Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: mainz Seite 3 von 9

Feine Klangkunst: Yulianna Avdeeva in Mainz

Robert Schu­mann war begeis­tert von ihnen: Fré­de­rich Cho­pins 24 Pré­ludes op. 28, die er als „Skiz­zen, Etu­den­an­fän­ge, oder will man, Rui­nen, ein­zel­ne Adler­fit­ti­ge, alles bunt und wild durch­ein­an­der“ cha­rak­te­ri­sier­te. Vor allem waren sie ihm ein Zei­chen der Kün­heit und Genia­li­tät des Kom­po­nis­ten­kol­le­gen. Und wenn man sich anhört, wie Yuli­an­na Avdeeva den Zyklus im Frank­fur­ter Hof spiel­te, möch­te man Schu­mann unbe­dingt zustim­men.

Das liegt nicht dar­an, dass Avdeeva bei ihrem Main­zer Gast­spiel im Rah­men der Rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ die Vir­tuo­si­tät der 24 kur­zen Stü­cke beson­ders beton­te. Son­dern dar­an, dass sie den gan­zen Zyklus beseel­te. Und das heißt vor allem, dass sie aus­ge­spro­chen viel­fäl­tig spiel­te. Manch­mal ist das pure Ver­füh­run­gen, dann wie­der rei­ne Vir­tuo­si­tät, mal sind es hei­ter per­len­de schein­ba­re Leich­tig­kei­ten, mal düs­te­re Visio­nen. Aber alles lebt, immer atmet der Kla­vier­ton. Und stets ist die Poe­sie der Pré­ludes zu hören – nicht nur der Noten, son­dern auch des Klangs. Denn vor allem im lei­se­ren, gedämpf­ten Regis­ter kann Avdeeva aus dem Flü­gel im Frank­fur­ter Hof viel her­aus­ho­len. Ohne Schwulst spielt sie, aber mit einem fei­nen Ohr für die Zwi­schen­rei­che der Stim­mun­gen, die leich­ten Ein­trü­bun­gen, aber auch die vor­sich­ti­gen opti­mis­ti­schen Anwand­lun­gen – und den fähi­gen Fin­gern, das genau umzu­set­zen. So zei­gen sich die Pré­ludes bei ihr in der Ver­bin­dung von Vir­tuo­si­tät und Innig­keit als wirk­lich roman­ti­sche Musik.

Das liegt auch dar­an, dass ihr war­mer, sanft gerun­de­ter Ton mit der nöti­gen Sta­bi­li­tät für die­se Viel­falt nur in sehr geschwin­den und lau­ten Pas­sa­gen etwas hart und grell wird. Dafür ist ihre Klang­fül­le im pia­nis­si­mo gran­di­os. Aber sowie­so ist es gar nicht so sehr das auf­brau­sen­de Moment, das in ihrer Inter­pre­ta­ti­on begeis­tert, son­dern das zurück­ge­nom­me­ne, melan­cho­li­sche: Da sind die Töne ein­fach viel far­bi­ger, selbst in der Schwarz-Weiß-Welt noch viel­fäl­ti­ger dif­fe­ren­ziert als in den stür­me­ri­schen Pré­ludes, die bei Avdeeva oft etwas grell und fast geschwät­zig wir­ken.

Fast magisch klan­gen unter ihren Hän­den auch die eher sel­ten zu hören­den „Drei Kla­vier­stü­cke“ von Franz Schu­bert. Spä­te Wer­ke sind das, geschrie­ben im Todes­jahr des Kom­po­nis­ten, deren nach­denk­li­chen Töne man heu­te fast schon die Ahnung des Todes unter­stel­len möch­te. Vol­ler Sub­ti­li­tät und mit einem sehr fra­gen­den, immer suchen­den Ton spielt Avdeeva sie als Musik, die nicht alles weiß und ihre Lücken kennt – eine Musik der Ver­ge­wis­se­rung und Suche, die hier in star­ker emo­tio­na­ler Span­nung mit sou­ve­rä­ner Zart­heit fast die Zeit auf­zu­he­ben ver­mag.
Ser­gej Pro­kof­jews sieb­te Kla­vier­so­na­te wirk­te zwi­schen die­sen bei­den Roman­ti­kern fast wie ein Fremd­kör­per – nicht wegen sei­ner Moder­ni­tät, son­dern wegen sei­ner leben­di­gen Schroff­heit, die bei Avdeeva frei­lich nur in einer etwas glatt­ge­bü­gel­ten Ver­sio­nen erschei­nen: Gera­de die Ner­vo­si­tät der Musik spielt hier kei­ne beson­de­re Rol­le. Das liegt auch dran, dass gro­ße Ges­ten bei ihr immer blo­ße Ges­ten blei­ben und nie so zwin­gend sind wie der inten­si­ve Aus­druck, den sie gera­de den unschein­ba­ren Momen­ten der Sona­te mit auf den Weg gibt. Die wirk­li­che Emo­ti­on steckt eben immer im Detail – und die Inten­si­tät eben­so.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Verzaubert in der Phönixhalle

Hexen, Trol­le, Prin­zes­sin­nen und Außer­ir­di­sche tol­len durch die Phö­nix­hal­le. Sie lie­ben und strei­ten sich – aber nur in der Phan­ta­sie. Die Sin­fo­ni­et­ta Mainz hat unter dem Mot­to „Zau­ber­Film­Mu­sik“ zur Ver­zau­be­rung auf­ge­ru­fen. Und fast, als ob sie ihren eige­nen Fähig­kei­ten nicht trau­te, hat sie mit Chris­toph Demi­an noch Ver­stär­kung orga­ni­siert. Des­sen Fähig­kei­ten kann man nun wirk­lich nicht trau­en: Man weiß bei die­sem Illu­sio­nis­ten nie, was als nächs­tes pas­siert. Und was gera­de gesche­hen ist, ver­steht man sowie­so nicht.

Die Musik der Sin­fo­ni­et­ta hät­te aller­dings auch allei­ne schon gereicht, das Publi­kum zu bezau­bern und zu ver­zau­bern. Das groß besetz­te Ama­teur­or­ches­ter hat näm­lich für so ziem­lich jeden Geschmack etwas in sein Pro­gramm gepackt: Von dem fast unver­meid­li­chen Zau­ber­lehr­ling von Paul Dukas und dem Hexen­sab­bath aus Hec­tor Ber­li­oz‘ Sym­pho­nie fan­tas­tique über die Ouver­tü­re zu Hän­sel und Gre­tel von Engel­bert Hum­per­dinck bis zu John Wil­liams, Howard Shore und Klaus Badelt reich­te das aus­ge­spro­chen umfang­rei­che Pro­gramm. Nicht nur in ihren eige­nen Gewäs­sern – der klas­si­schen Musik – fischen sie. Gezau­bert wird schließ­lich gera­de im Film ganz beson­ders viel. Und des­halb war auch ganz viel phan­tas­ti­sche Film­mu­sik zu hören, von Lord of the Rings über Har­ry Pot­ter bis zum Fluch der Kari­bik.

