Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: jazz

angebissen: der don-camillo-chor auf cd

Musik dazu ver­wen­den, jeman­den zu ver­füh­ren, ist kei­ne neue Idee. Das Opfer mit der Musik als Köder zur Musik zu begeh­ren, ist schon etwas unge­wöhn­li­cher. Und wenn ein Chor das dann auch noch so offen und direkt unter­nimmt wie der „Don-Camil­lo-Chor“ aus dem Münch­ner Umland, dann gehen jeder Ziel­per­son schnell die Argu­men­te für den Wider­stand aus.

Das liegt, wie ihre neu­es­te (und ers­te) CD mit dem pas­sen­den Titel „Good Bait“ beweist, zu gro­ßem Teil an der jugend­li­chen Fri­sche und dem unbän­di­gen Über­schwang, mit dem der gesam­te Chor sich auf sein Reper­toire vor­wie­gend aus Jazz und Pop stürzt. So eine frei­zü­gi­ge Freu­de teilt sich dem Hörer in jedem Moment mit, dass er mit dem größ­ten Ver­gnü­gen anbeißt.

Das Ver­gnü­gen ist aller­dings nicht nur ein Ver­dienst der Sän­ger und ihres Chor­lei­ters, der sie immer wie­der kna­ckig auf den Punkt fokus­siert. Es liegt zu einem gro­ßen Teil auch an den ange­nehm ein­falls­rei­chen Arran­ge­ments, die mehr­heit­lich vom Diri­gen­ten selbst oder aus der bewähr­ten Feder des um kei­ne Poin­te ver­le­ge­nen Oli­ver Gies stam­men.

Das reicht vom feu­ri­gen „Chi­li con Car­ne“ aus dem Fun­dus der „Real Group“ über auf­ge­fri­sche Swing-Klas­si­ker bis zu – in ihren kom­ple­xen Arran­ge­ments kaum noch erkenn­ba­ren – Pop-Hits der letz­ten Jahr­zehn­te. Mit einer recht frei­en Bear­bei­tung von Brahms‘ „Guten Abend, gut‘ Nacht“ beweist der Don-Camil­lo-Chor dann neben­bei auch noch, dass er mehr als nur rei­ner Jazz-Pop-Chor ist: Die­se jun­gen Sän­ger und Sän­ge­rin­nen füh­len sich in vie­len Gefil­den zu Hau­se. Mit Recht. Denn „Good Bait“ ist nicht nur eine schö­ne, gelun­ge­ne Leis­tungs­schau, son­dern auch ein­fach gute Unter­hal­tung.

Don Camil­lo Chor: Good Bait. Spek­tral SRL4-09049, 2009.

(geschrie­ben für die neue chor­zeit)

orff, bartók und gershwin glücklich vereint

Béla Bar­tók, Geor­ge Gershwin und Carl Orff haben wenig gemein. Und doch pas­sen sie alle in das Kon­zert des Bach­cho­res in der Chris­tus­kir­che. Denn klei­ne Über­ein­stim­mun­gen fin­den sich doch. Zum Bei­spiel, um ganz prag­ma­tisch anzu­fan­gen, es gibt von jedem Musik für zwei Kla­vie­re – wenn man schon zwei hoch­klas­si­ge Pia­nis­ten wie die Brü­der Para­to­re zur Ver­fü­gung hat, muss man das ja auch nut­zen. Und sie kom­po­nier­ten (fast) zur glei­chen Zeit: Gershwins „Rhap­so­dy in Blue“ war 1924 erst­mals zu hören, Bar­tóks Sona­te für zwei Kla­vie­re und Schlag­zeug im Janu­ar 1938 und Orffs „Car­mi­na burana“ ent­stand ab 1934. Das hört man ihnen aber kaum an, denn trotz der zeit­li­chen Nähe bleibt die­se Tri­as grund­ver­schie­den.

