Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: kritik Seite 2 von 10

Lyrikkritik, nächste Runde

Die Debat­te um den Zus­tand der Lyrikkri­tik geht in die näch­ste Runde. Nun sind — mit einiger Verzögerung — die Metabeiträge dran: Jan Drees schreibt in seinem Blog eine gute Zusam­men­fas­sung der wesentlichen & wichtig­sten Beiträge. Und Gui­do Graf weist beim Deutsch­land­funk auf ein weit­eres Spez­i­fikum dieser inzwis­chen ja eigentlich eingeschlafe­nen Debat­te hin: Der Stre­it, der sich unter anderem ja auch um das Prob­lem der (zu) engen und inti­men Verknüp­fun­gen zwis­chen Lyrik­erin­nen und Kri­tik­erin­nen dreht und dabei nach den kri­tis­chen Stan­dards und den Zie­len ein­er möglichst (in ver­schiede­nen Sin­nen) wirk­samen Lyrikkri­tik fragt, find­et selb­st in einem sehr engen, über­schaubaren Zirkel (oder, wie man heute sagen würde, inner­halb der “Szene”) statt und scheint außer bei den mehr oder weniger direkt Beteiligten auf über­haupt keine Res­o­nanz zu stoßen:

Inter­es­sant ist eben auch, wo diese aktuelle Debat­te aus­ge­tra­gen wird und wo nicht. Ins­beson­dere dann, wenn man sie mit der let­ztjähri­gen über die Lit­er­aturkri­tik ver­gle­icht, wie sie — auch online — haupt­säch­lich im Per­len­tauch­er stattge­fun­den hat.

[…]

Sig­na­turen, Fix­po­et­ry, Lyrikzeitung und immer wieder Face­book: Das sind die Orte, an denen debat­tiert wird. In den Feuil­letons der Tageszeitun­gen, auf deren Online-Plat­tfor­men oder im Radio dazu kein Wort. Auch eine kundi­ge Lyrik-Leserin wie Marie-Luise Knott ver­liert in ihrer Online-Kolumne beim Per­len­tauch­er kein Wort über die aktuelle Debat­te. Berührungs­los ziehen die Dichter und ihre wech­sel­seit­i­gen Selb­st­beobach­tun­gen ihre Kreise.

Das ist in der Tat richtig beobachtet — und auch aus­ge­sprochen schade. Man muss ja nicht unbe­d­ingt erwarten, dass die “großen” Feuil­letons der Debat­te selb­st viel Platz ein­räu­men. Dazu ist der Kreis der daran Inter­essierten wohl ein­fach zu über­schaubar. Aber dass sie die Exis­tenz der Debat­te — die ja schließlich auch ihr Meti­er, ihren Gegen­stand (insofern sie über­haupt noch Lyrik besprechen …) bet­rifft — ger­adezu ver­schweigen, ist schon bedauer­lich und sagt vielle­icht mehr zum angenommenen/wahrgenommenen Zus­tand der Lyrik und ihrer Rel­e­vanz aus als alle Debat­ten. Gui­do Graf schlägt dann in seinem Schlusssatz als eine Art Lösung vor, “die Nis­chen­gren­zen zu ver­schieben”. Wie das zu erre­ichen ist, ver­rät er aber lei­der nicht — das hätte mich schon inter­essiert …

Ins Netz gegangen (7.4.)

Ins Netz gegan­gen am 7.4.:

  • Täter geschützt, Opfer entwürdigt | taz — der korps­geist deutsch­er polizis­ten und staat­san­wälte scheint zu funk­tion­ieren: die taz berichtet über die — von außen sehr selt­same — entschei­dung der staat­san­waltschaft han­nover, einen ehe­ma­li­gen bun­de­spolizis­ten, der mit der folter eines flüchtlichgs geprahlt hat, dafür nicht anzuk­la­gen (neben­bei: der anwalt des neben­klägers hat nach fast einem jahr noch keine aktenein­sicht erhal­ten) — so funk­tion­iert das in deutsch­land
  • Opti­mierte Kinder: Kör­per­hass will gel­ernt sein | Spiegel Online — schöne kolumne von mar­garete stokows­ki, die ein bild vom linz-marathon zum anlass nimmt, über die erziehung zu einem vernün­fti­gen (!) umgang mit unseren kör­pern zu schreiben
  • Verkehrsun­fall­sta­tis­tik – jedes Jahr die gle­iche Proze­dur und es verbessert sich doch nichts… | it start­ed with a fight — anlässlich der neuen verkehrsun­fall­sta­tis­tik — im zweit­en jahr in folge stiegen in deutsch­land die toten durch verkehr, auf mit­tler­weile 3475 — hat thomas berg­er hier einen inter­es­san­ten 10-punk­te-plan, der unter anderem deut­liche geschwindigkeit­sre­duzierun­gen und deren überwachun­gen sowie andere (tech­nis­che) hil­fen fordert, um die unfal­lzahlen — und damit ger­ade auch die zahl der toten, die wir jedes jahr ein­fach so in kauf nehmen — endlich zu senken
  • Integra­tion war nie. Über ein irrefüh­rendes Konzept | Geschichte der Gegen­wart — philipp sarasin über den begriff der “inte­gra­tion” und warum er (ger­ade heute) eigentlich reich­lich untauglich ist

    Gesell­schaften der westli­chen Mod­erne bzw. Postmo­derne zeich­nen sich neben ihren Klassen­dif­fe­renzen aber auch dadurch aus, dass sich jede inhalt­lich irgend­wie bes­timmte, pos­i­tiv ausweis­bare Vorstel­lung davon, wie ‚man‘ in ihnen zu leben und sich zu ver­hal­ten habe, in mehreren kultur­re­vo­lu­tio­nären Schüben aufge­löst hat. Diese histo­risch einzig­ar­tige Plura­li­sie­rung der Lebens­stile hat sich seit dem Ende der 1960er Jahre so sehr ver­stärkt, dass sie heute gar als harte Norm gegen­über Migran­tinnen und Migranten erscheint („Wie wür­den Sie reagieren, wenn Ihr Sohn Ihnen sagt, er sei schwul?“ Achtung: Toleranz­falle!). Es geht nicht darum, dass Migranten ‚sich an die Geset­ze hal­ten‘ (das tun die aller­meisten von ihnen, so wie die aller­meisten anderen das auch tun), ob sie die Sprache der Mehrheits­ge­sell­schaft ler­nen (sie tun es in aller Regel), oder ob sie in den Arbeits­markt inte­gri­ert wer­den (dito). Die Frage ist einzig, ob die west­liche, ohne­hin hetero­gene Mehrheits­ge­sell­schaft die zusätz­liche, neue Diffe­renz akzep­tiert, die die Zuzüger in unsere Gesell­schaften ein­brin­gen.