Dass so eine ordent­li­che Ver­zau­be­rung aller­dings auch viel Arbeit sein kann, wur­de eben­so gewür­digt: Ober­bür­ger­meis­ter Micha­el Ebling zeich­ne­te die Ers­te Vor­sit­zen­de der Sin­fo­ni­et­ta, Nico­la Wöhrl, mit dem Main­zer Pfen­nig aus. Über zwan­zig Jah­re und damit von Beginn an ist sie im Ver­eins­vor­stand dabei – und natür­lich immer auch auf der Büh­ne, als eine der Hor­nis­tin­nen. Als „Motor einer kon­ti­nu­ier­li­chen Auf­wärts­ent­wick­lung“ lob­te Ebling in sei­ner kur­zen Lau­da­tio ihre Arbeit, die ein „wich­ti­ger Bei­trag zur Kul­tur­viel­falt in Mainz“ sei.
Das war nicht die ein­zi­ge Unter­bre­chung der Musik. Denn da war ja auch noch Chris­toph Demi­an: Der Solist, der kein Instru­ment dabei hat­te. Nur mit dem Diri­gen­ten­stab von Micha­el Mil­lard spiel­te er: Er ließ ihn ver­schwin­den und auf­tau­chen, aus dem Feu­er auf­er­ste­hen und zeig­te auch sonst so eini­ge Illu­sio­nen – damit die Zau­be­rei nicht nur in der Phan­ta­sie des Publi­kums statt­fand. Dazu gehör­ten auch Auf­ga­ben aus Har­ry Pot­ters Abschluss­prü­fung wie das magisch schwe­ben­de Tisch­chen – raf­fi­niert und mit garan­tiert live gespiel­ter Musik auch über­haupt nicht all­täg­lich.

Die Haupt­last lag aber bei der Sin­fo­ni­et­ta Mainz und ihrem Diri­gen­ten Micha­el Mil­lard. Und die hat­ten kei­ner­lei Pro­ble­me, der Phan­ta­sie zu ihrem Recht zu ver­hel­fen. Sie kön­nen näm­lich so ziem­lich alles: Geis­ter beschwö­ren, Zau­ber­sprü­che rau­nen, über­sinn­li­che Ereig­nis­se schil­dern, bedroh­li­che Zei­chen malen oder sata­ni­sche Tän­ze anfeu­ern – alles kein Pro­blem. Mil­lard treibt die Sin­fo­ni­et­ta in der Phö­nix­hal­le zu sehr plas­ti­schem und viel­sei­ti­gem Spiel. Geschmei­dig wech­selt er mit ihr zwi­schen den viel­fäl­ti­gen Stim­mun­gen. Am bes­ten aber klingt das immer dann, wenn die Musi­ker es so rich­tig kra­chen las­sen kön­nen: Die mas­si­ve Klang­aus­beu­te der Sin­fo­ni­et­ta nutzt Mil­lard sehr geschickt – so raf­fi­niert, dass man oft gar nicht mehr viel Phan­ta­sie benö­tigt, son­dern ein­fach ver­zau­bert ist.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Gan­ze ist ein Witz. Bei sei­ner neun­ten Sin­fo­nie – aus­ge­rech­net der Neun­ten! – hat Schost­a­ko­witsch es sich nicht neh­men las­sen, mit allen Erwar­tun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sei­ner eige­nen und der poli­ti­schen Situa­ti­on zusam­men – 1945 hat­te der Kom­po­nist schon eini­ge Erfah­rung mit Sta­lins Régime und des­sen Kri­ti­kern gesam­melt. Denen woll­te er kei­ne Tri­umph­mu­sik schrei­ben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herbst ablie­fer­te, das muss für gera­de die­se Kri­ti­ker eine rei­ne Unver­schämt­heit gewe­sen sein: Die knap­pe hal­be Stun­de hei­te­rer Musik trieft nur so vor Iro­nie. Die gan­ze Sin­fo­nie spielt mit klas­si­schen For­men und Metho­den – bis zur Über­erfül­lung. Wahr­schein­lich ist sie eine der klas­sischs­ten Sin­fo­nien, die im 20. Jahr­hun­dert geschrie­ben wur­de. Und ein hin­ter­lis­ti­ges Spiel mit den Erwar­tun­gen, auch des Hörers. Man kann das als net­te, kunst­voll gemach­te Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­ter­kon­zert mit der Lud­wigs­ha­fe­ner Staats­phil­har­mo­nie in der Rhein­gold­hal­le mach­te, die abgrün­di­gen Sei­ten her­vor­kit­zeln und das Absur­de die­ser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­ma­ßen gut, dass die Iro­nie aus jedem schö­nen Akkord und jedem schö­nen melo­di­schen Ein­fall nur so her­vor­quoll. Vor allem die Mischung aus unter­grün­dig-boh­ren­der Span­nung und schwung­voll-aus­ge­las­se­ner Spiel­freu­de, die Mar­cus Bosch im Fina­le bis zur tän­ze­ri­schen Über­mut aus­reiz­te, mach­ten die Neun­te zu einem so wun­der­ba­ren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schost­a­ko­witschs Sin­fo­nie eigent­lich nur das Aus­ru­fe­zei­chen am Schluss eines span­nen­den Kon­zer­tes. Davor stand noch der sel­te­ne dop­pel­te Genuss eines Dop­pel­kon­zer­tes. Mit den Pia­nis­tin­nen Mona und Rica Bard spiel­te die Staats­phil­har­mo­nie näm­lich nicht nur ein Dop­pel­kon­zert, son­dern gleich zwei: von Mozart und Fran­cis Pou­lenc. Witz haben bei­de, aber auf jeweils ganz eige­ne Art.

Pou­lencs 1932 kom­po­nier­tes Kon­zert für zwei Kla­vie­re und Orches­ter ist mit sei­nen raschen Sprün­gen, viel­fäl­ti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fäl­len und Stil­mi­schun­gen ein geschick­ter Kon­zert­auf­takt. Die zwei schlag­kräf­ti­gen Akkor­de des Beginns sind ein dop­pel­ter Start­schuss. Damit beginnt ein Feu­er­werk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus – „reins­ter Pou­lenc“, wie der Kom­po­nist selbst ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feu­er­werk in guten Hän­den: Sie ach­te­ten sorg­sam dar­auf, dass auch in der Hit­ze des Gefechts alles mit rech­ten Din­gen zuging – wäh­rend Bosch mit dem Orches­ter ver­such­te, zumin­dest ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts ein­zi­ges Kon­zert für zwei Kla­vie­re ist der Gele­gen­heit des gemein­sa­men Musi­zie­rens mit sei­ner Schwes­ter geschul­det. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solo­par­tien so eng und unauf­lös­bar inein­an­der ver­floch­ten wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­mo­nisch inein­an­der gefügt wie von den Bard-Schwes­tern. Die bei­den pfleg­ten in der Rhein­gold­hal­le ein sehr kon­zen­trier­tes und kunst­vol­les Spiel. Das dabei der augen­zwin­kern­de Witz Mozarts manch­mal etwas hin­ten­an­ste­hen muss­te, ver­zieh man ihnen ger­ne. Zumal das Orches­ter alles tat, die klei­ne Lücke zu fül­len. Die Auf­ga­ben­tei­lung war dabei schnell klar: Die Staats­phil­har­mo­nie über­nahm die gro­ßen Ges­ten, die Pia­nis­tin­nen die fein­sin­ni­ge, fast kam­mer­mu­si­ka­li­sche Klang­tüf­te­lei. Zusam­men erklang so ein ernst­haft gutes Mozart-Kon­zert, das gewis­sen­haft und emo­tio­nal zugleich war – und alles ande­re als ein Witz.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Mit dem Tsunami an den Bodensee

Mainz – Stah­rin­gen: Eine klei­ne Mehr­ta­ges­tour mit mei­nem „Tsu­na­mi“ genann­ten Lie­ge­rad (so wild ist es aber gar nicht …) von Mainz bis (fast) an den Boden­see. Das war zugleich mei­ne längs­te Fahrt mit dem Lie­ge­rad: 360 Kilo­me­ter in drei Tagen, so viel habe ich noch nie gemacht. Geplant habe ich die Stre­cke mit zwei prak­ti­schen Sei­ten für Rad­ler: radweit.de und radreise-wiki.de. Ulrich Lamm hat auf Rad­weit eine sehr gute und umfang­rei­che Samm­lung von erprob­ten Rou­ten. Die haben gegen­über den „nor­ma­len“ Rad­we­gen den Vor­teil, dass sie wo immer mög­lich auf asphal­tier­te Wege oder Stra­ßen set­zen, bei feh­len­den Rad­we­gen Rou­ten mit mög­lichst gerin­ger Ver­kehrs­be­las­tung auf Neben­stra­ßen nut­zen und das gan­ze in eine ziem­lich augeklü­gel­te Kar­te über­tra­gen. Da ich fürs Fahr­rad kein ver­nünf­ti­ges GPS-Rou­ten­sys­tem habe, schien mir das die bes­te Navi­ga­ti­ons­mög­lich­keit. Und es hat auch ziem­lich gut geklappt. Benutzt habe ich die Rou­ten Mainz-Hei­del­berg, Hei­del­berg-Karls­ru­he und Karls­ru­he-Kon­stanz von Rad­weit, ergänzt um die Hei­del­berg-Umfah­rung aus dem Rad­rei­se-Wiki.