Bar­tóks Sona­te zum Bei­spiel ist ein eher sprö­des, auch nur sel­ten auf­ge­führ­tes Werk. Und eigent­lich klingt es auch nicht so harm­los, wie hier in der Chris­tus­kir­che. Da trägt der Raum gro­ße Mit­schuld, der vie­les weich­zeich­net und ver­schwim­men lässt. Antho­ny und Joseph Para­to­re ver­su­chen zwar, durch kna­cki­ge Poin­tie­run­gen dem etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Aber so rich­tig weit kom­men sie damit nicht. So bleibt die Sona­te mit der unge­wöhn­li­chen Beset­zung für zwei Kla­vie­re und zwei Schlag­wer­ker (die aus dem Ensem­ble Babet­te Haag kamen) für die­ses Mal fast eine ver­wun­sche­ne Feen­mu­sik, deren weich flie­ßen­de, stel­len­wei­se sogar ins rausch­haft tau­meln­de Klang­wel­ten aber durch­aus auch bedroh­li­che­re Sze­na­ri­en her­bei­zau­bert. Doch noch bleibt alles Rohe und Wil­de in siche­rer Distanz und fest ein­ge­zäunt.

Gershwins Musik kennt sol­che Gefah­ren nicht. Rou­ti­niert arbei­ten sich die Pia­nis­ten mit jahr­zehn­te­lan­ger Erfah­rung durch die Rhap­so­dy in Blue. Das Schlag­werk bleibt hier aber eher ras­seln­der und schep­pern­der Fremd­kör­per, was dem Zau­ber aber nicht wei­ter scha­det.

Dafür dür­fen die Per­cus­sio­nis­ten danach noch ein­mal alles geben: Die „Car­mi­na burana“, die der Bach­chor in der vom Orff-Schü­ler Wil­helm Kill­may­er ange­fer­tig­ten Fas­sung für zwei Kla­vier und Schlag­werk prä­sen­tier­te, bie­tet ja nicht nur dem Chor reich­lich Mög­lich­kei­ten zum Bril­lie­ren. Dem aber unge­dingt auch – und der Bach­chor nutzt die wie immer ganz selbst­ver­ständ­lich. Unter Ralf Ottos beseel­ter Lei­tung ergibt sich orga­nisch eines aus dem ande­ren, lau­fen Chor­sät­ze naht­los in Soli und umge­kehrt, ver­bin­den sich Humo­res­ke und Folk­lo­re, Lie­bes­leid und Freu­den­tau­mel zu einer mäch­ti­gen, klan­ge­wal­ti­gen Ein­heit. Beson­ders aus­zeich­nend dabei: Die uner­schütt­li­che Prä­zi­si­on – nicht nur tech­nisch, son­dern auch klang­lich und emo­tio­nal tref­fen Otto und sei­ne Sän­ger immer genau auf den Punkt. Auch die Solis­ten pas­sen gut dazu: Dani­el Sans gefällt mit beherrsch­ter Sicher­heit, der komö­di­an­tisch begab­te Klaus Häger mit sei­nem unkom­pli­zier­tem Bass und die Sopra­nis­tin Valen­ti­na Far­cas fügt sich mit selbst in gro­ßer Höhe kla­rer Stim­me wun­der­bar ins Gesamt­bild. Kein Wun­der, dass die aus­ver­kauf­te Chris­tus­kir­che rest­los begeis­tert ist.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

mal wieder: jazz und sinfonik gemixt (oder auch nicht)