    und er schließt (ich kann ihm da nur zus­tim­men …):

    Es wird daher Zeit, den Begriff ‚Integra­tion‘ ganz aus dem politi­schen Vok­ab­u­lar zu strei­chen. Die Chance, dass er im öffent­li­chen Gebrauch pos­i­tiv als ‚Schaf­fung eines neuen Ganzen‘ begrif­f­en wer­den kön­nte, ist ger­ing. Zu mächtig sind jene, die den Begriff als Waffe ver­wen­den, mit dem sie von den Zuwan­de­rern Unter­wer­fung einfor­dern. Wir brauchen dieses durch und durch unbes­timmte Wort nicht mehr. Wir alle leben vergleichs­weise fried­lich, aber auch her­rlich anonym in unseren hetero­genen Gesell­schaften, ohne dass uns ständig jemand auffor­dern müsste, uns gefäl­ligst zu ‚inte­gri­eren‘.

  • The prob­lem with a tech­nol­o­gy rev­o­lu­tion designed pri­mar­i­ly for men — Quartz -

    What the researchers dis­cov­ered, unfor­tu­nate­ly, was a gap in cov­er­age that betrays a dispir­it­ing­ly com­mon prob­lem in tech­no­log­i­cal inno­va­tion: how to make sure women’s needs don’t become an after­thought.

    — ein studie unter­suchte, wie gut siri, cor­tana & co. bei medi­zinis­chen prob­le­men helfen — und fand, dass sie das für “män­ner-prob­leme” wesentlich bess­er tun als für “frauen-not­fälle”

  • Lyrikkri­tik Diskurs | Fix­po­et­ry — bei den “sig­na­turen” und auf “fix­po­et­ry” tobte (?) ende märz eine diskus­sion (naja, ein schlagab­tausch zumin­d­est) über (den zus­tand der|die möglichkeit­en der|die anforderun­gen an|die voraus­set­zun­gen der) lyrikkri­tik (kri­tik der kri­tik ist ja sowieso eine beliebte spiel­erei unter lit­er­at­en, bei lyrik­ern aber nicht so ganz häu­fig (vielle­icht man­gels masse …))
    aus­gelöst übri­gens von ein­er kri­tis­chen besprechung der “lyrik von jet­zt 3”-anthologie (die bei mir immer noch unge­le­sen herum­liegt …)
  • Mehr Dat­en als Tore – Polizei sam­melt fleißig, aber oft unrecht­mäßig | netzpolitik.org — unschuldsver­mu­tung, daten­schutz — lauter fremd­wörter für die deutsche polizei, die fleißig (und gerne auch ille­gal) dat­en sam­melt

Lesen und Kritik

Jan Kuhlbrodt, der einen der besseren Beiträge zur Lyrikkri­tikde­bat­te der let­zten Woche(n) — eine Über­sicht der einzel­nen Wort­mel­dun­gen (die im Ping-Pong zwis­chen „Sig­na­turen“ und „Fix­po­et­ry“ nur sehr zurück­hal­tend wirk­lich auf einan­der einge­hen) gibt es bei fix­po­et­ry — schrieb, ver­fasst da auch diese kluge tre­f­fende Bemerkung/These/Wahrheit:

Ein Leser, der nicht zugle­ich Kri­tik­er ist, ist eigentlich auch kein Leser, son­dern ein Blät­ter­er, unab­hängig davon, ob er seine Kri­tik for­muliert und schriftlich fix­iert oder nicht.

Recht hat er, das gilt auch unab­hängig vom konkreten Enste­hungs- & Diskurzusam­men­hang. Übri­gens liegt Kuhlbrodt auch mit den anderen sein­er 11 Antworten/Sätze zur Debat­te richtig, die sehr auf mein­er eige­nen Lin­ie liegen …
Der Rest der “Debat­te” ist für mich in weit­en Teilen nur so mit­telmäßig erken­nt­n­is­fördernd, aber immer­hin ein guter Anlass zur Selb­stvergewis­serung der eige­nen Posi­tion (so scheinen das auch die meis­ten Teil­nehmer zu ver­ste­hen — ich sehe nicht, dass sich jemand von jeman­dem von irgend etwas hätte überzeu­gen lassen …).

PS: Bertram Rei­necke legt noch ein­mal (sehr umfassend) sortierend/abschließend bei der lyrikzeitung nach …: „Jed­er wird ohne­hin so weit­er­rezen­sieren, wie sein Furor es ihm gebi­etet.“

Ins Netz gegangen (17.3.)

Ins Netz gegan­gen am 17.3.:

  • Flüchtlings­de­bat­te: Slo­ter­dijks intellek­tuelle Selb­st­de­mon­tage | Frank­furter Rund­schau — der philosoph thomas grund­mann über seinen kol­le­gen slo­ter­dijk, die zurück­hal­tung der eige­nen zun­ft in aktuellen poli­tis­chen fra­gen (oder “der” poli­tis­chen frage …) und mögliche alter­na­tiv­en zu zurück­hal­tung, schweigen oder intellek­tuell unredlichem gepolter à la slo­ter­dijk …

    Slo­ter­dijk geht seinen Weg der intellek­tuellen Selb­st­de­mon­tage offen­bar unbeir­rbar und lustvoll weit­er.
    […] Was müssen wir also bess­er machen? Erstens scheint es klar, dass Intellek­tuelle auch angesichts mas­siv­er Ungewis­sheit­en über die Fol­gen poli­tis­chen Han­delns nor­ma­tive Ori­en­tierung­shil­fe geben müssen. Was wäre denn die Alter­na­tive? Dass Poli­tik­ern der­art wichtige Entschei­dun­gen ganz allein über­lassen wer­den? Das kann nie­mand ern­sthaft wollen. Zweit­ens kön­nen wir auch unter Ungewis­sheit die Wahrschein­lichkeit­en von Szenar­ien abwä­gen und die Kon­se­quen­zen ver­schieden­er Ver­läufe durch­spie­len. Das ist in der Ethik und poli­tis­chen Philoso­phie dur­chaus nichts Neues. Drit­tens sollte man von Intellek­tuellen und Philosophen zum jet­zi­gen Zeit­punkt keine konkreten Hand­lungsan­weisun­gen erwarten, son­dern Ori­en­tierung in grundle­gen­den Werte­fra­gen.