Tag 1: Mainz-Karlsruhe

Am lan­gen ers­ten Tag mit einer fla­chen Etap­pe, die dafür die meis­ten Kilo­me­ter hat – nach mei­ner Rech­nung 140 Kilo­me­ter – ging es nach einem locke­ren und kur­zen Mor­gen­lauf um 8.15 in Mainz los. Das Wet­ter war noch ver­hal­ten freund­lich: Wol­ken mit eini­gen kur­zen Son­nen­fens­tern, aber immer­hin kein Regen. Und mit um die 15 °C am Mor­gen auch ange­neh­me Tem­pe­ra­tu­ren.
Den Anfang der Stre­cke kann­te ich immer­hin schon, so dass ich zunächst mei­ne Kar­te gar nicht brauch­te. Die steck­te prak­tisch und griff­be­reit in der Ober­schen­kel­ta­sche – auf dem Lie­ge­rad kann ich die ja nicht so ein­fach am Len­ker befes­ti­gen …

So ging es also los: Über Mainz-Kost­heim nach Gus­tavs­burg, wo ich mich erst ein­mal durch eine rie­si­ge, aber lang­sa­me Rad­ler­grup­pe drän­geln muss­te, die auf mein Klin­geln so über­haupt nicht reagier­te, nach Gins­heim, wo ich den Rhein­rad­weg schon wie­der ver­ließ. Denn mei­ne Rou­te kürz­te sozu­sa­gen ab, um erst in Erfel­den wie­der auf den (Alt-)Rhein zu sto­ßen. Von dort ging es ohne Pro­ble­me wei­ter nach Stock­stadt, Gerns­heim in Rich­tung Berg­stra­ße. Bei Erfel­den, wo ich eine klei­ne Frü­stücks­pau­se mach­te, merk­te ich dann auch: Mist, das Han­dy ist gar nicht in der Pack­ta­sche! Das lag fried­lich noch in Mainz auf dem Schreib­tisch … Blöd, damit hat­te ich nicht nur kei­nen Foto, son­dern auch mei­ne „Not-Navi­ga­ti­on“ fiel aus.

In Lorsch hat­te ich das ers­te klei­ne Navi­ga­ti­ons­pro­blem, weil ich wohl ein­fach zu schnell durch die Innen­stadt rausch­te und dabei den Abzweig ver­pass­te. Das konn­te ich aber schnell kor­ri­gie­ren und den Rad­weg nach Hüt­ten­feld und Viern­heim wie­der fin­den. Da pas­sier­te wie­der ähn­li­ches: In den Städ­ten ist die Navi­ga­ti­on mit einer Kar­te im Maß­stab 1:100.000 gewöh­nungs­be­dürf­tig, das hat­te ich noch nicht so recht raus. Auch in Viern­heim ver­pass­te ich jeden­falls wie­der einen Abzweig, merk­te das aber zum Glück auch sehr bald, so dass ich nur wenig zurück­fah­ren muss­te. Hin­ter Viern­heim war es dann ein­fach, durch die Fel­der vor­bei an Muckens­turm, durch Hed­des­heim nach Laden­burg, wo ich am Neckar erst ein­mal Mit­tags­pau­se mach­te. Von dort folg­te ich dann der Rad­rei­se-Wiki-Rou­te, die mich über Plank­stadt und Ofters­heim nach Wall­dorf führ­te, wo ich wie­der auf eine Rad­rei­se-Rou­te (Hei­del­berg-Karls­ru­he) sto­ßen woll­te. Zwi­schen Ofters­heim und Wall­dorf muss­te ich noch ein­mal kurz pau­sie­ren, weil ich den Wol­ken­bruch abwar­ten woll­te. Das war ziem­lich hef­tig, dau­er­te aber zum Glück nicht lan­ge, so dass ich bald wie­der auf dem Rad saß und durch Wall­dorf radel­te. Das erwies sich aber als schwie­rig, weil das Orts­zen­trum von Wall­dorf eine gro­ße Bau­stel­le war, die mich ziem­lich durch­ein­an­der brach­te. Dann waren die Rad­weg-Schil­der auch noch so selt­sam auf­ge­stellt, dass ich an der SAP vor­bei kom­plett in die fal­sche Rich­tung radel­te und mir wie­der ein biss­chen Umkehr­weg ein­fing. Aus der ande­ren Rich­tung kom­mend waren die Rad­weg-Schil­der durch die SAP-AG etwas bes­ser zu erken­nen, auch wenn die Weg­füh­rung eine gro­ße Kata­stro­phe war – kreuz und quer durch das Fir­men­ge­län­de bzw. sei­ne Rän­der, mit stän­di­gen Rich­tungs­wech­seln und Abzwei­gun­gen … Aber nach­dem ich da durch war, ging es dann wie­der etwas vor­an – durch St. Leon-Rot (mit einer kuri­os-kata­stro­pha­len Brü­cke über die A6), und dann ers­te ein­mal lan­ge – kilo­me­ter­weit – schnur­ge­ra­de­aus.

Karls­dorf und Spöck (wo ich noch ein­mal kurz pau­sier­te und mei­ne Geträn­kevor­rä­te auf­frisch­te) sorg­ten noch ein­mal für ein paar Kur­ven, bevor es von Fried­richs­thal aus wie­der kilo­me­ter­weit gera­de­aus durch den Wald nach Karls­ru­he ging. Dort stieß ich dann auf den Kon­rad-Ade­nau­er-Ring und ver­such­te mein Glück, den Haupt­bahn­hof zu fin­den. Wäre die ent­schei­den­de Kreu­zung (wo ich abbie­gen muss­te) nicht wie­der eine gro­ße Bau­stel­le gewe­sen, hät­te ich das viel­leicht ohne Nach­fra­gen geschafft. Aber auch so ging es dann und ich lan­de­te am Bahn­hof, wo mein Bett im A&O‑Hostel war­te­te. Das ist zwar ver­gleichs­wei­se güns­tig, aber auch sehr laut (durch die Stra­ßen­bah­nen vor allem) und ein biss­chen abzo­cke­risch: Statt dem gebuch­ten 4er-Zim­mer war ich im 6er ohne ver­nünf­ti­gen Schrank, Lam­pen oder Steck­do­sen … Aber für eine Nacht reich­te es. Und es gab immer­hin die Mög­lich­keit, mein Rad in der Gara­ge unter­zu­stel­len.

Im Hos­tel merk­te ich dann erst so rich­tig, wie anstren­gend der Tag doch war: Knapp 160 Kilo­me­ter waren es gewor­den, außer den Brü­cken fast topf­eben, aber den­noch ein­fach ziem­lich lang … Mei­ne Ober­schen­kel waren ziem­lich kaputt, was mich den nächs­ten Tag mit etwas Ban­gig­keit erwar­ten ließ. Denn dann soll­te es eigent­lich erst anstren­gend wer­den, weil mei­ne Rou­te mich dann in den Schwarz­wald füh­ren soll­te …

Aber mit viel Nacht­ru­he wür­de das schon klap­pen … Dar­aus wur­de es dann aber nicht so recht etwas, ich bin zwar früh im Bett gewe­sen, aber auch super früh auf­ge­wacht, näm­lich schon gegen 5 Uhr. Frück­stück gab es da noch nicht, aber schla­fen konn­te ich auch nicht mehr … Das Früh­stück habe ich dann genos­sen, das war auch ganz soli­de. Um kurz nach 8 war ich dann aber doch wie­der auf dem Rad, die Taschen gepackt und start­be­reit für einen neu­en Tag.

