­tur. Bre­itkopf & Här­tel PB 5303.

(geschrieben für die neue chorzeit, 1/2009)

franz m. herzog: missa

 

Mit sein­er 2004 in Graz uraufge­führten Mis­sa für Chor, Sopran und Per­cus­sion knüpfte Franz M. Her­zog auf unter­schiedlich­ste Weise an die lange Tra­di­tion der Messver­to­nun­gen an und ver­suchte, diese mod­ern und eigen­ständig zugle­ich weit­erzuführen. Eigentlich ist sie für konz­er­tante Sit­u­a­tio­nen gedacht, der Kom­pon­ist kann sich aber auch Auf­führun­gen der Einzel­sätze im litur­gis­chen Rah­men zu Recht gut vorstellen. Ins­beson­der das Kyrie und das Glo­ria bieten sich hier­für beson­ders an, gerne auch zusam­men. Denn in diesen bei­den Teilen verzichtet Her­zog sowohl auf das Sopran-Solo als auch auf den Ein­satz von Schlag­w­erk, so dass zwei rein a‑cappella geset­zte Messteile bleiben.

Das senkt den Anspruch freilich kaum. Denn Her­zog macht es dem Chor nicht beson­ders leicht. Polyrhyth­mik exzes­sive Sekun­drei­bun­gen in oft atonaler Umge­bung mit wech­sel­nden tonalen Zen­tren – das fordert schon ein sehr sicheres Ensem­ble.

Das Kyrie zeigt sich dabei von Beginn an als typ­is­ches Werk aus Her­zogs Fed­er. Und das heißt, es ent­fal­tet mit eigentlich recht ein­fachen kom­pos­i­torischen Mit­teln eine ein­dringlichen Ton­sprache, die schon vom ersten Ton an wirkt. Hier ist es das mehrfach wieder­holte rhyth­mis­che Pochen des „Kyrie elei­son“, das langsam in den Frauen­stim­men Span­nung auf­baut. Der Bass löst das mit ein­er expres­siv gegen dieses klopfende Bit­ten geset­zten Melodie auf. Und das Ganze wird dann noch in ver­schiede­nen Kon­stel­la­tio­nen durchge­spielt und schließlich mit ein­er med­i­ta­tiv­en Sekund­schich­tung des „Christe“ wirkungsvoll kon­trastiert. Zum Schluss wird der mehrfach geteilte Chor wieder in Bewe­gung ver­set­zt und zu den Mustern des Beginns zurück­geleit­et.

Das Glo­ria knüpft mit seinem schrit­tweise aufge­baut­en Clus­ter der Ein­leitung noch ein­mal an den Mit­tel­teil des Kyrie an. Mit ver­schiede­nen Mod­ellen der Imi­ta­tion und Schich­tung, mit vielfälti­gen Bezü­gen zum Kyrie und zu bere­its etabliertem Mate­r­i­al aus dem Glo­ria sorgt Her­zog auch hier für abwech­slungsre­iche Klang­wege. Die Span­nung des expres­siv­en Glo­rias ist dabei freilich immer und auss­chließlich auf den Schluss gerichtet: Der flüs­sig entwick­elte Chor­satz gipfelt selb­stver­ständlich im abschließen­den „Amen“. Ein ein­drucksvoll klin­gen­des zeit­genös­sis­ches Doku­ment gemäßigter Mod­erne.

Franz M. Her­zog: Kyrie aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemis­chte Stim­men (SATB divisi). Inns­bruck: Hel­bling 2006. 14 Seit­en. 4,50 Euro.
-: Glo­ria aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemis­chte Stim­men (SATB divisi). Inns­bruck: Hel­bling 2006. 18 Seit­en. 4,50 Euro.

(geschrieben für die Neue Chorzeit, März 2008)

puccini: messa di gloria

Auch die hehre Kun­st ist bekan­ntlich nicht vor dem pro­sais­chen Phänomen der Finanznot gefeit. So fris­ten viele großen Werke ihr Dasein in den Schubladen des Archivs, weil sich kaum jemand den nöti­gen Aufwand ihrer Auf­führung leis­ten kann und mag. Ger­ade große Chor­w­erke mit volu­minösem Orch­ester haben das Prob­lem: Viele Chöre haben schlicht nicht (mehr) die benötigte Beset­zungsstärke und kön­nen sich große Sin­fonieorch­ester für ein Konz­ert auch nicht mehr leis­ten. So versinken Werke wie Puc­ci­nis Mes­sa di Glo­ria wieder im Tief­schlaf. Und das ist beson­ders schade, wenn sie wie diese großar­tige, wirkungsmächtige Messe ger­ade erst daraus aufge­taucht sind. Das mochte der Berlin­er Kirchen­musik­er Ingo Schulz nicht mit anse­hen. Deshalb und aus ganz eigen­nützi­gen Motiv­en hat er sich Puc­ci­nis Jugendw­erk angenom­men – mit eigen­em Chor wäre eine Auf­führung son­st nicht zu machen gewe­sen – und eine Fas­sung für Chor, Soli und Kam­merorch­ester erstellt. Die stellt er seinen Kol­le­gen im Lande kosten­frei zur Ver­fü­gung.

Und sie ist dur­chaus geschickt arrang­iert. Natür­lich erre­icht das mit ger­ade ein­mal 18 Musik­ern beset­ze Kam­merorch­ester nicht das Orig­i­nal, nicht dessen Wucht und Ein­druck. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die „Mis­sa di Gloira“ auch der­art reduziert noch schön ist: Ein Klein­od, das hier fast mehr sein­er Schätze offen­bart als in der geläu­fi­gen, bom­bastis­chen Ver­sion. Und das, was man­gels Masse ver­loren ging, lässt sich inter­pre­ta­torisch dur­chaus aus­gle­ichen – so dass diese Fas­sung eine gelun­gen Reper­toire­bere­icherung für eingeschränk­tere Ver­hält­nisse ist.

Gicao­mo Puc­ci­ni: Mes­sa di Glo­ria. Fas­sung für Chor, Soli und Kam­merorch­ester von Ingo Schulz.

(geschrieben für die neue chorzeit, april 2008)

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