  • Pow­ered by Pep­si: Der Trend zum Native Adver­tis­ing | tor­i­al Blog — tobias lenartz im “tor­i­al blog” über native adver­tis­ing, seine möglichkeit­en und die (momen­tane) prax­is
  • Stratege Frank Stauss über den Wahlkampf in Rhein­land-Pfalz | FAZ — die “faz” hat ein sehr inter­es­santes inter­view mit dem (auch bloggen­den) wahlkampf­man­ag­er der spd in rhein­land-pfalz, frank stauss, geführt

    Wenn Sie einen Kan­di­dat­en mit Hal­tung haben, ergeben sich viele Entschei­dun­gen im Wahlkampf von selb­st.
    […] Entschei­dend ist aber, dass man die Partei, die Spitzenkan­di­datin und auch wir Berater vom eige­nen Weg überzeugt sind. Dann muss man ein­fach auch dran glauben, dass man mit diesem Weg eine Mehrheit der Men­schen erre­ichen wird. Man darf diesen Weg nicht ver­lassen. Son­st ergeben sich ganz neben­bei neue Kon­flik­te mit der Partei selb­st oder den han­del­nden Per­so­n­en. Kurs hal­ten, das ist entschei­dend. Man darf um Gottes willen nicht anfan­gen, in einem Wahlkampf Schlangen­lin­ien zu fahren. Insofern bleibt auch gar nichts anderes übrig: Wenn man glaubt, dass es der richtige Weg ist, dann strahlt man die Überzeu­gung aus. Wenn man nicht gewon­nen hat, kann man wenig­stens in den Spiegel schauen. Viele ver­lieren auf den let­zten Metern die Ner­ven und vergessen ihre eige­nen Überzeu­gun­gen. In dem Fall ging es Julia Klöck­n­er so und nicht uns. Obwohl — eigentlich weiß ich ich bis heute nicht, wovon sie eigentlich überzeugt ist.

  • a list of Free Soft­ware net­work ser­vices and web appli­ca­tions which can be host­ed local­ly | Github — großar­tige liste mit self-host­ed open-source-soft­ware für (fast) alle zwecke …
  • Über die Pflicht des Lehrers zur Kri­tik am Schul­sys­tem -

    Aus­ge­hend von dieser Diag­nose, muss ich mich als Päd­a­goge selb­st in Frage stellen. Ich habe Ver­ant­wor­tung für die Bil­dung der mir anver­traut­en SuS. Es ist aus mein­er Sicht die Pflicht eines jeden Päd­a­gogen sich im Rah­men sein­er Möglichkeit­en für das Wohl der SuS zu engagieren. Vor diesem Hin­ter­grund muss ich tat­säch­lich immer wieder mein Tun und meine Hal­tung hin­ter­fra­gen.

    Eine kri­tis­che Per­spek­tive der Päd­a­gogen auf sich selb­st genügt aber nicht, um zu ver­ste­hen, was faul ist im Schul­sys­tem. Denn der Blick auf die Ver­ant­wor­tung des Einzel­nen ver­stellt die Per­spek­tive auf die Zwänge des Schul­sys­tems. Vieles was aus Sicht der Schüler schief läuft, ist eben nicht auf per­sön­lich­es Ver­sagen, son­dern auf sys­tem­a­tis­che Män­gel zurück­zuführen.

    […]

    Das Sys­tem schränkt LuL in Ihrem Schaf­fen und SuS in ihrem Ler­nen ein. Mir ist deshalb vol­lkom­men unklar, wieso ich mich wie im Kom­men­tar gefordert mit dem Sys­tem abfind­en sollte. Im Gegen­teil: Wer ein wirk­lich guter Lehrer wer­den will, muss das Sys­tem verän­dern wollen, damit er ein guter Lehrer wer­den kann.

Flashdance, Easy Lover & Fix You: Moderne Pop-Chor-Arrangements von Martin Seiler

“I am music now!” heißt es im Refrain von “What a feel­ing”. Und tre­f­fend­er lässt sich das Arrange­ment aus der Fed­er von Mar­tin Seil­er kaum beschreiben: Hier kann man als Sänger/Sängerin — und auch als Zuhör­er — vol­lkom­men in die Musik ein­tauchen. Dabei ist das nur eines von drei Arrag­ne­ments, die Seil­er im Hel­bling-Ver­lag vor­legt: neben “What a feel­ing”, bekan­nt vor allem als Film­musik aus “Flash­dance”, noch Phil Collins’ “Easy Lover” und “Fix You” von Cold­play. Drei eher gefüh­lige Songs also — eigentlich alles Mod­erne Ever­greens — für die Pop.Voxx-Reihe im Hel­bling-Ver­lag.

Seil­er weiß, was er macht, wenn er so bekan­nte Vor­la­gen arrang­iert. Denn seine Sätze beruhen auf sein­er Arbeit für und mit “Greg is back”, seinem eige­nen A‑Cap­pel­la-Pop­chor. Das zeigt sich sofort, wenn man die Par­ti­turen auf­schlägt: Die sind näm­lich für SMATB mit zusät­zlich­er Solostimme (für die Melodie) bzw. im Falle von Phil Collins “Easy Lover” sog­ar für SSMATB geset­zt, wozu immer noch eine (optionale), aber empfehlenswerte Beat­box kommt. Das heißt aber nicht, dass die alle durchge­hend sechs- bis sieben­stim­mig klin­gen. Aber ander­er­seits wer­den einzelne Stim­men auch ab und an noch bis zu dreifach aufgeteilt. Also: Für Anfänger oder pop­ungeübte Chöre ist das nicht die erste Wahl, die einzel­nen Stim­men müssen in sich sta­bil und rhyth­misch ver­siert sein, sind aber — man merkt die Praxis­er­fahrung — immer gut singbar.

Bei Seil­er heißt das aber auch: Alle Stim­men wer­den wirk­lich gefordert, auch die Begleit­stim­men haben’s näm­lich nicht immer ein­fach. Dabei, das gilt für alle Sätze drei gle­icher­maßen, bekom­men sie sehr ein­falls- und ideen­re­iche Kost: Leere Floskeln find­et man hier nicht. Das hängt vielle­icht auch damit zusam­men, dass Seil­er seine Arrange­ments dra­matur­gisch sehr geschickt auf­baut. Ger­ade “What a feel­ing” und “Fix You” prof­i­tieren sehr von der großen Bre­ite an Aus­drucksmit­teln, die er ein­set­zt. Energie und Empathie wer­den den Chören nicht über­lassen, son­dern sind in den Noten­text einge­baut. Der ist dann auch entsprechend detail­liert aus­gear­beit­et und bis in Kleinigkeit­en aus­ge­feilt — für “Easy Lover” braucht Seil­er deshalb ganze 20 Seit­en, weil er sel­ten ein­fach etwas wieder­holt, son­dern immer wieder vari­iert und neue Begleit­muster ein­führt.