Die gefah­re­ne Stre­cke (mit­samt den Ver­fah­rern) als gpx-Datei: Mainz-Karls­ru­he

Tag 2: Karlsruhe-Schömberg

Der zwei­te Tag wur­de hart. Der Start in Karls­ru­he war aber noch harm­los. Erst ein­mal durch die frem­de Stadt. Das ist mit dem Lie­ge­rad nicht immer das größ­te Ver­gnü­gen, weil die Über­sicht über Ver­kehr und Schil­der doch etwas weni­ger gut ist. Die­ses Mal hat es aber ohne Ver­fah­ren gut geklappt, ich habe den Weg durch den Park gefun­den und war schnell in Ober­reut, wo mir der Wind ganz schön kräf­tig ent­ge­gen­blies. Über­haupt war das Wet­ter nicht mehr ganz so schön: Die Tem­pe­ra­tu­ren waren nied­ri­ger, die Wol­ken bedroh­li­cher und dich­ter, der Wind deut­lich fri­scher. Hin­ter Neu-Forch­heim ver­schwand ich dann im Hardt­wald – so ziem­lich die schlech­tes­te Teil­stre­cke, weil der Wald­weg unbe­fes­tigt war und mich des­we­gen etwas aus­brems­te. Zum Glück ging es bei Malsch wie­der auf die Land­stra­ße, da kommt man ein­fach zügi­ger vor­an. Hin­ter Mug­gen­sturm muss­te ich dann aller­dings anhal­ten und die Klei­dung wech­seln: Es fing an zu reg­nen. Dabei hat mir der Wind dann auch noch das etwas unsta­bil abge­stell­te Rad umge­schmis­sen und mei­ne Klin­gel zer­dep­pert (naja, von beson­ders gro­ßem Nut­zen war sie eh nicht …). Den rest­li­chen Tag bin ich dann in Regen­ja­cke gefah­ren – so rich­tig hör­te das näm­lich nicht mehr auf mit dem Nie­seln und Reg­nen. Viel Was­ser war das zwar nicht, was von oben kam – aber von unten kam es auch, und von vor­ne. Mei­ne Bril­le jeden­falls wur­de nicht mehr tro­cken – das ist fast das ner­vigs­te an dem Wet­ter gewe­sen, dass die Sicht immer so beschei­den war.

Vor mir sah ich jetzt schon den Schwarz­wald ganz schön bedroh­lich auf­stei­gen. Und es wur­de auch hüge­li­ger. Hin­ter Mug­gen­sturm (nicht zu ver­wech­seln mit dem Muckens­turm bei Viern­heim!) ging es über Bei­schwei­er nach Gag­ge­nau, wo ich auf die Murg stieß. Und damit war ich auch auf der „Tour de Murg“, dem Rad­weg, der den gesam­ten Fluss­ver­lauf beglei­tet, mehr oder weni­ger nah am Was­ser. Und jetzt ging es berg­auf, kon­ti­nu­ier­lich fast den gan­zen Tag. Manch­mal fla­cher, manch­mal stei­ler – und manch­mal sehr steil: so steil, dass ich gescho­ben habe. Von Gag­ge­nau aus bin ich dann erst Mal eini­ge Zeit dem Rad­weg gefolgt, durch Gerns­bach und Wei­sen­bach bis Lan­gen­brand. Da habe ich mich dann ver­tan auf mei­ner Rad­weit-Kar­te und bin auf dem Rad­weg geblie­ben, obwohl der Rou­ten­vor­schlag hier ein Stück Stra­ße vor­schläg – zu Recht, denn der Rad­weg ist zunächst im Ort saus­teil (habe ich gescho­ben …) und führt dann auch außer­halb des Ortes sehr weit hoch in den Wald bei ent­spre­chend beschei­de­nem Weg­zu­stand. Und die gan­zen Höhen­me­ter ver­liert man dann wie­der in einer Abfahrt nach Gaus­bach hin­un­ter, die wegen des holp­ri­gen Weges aber auch nicht beson­ders schnell war. Nun ja, jetzt schau­te ich wenigs­tens wie­der genau­er auf die Kar­te …

Die „Tour de Murg“ führ­te mich nun in lan­gen, halb­wegs sanf­ten Stei­gun­gen vor­bei an For­bach und Raum­ünz­ach über Schön­münz­ach nach Bai­er­s­bronn, wo ich mich noch ein­mal ver­pfleg­te, bevor ich mich auf den Rest des Weges mach­te. Nun ging es erst ein­mal nach Freu­den­stadt. Und so lang­sam wur­de es wirk­lich hart, die Stei­gun­gen wur­den wirk­lich anstren­gend für mei­ne Bei­ne … Bei Freu­den­stadt bin ich mir auch nicht sicher, ob Ulrich Lamm den bes­ten Weg gefun­den hat: Um eine stei­le Stre­cke zu ver­mei­den, blieb ich auf der Tal­stra­ße im Chris­tophs­tal, die aber auch weit und hoch berg­auf ging. Man, das zog sich viel­leicht, die­ses klei­ne Tal! Dafür führ­te sie mich an Freu­den­stadt vor­bei. In Freu­den­stadt war aber noch nicht Schluss für mich, 8 Kilo­me­ter lagen noch zwi­schen mir und dem Tages­ziel. Und die waren extrem hart. In Freu­den­stadt ging es ein­fach immer noch wei­ter berg­auf, da bin ich schwer ins Schwit­zen und Keu­chen gekom­men. Immer­hin hat­te ich mich jetzt schon auf über 800 Meter hoch gear­bei­tet. Und da oben war es auch nicht flach, son­dern hüge­lig – Schwarz­wald eben. Aber auch die letz­ten Kilo­me­ter schrumpf­ten, die letz­ten klei­nen Hügel erklomm ich in noch klei­ne­ren Gän­gen und erreich­te schließ­lich Schöm­berg, wo ich in der „Son­ne“ über­nach­te­te.

Vor dem Schlaf stand aber noch ein kur­zer Lauf auf dem Pro­gramm, rund ums Dorf, das ja nicht so beson­ders groß ist. Das war zwar super­lang­sam, aber für die Bei­ne doch mal eine ganz net­te Abwechs­lung und wenigs­tens ein klei­nes biss­chen Locke­rung.