Sin­fo­nie­or­ches­ter und Jazz – das sind zwei Wel­ten, die sich oft sehr fremd sind. Und wenn es dann doch zu einem Ren­dez­vous kommt, darf natür­lich Geor­ge Gershwins „Rhap­so­dy in Blue“ auf kei­nen Fall feh­len. Aber der Klas­si­ker ist wohl nie so zu hören wie beim Kon­zert des Phil­har­mo­ni­schen Staats­or­ches­ters in der Phö­nix­hal­le. Doch schon in der ers­ten Hälf­te war eine Men­ge guter Musik auf der Gren­ze zwi­schen Jazz und Sin­fo­nik zu hören. Ohne gro­ßes Vor­ge­plän­kel stie­gen das Orches­ter mit der Unter­stüt­zung eini­ger Jazz-Solis­ten sofot in Ear­le Hagens „Har­lem Noc­turne“ ein. Und schon waren sie und das Publi­kum mit­ten­drin im Hör­ki­no, das direkt nach New York führ­te – einer Stadt, der die Musi­ker an die­sem Abend noch öfters einen Besuch abstat­ten wür­den. Zunächst also Har­lem bei Nacht, zu erle­ben beim ele­gan­ten Crui­sen durch mehr oder weni­ger beleb­te Stra­ßen. Rei­che Bil­der zie­hen hier vorm inne­ren Auge vor­bei. Und das liegt nicht nur am Kom­po­nis­ten, son­dern vor allem an zwei Din­gen: Den Arran­ge­ments von Sebas­ti­an Her­nan­dez-Laver­ny, die die Ima­gi­na­ti­on mit ihrer ver­schwen­de­ri­schen Ideen­fül­le immer wie­der zu Höchst­leis­tung anfeu­ern. Und an den Musi­kern. Nicht nur das Orches­ter spielt enga­giert swin­gend auf, auch Saxo­pho­nis Oleg Ber­lin sorgt mit glas­kla­rem Ton und prä­gnan­ter Phra­sie­rung für Jazz­fee­ling und Kurz­weil. Drum­mer Ger­hard Stütz und Bas­sist Götz Ommert lie­fern der­weil ein soli­des Fun­da­ment und Her­nan­dez-Laver­ny springt zwi­schen Diri­gen­ten­pult und Kla­vier flink hin und her, ergänzt sein Arran­ge­ment immer wie­der durch kur­ze pia­nis­ti­sche Ein­wür­fe.

Für mehr beson­de­re Momen­te sorgt auch Mal­te Schä­fer bei den Stan­dards „Come, fly with me“ und „Fly me to the moon“. Der Brat­scher ist dies­mal aus­schließ­lich als Sän­ger im Ein­satz – aber dass dies nicht sein Haupt­be­ruf ist, merkt man ihm nicht an: Locker und geschmei­dig bringt er die Stim­mung wun­der­bar auf den Punkt. Genau wie der Main­zer Kla­ri­net­tist Ates Yil­maz, der bei Jor­ge Caland­rel­lis vir­tuo­sem „Solfeggietto/​Metamorphosis“ nach einer Vor­la­ge von Carl Phil­ipp Ema­nu­el Bach ein ech­tes Heim­spiel hat.

Apro­pos Heim­spiel: Das hat auch Nick Ben­ja­min, der mit lau­ni­gen Mode­ra­tio­nen dafür sorgt, dass Publi­kum ent­spannt und gut gelaunt bleibt – was ange­sichts der Men­ge guter Musik gar nicht nötig gewe­sen wäre. Das gan­ze kulu­mi­niert schließ­lich in Gershwins „Rhap­so­dy in Blue“. Die allei­ne wäre Her­nan­dez-Laver­ny aber offen­bar zu lang­wei­lig gewe­sen. Des­we­gen unter­bricht er das Ori­gi­nal immer wie­der, um gemein­sam mit Ommert und Stütz mit weit aus­ho­len­den Impro­vi­sa­tio­nen über Gershwins The­men dem gan­zen noch mehr Jazz ein­zu­ver­lei­ben. Ein sehr sympha­ti­scher Ein­fall, der – vor allem durch die phan­ta­sie­rei­che, ener­gi­sche und kon­zen­trier­te Impro­vi­sa­ti­ons­kunst der drei Musi­ker – das Publi­kum zu Recht zu stan­dig ova­tions hin­reißt.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