Obwohl alle Songs sofort als Cov­erver­sio­nen großer Hits erkennbar sind, beg­nügt sich Seil­er nicht mit ein­er reinen vokalen Kopie. Klar, wesentliche Momente — wie etwa das instru­men­tale Zwis­chen­spiel bei “Fix You” — tauchen natür­lich hier auch auf, sehr geschickt und mit viel Gespür für effek­tvolle Klänge für “seine” Beset­zung adap­tiert. Aber sie haben, vor allem durch die vielschichtige Begleitung, auch einen eige­nen Klang. Und damit bekom­men diese Arrange­ments sozusagen ein dop­peltes Hit­poten­zial.

Mar­tin Seil­er (Arrange­ment): Flashdance…What a Feel­ing (SMATB), ISBN 978–3‑99035–374‑5 — Easy Lover (SSMATB), ISBN 978–3‑99035–373‑8 — Fix You (SMATB), ISBN 978–3‑99035–372‑1. Alle im Hel­bling-Ver­lag, Rei­he Pop.Voxx, 2015.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Wälder, Sonne & Hinrichtungen: Schostakowitschs Kantaten

schostakowitsch, kantatenKan­tat­en sind nicht unbe­d­ingt die Gat­tung, die man beson­ders eng mit Dmitri Schostakow­itsch verbindet. Und doch gibt es von ihm einige Exem­plare, die dur­chaus hörenswert sind. Freilich muss man bei Schostakow­itsch stets seine biographis­che und poli­tis­che Sit­u­a­tion bei der Kom­po­si­tion berück­sichti­gen. Zwei der hier aufgenomme­nen Werke sind anders über­haupt nicht zu erk­lären – wed­er dass es sie über­haupt gibt noch dass sie in dieser Form ent­standen sind.

„Über unser­er Heimat scheint die Sonne“ und „Das Lied von den Wäldern“ sind mehr oder weniger als Besän­f­ti­gungsver­suche zu ver­ste­hen, als Adresse an einen total­itären Staat, dass der Kom­pon­ist doch eigentlich ganz brav ist. Järvi kon­fron­tiert die bei­den apolo­getis­chen Kan­tat­en auf dieser rand­vollen CD mit der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“, 15 Jahre später in deut­lich lib­eraleren Zeit­en ent­standen und dur­chaus als kaum vehüllte Kri­tik an der KPdSU zu lesen, ver­her­rlicht sie in der his­torischen Gestalt des Ste­fan Razin doch eine Rebel­lion gegen ein repres­sives Sys­tem.

Der Kon­trast wird hier beson­ders stark, weil Järvi bei den bei­den frühen Kan­tat­en die ursprünglichen Texte nutzt, die der Kom­pon­ist später um die direk­ten Stal­in-Huldigun­gen (im „Lied von den Wäldern“ wird er etwa als „großer Gärt­ner“ betitelt) abgemildert hat­te. Auf­grund eines Ver­bots der Schostakow­itsch-Erben durften die Texte allerd­ings nicht abge­druckt wer­den – sehr schade, denn wer kann schon so gut rus­sisch, dass er das hörend ver­fol­gen kann? Aber hören kann man den­noch eine Menge: Die aus­geze­ich­neten Chöre zum Beispiel, den sicheren Nar­va-Knaben­chor und den kraftvollen und sehr klangstarken Est­nis­chen Konz­ertchor. Begleit­et vom gut aufgelegten Est­nis­chen Nation­al-Sym­phonie-Orch­ester, dessen Schlag­w­erk wesentlich zum Gänse­haut­feel­ing beiträgt, das diese Auf­nah­men immer wieder ver­strö­men: Durch die von den ersten mächti­gen, düsteren Akko­rd­schlä­gen bis zum apotheo­tis­chen Schluss pack­ende Musik, aber auch die heute aus­ge­prochen skuril wirk­enden Texte, die man beim Hören gerne aus­blenden­den möchte.

Am leicht­esten geht das bei der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“. Die wesentlich vielfältigere und span­nen­dere Ton­sprache treibt alle Beteiligten, auch den sonor-soli­den Bass Alex­ei Tanovit­s­ki, zu Höch­stleis­tun­gen. Ger­ade in op. 90 ist die Dauer­erregth­eit und per­ma­nente Freude, die ger­ade musikalisch ger­adezu platt und bar jed­er Dif­feren­zierung zu banalen Tex­ten (die im Book­let lei­der nicht abge­druckt sind) ertönt, stel­len­weise kaum ertrag­bar – Järvi nimmt das auch nicht zurück, son­dern lässt das als oppor­tunis­tis­che Musik ein­fach mal so ste­hen. Er ver­sagt sich dieser demon­stra­tiv­en Zugänglichkeit der Musik auch über­haupt nicht: Das klingt wun­der­bar großar­tig und wun­der­bar banal. Aber so ganz gibt er sich mit dieser glänzen­den Hülle eben doch nicht zufrieden: Das Brodeln unter der Ober­fläche wird bei Järvi vom Äußeren oft kaum noch in Zaum gehal­ten. Dabei verbindet er sehr geschickt und har­monisch die großen Gesten der szenisch-filmhaften Musik mit den vie­len feinen, lyrischen Details der Chorstim­men, die hier wun­der­bar lebendig strahlen. Vor allem die pralle Vital­ität und die agil-anges­pan­nte Präsenz der bei­den Chöre machen diese Auf­nahme ganz beson­ders. Das ist sich­er keine Musik, die Schostakow­itsch-Verächter zu großen Bewun­deren bekehrt, aber rotz­dem eine wichtige Facette seines reichen Oeu­vres. Zumal in ein­er so leb­haften Inter­pre­ta­tion.

Dim­itri Schostakow­itsch: Kan­tat­en (Die Hin­rich­tung des Stepan Rasin op. 119; Über unserem Vater­land scheint die Sonne op. 90; Das Lied von den Wäldern op. 91). Eston­ian Con­cert Choir, Eston­ian Nation­al Sym­pho­ny Orches­tra, Paa­vo Järvi. Era­to 2015.
CD

(In ein­er etwas kürz­eren Ver­sion zuerst erschie­nen im Okto­ber­heft von »Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin«)

Dass das ewige Licht scheine: Rihms “Et Lux”

wolfgang rihm, et luxMit zunehmen­dem Alter wird so manch­er (wieder) religiös — oder beschäftigt sich zumin­d­est mit dem Tod. Bei Wolf­gang Rihm lässt sich das schon seit einiger Zeit beobacht­en, die Hin­wen­dung zu religiösen The­men und Musiken, wie in den „Vig­ilia“, dem Requim der Ver­söh­nung oder der Lukas­pas­sion („Deus pas­sus“). Das 2009 uraufge­führte “Et Lux” passt genau in die Rei­he. Nicht nur the­ma­tisch, son­dern auch in der Art, wie sich Rihm den religiös-philosophis­chen Fra­gen nähert. Wieder ist das kein “echt­es” Requiem, son­dern eine sub­jek­tive, vor­sichtige Annäherung an den Text des lateinis­chen Requiems. Der wird hier vier­stim­mig gesun­gen — oder auch nicht. Denn Rihm nimmt nur frag­men­tierte Teile — Wörter, Sätze, Begriffe – in die Par­ti­tur auf, die ihn offen­bar beson­ders anregten. Die Licht­meta­pher — der Titel ver­rät es ja schon — ist wesentlich­er Teil, neben Lib­era me und Lac­rimosa eines der Zen­tren dieser Musik, die man sich scheut, ein Requiem zu nen­nen.