Danach bin ich dann aber auch ziem­lich schnell weg­ge­däm­mert …

Die gefah­re­ne Stre­cke als gpx-Datei: Karls­ru­he-Schöm­berg

Tag 3: Schömberg-Stahringen

Der drit­te und letz­te Tag soll­te eigent­lich wie­der easy wer­den, so hat­te ich mir das gedacht. Schon beim Auf­ste­hen und der klit­ze­klei­nen Mor­gen­lauf­run­de war aber klar, dass es so ganz ein­fach nicht wer­den wür­de: Die Bei­ne waren jetzt so rich­tig müde, viel Rest­kraft war da offen­bar nicht mehr vor­han­den. Dafür war es rich­tig frisch auf dem klei­nen Hoch­pla­teau von Schöm­berg – als ich um halb neun auf mei­nem Lie­ge­rad Platz nahm, waren es gera­de mal 8 °C. Und so rich­tig warm wur­de es den gan­zen Tag auch nicht mehr. Dafür erfrisch­te mich der Mor­gen erst ein­mal: Mit einer span­nen­den Abfahrt nach Loß­burg hin­un­ter begann die Fahrt auf der schlech­ten Land­stra­ße rich­tig auf­re­gend. Und kurz hin­ter Loß­burg fing es dann in den wel­li­gen Hügeln des Schwarz­wald erst ein­mal kräf­tig an zu reg­nen. Und es reg­ne­te eine gute Stun­de ziem­lich viel. Aber immer­hin hör­te es dann auch wie­der auf und blieb den Rest des Tages zwar trüb und feucht-kalt, aber wenigs­tens regen­frei. Von Loß­burg aus fuhr ich auf klei­nen und nicht ganz so klei­nen Stra­ßen – in man­chen Abschnit­ten waren da erstaun­lich vie­le LKWs unter­wegs – dann durch die Hügel­land­schaft des Schwarz­wal­des. Eine sehr schö­ne Stre­cke eigent­lich, nur mach­te es wegen dem Regen zunächst nicht ganz so viel Spaß. Von Loß­burg aus ging es über Fluorn-Win­zeln und Dun­nin­gen dann zwi­schen Vil­lin­gen-Schwen­nin­gen und Tros­sin­gen vor­bei in Rich­tung Tutt­lin­gen. Da waren zwar kei­ne wirk­lich har­ten Stei­gun­gen dabei (bis auf das Stück in Nie­de­reschach, das ich nur schie­bend bewäl­tig­te), aber es ging eben doch immer mal wie­der berg­auf. Dafür waren auch schö­ne Abfahr­ten dazwi­schen, so dass die Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit nicht ganz in den Kel­ler sank. Denn bei den „Berg“-Fahrten merk­te ich zuneh­mend, das die Kraft in den Bei­nen zu Nei­ge ging.

Nach der Mit­tags­pau­se in Tutt­lin­gen nahm ich dann den letz­ten Anstieg in Angriff: Hin­auf zum Wind­egg, noch ein­mal auf knapp 850 Meter hoch. Das war bru­tal … Oben ange­kom­men, begrüß­te mich eine stei­fe Bri­se, die dem Namen alle Ehre mach­te. Und das Wis­sen, dass es ab jetzt fast nur noch berg­ab gehen wür­de. Und zwar rich­tig schön: Zunächst führ­te mich der Rad­weg nach Emmin­gen udn von dort durch den Wald nach Eigel­tin­gen. Die Stra­ße dort hin­un­ter war zwar eigent­lich wegen Bau­ar­bei­ten gesperrt, der Rad­weg aber offi­zi­ell nicht – obwohl er auf der Stra­ße ver­läuft ;-). Also habe ich mich ein­fach nicht um die Sper­rung geschert und mein Glück ver­sucht. Und das war auch gut so, die Stra­ße war näm­lich gera­de kom­plett neu gemacht wor­den – und schon fer­tig. Nur ein paar Bäu­me wur­den am Stra­ßen­rand noch besei­tigt – aber das stör­te mich nicht wei­ter, ich genoss es, die gan­ze neue glat­te Stra­ße für mich allein zu haben. Und dann war ich ja auch schon fast am Ziel: Hin­ter Eigel­tin­gen geht es noch durch ein paar klei­ne Dör­fer und dann ist man schon in Stah­rin­gen ange­langt. Und ich war froh, dass ich am nächs­ten Tag nicht mehr wei­ter­fah­ren muss­te: Mei­ne Bei­ne brauch­ten drin­gen mal etwas Ruhe.

Die gefah­re­ne Stre­cke als gpx-Datei: Schöm­berg-Stah­rin­gen

Mainz – die Stadt, die Fahrräder liebt & hasst

Mainz hat mit dem Ange­bot der MVG („MVGmein­Rad“) eine sehr schö­ne Sache für (Gelegenheits-)Radler ins Leben geru­fen. Man könn­te also mei­nen, da die MVG ein städ­ti­sches Unter­neh­men ist, dass die Stadt Mainz Fahr­rä­der und ihre Nut­zer, die Rad­le­rin­nen und Rad­ler, för­dern möch­te. Das gilt aber immer nur so lan­ge, wie die Fahr­rä­der und ihre Benut­ze­rin­nen nicht in Bewe­gung sind (oder am Bahn­hof par­ken wol­len, aber das ist eine ande­re Sache …). Um die Rad­we­ge küm­mert die Stadt sich näm­lich höchs­tens stief­müt­ter­lich. Das merkt man nicht nur an deren Anla­ge, Brei­te und bau­li­chem Zustand, son­dern vor allem immer dann, wenn Bau­ar­bei­ten anste­hen: Regel­mä­ßig sind die Rad­fah­re­rin­nen – die ja eigent­lich gleich­be­rech­tig­te Ver­kehrs­teil­neh­mer sind – dann die Leid­tra­gen­den. Für Pkws wer­den Aus­weich­mög­lich­kei­ten geschaf­fen, wer­den Vor­warn- und Warn­schil­der geschaf­fen. Die Rad­fah­rer ste­hen in der Regel auf ein­mal vor einem gesperr­ten Rad­weg – immer­hin wird dann die Benut­zungs­pflicht groß­zü­gig auf­ge­ho­ben. Aber selbst das geschieht nicht immer. Auch „wil­de“ Bau­stel­len wie die heu­ti­ge an der Gro­ßen Blei­che pas­sie­ren immer wie­der: Da parkt ein­fach ein Bau­stel­len­las­ter auf dem Rad­weg – und die Fahr­rad­fah­rer kön­nen selbst sehen, wo sie blei­ben.

Radweg-Blockade mit Lastwagen

Rad­weg-Blo­cka­de mit Last­wa­gen

(Neben­bei sieht man auf dem Bild auch, dass der Rad­weg an die­ser Stel­le – einer nicht gera­de unwich­ti­gen Ver­bin­dung in Mainz – sowie­so schon schmal und ungüns­tig ange­legt ist – gedoort wer­den kann ich, wenn ich’s dar­auf anle­ge, an die­ser Stel­le alle paar Tage …)

In die­sem Fall führt das übri­gens dazu, das (fast) alle ein­fach auf dem Bür­ger­steig um das Hin­der­nis her­um­fah­ren. Denn auf die Stra­ße aus­zu­wei­chen ist nicht mög­lich, da par­ken ja noch die Autos. Und abstei­gen mögen die meis­ten halt auch nicht, das machen Auto­fah­rer ja auch nie. Ja, das ist zunächst mal eine Klei­nig­keit. Aber gera­de die­se Klei­nig­kei­ten zei­gen eben, ob eine Stadt, ein Land ihr Bekennt­nis zum Rad­ver­kehr ernst nimmt. So macht man das jeden­falls nicht …

Ins gelobte Land: Die ROAM zieht „Nach Amerika!“

Nach Ame­ri­ka sind die Schif­fe im Muse­um für Anti­ke Schiff­fahrt nie gekom­men. Das unter­schei­det sie von den Musi­kern der Rhei­ni­schen Orches­ter­aka­de­mie Mainz: Die haben, nur mit ihren Instru­men­ten, ein paar Noten und einem Diri­gen­ten bewaff­net, im Nu den Atlan­tik über­wun­den. „Nach Ame­ri­ka!“ hat das Pro­jektorches­ter sein 18. Pro­gramm über­schrie­ben, ist aber musi­ka­lisch schon längst dort ange­kom­men. Und wie immer in den letz­ten Jah­ren ist das eine schö­ne Ergän­zung für das Main­zer Musik­le­ben, gera­de durch das unge­wöhn­li­che Reper­toire. „Nach Ame­ri­ka!“ ver­zich­te­te näm­lich auf das Nahe­lie­gen­de wie Dvo­raks Sin­fo­nie „Aus der neu­en Welt“ und wid­me­te sich statt des­sem noch Neue­rem aus der neu­en Welt: Wer­ke von John Adams, Aaa­ron Cop­land und Charles Ives waren im Muse­um zu hören.