hoffnung und ihre erfüllung (musikalisch): esperanza spalding & triband

Eigent­lich hät­te auf der Ein­tritts­kar­te ein Warn­hin­weis ste­hen müs­sen. Der Jazz­mi­nis­ter warnt: Der Genuss die­ser Musik ver­än­dert ihr Jazz-Bewusst­sein. Denn was Jazz­to­day jetzt im Frank­fur­ter Hof prä­sen­tier­te, hat mit tra­di­tio­nel­lem Jazz unge­fähr noch so viel zu tun wie ein moder­ner Syn­the­si­zer mit einem ehr­wür­di­gen Kon­zert­flü­gel – wenig, sehr wenig sogar. Aber das macht ja nichts. So lan­ge es Spaß macht. Und genau dafür ist Espe­ran­za Spal­ding mit ihrem Trio zum ers­ten Mal aus Ame­ri­ka nach Deutsch­land gekom­men.

Spal­ding ist eine jun­ge Musi­ke­rin, die sich nicht zwi­schen dem Sin­gen und dem Bass ent­schei­den kann – und des­halb ein­fach bei­des macht. Und mit Erfolg: ihre stei­le Kar­rie­re führ­te sie im Febru­ar bis ins Wei­ße Haus. Und jetzt nach Mainz. Da mach­te sie schon mit dem Ope­ner klar, wohin die Tour geht: „Jazz ain’t not­hin‘ but soul“. Sofort ist die Band mit­ten im Groo­ve, Otis Brown am Schlag­zeug wirkt dabei stel­len­wei­se wie ein Drum­com­pu­ter. Und wäh­rend Espe­ran­za Spal­ding mit flin­ken Fin­gern ihren fun­ky Bass wir­beln lässt und dazu noch gleich­zei­tig locker die Stimm­bän­der im Scat­ge­sang tan­zen lässt, zeigt vor allem Pia­nist Leo Geno­ve­se – auch mit der Melo­di­ca – sei­ne ver­spiel­te Sei­te. Denn egal ob es Jazz­stan­dards oder etwa Way­ne Shor­tes „End­an­ge­red Spe­ci­es“ sind: Das Quar­tett mach sich alles zu eigen, addiert sei­ne voll gepfropf­ten Arran­ge­ments, die nur ein Ziel ken­nen: Das Ergeb­nis muss Spaß machen. Und da kom­men sie immer an, bis zur Pau­se ist kom­pro­miss­los gute Lau­ne ange­sagt.

Tri­band kün­dig­te sich danach dann selbst mit „ihr Kon­trast­pro­gramm für heu­te abend“ an. Und das war nicht über­trie­ben – jetzt war Schluss mit lus­ti­ger Spaß­mu­sik. Das deut­sche Quar­tett ist ja schon eini­ge Jah­re unter­wegs und hat in der Zeit ihre Musik noch ver­fei­nert: Zu einer wah­ren Fei­er der Sub­ti­li­tät mit Hang zur nach­denk­li­cher Melan­cho­li­tät. Aber nicht resi­gnie­rend, son­dern die Wirk­lich­keit ein­fach umar­mend: Gefühls­la­gen des Indi­vi­du­ums nach der Post­mo­der­ne besin­gen sie in Songs wie „Some­bo­dy else“. Und mit ech­ten Live-Qua­li­tä­ten. Am deut­lichs­ten wur­de das in „Whe­re did all the love go“ oder dem gran­dio­sen „Diz­zy Day“ am Schluss des Abends. Etwas Pop ist in die­ser Mischung, natür­lich steu­ert auch die Jazz­ge­schich­te eini­ge Ingre­di­en­zen bei, der Funk ist auch nicht spur­los an ihnen vor­ür­ber gegan­gen. Aber die Klang­tüft­ler, die so ganz in ihrer Musik auf­ge­hen, bau­en dar­aus etwas Eige­nes: San­die Woll­asch singt immer klar und mini­mal ver­spielt. Der Bas­sist Pau­cker – wie Sebas­ti­an Stud­nitz­ky ein ech­ter Mul­ti­in­stru­men­ta­list (auch so eine Grenz­über­schrei­tung …) gibt sich mit jeder Faser des hage­ren Kör­pers der Musik hin, tanzt um und mit Bass und Ana­log-Syn­the­si­zer, wäh­rend Tom­my Bal­du die bro­deln­den Rhyth­men zum Tan­zen bringt. Und die­ses Gebräu ist so wir­kungs­voll, dass es auch das anfangs nur zurück­hal­tend reagie­ren­de Main­zer Publi­kum in sei­nen Bann zieht.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

„ich sage dir:

… es ist nicht hei­li­ges, was nicht ent­hei­ligt, nicht zum ärm­li­chen behelf her­ab­ge­wür­digt ist bei die­sem volk, und was selbst unter wil­den gött­lich­rein sich meist erhält, das trei­ben die­se all­be­rech­nen­den bar­ba­ren, wie man so ein hand­werk treibt, und kön­nen es nicht anders, denn wo ein­mal ein mensch­lich wesen abge­rich­tet ist, da dient es sei­nem zwik, da sucht es sei­nen nuzen, es schwärmt nicht mehr, bewah­re gott! es bleibt gesezt, und wenn es fei­ert und wenn es liebt und wenn es betet und sel­ber, wenn des früh­lings hohes fest, wenn die ver­söh­nungs­zeit der welt die sor­gen alle löst, und unschuld zau­bert in ein schul­dig herz, wenn von der son­ne war­mem stra­le berauscht, der scla­ve sei­ne ket­ten froh ver­gisst und von der gott­be­seel­ten luft besänf­ti­get, die men­schen­fein­de fried­lich, wie die kin­der, sind—wenn selbst die rau­pe sich beflü­gelt und die bie­ne schwärmt, so bleibt der deut­sche doch in sei­nem fach‘ und küm­mert sich nicht viel ums wetter!“—friedrich höl­der­lin, hype­ri­on oder der ere­mit in grie­chen­land (2. buch), 114

jazz im klangraum: jazztage mainz, tag 1

Beim ers­ten Mal hät­te es noch Glück sein kön­nen, beim zwei­ten Mal kann der Erfolg der Jazz­ta­ge Mainz kein Zufall mehr sein. Acht Bands in zwei Tagen ist eine Men­ge Musik, aber im „Klang­raum“, wie die Orga­ni­sa­to­ren sich nen­nen, ist Platz für vie­les. Musi­ka­li­sche Gren­zen sind hier längst auf­ge­ho­ben. So war es auch bei­lei­be kein rei­nes Jazz-Fes­ti­val, der Pop nahm auch gehö­ri­gen Raum ein.
Den Anfang mach­te das sehr relax­te „Diet­helm Duo“. Mit der Beset­zung Fen­der Rho­des und Saxo­phon spiel­ten sie ange­nehm ent­spann­te Kom­po­si­tio­nen mit unüber­hör­ba­ren Wur­zeln im West-Coast-Cool-Jazz. Ihre fein gewo­be­nen, durch­aus mal psy­che­de­lisch ange­hauch­ten klar struk­tu­rier­ten Songs glei­chen dabei Aus­flü­ge in ver­träum­te Gegen­den.
Das Quar­tett um den Gitar­ris­ten Dani­el Stel­ter, dass die Büh­ne danach erober­te, führ­te in ganz ande­re Regio­nen. Denn sie heiz­ten unbarm­her­zig ein, als wür­den sie schon ewig zusam­men spie­len. Dabei waren die Jazz­ta­ge ihr ers­ter Live-Auf­tritt über­haupt, bis­her spiel­ten sie nur im Stu­dio zusam­men. Uner­bitt­lich groov­ten sie mit allen Mit­teln und ent­pupp­ten sich dabei als ech­te Klang-Extre­mis­ten. Vom ers­ten Ton jedes neu­en Stü­ckes an ver­folg­ten sie die Eska­la­ti­on ihres kna­cki­gen Sounds mit enor­mer Kon­se­quenz. Die Rasanz, mit der die­se Mischung aus Jazz, Fusi­on und har­tem Rock von einem Extrem ins ande­re kippt, war beein­dru­ckend. Genau­so wie die Sicher­heit, mit der die vier jun­gen Musi­ker das mit vol­lem Kör­per­ein­satz vom wip­pen­den Fuß bis zur exal­tier­ten Mimik umsetz­ten.
Frau­Con­tra­Bass ver­hieß dann erst ein­mal wie­der kam­mer­mu­si­ka­li­sche Ent­span­nung. Aber von wegen: Auch das Duo von Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn ließ kaum Luft zum Aus­ru­hen. Dafür hat­ten ja auch die reich­lich dimen­sio­nier­ten Umbau­pau­sen genü­gend Gele­gen­heit gege­ben. Auf die Idee muss man frei­lich erst ein­mal kom­men, mit Bass und Gesang aus­ge­such­te Per­len der Pop­ge­schich­te neu zu inter­pre­tie­ren. Stevie Won­der hat die­se artis­ti­sche Duo genau­so auf dem Pro­gramm wie Micha­el Jack­son oder Brit­ney Spears. Und weil Debus eine sehr wand­lungs­fä­hi­ge Sän­ge­rin auch ohne Text ist und Höhn sei­nen Kon­tra­bass auch mal zum Schlag­zeug ver­wan­delt, funk­tio­nier­te das wun­der­bar.
Funk­tio­nie­ren trifft auch die Vor­ge­hens­wei­se von „Trance Groo­ve“ sehr genau. Die sie­ben Musi­ker um den Schlag­zeu­ger Ste­fan Krach­ten groo­ven mit scham­lo­sem Ekkle­ti­zis­mus und gna­den­lo­ser guten Lau­ne seit über fünf­zehn Jah­ren durch Jazz, Rock und Funk. Und sie klin­gen immer noch frisch und unver­braucht, vol­ler Ideen und vor allem Spon­ta­nei­tät und ech­ter Kraft – auch in der Show­büh­ne Mainz. Ein wirk­lich mit­rei­ßen­der und fet­zi­ger Abschluss des Abends – für die Jazz­ta­ge Mainz aller­dings gera­de ein­mal die Halb­zeit, denn auch der Sams­tag war ja wie­der vol­ler Musik.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

Was für ein grandioser Spaß!

gera­de höre ich die cd sehr schnee sehr wald sehr des schwei­zer akkor­deo­nis­ten hans hass­ler, die mir der post­bo­te heu­te aus der schweiz in den brief­kas­ten gelegt hat. schon das label, bei dem die­ses genia­le meis­ter­werk erschie­nen ist, zeigt ja, was für ein akkor­deo­nist das ist: intakt ist alles ande­re als die hei­mat der volks­mu­sik. und dann ver­wun­dert es kaum mehr, was hier aus den laut­spre­chern tönt. aber die­ser kau­zi­ge und skur­ril-kru­de mix aus volks­mu­sik (ja, in anklän­gen lässt hass­ler mal einen zer­fetz­ten länd­ler auf­tau­chen oder eine pol­ka auf­schei­nen), jazz und vor allem frei­er impro­vi­sa­ti­on erstaunt dann doch ein biss­chen: dass der kerl so gut ist, hät­te ich nicht erwar­tet. denn begeg­net ist er mir bis­her noch nicht bewusst (unbe­wusst muss ich ihn mal in geb­hard ull­manns ensem­ble gehört haben). jeden­falls, hass­ler hat hier nicht nur klei­ne, win­zi­ge spon­ta­ne genie­strei­che auf­ge­nom­men. son­dern auch meh­re­re gro­ße „wer­ke” mit dau­ern von 5–15 minu­ten. das über­ra­gen­de dabei ist etwas, was ich nur ganz sel­ten hör­te bis­her: das steckt vol­ler anspie­lun­gen, allu­sio­nen, zita­te, hin­wei­se, quer­ver­wei­se wie kaum eine musik. aber, das ist das ent­schei­den­de, hass­ler packt das so geni­al zusam­men, schweißt das so per­fekt inein­an­der, dass die ver­schie­dens­ten her­künf­te zwar beim nach­den­ken dar­über klar wer­den, aber nicht zu hören sind: das ist näm­lich ech­te musik aus einem guss. frü­her hät­te man hass­ler sicher einen musi­kan­ten genannt, doch heu­te hat das immer so einen abwer­ten­den bei­geschmack. aber es scheint mir sehr gut zu tref­fen zur cha­rak­te­ri­sie­rung: er spielt ein­fach, wie ihm die fin­ger fal­len – mit aus­ge­spro­che­ner vir­tuo­si­tät in tech­nik und gestal­tung der form. natür­lich tut er dies mit wachem, schar­fen ver­stand – anders lie­ße sich so mons­trös-aus­ufernd gute musik gar nicht erzeu­gen. pir­min boss­art bezeich­net ihn im book­let als „musi­ka­li­schen frei­geist par exel­lence”. und er schreibt noch etwas, dass eigent­lich sehr genau zutrifft und kei­ner ergän­zung bedarf: „es ist nicht immer fass­bar, was geschieht. aber es geschieht.” ach, gäbe es doch nur mehr solch her­vor­ra­gen­de musik. und wür­de sie auch ihren weg zu mir fin­den .… es näm­lich immer wie­der erbau­end, so etwas zu ent­de­cken, es das ers­te, zwei­te, drit­te mal zu hören und über noch mit begeis­te­rung und vor stau­nen auf­ge­sperr­ten lau­schern dazu­sit­zen. doch das pas­siert viel zu sel­ten in der inten­si­tät, wie es hans hass­ler bei mir gera­de schafft. aber das wich­tigs­te hät­te ich jetzt bei­na­he ver­ges­sen. denn essen­ti­ell für die musik die­ser schei­be ist die tat­sa­che, dass hass­ler ein spie­ler ist. und zwar in allen hin­sich­ten, die das wort und sei­ne nut­zer sich nur vor­stel­len kön­nen. gren­zen für die­sen uner­sätt­li­chen spiel­trieb gibt es nicht. und des­halb macht die­se musik, so pro­fund und wahr sie ist, auch noch sol­chen unbän­di­gen spaß. hans hass­ler: sehr schnee sehr wald sehr. intakt 2008. nach­trag: ein por­trät (aus der wochen­zei­tung) und eine knap­pe kri­tik (aus dem tages-anzei­ger) gibt es beim label intakt.

keith jarrett – ein auslaufmodell

wun­der­bar, wie hans-jür­gen lin­ke in der frank­fur­ter rund­schau über das kon­zert keith jar­retts in der frank­fur­ter alten oper schreibt:

Keith Jar­rett bleibt im ers­ten Teil des Kon­zerts sei­nem Publi­kum fast alles schul­dig und im zwei­ten immer­hin den Beweis, dass er ein Musi­ker des 21. Jahr­hun­derts ist. […] Er klingt in sei­nen schlech­te­ren Pha­sen wie ein mäßig inspi­rier­ter, tech­nisch recht guter, tief sen­ti­men­ta­ler ame­ri­ka­ni­scher Pia­nist und in sei­nen bes­ten Momen­ten wie ein hand­ge­brems­ter, mit Puder­zu­cker bestreu­ter Brahms, der Jazz gehört hat.

chris­ti­an broe­cking schreibt in der taz sogar:

Ein Desas­ter aus Grö­ßen­wahn, Eitel­keit und Vir­tuo­si­tät. […] Dass das Publi­kum nach 40 Minu­ten Kon­zert vor der Pau­se und 30 Minu­ten danach stür­misch vier kur­ze Zuga­ben her­bei­klatsch­te, kann den Ein­druck nicht schmä­lern, dass das intel­lek­tu­el­le Niveau auf der Büh­ne kaum ein­mal unte­res Mit­tel­maß erreich­te. Schlim­mer noch wirkt, dass es ein­fach nicht gut klingt, wenn ein sich maß­los selbst über­schät­zen­der Künst­ler kaum mehr den Weg zurück­zu­fin­den scheint. Das mage­re künst­le­ri­sche Ergeb­nis über­ragt Jar­retts ener­vie­ren­de Selbst­herr­lich­keit mit gro­ßer Not.

ich habe das kon­zert zwar nicht gehört, aber das bringt mei­ne gedan­ken beim hören (auch der älte­ren) von jar­retts improvsia­tio­nen ziem­lich gut auf den punkt.

Lyambiko: Selbsthilfegruppe für angstfreies Musizieren

Wenn ein Musi­ker sei­ne Band „Selbst­hil­fe­grup­pe für angst­frei­es Musi­zie­ren“ nennt, ver­fügt er wahr­schein­lich über eine gute Por­ti­on Humor. Wenn der Schlag­zeu­ger von Lyam­bi­ko, Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, das tut, hat er vor allem Recht. Denn Angst haben Sän­ge­rin Lyam­bi­ko und ihr Trio im Frank­fur­ter Hof sicher­lich nicht: Sonst wür­den sie wohl kaum so relaxt und locker arbei­ten.

Aber ent­spann­tes Musi­zie­ren ohne Angst macht allein noch kei­ne gute Musik aus. Denn bei Lyam­bi­ko wird die Sicher­heit auf der Büh­ne durch einen weit­ge­hen­den Ver­zicht auf Risi­ken erkauft. Was gibt es schon zu hören: Eine jun­ge, talen­tier­te Sän­ge­rin mit ange­neh­mer Stim­me und ein ver­sier­tes All­round-Trio. Hem­mungs­lo­se Ekkle­zi­tis­ten sind sie alle, wie sie da auf der Büh­ne ste­hen. Aus allen Ecken suchen sie sich ihr Mate­ri­al zusam­men: Ein wenig Swing, eine gute Por­ti­on Blues, dann noch ein biss­chen Latin, ergänzt um eine Pri­se Eth­no-Pop und abge­schmeckt mit einer Pri­se Modern Jazz – fer­tig ist der Ein­topf. Dumm ist nur, dass aus dem gan­zen Misch­masch nichts Neu­es ent­steht. So bleibt eben gute, unge­wöhn­lich erfolg­rei­che Unter­hal­tung. Und des­halb ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass die CD von Lyam­bi­ko in den Pop-Charts notiert wird. Vom Geist des Jazz, von sei­ner Kraft und Aus­drucks­fä­hig­keit, ist das näm­lich schon ein gan­zes Stück ent­fernt.

Dabei sind die Musi­ker wirk­lich nicht schlecht. Neben den flin­ken Fin­gern des Pia­nis­ten Mar­que Lowen­thal ist es vor allem Schlag­zeu­ger Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, der ab und an doch auf­hor­chen lässt. Wie er Stö­cke und Besen über Trom­mel und die rie­si­gen, hal­len­den Becken tan­zen lässt, wie er rast­los zwi­schen Per­cus­sions und Drum­set pen­delt – das alles weist ihn deut­lich als fein­sin­ni­gen Klang­tüft­ler aus.

Lyam­bi­ko selbst, ganz unbe­schei­den als „the most beau­tiful voice“ ange­kün­digt, ist ja durch­aus nett anzu­se­hen und anzu­hö­ren. Eine gefäl­li­ge, wohl­tö­nen­de Stim­me, die aber bis jetzt mehr von ihren poten­ti­el­len als den tat­säch­li­chen Qua­li­tä­ten pro­fi­tiert. Denn bei aller Gewandt­heit und Aus­drucks­fä­hig­keit: Inspi­ra­ti­on und Inno­va­ti­on sind ihre Stär­ken nicht. Als Jazz ist die Musik denn auch recht belang­los: Fried­lich mäan­dert das in gewohnt-belang­lo­ser Form vor sich hin. Als Unter­hal­tungs­mu­sik ist es soli­des Kunst­hand­werk – und das ist ja auch schon was.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung)

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