Das ewige Licht also, als Ver­heißung und Dro­hung in Klang geset­zt. Ein großes, über­großes Tongemälde hat Rihm dazu ent­wor­fen. Fast 62 Minuten nicht unterteilte Musik, in denen die vier gemis­cht­en Stim­men nur von einem Stre­ichquar­tett begleit­et wer­den. Das ist aber kein His­to­rien­schinken und auch kein repräsen­ta­tives Ölgemälde, son­dern trotz ihrer enor­men Dimen­sion eine zarte Zeich­nung auf großem Raum. An manchen Stellen wuchert der dun­kle Schat­ten über die frag­ilen Lin­ien, an anderen lässt sich eine feine Pastelltö­nung erken­nen, wieder woan­ders leuch­t­end inten­sive Far­ben. Und immer wieder das daraus auf­tauchende beschworene Licht – in Wort und Klang.

Dabei ist „Et Lux“ eine zutief­st nach­den­kliche, suchende und fra­gende Musik, ein Werk der bohren­den Sehn­sucht: Wolf­gang Rihm gibt keine Antworten (auch ein Grund, warum er nicht ein­fach ein „nor­males“ Requiem kom­ponierte), er hil­ft den Hör­ern vielmehr beim Fra­gen. Und manch­mal geht er auch ein paar Schritte voran ins Ungewisse.
Das acht­stim­mig beset­zte Huel­gas-Ensem­ble und Leitung Paul van Nevels und das famose, Rihm-erfahrene Minguet-Quar­tett unter­stützen das mit weit­ge­hend zurück­hal­tender Klan­glichkeit, die statt Opu­lenz lieber Klarheit und Fragilität bevorzugt und damit einen wesentlichen Zug von „Et Lux“ sehr genau trifft. Ganz kon­trol­liert und über­legt gestal­ten sie die die lan­gen, langsam entwick­el­ten Lin­ien, die für dieses Werk so wichtig sind, aus denen manch­mal und ganz allmäh­lich Kon­turen und einige wenige klan­gliche Erup­tio­nen und inten­sive Gefühlsaufwal­lun­gen entste­hen, die aber auch ins Leere ver­laufen kön­nen.

Mit Präzi­sion, kalkuliert­er Emo­tion und fein­sten Klang­facetten brin­gen sie Rihms poly­phone Tex­tur damit immer wieder zum Strahlen. Ein biss­chen schade ist allerd­ings, dass das Minguet-Quar­tett auf der Auf­nahme trotz der gegenüber der Par­ti­tur ver­dop­pel­ten Stim­men des Huel­gas-Ensem­ble sehr präsent ist, so dass man den Text manch­mal nur noch erah­nen kann.

Wolf­gang Rihm: Et Lux. Huel­gas Ensem­ble, Minguet Quar­tet, Paul van Nev­el. ECM 2015.

(Zuerst erschienen in der Sep­tem­ber-Aus­gabe der “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Ins Netz gegangen (11.9.)

Ins Netz gegan­gen am 11.9.:

Ins Netz gegangen (20.7.)

Ins Netz gegan­gen am 20.7.:

  • «Dig­i­tal Human­i­ties» und die Geis­teswis­senschaften: Geist unter Strom — NZZ Feuil­leton — sehr selt­samer text von urs hafn­er, der vor allem wohl seine eigene skep­sis gegenüber “dig­i­tal human­i­ties” bestäti­gen wollte. dabei unter­laufe ihm einige fehler und er schlägt ziem­lich wilde volten: wer “human­i­ties” mit “human­wis­senschaften” über­set­zt, scheint sich z.b. kaum auszuken­nen. und was die verz­er­rende darstel­lung von open access mit den dig­i­tal human­i­ties zu tun hat, ist auch nicht so ganz klar. ganz abge­se­hen davon, dass er die fäch­er zumin­d­est zum teil fehlrepräsen­tiert: es geht eben nicht immer nur um close read­ing und inter­pre­ta­tion von einzel­tex­ten (abge­se­hen davon, dass e‑mailen mit den dig­i­tal human­i­ties unge­fähr so viel zu tun hat wie das nutzen von schreib­maschi­nen mit kittler’schen medi­en­the­o­rien …)
  • Lyrik: Reißt die Seit­en aus den Büch­ern! | ZEIT ONLINE — nette idee von thomas böhm, die lyrik zu vere­inzeln (statt in lyrik­bän­den zu sam­meln), das gedicht als optis­ches sprachkunst­werk zu ver­mark­ten (auch wenn ich seine argu­men­ta­tio­nen oft über­haupt nicht überzeu­gend finde)
  • Ein­sam auf der Säule « Lyrikzeitung & Poet­ry News — gute kri­tikkri­tik zur besprechung des aktuellen “Jahrbuchs für Lyrik” in der “zeit”, die auch mich ziem­lich ver­wun­dert hat.

    Unter­schei­dung, Alter­na­tiv­en, Schw­er­punk­t­set­zung? Fehlanzeige. Rez. zieht es vor, sich als scharfe Kri­tik­erin zu insze­nieren, jede Dif­feren­zierung schwächte das Bild nur. Lieber auf der Schul­ter von Riesen, hier neben Krüger, Benn & Co. vor allem Jos­sif Brod­sky, auf die behauptet magere deutsche Szene her­ab­blick­en. Ein­sam ist es dort oben auf der Säule!

  • Verkehrssicher­heit: Brun­ners let­zte Fahrt | ZEIT ONLINE — sehr inten­sive reportage von hen­ning susse­bach über die prob­leme der/mit altern­den aut­o­fahrern (für meinen geschmack manch­mal etwas trä­nen­drüsig, aber ins­ge­samt trotz­dem sehr gut geschrieben)

    Urlaub­szeit in Deutsch­land, Mil­lio­nen Reisende sind auf den Straßen. Da biegt ein 79-Jähriger in falsch­er Rich­tung auf die Auto­bahn ein – fünf Men­schen ster­ben. Ein Unglück, das zu ein­er brisan­ten Frage führt: Kann man zu alt wer­den fürs Aut­o­fahren?