Zwin­gend und begeis­ternd zeig­ten die „Old Ame­ri­can Songs“ von Aaron Cop­land, was in dem jun­gen Orches­ter steckt. Das lag aber auch an der Solis­tin, der in Mainz aus­ge­bil­de­ten Mez­zo­so­pra­nis­tin Regi­na Pät­zer. Die stürz­te sich näm­lich vol­ler Élan und Raf­fi­nes­se in die Songs. Und die­se Kopp­lung von Leben­dig­keit, lebens­lus­ti­ger Leich­tig­keit und genau­er Detail­ver­liebt­heit teil­te sie mit dem Orches­ter. Wun­der­bar har­mo­nisch gelang das Zusam­men­spiel: Der Diri­gent Mar­tin Lill arbei­te­te aus­ge­spro­chen prä­zi­se und brach­te das Orches­ter immer auf den Punkt. Ob es nun um den sat­ten Sound des „Boatmen’s Dance“ ging oder das ver­spiel­te Tier­stim­men-Imi­tie­ren quer durch den Bau­ern­hof von „I Bought Me a Cat“: Solis­tin und Orches­ter schöpf­ten aus dem Vol­len, lie­ßen mit ihrer Fines­se und fein aus­ge­ar­bei­te­ten Gewitzt­heit die sechs Lie­der unge­mein leben­dig und spon­tan wir­ken.

Die zwei­te Sin­fo­nie von Charles Ives, schon um 1900 kom­po­niert, aber erst 1951 kurz vor sei­nem Tod urauf­ge­führt, war dage­gen im Muse­um ein wenig ent­täu­schend. Viel­leicht war es die unbarm­her­zi­ge Akus­tik, viel­leicht die Musi­ker oder der Diri­gent: Hier spiel­te die ROAM nicht ganz auf dem gewohn­ten Niveau. Der Anfang zum Bei­spiel: Das dau­er­te recht lan­ge, bis sich die Sin­fo­nie wirk­lich ent­fal­tet und ihren durch­aus tra­di­tio­nel­len Charme ent­fal­ten konn­te. Irgend­wann kam das auch bei der ROAM – aber erst spät. Abschnitt­wei­se gelan­gen Lill und dem Orches­ter dann immer wie­der inten­si­ve und erfül­len­de Momen­te. Aber dane­ben blie­ben auch vie­le Schwer­fäl­lig­kei­ten und unor­ga­ni­sche Über­gän­ge, die den Ein­druck klein­tei­li­gen Gestü­ckels hin­ter­lie­ßen: Wie aus einem Bau­kas­ten zusam­men­ge­setzt lös­ten sich Moti­ve und Abschnit­te ab, die Kan­ten blie­ben immer hör­bar. Aus­ge­rech­net in den Eck­sät­zen war das recht deut­lich. Der drit­te und vier­te Satz dage­gen zeig­ten das Poten­zi­al des Orches­ters im Kon­trast sehr deut­lich: Der wun­der­ba­ren kan­ta­blen Ver­zü­ckung folg­te ein wahr­haft majes­tä­tisch groß­ar­ti­ger vier­ter Satz vol­ler Gran­dez­za. Nur füg­te sich das alles nicht zu einem Zusam­men­hang: Gro­ße Momen­te stan­den neben schlicht bana­len Lang­wei­lig­kei­ten. Fast wie bei einer See­rei­se nach Ame­ri­ka.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Farbenklänge und Klangfarben: Das Eröffnungskonzert von Mainz-Musik 2013

Klang und Far­ben sind untrenn­bar ver­bun­den. So rich­tig deut­lich wur­de die Klang­far­be als Ele­ment der Kom­po­si­ti­on aber erst im 20. Jahr­hun­dert. Also ist es ganz fol­ge­rich­tig, ein Fes­ti­val für Neue Musik unter das Mot­to „Klang­far­ben“ zu stel­len. Unter die­sem Schlag­wort ver­sam­melt das dies­jäh­ri­ge Mainz-Musik, die 16. Auf­la­ge des Som­mer­fes­ti­vals der Hoch­schu­le für Musik, im Juni eine Men­ge span­nen­der Musik. Wie span­nend das sein kann, mach­te schon das Eröff­nungs­kon­zert im Schloss deut­lich.

Auf dem Pro­gramm stan­den gro­ße Gegen­sät­ze: Musik von Arvo Pärt und Pau­li­ne Oli­ve­r­os neben einer Urauf­füh­rung von Bir­ger Peter­sen selbst wech­sel­ten sich mit ein­zel­nen Sät­zen von Bed­rich Sme­ta­na ab. Und der Kon­trast hat tat­säch­lich funk­tio­niert: Mit den Orches­ter­stü­cken aus Sme­ta­nas Oper „Die ver­kauf­te Braut“ und sei­nem Zyklus „Mein Vater­land“ wur­den die Ohren geschärft. Aber nicht nur auf­merk­sam für das Ande­re und Neue der Musik von Pärt, Peter­sen und Oli­ve­r­os wur­den sie, sie konn­ten sich auch ein­mal ent­span­nen. Denn das von Wolf­ram Kolo­seus gelei­te­te Hoch­schul­or­ches­ter dreh­te bei die­sen Gele­gen­hei­ten ordent­lich auf. Mit Voll­dampf stürz­ten sie sich gleich in die Ouver­tü­re der „Ver­kauf­ten Braut“, mit dem glei­chen Élan und Kara­cho wur­den auch die ande­ren Ton­dich­tun­gen aus dem 19. Jahr­hun­dert in Angriff genom­men. Und von Angriff kann man hier wirk­lich spre­chen, denn Kolo­seus mach­te kei­ne Gefan­ge­nen: Immer war das Tem­po hoch, die Span­nung auch und der Effekt sowie­so.

Die Haupt­sa­che aber erklang dazwi­schen: Die Neue Musik. Arvo Pärts „Fra­tres“ ist dabei ein ech­ter Klas­si­ker. Nicht immer aber sind die „Fra­tres“ so klar und deut­lich kon­tu­riert zu hören wie im Schloss. Das lag zum einen wie­der an der Füh­rung von Kolo­seus, zum ande­ren aber an der Vio­li­nis­tin Benia Bar­bu, die die hohen Anfor­de­run­gen des Solo­parts mit Bra­vour bestritt. Klang die Solis­tin – und mit ihr auch das Orches­ter – am Anfang noch mini­mal ange­spannt, lös­te sich das zuneh­men zu einer wun­der­bar kla­ren Gelas­sen­heit, so dass der Schwe­be­zu­stand der Pärt’schen Musik sich voll ent­fal­ten konn­te.

Gelas­sen­heit präg­te in gewis­ser Wei­se auch „strei­fen“ von Bir­ger Peter­sen, das hier urauf­ge­führt wur­de. In gro­ßer Ruhe glei­ten die „strei­fen“ von Ein­zel­tö­nen zu kom­ple­xen Häu­fun­gen, wech­seln zwi­schen Erre­gung und Locker­heit, tas­ten sich von Far­be zu Schat­tie­rung zu Tönung: Eine span­nen­de Klang­for­schung, auch wenn man das dar­in ver­steck­te Schlaf­lied beim bes­ten Wil­len nicht mehr erken­nen kann.

Eine „Wol­ke aus Klän­gen“ erhof­fe sich Pau­li­ne Oli­ve­r­os von ihrer „Tuning Medi­ta­ti­on“, die kei­ne Noten mehr vor­schreibt und auch kei­nen Diri­gent mehr ver­langt. Das Orches­ter wird frei – frei, eige­ne Klän­ge zu ver­wirk­li­chen oder sich ande­ren anzu­schlie­ßen. Das gibt schö­ne Momen­te, die immer in Wel­len ent­ste­hen: Rau­nend beginnt das mit den Stim­men und Atmen der Musi­ker, ver­dich­tet und lockert sich, fällt ab und an auch mal in eini­ge leer­lau­fen­de Momen­te. Aber immer wie­der fin­det das Hoch­schul­or­ches­ter zusam­men – in höchs­ter Empha­se und bun­ter Klang­far­big­keit, genau wie im Rest des Kon­zer­tes.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Ins Netz gegangen (1.6.)

Ins Netz gegan­gen (29.5.–1.6.):

  • Mau­ert Luther nicht ein! – DIE WELT – Der His­to­rik Heinz Schil­ling ist mit den bis­he­ri­gen Vor­be­rei­tun­gen des Refor­ma­ti­ons-Jubi­lä­ums 2017 nicht so ganz zufrie­den …

    Die Kluft zwi­schen gegen­warts­ori­en­tier­tem Ver­kün­di­gungs­be­geh­ren und Ver­lan­gen nach his­to­ri­scher wie bio­gra­fi­scher Tie­fen­boh­rung ist zu über­brü­cken, will das Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­um nicht unter das hohe Niveau der auf das 20. Jahr­hun­dert bezo­ge­nen Gedenk­kul­tur unse­res Lan­des zurück­fal­len. Es geht um die eben­so simp­le wie fol­gen­rei­che Fra­ge, wie viel Wis­sen­schaft das Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­um braucht und wie viel Wis­sen­schaft es ver­trägt. Denn nur auf einer soli­den his­to­ri­schen Basis ist eine nach­hal­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit dem „pro­tes­tan­ti­schen Erbe“ in der euro­päi­schen Neu­zeit und glo­ba­len Moder­ne mög­lich.

  • „Es muss ja nicht alles von mir sein“ – DIE WELT – Lite­ra­tur – Frank Kas­par besucht Moni­ka Rinck und lässt sich von ihr erklä­ren und zei­gen, wie man heu­te Gedich­te schreibt, ohne pein­lich und ner­vend zu sein (was ihn anschei­nend ziem­lich über­rascht, dass das geht …):

    Wer in Moni­ka Rincks Tex­te ein­taucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lau­ter Stim­men und Spra­chen, die dort frei zusam­men­schie­ßen. Deutsch, Eng­lisch, Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch und Pfäl­zisch, inne­re tref­fen auf äuße­re Stim­men, rhyth­misch Aus­ge­feil­tes auf bewusst gesetz­te Brü­che, Sprün­ge, Aus­ru­fe: Ha! Ach so! Hoho­ho! Die „Gischt der wirk­li­chen gespro­che­nen Spra­che“, die Wal­ter Ben­ja­min an Alfred Döb­lins Mon­ta­ge-Roman „Ber­lin Alex­an­der­platz“ so begeis­tert hat, gur­gelt zwi­schen den Zei­len und macht das Gewe­be leben­dig und beweg­lich.

  • Emme­rich Joseph von Breid­bach zu Bür­res­heim: Vor­kämp­fer der katho­li­schen Auf­klä­rung – FAZ -

    Emme­rich Joseph von Breid­bach zu Bür­res­heim, auch bekannt unter dem Spitz­na­men „Breit­fass von Schüt­tes­heim“ – angeb­lich trank er zu jeder Mahl­zeit sechs Maß Rhein­wein. Emme­rich galt als offen­her­zig und volks­nah, obwohl sei­ne Ansich­ten so gar nicht in Ein­klang mit dem wun­der­gläu­bi­gen Barock-Katho­li­zis­mus der kon­ser­va­ti­ven Land­be­völ­ke­rung stan­den. Er las Vol­taire und Dide­rot, wur­de schließ­lich zum bedeu­tends­ten Herr­scher der katho­li­schen Auf­klä­rung. Beson­ders sei­ne Schul­re­form wirk­te nach­hal­tig. Letzt­lich schuf die Ratio­na­li­sie­rung des Kur­main­zer Aus­bil­dungs­sys­tems die Grund­la­ge für die Revo­lu­ti­on in der Dom­stadt.

    Dass die Main­zer den Wein lie­ben, ist also nichts Neu­es …

  • Lebens­mit­tel­spe­ku­la­ti­on in der Frü­hen Neu­zeit – Wie Wet­ter, Grund­herr­schaft und Getrei­de­prei­se zusam­men­hin­gen | Die Welt der Habs­bur­ger – Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on ist kei­ne Erfin­dung und auch nicht nur ein Pro­blem des 21. Jahr­hun­derts – wer hät­te es gedacht .…:

    Die Preis­stei­ge­run­gen waren jedoch nicht nur auf Wet­ter­ka­prio­len zurück­zu­füh­ren, auch das Ver­hal­ten der welt­li­chen und kirch­li­chen Grund­her­ren trug maß­geb­lich zum Anstieg der Getrei­de­prei­se bei.

  • »Wie ein Rausch« | Jüdi­sche All­ge­mei­ne – Ein Inter­view mit dem Kla­vier­duo Tal & Groe­thuy­sen über Wag­ner, Alfred Pringsheim und Isra­el:

    Dar­in liegt auch die Leis­tung des Bear­bei­ters. Er steht ja stän­dig vor gro­ßen Fra­gen: Wie tei­le ich das auf? Wie kann ich mög­lichst viel vom Ori­gi­nal unter­brin­gen, sodass es plas­tisch ist, aber nicht über­la­den? Aber auch pia­nis­tisch rea­li­sier­bar? Und es hat sich her­aus­ge­stellt, dass Alfred Pringsheim, der eigent­lich Auto­di­dakt war, mit die inter­es­san­tes­ten und auch pia­nis­tischs­ten Lösun­gen gefun­den hat.

    Schön auch der Schluss­satz: „Und was Wag­ner angeht, sind wir jetzt wie­der für eine Wei­le bedient.“ – ich glau­be, das gilt nach die­sem Jahr für alle …

  • Adress­comp­toir: Auf der Suche nach Grill­par­zer – Hein­rich Lau­be irrt durch Wien:

    Grill­par­zer, wo bin ich über­all hin­ge­ra­then, um Dich zu finden!—erster Hof, zwei­te Stie­ge, drit­ter Stock, vier­te Thür! Es wir­beln mir noch die Beschrei­bun­gen im Kop­fe. Nach einer vor­mit­täg­li­chen Such­jagd stand ich end­lich in einer schma­len, öden Gas­se vor einem gro­ßen schweig­sa­men Hau­se

    Grill­par­zers über­ra­schend beschei­de­ne Woh­nung kann man übri­gens im städ­ti­schen Wien-Muse­um besich­ti­gen.

Bach ohne Bach: Daniel Beckmann in St. Stephan

Bach ist ein magi­scher Name. Nicht nur wegen Johann Sebas­ti­an und sei­nem rie­si­gen und genia­len Oeu­vre, son­dern auch ganz für sich. Denn aus die­sen vier Buch­sta­ben B‑A-C‑H lässt sich wun­der­bar Musik machen – eine Tat­sa­che, die schon Bach selbst und vor allem sei­ne Söh­ne aus­ge­nutzt haben. So rich­tig Kon­juk­tur hat­te die­ses klei­ne, aber unver­kenn­ba­re Motiv dann aber in der Roman­tik: Immer wie­der nutz­ten Kom­po­nis­ten die klei­ne Ton­fol­ge, um ihre Reve­renz an den Meis­ter aus dem Barock aus­zu­drü­cken. Ganz beson­ders weit ver­brei­tet war das natür­lich bei den Orgel­kom­po­nis­ten, war doch Johann Sebas­ti­an Bach gera­de im 19. Jahr­hun­dert vor allem als genia­ler Schaf­fer von Orgel­mu­sik bekannt.