  • Lyrik und Rap: Die härteste Gan­gart am Start | ZEIT ONLINE — uwe kolbe spricht mit mach one (seinem sohn) und kon­stan­tin ulmer über lyrik, raps, rhyth­mus und the­men der kun­st

    Dass ich mit meinen Gedicht­en kein großes Pub­likum erre­iche, ist für mich etwas, worunter ich sel­ten lei­de. Ich möchte das, was ich mache, auf dem Niveau machen, das mir vorschwebt. Dabei nehme ich auch keine Rück­sicht mehr. Ich gehe an jeden Rand, den ich erre­ichen kann.

  • Rainald Goetz: Der Weltab­schreiber | ZEIT ONLINE — sehr schöne und stim­mende (auch wenn das the­ater fehlt …) würdi­gung rainald goet­zes durch david hugen­dick anlässlich der bekan­nt­gabe, dass goetz diesjähriger büch­n­er-preis-träger wird

    Die einzige Reak­tion auf die Zudringlichkeit der Welt kann nur in deren Pro­tokoll beste­hen, die zugle­ich ein Pro­tokoll der eige­nen Über­forderung sein muss.

  • “Panora­mafrei­heit”: Wider den Urhe­ber­rechts-Extrem­is­mus — Süddeutsche.de — leon­hard dobusch zum ver­such, in der eu das urhe­ber­recht noch weit­er zu ver­schär­fen:

    Wir alle sind heute ein biss­chen wie Licht­en­stein oder Warhol. Wir erstellen und teilen ständig Fotos und Videos, in denen Werke ander­er vorkom­men. Zeit, dass das Urhe­ber­recht darauf einge­ht.

  • Stravinsky’s Ille­gal “Star Span­gled Ban­ner” Arrange­ment | Tim­o­thy Judd — ich wusste gar nicht, dass es von straw­in­sky so ein schönes arrange­ment der amerikanis­chen hmyne gibt. und schon gar nicht, dass die ange­blich ver­boten sein soll …
  • Essay Griechen­land und EU: So deutsch funk­tion­iert Europa nicht — taz.de — ulrich schulte in der taz zu griechen­land und der eu, mit vie­len sehr guten und tre­f­fend­en beobach­tun­gen & beschrei­bun­gen, unter anderem diesen

    Von CSU-Spitzenkräften ist man inzwis­chen gewohnt, dass sie jen­seits der bay­erischen Lan­des­gren­ze so dumpf agieren, als gössen sie sich zum Früh­stück fünf Weiß­bier in den Hals.
    […] Das Char­mante an der teils irrlichtern­den Syriza-Regierung ist ja, dass sie einge­spielte Riten als nackt ent­larvt.

  • Sich „kon­struk­tiv ver­hal­ten“ heißt, ernst genom­men zu wer­den | KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ — Stel­lung­nahme ehe­ma­liger Mit­gliedern des Wis­senschaftlich Beraterkreis­es der (sowieso über­mäßig vom Bund der Vertreibenen dominierten) Stiftung Flucht, Vertrei­bung, Ver­söh­nung zur Farce der Wahl des neuen Direk­tors unter Kul­turstaatsmin­is­terin Moni­ka Grüt­ters
  • Kon­sum: Kleine Geschichte vom richti­gen Leben | ZEIT ONLINE — marie schmidt weiß nicht so recht, was sie von craft beer, handgeröstetem kaf­fee und dem ganzen zele­bri­erten super-kon­sum hal­ten soll: fetisch? rückbesin­nung alte handw­erk­liche werte? oder was?
  • Alle Musik ist zu lang — wun­der­bare über­legun­gen von diet­mar dath zur musik, der welt und ihrer philoso­phie

    Alle bere­its vorhan­dene, also aufgeschriebene oder aufgeze­ich­nete Musik, ob als Schema oder als wieder­gabefähige Auf­führung erhal­ten, ist für Men­schen, die heute Musik machen wollen, zu lang, das heißt: Das kön­nen wir doch nicht alles hören, wir wollen doch auch mal anfan­gen. Wie gesagt, das gilt nicht nur für die Werke, son­dern schon für deren Muster, Prinzip­i­en, Gat­tun­gen, Tech­niken.
    […] Musik hält die Zeit an, um sie zu ver­brauchen. Während man sie spielt oder hört, passiert alles andere nicht, insofern han­delt sie von Ewigkeit als Ereig­nis- und Taten­losigkeit. Aber bei­de Aspek­te der Ewigkeit, die sie zeigt, sind in ihr nicht ein­fach irgend­wie gegeben, sie müssen hergestellt wer­den: Die Ereignis­losigkeit selb­st geschieht, die Taten­losigkeit selb­st ist eine musikalis­che Tat.

  • Lit­er­atur­blogs are bro­ken | The Dai­ly Frown — fabi­an thomas attestiert den “lit­er­atur­blogs” “fehlende Dis­tanz, Gefall­sucht und Harm­losigkeit aus Prinzip” — und angesichts mein­er beobach­tung (die ein eher kleines und unsys­tem­a­tis­ches sam­ple hat) muss ich ihm lei­der zus­tim­men.
  • Inter­view ǀ „Ent-iden­ti­fiziert euch!“ — der Fre­itag — großar­tiges gespräch zwis­chen har­ald fal­ck­en­berg und jonathan meese über wag­n­er, bayreuth, kun­st und den ganzen rest:

    Ja, ich hab total auf lieb Kind gemacht. Ich merk­te ja schon, dass ich im Wag­n­er-Forum so als Mon­ster dargestellt wurde. Ich bin kein Mon­ster. Ich wollte das Ding nur radikalisieren. Ich hab auf nett gemacht und so getan, als wäre ich gar nicht ich selb­st. Was ich ja immer tue. Sei niemals du selb­st. Keine Selb­st­suche, bitte. Keine Pil­ger­fahrt. Keine Möncherei. Ich bin ein­fach wie ’n Spielkind da range­gan­gen, und ich dachte, jet­zt geht’s ab.
    […] Kul­tur ist genau­so beschissen wie Gegenkul­tur. Main­stream ist genau­so beschissen wie Under­ground. Kul­tur und Gegenkul­tur ist das Gle­iche. Poli­tik kannst du nicht mit Kul­tur bekämpfen. Son­dern nur mit Kun­st. Du kannst nicht eine neue Partei grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine neue Reli­gion grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie alle anderen. Du kannst keine neue Eso­terik schaf­fen, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine Spir­i­tu­al­ität schaf­fen, die bess­er wäre als alle anderen.
    Jede Partei ist gle­ich scheiße, jede Reli­gion ist gle­ich zukun­ft­sun­fähig, jede Eso­terik ist abzulehnen. Ich benutze Eso­terik, aber ich iden­ti­fiziere mich nicht damit. Ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Wag­n­er, ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Bayreuth, ich iden­ti­fiziere mich mit gar nichts.
    Ent-iden­ti­fiziert euch! Seid nicht mehr! Seid eine Num­mer! Seid endlich eine Num­mer!
    Das ist geil. Seid kein Name! Seid kein Indi­vidu­um! Seid kein Ich! Macht keine Nabelbeschau, keine Pil­ger­reise, geht niemals ins Kloster, guckt euch niemals im Spiegel an, guckt immer vor­bei!
    Macht niemals den Fehler, dass ihr auf den Trip geht, euch selb­st spiegeln zu wollen. Ihr seid es nicht. Es ist nicht die Wichtigtuerei, die die Kun­st aus­macht, son­dern der Dienst an der Kun­st. Die Kun­st ist völ­lig frei. Meine Arbeit, die ist mir zuzuschreiben, aber nicht die Kun­st. Die spielt sich an mir ab.

  • Eine Bemerkung zur Kom­pe­ten­zori­en­tierung by Fach­di­dak­tik Deutsch -

    »Fak­ten­wis­sen« kommt nicht zuerst, wenn Kom­pe­ten­zori­en­tierung ernst genom­men wird – Kön­nen kommt zuerst. Kom­pe­ten­zori­en­tierung bedeutet, die Ler­nen­den zu fra­gen, ob sie etwas kön­nen und wie sie zeigen kön­nen, dass sie es kön­nen. Weil ich als Lehren­der nicht mehr zwin­gend sagen kann, auf welchem Weg dieses Kön­nen zu erre­ichen ist. Dass dieses Kön­nen mit Wis­sen und Moti­va­tion gekop­pelt ist, ste­ht in jed­er Kom­pe­ten­zde­f­i­n­i­tion. Wer sich damit auseinan­der­set­zt, weiß das. Tut das eine Lehrkraft nicht, ist das zunächst ein­fach ein­mal ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht mit Kom­pe­ten­zori­en­tierung beschäftigt hat. Fehlt diese Bere­itschaft, müssen zuerst die Voraus­set­zun­gen dafür geschaf­fen wer­den.

  • Essay zum UN-Weltkul­turerbe: Mord mit besten Absicht­en — taz.de -

    Und immer noch drän­geln die Städte, die Dör­fer, die Regio­nen, dass sie ja als Erste ein­bal­samiert wer­den. Wie die Län­der, die sich um Olymp­is­che Spiele bewer­ben, ohne sich klarzu­machen, dass sie damit ihren Unter­gang her­auf­beschwören wie Griechen­land mit Athen.

  • Wie man nicht für die Vor­rats­daten­spe­icherung argu­men­tiert | saschalobo.com — sascha lobo seziert den tweet von rein­hold gall. wie (fast) immer exzel­lent. schade (und mir unver­ständlich), dass solche texte in den großen, pub­likum­swirk­samen medi­en keinen platz find­en — warum ste­ht das nicht im print-spiegel, der gedruck­ten faz oder süd­deutschen?
  • Sex (und gen­der) bei der Fifa | Männlich-weib­lich-zwis­chen — ein schön­er text zum prob­lem der bes­tim­mung des geschlechts, des biol­o­gis­chen, wie es die fifa ver­sucht — näm­lich über den testos­teron-spiegel. mit dem (inzwis­chen erwart­baren) resul­tat: so kann man das jeden­falls nicht machen.

    an darf also ver­muten und hof­fen, dass auch diese Def­i­n­i­tion von sex zu sportlichen Zweck­en dem­nächst, wie bish­er alle anderen Def­i­n­i­tio­nen auch, als unbrauch­bar und absurd erweisen – aber wohl, eben­falls wie immer, erst zu spät.

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen am 15.6.:

  • Uni­ver­sität Mainz: Wirbel um Habil­i­ta­tion eines The­olo­gen — FAZ
  • Lyrik: Dichter, traut euch ins Zen­trum! | ZEIT ONLINE — so ganz ver­ste­he ich nora bossongs posi­tion hier nicht, mir ist da zu viel sic et non drin … irgend­wie geht es also darum, dass lyrik sich mit ihrer außen­seit­er­rolle nicht allzusehr zufrieden geben sollte, aber auch nicht allzusehr auf poli­tis­che, ästhetis­ch­er oder wie auch immer massen­wirkung um jeden preis abzie­len soll …

    Denn sosehr die Mar­gin­al­isierung von Lyrik zu miss­bil­li­gen ist, so genießt Lit­er­atur jen­seits von Verkaufs­druck immer auch den Vorteil größer­er ästhetis­ch­er Frei­heit.
    […] Denn wie soll sprach­lich auf “extrem poli­tis­che Zeit­en” reagiert wer­den, wenn beim Rezip­i­en­ten der Umgang mit Sprache durch Beschle­u­ni­gung, Infor­ma­tions­flut und Aufmerk­samkeit­sheis­cherei kon­tinuier­lich ver­flacht? Dass sich Lyrik, ob kon­ven­tionell oder exper­i­mentell, dieser Entsen­si­bil­isierung wider­set­zt, zeigt auch ihre poli­tis­che Dimen­sion. Nur wie weit ist es her mit dem kri­tis­chen Poten­zial von Sprachirri­ta­tion, wenn sie kaum jeman­den mehr erre­icht? Was ist eine Avant­garde, die zwar noch als ästhetis­che Vorhut neues Ter­rain erkun­det, doch keine Truppe mehr hin­ter sich hat?

  • Geschichte im Fernse­hen: His­to­ry sells — Medi­en — Süddeutsche.de — ger­hard matzig und karo­line beisel nehmen den trend zum his­to­rien-tv (“rück­wärts­fernse­hen” nen­nen sie es) zum anlass ein­er kleinen, bit­teren gesellschafts­di­ag­nose:

    Den­noch ist es bit­ter, dass genau dann, wenn die Prob­leme der Gegen­wart am größten sind, wenn die Fliehkräfte der Glob­al­isierung wirken und wir als Erben des fos­silen Wahnsinns vor einem Abgrund ste­hen, wenn Elend, Hunger, Krieg und Not auf der hal­ben Welt regieren, dass wir genau dann, wenn wir nach vorne schauen müssten, um Lösun­gen zu find­en, die lei­der nicht im Bie­der­meier­rah­men des Kupfer­stichk­abi­netts ruhen, uns so sehr mit dem ständi­gen Zurückschauen aufhal­ten. Fernbe­di­enungs­be­quem. Und über­haupt der Welt und der Gegen­wart recht fern.

    dass sie allerd­ings etwas sin­n­frei von “kon­trafak­tis­ch­er Geschicht­s­the­o­rie” sprechen, lässt mich sehr an ihrer bil­dung und befähi­gung zur gesellschafts­di­ag­nose zweifeln ;-)

  • Auf der Suche nach vergesse­nen Lit­er­aturk­las­sik­ern — katha­ri­na teutsch berichtet über das eu-pro­jekt “schwob”, das ver­sucht (wenn ich das richtig ver­ste­he …), vergessene oder unbekan­nte wichtige werke der nation­al­lit­er­a­turen (wieder) ins bewusst­sein zu rufen. teutsch spricht dum­mer­weise von “klas­sik­ern”, ohne offen­bar zu wis­sen, was das ist — denn eigentlich sind schon “vergessene Klas­sik­er” schwierig (wenn sie vergessen sind, sind die entsprechen­den texte ja wohl ger­ade keine klas­sik­er — zumin­d­est nicht mehr, sie waren es höch­stens mal), die rede von “gän­zlich unentdeckte[n] Klassiker[n]” ist aber nicht mehr nur alber, son­dern ein­fach abso­lut unsin­nig …
  • CD-Cov­er-Kri­tik: Hel­mut Lachen­manns Gefüh­le | Auf dem Sperrsitz — wenn musikkri­tik­er sich lang­weilen oder ihnen vom dauer­hören die ohren bluten, wen­den sie sich den cov­ern zu …
  • Lit­er­arisches Quar­tett: “Die Leute kriegen jet­zt erst mal mich” | ZEIT ONLINE — iris radisch hat mit volk­er wei­der­mann gesprochen, der (aus­gerech­net der!) im herb­st das lit­er­arische quar­tett im zdf wieder­beleben soll. das gespräch macht mir wenig hoff­nung, dass das eine lit­er­aturkri­tisch rel­e­vante ver­anstal­tung wer­den kön­nte. aber mal sehen, vielle­icht über­raschen sie mich ja …
  • Frank­furter Antholo­gie: Johann Wolf­gang Goethe: „Todeslied eines Gefan­genen“ — FAZ — math­ias may­er stellt ind er frank­furter antholo­gie ein ziem­lich unbekan­ntes goethe-gedicht vor: Dieses Gedicht hat Goethe nur ein­mal druck­en lassen. Dass er sich hier mit Tod und Kan­ni­bal­is­mus beschäftigt, ist untyp­isch für ihn. So kann man den Dichter in sein­er ganzen Frei­heit bestaunen.
  • Nach Hack­eran­griff: Raus aus der dig­i­tal­en Hil­flosigkeit — FAZ — frank rieger hofft und wün­scht, was sich nun hin­sichtlich des umgangs mit dig­i­tal­en net­zen, soft­ware und sicher­heit ändern kön­nte (oder wohl eher sollte, wirk­lich opti­mistisch bin ich da nicht …)

    Wirk­lich wirk­sam wären stattdessen hohe Investi­tio­nen in langfristige, effek­tive Abwehrkonzepte. Der Kern des Prob­lems ist und bleibt die schlechte Qual­ität der Soft­ware, auf der unsere dig­i­tale Welt beruht, und der Man­gel an qual­i­fiziertem Per­son­al, um Sys­teme sich­er zu kon­fig­uri­eren, zu admin­istri­eren und zu warten. Was es deshalb jet­zt braucht, ist ein umfan­gre­ich­es Pro­gramm zur Förderung von sicheren Pro­gram­mier­sprachen, sicher­er Soft­ware, von Aus­bil­dung­spro­gram­men für Sicher­heit­spezial­is­ten und Geset­ze für Haf­tungsregeln und Haftpflichtver­sicherun­gen für Soft­ware und IT-Sys­teme.

  • Janette Sadik-Khan: Wagt mutige Exper­i­mente, die gün­stig und schnell umzuset­zen sind! » Zukun­ft Mobil­ität -

    Janette Sadik-Khan war von April 2007 bis 2013 Beauf­tragte für den Verkehr der Stadt New York City. Während ihrer Amt­szeit war sie ver­ant­wortlich für 10.000 Kilo­me­ter Straßen­netz, 800 Brück­en, 12.000 Kreuzun­gen, 1,3 Mil­lio­nen Straßen­schilder und 300.000 Straßen­lam­p­en. Und für eine neue Verkehrspoli­tik in New York City.

  • Mar­i­lyn Mon­roe Reads Joyce’s Ulysses at the Play­ground (1955) | Open Cul­ture — RT @openculture: Mar­i­lyn Mon­roe Reads Joyce’s “Ulysses” at the Play­ground (1955)
  • Die Psy­cholo­gie des Überse­hens — der adfc weist darauf hin: warn­west­en (und ähn­lich­es) brin­gen rad­fahrern nichts. so wie in großbri­tan­nien die forsch­er, die die aufmerk­samkeit­en im verkehr unter­sucht haben, argu­men­tieren, rede ich ja auch immer: wenn ich die rad­fahrer nicht sehe, weil ich nicht hin­schaue, wo die sind, brin­gen auch warn­west­en nichts. das ist ja eigentlich auch logisch: wenn die warn­west­en die sicht­barkeit wirk­lich erhöht­en, würde das im umkehrschluss doch fast bedeuten, dass die aut­o­fahrer nahezu blind sind …
  • Jacques Der­ri­da inter­views Ornette Cole­man, 1997 (pdf) — sehr inter­es­santes gespräch zwis­chen der­ri­da und cole­man, unter anderem über die entwick­lung der har­molod­ics, tech­nolo­gie und das poli­tisch-emanzi­pa­torische poten­zial der musik/des jazz
  • Ornette Cole­man: Schön­heit ist ein seltenes Gut | ZEIT ONLINE — ste­fan hentz würdigt den rev­o­lu­tionären ornette cole­man

    Als ein Musik­er, der nicht aus dem Herzen der Jaz­zszene kam, der sich nicht vorher durch die jahre­lange Mitwirkung in hochgeschätzten anderen Bands über jeden Zweifel hin­weg gespielt hat­te, son­dern mit eige­nar­ti­gen, eige­nen Ideen auf der Bühne erschien, blieb Ornette Cole­man ein Außen­seit­er der Jaz­zszene. Und damit umso wichtiger und repräsen­ta­tiv­er für deren afroamerikanis­che Seite.

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