Dani­el Beck­mann, der Main­zer Dom­or­ga­nist, hat sich das jetzt bei sei­nem Kon­zert an der neu­en Orgel in St. Ste­phan für ein Kon­zert zu nut­ze gemacht, das sich ganz um Bach dreht, ohne ihn selbst zu Gehör kom­men zu las­sen. Zumin­dest nicht in der Ori­gi­nal­ge­stalt: Denn neben drei der wohl wich­tigs­ten und bekann­tes­ten B‑A-C-H-Bear­bei­tun­gen von Liszt, Reger und Schu­mann stell­te er Orgel­tran­skri­pi­tio­nen von Kan­ta­ten­sät­zen. Gewich­ti­ger kamen aber die Ori­gi­na­le aus dem 19. Jahr­hun­dert daher. Gleich zu Beginn setz­te Franz Liszts „Prä­lu­di­um und Fuge über den Namen B‑A-C‑H“ einen gran­dio­sen Auf­takt. Natür­lich ist die­ses Werk immer mehr oder weni­ger mit­rei­ßend – aber unter Beck­manns Hän­den und Füßen gewann es beson­de­re Kraft. Das lag vor allem dar­an, dass er immer im Moment war: Jeder Takt, jede Phra­se durf­te in sei­ner Inter­pre­ta­ti­on ihr Eigen­le­ben voll­stän­dig aus­le­ben. Unge­ach­tet der gefor­der­ten Vir­tuo­si­tät und der zu orga­ni­sie­ren­den Klang­mas­sen wur­de das dadurch eine sehr hörer­freund­li­che Vari­an­te. Denn Beck­mann nutz­te die viel­fäl­ti­gen, genau abge­stimm­ten Klang­far­ben der neu­en Orgel geschickt, um Prä­lu­di­um und Fuge in plas­ti­scher Gerad­li­nig­keit zu zei­gen: Klar­heit und Klan­g­le­ben­dig­keit ver­ban­den sich bei ihm zu gro­ßen Momen­ten.

Zurück­hal­ten­der gab er sich bei den ers­ten drei Fugen über B‑A-C‑H aus der Feder Robert Schu­manns. Und das nicht ohne Grund, eine gewis­se Stren­ge ist hier durch­aus ange­bracht. Zumal Beck­mann es nie über­treibt, son­dern auch die ver­hal­te­ne Begeis­te­rung die­ser Fugen ganz sub­til – und dar­in unge­heu­er vir­tu­os – zu einer fast schwe­re­los-mythi­schen Aura zu stei­gern ver­mag.
Ans Ende sei­nes Pro­gramms hat­te Beck­mann die „Fan­ta­sie und Fuge über B‑A-C‑H“ von Max Reger gestellt – eine wahr­haft gewal­ti­ge und rie­si­ge Ver­beu­gung vor Bach. Wie ein Vul­kan­aus­bruch beginnt die­se Fan­ta­sie, erup­tiv und vol­ler unge­bän­dig­ter Kraft – und der fol­gen­de Lava­strom reißt alles mit sich. Bei Beck­mann wur­de aber auch deut­lich, wie zäh so eine Lava­mas­se flie­ßen kann und wie viel sie über­deckt. Denn so gran­di­os und magisch man­che Abschnit­te ver­zau­ber­ten, so ging auch man­ches rhyth­mi­sche und satz­tech­ni­sche Detail im Sturm des Klangs unter: Der Klang­schön­heit opfer­te Beck­mann hier den letz­ten Rest Deut­lich­keit. Umso bezau­bern­der ent­wi­ckel­te er dann die Fuge, deren lan­ge Stei­ge­rung er mit viel Ruhe aus­kos­te­te: Magisch eben, die­ser Bach oder B‑A-C‑H.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Metal und Techno – auf dem Klavier

Der Pia­nist kau­ert über der Tas­ta­tur, greift in die Sei­ten und die Tas­ten gleich­zei­tig, nimmt nach Bedarf auch noch ein klei­nes Toy Pia­no oder Gitar­ren-Plek­tren zur Hil­fe. Sein Kol­le­ge, der den zwei­ten Teil des Abends bestrei­tet, tanzt vor und mit dem Flü­gel: Auf der Kla­vier­bank hält es ihn sel­ten, er springt immer wie­der auf, sei­ne Bei­ne zucken im Takt, sein gan­zer Kör­per will mit dem Instru­ment ver­schmel­zen und zugleich weg vom Flü­gel auf die Tanz­flä­che.
Kein Wun­der, was Kai Schu­ma­cher und Fran­ces­co Tris­t­ano hier machen, hat mit einem her­kömm­li­chen Kla­vier­abend nichts mehr gemein. Das soll es ja auch nicht, schließ­lich ist das der Clas­sic­Clash, den SWR und Vil­la Musi­ca im Frank­fur­ter Hof zum drit­ten Mal aus­rich­tet. Da geht es ja gera­de dar­um, kein nor­ma­les Kla­vier­kon­zert zu ver­an­stal­ten. Und das ist beim drit­ten Abend der Clas­sic­Clash-Rei­he ohne Zwei­fel gelun­gen.

Kai Schu­ma­cher, der den Abend eröff­net, spielt Rock und Metal. Und er spielt wirk­lich damit: Manch­mal macht er aus har­tem Metal klas­si­sche bezie­hungs­wei­se roman­ti­sche Tran­skrip­ti­on und Varia­tio­nen, manch­mal treibt er sich zwi­schen ver­spon­ne­nen Nir­va­na-Bal­la­den, Sound­gar­den-Songs und Foo-Figh­ter-Hits durch die Rock- und Metal­ge­schich­te der Neun­zi­ger. Die Ori­gi­na­le muss man nicht erken­nen oder wie­der­erken­nen, um Schu­ma­chers Spiel zu gou­tie­ren und zu genie­ßen. Im Zwei­fel­fall ist davon sowie­so nicht mehr viel übrig – manch­mal die Melo­die, die Akkord­fol­gen, manch­mal aber auch Struk­tu­ren und For­men.

Noch ein­mal ein Stück wei­ter weg von nor­ma­len Kon­zert­be­trieb bewegt sich Fran­ces­co Tris­t­ano her­um. Eigent­lich prä­sen­tiert er eine ziem­lich wasch­ech­te Tech­no­ses­si­on mit Flü­gel statt Turn­ta­ble – nur ein klei­nes Bux­te­hu­de-Zitat kurz vor Schluss darf man als Refe­renz an den klas­si­schen Kla­vier­abend zäh­len. Im Gegen­satz dazu steht auch die kräf­ti­ge Unter­stüt­zung des Com­pu­ters, der er sich ver­si­chert. Was er da vor­be­rei­tet hat, bringt die Anla­ge des Frank­fur­ter Hofs ger­ne mal zum Schep­pern und Dröh­nen.

Die bes­ten Momen­te ent­ste­hen aber genau dann, wenn er sich nicht auf die Elek­tro­nik ver­lässt, son­dern auf sei­ne eige­ne Tech­nik. Er kann näm­lich auch nur mit dem Flü­gel einen vri­tu­el­len Dance­f­lo­or auf­span­nen – fast nur mit dem Kla­vier, denn ganz unbe­ar­bei­tet lässt er den Klang eigent­lich nie. Dann häm­mert er minu­ten­lang die sel­ben Moti­ve, baut erre­gen­de Bass­li­nes, ver­schiebt das Gan­ze stän­dig hin und her – denn Still­stand ist ein Kon­zept, das Tris­t­ano höchst fremd und frag­wür­dig erscheint: Immer drängt es ihn zu neu­en Klän­gen. Fas­zi­nie­rend vor allem die Über­gän­ge, die Ver­schie­bun­gen, die er dabei pro­du­ziert. Nur ein Pro­blem bleibt: Was macht der Tech­no jetzt im Kon­zert­saal? Tanz­mu­sik sit­zend bloß zu hören, ist immer etwas selt­sam, das wird hier ganz deut­lich. Denn das im eigent­li­che Sinn musi­ka­li­sche Mate­ri­al ist eher ein­fach und über­schau­bar. Ande­rer­seits stört das weni­ger, denn als Tech­no funk­tio­niert das aus­ge­zeich­net – oder wür­de es, wenn es im Club statt im Kon­zert­saal pas­sier­te.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén