Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: jazz Seite 5 von 6

We want Miles!

Jazz­ge­schich­te ist meist mit inten­si­vem Plat­ten­sam­meln ver­bun­den. Es geht aber auch anders. Zum Bei­spiel so, wie es Sebas­ti­an Sternal macht. Der Main­zer Pro­fes­sor für Jazz­kla­vier hat näm­lich nicht nur zusam­men mit der Stadt Mainz eine neue Kon­zert- und Jam­ses­si­on-Rei­he im Frank­fur­ter Hof ins Leben geru­fen. Er nutzt die ers­te Ver­an­stal­tung des „Treff­punkt Jazz“ auch gleich für eine for­mi­da­ble Lek­ti­on in Sachen Jazz­ge­schich­te. „We want Miles“ ist das über­ti­telt – und löst die­sen Wunsch auch gleich ein: Miles Davis gibt es an die­sem Abend eine Men­ge.

Im zum Club umge­bau­ten Saal des Frank­fur­ter Hofes ist das Publi­kum dafür um die in der Mit­te plat­zier­ten Instru­men­ta­lis­ten grup­piert und kann sich aus allen Rich­tung an Wis­sen und Unter­hal­tung ergöt­zen. Sternal und sei­ne Band mit Dozen­ten der Main­zer Musik­hoch­schu­le und dem Gast-Trom­pe­ter Fre­de­rik Kös­ter spie­len sich nicht nur durch die High­lights der lan­gen Kar­rie­re des wahr­schein­lich berühm­tes­ten Jazz­trom­pe­ters, son­dern erläu­tern die Musik von Davis auch noch. Oder zumin­dest eini­ge aus­ge­wähl­te Sta­tio­nen davon – der spä­te Miles zum Bei­spiel bleibt lei­der voll­kom­men außen vor. Er muss es ja auch, denn das bräuch­te noch ein­mal eine ganz ande­re Band. Aber ander­seits muss man sagen: Ein Ver­lust ist das über­haupt nicht. Denn Sebas­ti­an Sternal zeigt sich nicht nur als infor­mier­ter Mode­ra­tor, son­dern vor allem eben wie­der ein­mal als aus­ge­zeich­ne­ter Pia­nist und Band­lea­der, der leicht, prä­zi­se und poe­tisch über die Tas­ta­tur schwirrt. Die schwers­te Auf­ga­be hat aber unbe­strit­ten Fre­de­rik Kös­ter, der Miles Davis mit des­sen eige­nem Instru­ment, der Trom­pe­te, ehrt. Kös­ter zeigt sich davon aber weit­ge­hend unbe­ein­druckt und bril­liert mit vol­lem, sono­rem Ton und melo­diö­sem Ein­falls­reich­tum.

Über­haupt macht der ers­te Treff­punkt deut­lich: Jazz­ge­schich­te muss nicht in der Stil­ko­pie enden. Denn obwohl sich das Quar­tett natür­lich genau aus­kennt und sich Bebop, moda­lem oder Cool Jazz anpasst, ist doch auch immer wie­der unüber­hör­bar, dass sie einer ande­ren Gene­ra­ti­on als Miles Davis ent­stam­men. Behut­sam fügen sie auch mal eini­ge moder­ne Ele­men­te ein, auch wenn sie Stan­dards wie „Some­day my prin­ce will come“ oder „My fun­ny Valen­ti­ne“ in den Miles-Ver­sio­nen vor­füh­ren. Denn die­se Jazz­ge­schich­te hat immer bei­des: Vor­füh­ren der Geschich­te und Leben im Moment. Der his­to­ri­sche Aspekt wird noch ver­stärkt durch Erläu­te­run­gen Sternals und die Text­pas­sa­gen aus der Auto­bio­gra­phie von Miles Davis, die Alex­an­der Gel­hau­sen zwi­schen­drin noch vor­trägt. Das ist dann zusam­men kunst­voll authen­tisch und authen­tisch kunst­voll – ein schö­ner Spa­gat, den das Quar­tett hier voll­bringt. Ein gro­ßes Man­ko bleibt aber: Das ist viel zu wenig. Aber nach dem offi­zi­el­len Teil gibt es ja noch Gele­gen­heit zum gemein­sam Jam­men.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Spinning: Simon Nabatov spielt Herbie Nichols

Wer immer (noch) Zwei­fel hat, dass Jazz eine Kunst ist, der höre sich mal Simon Naba­tovs neu­es­te Solo-CD an. Da spielt der rus­sisch­stäm­mi­ge Pia­nist – einer der größ­ten Ken­ner und Kön­ner im zeit­ge­nös­si­schen Jazz (und nicht nur unter den Pia­nis­ten, auch wenn er über eine aus­ge­spro­chen for­mi­da­ble Tech­nik ver­fügt), auch wenn er viel­leicht nicht der krea­tivs­te Musi­ker ist. Das merkt man schon an der Viel­falt sei­ne Pro­jek­te – und der FIn­ger­fer­tig­keit, mit der er sich den ver­schie­dens­ten Sti­len und Aus­druck­wei­sen anpasst (allein schon die ver­schie­de­nen Unter­neh­mun­gen in wech­seln­den Kon­stel­la­tio­nen mit Nils Wogram, von sei­nen Solo­pro­jek­ten ganz zu schwei­gen).

Jetzt hat er sich die Musik des eher ver­ges­se­nen Pia­nis­ten Her­bie Nichols (hier eine klei­ne Wür­di­gung von Hans-Jür­gen Schaal)vor­ge­nom­men: „Spin­ning Songs“ heißt die bei Leo-Records erschie­ne­ne Auf­nah­me. Und zeigt wie­der ein­drück­lich, was Naba­tov drauf hat: Das ist eine der kunst­volls­ten Pia­no-Jazz-Plat­ten nicht nur der letz­ten Zeit, son­dern über­haupt. Hier tref­fen zwei Grö­ßen auf­ein­an­der: Ein genia­ler Kom­po­nist und ein schöp­fe­ri­scher Pia­nist. Denn Naba­tov führt vor, was in der Musik Her­bie Nichols drin steckt. Und was ihm dazu ein­fällt – die Gren­zen sind sehr, sehr flie­ßend.

Viel­leicht liegt es an der Ähn­lich­keit der bei­den Musi­ker, dass das hier so toll funk­tio­niert: Bei­des sind Jazz-Musi­ker, die sich stark der „klas­si­schen“ Musik des 20. Jahr­hun­derts öffne(te)n und das auch in ihrer Musik hören las­sen. Das pas­siert bei Naba­tov sowie­so öfters, bei Nichols liegt es nahe, da auch er sich von zeit­ge­nös­si­chen Kom­po­nis­ten wie Bar­tók und Satie beein­flus­sen ließ. Jetzt kom­men noch Debus­sy, Lige­ti und vie­les ande­re hin­zu. Und es bleibt doch Jazz: Ein gar nicht so klei­ner Rest Unfer­tig­keit, eine deut­li­che Pri­se Spon­ta­nei­tät ist immer zu hören. Die­se Offen­heit und Jetz­ge­bun­den­heit bei gleich­zei­ti­ger Dich­te des Kla­vier­sat­zes und Fül­le der Ideen – die­se Kom­bi­na­ti­on ist typisch für Simon Naba­tov (und ziem­lich ein­zig­ar­tig).

Gleich die ers­ten bei­den Stü­cke der CD las­sen das schon sehr deut­lich hören: Die in man­cher Hin­sicht etü­den­haf­te (Lige­ti!) wir­ken­de „2300 Skid­doo“ und vor allem das weit aus­grei­fen­de, sich manch­mal auch etwas ver­lie­ren­de, hin und her wen­den­de Moment des „Spin­ning Song“ zei­gen Naba­tov auf der Höhe sei­ner Kunst, sei­ner pia­ni­sti­chen Fer­tig­keit und sei­nes Ein­falls­reich­tums. Und wie hin­ge­bungs­voll er sich dann „Lady Sings the Blues“, Nicols bekann­tes­ter Kom­po­si­ti­on (weil Bil­lie Holi­day sie sang), wid­met, wie fein und dann auch wie­der kraft­voll er das aus­lo­tet – ein­fach wun­der­bar, ein ech­ter Hör­ge­nuss, der in sei­ner Viel­schich­tig­keit vie­les ent­de­cken lässt.

Immer aber gilt dabei: Naba­tov pflegt einen sehr frei­en Umgang mit der Musik Her­bie Nichols. Er denkt sie wei­ter, enti­ckelt sie spie­lend wei­ter – so dass das am Ende eben durch­aus eine ech­te Naba­tov-CD ist. Er macht das hier auch nicht zum ers­ten Mal, 2009 hat er schon einen Video-Mit­schnitt eines Kon­zer­tes mit die­sem Mate­ri­al ver­öf­fent­licht. Und trotz­dem ist das auch auf die­ser CD noch (wie­der?) frisch, noch sprü­hend vor Ent­de­cker­geist, manch­mal auch so sprü­hend vor Ein­fäl­len und Idee, die alle unter­ge­bracht wer­den (müs­sen), dass es leicht etwas über­la­den wir­ken könn­te. Aber Naba­tov ist dann doch Pia­nist und Musi­ker genug, das gera­de noch zu bän­di­gen – so weit, dass der Über­fluss ganz rich­tig erscheint und die Wild­heit nur so weit gezähmt wird, dass es Ohren­kom­pa­ti­bel wird. Zumin­dest so eini­ger­ma­ßen – aber garan­tiert für offe­ne, spaß­freu­di­ge Ohren.

Simon Naba­tov: Spin­ning Songs of Her­bie Nichols. Leo Records LR 632, 2012.

Altherrenmusik

Man­che Musik geht irgend­wie an mir vor­bei. Die neue CD von Ulrich Gum­pert und Gün­ter Baby Som­mer zum Bei­spiel. Bei­des sind Musi­ker, die zwar nicht zu mei­nen aller­größ­ten Hel­den zäh­len, die ich aber durch­aus schät­ze. Aber trotz­dem hat mich „La Palo­ma“, gera­de bei Intakt erschie­nen, kalt und vor allem unbe­rührt gelas­sen.

Sicher, eini­ge schö­ne Momen­te gibt es – Gum­pert und Som­mer sind Pro­fis, die ihr Hand­werk ganz und gar ver­ste­hen. Die „Preu­ßi­sche Ele­gie“ etwa klingt wun­der­schön. Aber selbst das erscheint mir arg kühl: Nichts dringt zu mir durch, kei­ne Begeis­te­rung, kei­ne Unbe­dingt­heit, kei­ne Frei­heit, kei­ne Idee. Und das sind halt gera­de die Momen­te, die ich eigent­lich an der (impro­vi­sier­ten) Musik in ihrer Viel­falt so schät­ze. Aber viel­leicht wird das ja bei einem spä­te­ren Wie­der­be­geg­nen anders und bes­ser.

Ande­rer­seits hat Chris­toph Wag­ner wahr­schein­lich recht, wenn er im Book­let schreibt: „Das Album schägt einen wei­ten Bogen in die Ver­gan­gen­heit: Blues, Boo­gie-Woo­gie, Hard­bop, deut­sche Volks­lied­be­ar­bei­tun­gen, frei­er Jazz – alles ist prä­sent.“ Aber dar­aus folgt (für mich) nichts neu­es, das ruft alte Zei­ten noch ein­mal auf, mi Raf­fi­nes­se und wun­der­ba­rem Schön­klang (gera­de des Kla­vier­parts), aber es – so scheint es mir beim ers­ten und andert­hal­ben Hören – dar­aus folgt nichts: Die bei­den genü­gen sich ein­fach damit, in der Erin­ne­rung zu schwel­ge. Beson­ders deut­lich wird das im titel­ge­ben­den „La Palo­ma“: Bis auf eine klei­ne Lücke im Takt ist das wun­der­bar affir­ma­tiv – mit einer eige­nen, gesetz­ten Schön­heit der Erha­ben­heit des Alters. Alt­her­ren­mu­sik eben.

Ulrich Gum­pert & Gün­ter Baby Som­mer: La Palo­ma. Intakt 2012.

Jazz oder so

Das bes­te kam mal wie­der zum Schluss. Das ist schon eine klei­ne Tra­di­ti­on bei den Main­zer Jazz­ta­gen, dass die beein­dru­ckends­ten Auf­trit­te erst wirk­lich spät am Abend begin­nen. Die Ver­an­stal­ter, die Betrei­ber der Main­zer Klang­raum-Stu­di­os, haben ja inzwi­schen schon Erfah­rung. Zum fünf­ten Mal rich­te­ten sie jetzt die Main­zer Jazz­ta­ge aus. Das Jazz im Titel darf man dabei getrost sehr, sehr weit fas­sen und ger­ne in Rich­tung Pop­mu­sik aus­deh­nen.

Auch bei der Eröff­nung der Jubi­lä­ums­auf­la­ge, wie immer in den gut beset­zen Räu­men der Show­büh­ne, waren die Pro­gramm­ma­cher groß­zü­gig: Was Til­mann Höhn da auf sei­nen Gitar­ren – er hat gleich vier davon in den Hän­den – fri­ckel­te, kann man nach allen bekann­ten Kri­te­ri­en nun wirk­lich nicht mehr Jazz nen­nen. Gut war es trotz­dem, und das Publi­kum lausch­te auch den fein­sin­ni­gen Spie­le­rei­en, denen er bekann­te und belieb­te Pop­songs unter­zog, sehr auf­merk­sam.

Auch mit der voka­len Unter­stüt­zung von Mari­us Mertz änder­te sich dar­an wenig: „Songs we know“ haben sie ihr Pro­gramm genannt – und wür­de man nicht so andäch­tig lau­schen, könn­te man tat­säch­lich immer mit­sin­gen oder wenigs­tens mit­sum­men, wenn das Duo U2, James Tay­lor oder Mark Knopf­ler inter­pre­tiert.

Über­haupt die Spie­le­rei­en: Das ist viel­leicht das, was die Acts auch bei den fünf­ten Jazz­ta­gen am ehes­ten ver­bin­det: Die Lust, sich in den Details zu ver­lie­ren, hoff­nungs­los an jedem Klang­mo­ment her­um­zu­spie­len und zu bas­teln. Schon die Eröff­nung durch das Quar­tett „The Hip“, des­sen Name sich wirk­lich auf das Kör­per­teil und nicht auf irgend eine Hipp­ness bezieht, führ­te das vor. Im Kern spie­len die vier jun­gen Musik um Saxo­pho­nist Dani­el Gug­gen­heim soli­den Modern Jazz mit behut­sam noch­mals moder­ni­sier­te Stan­dards. Und das lebt eben vor allem von den Details: Den qur­ir­li­gen Fen­der Rho­des (Ulf Klei­ner), dem knal­len­den Schlag­zeug (Tobi­as Back­haus), den eif­ri­gen Saxo­phon­kas­ka­den und dem beru­hi­gend wum­mern­den Bass (Hanns Höhn). Gekonnt und prä­zi­se – aber etwas spar­sam mit dem Neu­en.

Das kann man Kli­ma Kali­ma nicht unbe­dingt vor­wer­fen. Und des­halb waren sie auch ganz zu Recht am Schluss des Frei­tags zu hören, eigent­lich auch schon als Sams­tag­mor­gen­mu­sik: Die­ses Trio, benannt in Anleh­nung an sei­nen Lea­der und Gitar­ris­ten Kal­le Kali­ma, fetzt unbarm­he­zig und ohne Vor­war­nung los. Ihre typi­sche Ber­li­ner Mischung aus genau kom­po­nier­ten und inspi­riert impro­vi­sier­te Gebil­den greift ger­ne weit aus. Die spür­ba­re Kom­ple­xi­tät ist dabei immer gewollt. Trotz­dem bleibt die Musik von Kli­ma Kali­ma aber ganz stark bidlich – durch die Titel wird das noch unter­stri­chen: „Mexi­co City Dri­ve School“ heißt das, oder „Satur­day Night – Sun­day Mor­ning“: Eine wil­de, rau­schen­de Par­ty, der ver­schla­fe­nes und schlaf­trun­ke­nes Vaga­bun­die­ren folgt, prü­geln Oli­ver Steid­le am Schlag­zeug und Oli­ver Potratz (Kon­tra­bass) da aus sich her­aus – nicht nur eine „Son­ne aus Musik“, son­dern eigent­lich eine gan­ze Gala­xie, ein end­lo­ser Rei­gen an Bil­dern, Ideen, Bre­chun­gen und laby­rin­thi­schen Erkun­dungs­tou­ren.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Taglied 8.1.2012

Irgend­wie schweb­te mir schon mor­gens, auf dem Weg zur Orgel, die Frei­heits­mu­sik von Max Roach im Kopf her­um – schon ewig nicht mehr gehört, ist aber natür­lich als Klas­si­ker immer mal wie­der wert, gehört zu wer­den.


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schweizer musik

(der kalau­er muss­te sein). es geht natür­lich um irè­ne schwei­zer, eine der bes­ten leben­den pia­nis­tin­nen der impro­vi­sier­ten musik, um das gleich mal klar­zu­stel­len.

beim anhö­ren ihrer aller­neu­es­ten cd, einem live-mit­schnitt (der lei­der klang­lich nicht ganz top of the line zu sein scheint …) frag­te ich mich wie­der ein­mal (und nicht zum ers­ten mal), was – für mich – eigent­lich das gro­ße an ihrem spiel aus­macht. ich glau­be, es ist ihre mischung aus ener­gie und poe­sie. das klingt nach all­ge­mein­platz und ist es wahr­schein­lich auch. aber in der kom­bi­na­ti­on die­ser bei­den pole – nicht so sehr der mischung, als der ver­ei­ni­gung zwei­er schein­ba­rer gegen­sät­ze – liegt, glau­be ich, ihr indi­vi­du­el­ler stil. der macht sich bemerk­bar, egal, ob es sich um eige­ne kom­po­si­tio­nen han­delt oder um frem­des mate­ri­al (hier zum bei­spiel von car­la bley, the­lo­nious monk oder dol­lar brand). man­fred papst nennt das im book­let übri­gens „das Wech­sel­spiel von lyri­scher Ver­schat­tung und heroi­scher Gebär­de auf kleins­tem Raum“ – wobei ich mir nicht sicher bin, ob „hero­isch“ den aus­druck die­ser musik wirk­lich triff. viel­leicht, „hero­isch“ dann im sin­ne von stand­fest, auch unbeug­sam – indi­vi­dua­lis­tisch eben. aber nicht auf­trump­fend, besie­gend. gewiss­hei­ten ver­sagt sie sich aller­dings nicht, das ist mehr als rei­ne bre­chung. viel­leicht ist das ja auch etwas, das ihre fas­zi­na­ti­on aus­macht: trotz der viel­falt der aus­drucks­for­men (schwei­zer ist in gewis­sem sin­ne auch eine „gelehr­te“ pia­nis­tin – und des­halb in so einem klas­si­schen musen­tem­pel wie­der der züri­cher ton­hal­le gar nicht so ver­kehrt am platz) schim­mert immer die posi­ti­on, der ort und die kraft der pia­nis­tin als selbst­be­haup­te­tem sub­jekt durch: das gibt sie nicht auf, nie und nir­gends.

schon der titel mar­kiert das sehr gut: „to whom it may con­cern“. das ist selbst­ge­wiss und selbst­be­wusst. aber eben auch – ver­mu­te ich – im vol­len bewusst­sein der exklu­si­vi­tät (oder limi­tät) der krei­se, die das tat­säch­lich wahr­neh­men und die das inter­es­siert: eigent­lich müss­te & soll­te das ja mög­lichst alle ange­hen. so gut ist die­se welt aber lei­der nicht … dafür ist die musik die­ser welt aber so gut. gran­di­os eigent­lich sogar, wenn man sich etwa das „final ending“ anhört, das in einem ries­ei­gen rund­um­schlag noch ein­mal alles erfasst und umfasst, ohne sein eige­nes zu ver­lie­ren, das span­nend in jedem ton ist, aber doch ganz gelas­sen und natür­lich vor allem aus­ge­spro­chen fol­ge­rich­tig wirkt: vom mate­ri­al könn­te man es fast als eine etü­de des free jazz anse­hen. aber dann höchs­tens im cho­pin­schen sinn: etü­de als kon­zert­stück und so wei­ter.

das nur schnell beim ers­ten hören. die cd, auf­ge­nom­men übri­gens im april 2011 in der züri­che ton­hal­le anläss­lich ihres 70. geburts­ta­ges (kaum zu glau­ben!), wird mei­nen play­er sicher noch­öf­ter von innen sehen, das ist sicher.

Irè­ne Schwei­zer: To Wom It May Con­cern. Pia­no Solo Ton­hal­le Zürich. Intakt CD 200, 2012.

Taglied 16.12.2011

heu­te natür­lich eine ganz offen­sicht­li­che Wahl (aber das scha­det ja nicht unbe­dingt …): Stor­my Wea­ther (am liebs­ten mit Bil­lie Holi­day – oder etwas sanf­ter: Ella Fitz­ge­rald)

Don’t know why there’s no sun up in the sky
Stor­my wea­ther
[…] Life is bare, gloom and mis’ry ever­y­whe­re
Stor­my wea­ther
Just can’t get my poor self tog­e­ther
I’m wea­ry all the time, the time
So wea­ry all the time
(zitiert nach insta­ly­rics)

von der alten zur neuen synagoge

„glück­lich unper­fekt“ – dar­auf muss man erst ein­mal kom­men. vor allem, wenn man sein métier so gut beherrscht. von „unper­fekt“ kann man bei sän­ge­rin sharon brau­ner eigent­lich nicht spre­chen. aber glück­lich macht sie ihr publi­kum in der main­zer syn­ago­ge schon. vor allem fühlt sie sich offen­bar wohl auf der schrä­gen büh­ne im schrä­gen bau – nur die schrä­gen töne blie­ben aus.

sharon brau­ner, die ber­li­ner sän­ge­rin, ist dabei fast allein. nur eine ganz mini­ma­lis­ti­sche band hat sie dabei – einen uralten e‑bass, ein ganz, ganz klei­nes schlag­zeug und ein kla­vier – mehr ist nicht nötig. na ja, ab und an schon: wenn sharon brau­ner zwi­schen­drin mal eben zur jane hen­drix von ber­lin wird und sich für eine kur­ze wei­le auf der uku­le­le aus­tobt. zum bei­spiel im ver­kupp­lungs­lied über die jüdi­sche mut­ter, die nicht nur obst und gemü­se, son­dern immer wie­der auch einen hei­rats­kan­di­da­ten für ihre toch­ter vom markt mit nach hau­se bringt. oder wenn sie till brön­ner, der lei­der, lei­der nicht mehr ins auto pass­te, mit der spiel­zeug­trom­pe­te so gut ersetzt, dass man ihn fast gar nicht ver­misst.

immer ist das leben­di­ge ener­gie­bün­del nett bis in die zehen­spit­zen und immer singt sie ent­spannt mit viel spaß, ohne nach­läs­sig zu wer­den. und immer wird sie sorg­sam unter­stützt von ihrer band, vor allem dem inspi­rier­ten hel­mut bru­ger am kla­vier.

nett – und größ­ten­teils unver­fäng­lich – auch ihre musik: alte jid­di­sche lie­der, etwas chan­son, eine men­ge swing: ein wil­der stil­mix ist ihr pro­gramm, der auch vorm tan­go nicht halt macht. der aber, vor allem durch die pro­fes­sio­na­li­tät der musi­ker, die über­all fit sind, eine run­de mischung ergibt – eine wohl­tu­end leben­di­ge sogar, die wun­der­bar für einen abend ange­neh­mer unter­hal­tung geeig­net ist. und die neben­bei noch eine klei­ne ein­füh­rung oder auf­fri­schung ins jid­di­sche lie­fert.

das pas­siert mal aus­ge­spro­chen furi­os oder auch etwas der­ber, ein ande­res mal auch einüh­lend und behut­sam, wie in ihrer ver­si­on von bodo wart­kes „an dich“. und auch die ein oder ande­re schnul­ze dazwi­schen darf nicht feh­len. schließ­lich geht es vor allem um eines: die lie­be mit­samt ihren höhen und tie­fen, ihren lau­nen und über­ra­schun­gen. und davon weiß sharon brau­ner eine gan­ze men­ge lie­der zu sin­gen und geschich­ten zu erzäh­len.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­dest der ers­te tag, beim zwei­ten abend konn­te ich lei­der nicht dabei sein. aber die ers­te hälf­te war schon ziem­lich an- & auf­re­gend – genau wie es das lin­e­up ver­hieß: tri­band, frau con­tra bass, dani­el stel­ter band etc.

hier mei­ne betrach­tun­gen für die main­zer rhein-zei­tung:
Zwei Duos und zwei Quar­tet­te: Schon der Auf­takt der drit­ten Klang­raum-Jazz­ta­ge Mainz bot ein reich­hal­ti­ges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Tri­band und der Dani­el-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­ge­packt, son­dern auch sehr unter­schied­lich bestückt. Und eini­ge Bekann­te waren ja auch dabei, zusam­men mit den neu­en Gesich­tern beim aus­ver­kauf­ten ers­ten Tag in der Show­büh­ne. Die Ver­an­stal­ter vom Klang­raum-Stu­dio freut der wach­sen­de Zuspruch, die am am Ein­gang ver­geb­lich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weni­ger. Ddenn sie ver­pass­ten wirk­lich eini­ges. Nach dem lei­sen, fein­sin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schwei­ze­ri­schen Per­cus­sio­nis­ten-Duo, das mit Marim­ba­phon, Vibra­phon und auch auf dem umfunk­tio­nier­ten Ikea-Tisch Rhyth­men aller mög­li­chen Her­künf­te ganz ohne schwei­zer Gemüt­lich­keit misch­te, war es aber mit der Ruhe und Gelas­sen­heit ganz schnell vor­bei.
Frau­Con­tra­Bass, das ande­re Duo, erfreu­ten schon im letz­ten Jahr bei den Jazz­ta­gen. Auch jetzt hat­ten Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn wie­der viel lau­ni­ge Musik dabei. Mit Stevie Won­der, Jami­ro­quai und vie­len ande­ren wid­men die bei­den sich der Lie­be – der kör­per­li­chen und der pla­to­ni­schen, der erfüll­ten und der ver­sag­ten. Trotz der Reduk­ti­on des musi­ka­li­schen Mate­ri­als erzeu­gen sie groß­ar­ti­ge Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Ecken und Enden sei­nes Kon­tra­bas­ses, Debus lässt ihre kräf­ti­ge, vol­le Stim­me röh­ren, scat­ten und schmei­cheln.
Auch die Dani­el-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Publi­kum schon anfing zu schwä­cheln, der Show­büh­ne ein­heiz­te, war im letz­ten Jahr schon zu Gast. Und immer noch schei­nen die vier Män­ner über uner­schöpf­li­che Ener­gie­re­ser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­grup­pe ist zwar per­so­nal­iden­tisch mit der von Tri­band. Aber mit Ulf Klei­ner an den Fen­der-Rho­des und Dani­el Stel­ters sowie sei­ner E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vol­len, kna­ckig dröh­nen­den Groo­ves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlich­ten, betö­ren­den Melo­dien gro­ßer Prä­gnanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen Hip­Hop­per oder in der trau­ri­gen Geschich­te eines unter­ge­hen­den Papier­böt­chens: Alles über­flüs­si­ge wird gna­den­los ent­sorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüp­fen sie nicht nur per­so­nell an Tri­band an. Auch die machen nicht ger­ne vie­le unnö­ti­ge Wor­te und Töne. Aber sie sind exal­tier­ter, expe­ri­men­tier­freu­di­ger. Ihre Mischung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­li­chen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bes­ser als im Stu­dio: Noch prä­zi­ser in den Stim­mun­gen, noch genau­er und auch noch kon­zen­trier­ter, noch – was man kaum glau­ben mag – ein biss­chen mehr ent­schlackt und zugleich gna­den­los fokus­siert. Die­se Stren­ge, gepaart mit der unbän­di­gen Freu­de – die Musi­ker schei­nen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­ter­te Publi­kum – das ist so zwin­gend, so unbarm­her­zig rich­tig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine herr­li­che Ergän­zung für die Jazz­ta­ge und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ers­ten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sams­tag ging es genau­so bunt und umfang­reich wei­ter – dies­mal mit der Phoe­nix-Foun­da­ti­on und Lars Reichow, mit dem akus­ti­schen Jazz von Spa­ni­ol 4, dem elek­tro­nisch abge­schmeck­ten Klän­gen von „2 fishes in the big big sea“ und den haus­ei­ge­nen Vibes.

20 jahre upart in mainz: grund zum feieren. mit vandermark & brötzmann

Gemein­sa­mes Musik­hö­ren und die dazu gehö­ren­den Dis­kus­sio­nen waren und sind die Keim­zel­le die­ses Ver­eins. Vor zwan­zig Jah­ren fan­den sich eini­ge Idea­lis­ten zusam­men, um den Jazz, die freie impro­vi­sier­te Musik häu­fi­ger nach Mainz zu brin­gen: Der Upart-Ver­ein war gegrün­det. Im Kern ist das seit damals vor allem eine basis­de­mo­kra­tisch orga­ni­sier­te Ver­ei­ni­gung von Idea­lis­ten und Fans. Ange­fan­gen hat alles an der Uni­ver­si­tät, im Asta, der 1987 das ers­te „Akut-Fes­ti­val“ ver­an­stal­te­te. Und der har­te Kern mach­te dann nach dem Ende des Stu­di­ums ein­fach wei­ter – jetzt eben als Ver­ein. Die knapp zwan­zig Mit­glie­der – viel grö­ßer ist der Ver­ein auch heu­te nicht, trotz des ste­ti­gen Kom­mens und Gehens – über­nah­men das Akut-Fes­ti­val und führ­ten es in Eigen­re­gie fort.
Das ist auch heu­te noch der Kern der Ver­an­stal­tungs­ar­beit von Upart. Auch wenn sie vor eini­gen Jah­ren den schwe­ren Ent­schluss fas­sen muss­ten, nur noch im zwei­jäh­ri­gen Tur­nus gro­ße Namen der impro­vi­sier­ten Musik nach Mainz zu holen. Das lag, natür­lich, am Geld: Das Publi­kums­in­ter­es­se an expe­ri­men­tel­ler, frei­er Musik ist in den bei­den Deka­den deut­lich zurück­ge­gan­gen, wie Grün­dungs­mit­glied Uwe Saß­manns­hau­sen weiß: „Es ist nicht ein­fa­cher gewor­den.“ Auch die Zuschüs­se von Stadt und Land sind immer wei­ter geschrumpft. Und doch machen sie immer wei­ter, ver­sich­tert Saß­manns­hau­sen: „Wir sind halt unver­dros­se­ne Idea­lis­ten. So lan­ge es irgend­wie geht und wir noch Spaß dar­an haben, wird es Upart wei­ter geben.“
Und das ist ein gro­ßes Glück für Mainz, wie man beim Jubi­lä­ums­kon­zert in der Alten Patro­ne erfah­ren konn­te. Dafür hat­te sich der Ver­ein zwei gro­ße Meis­ter des zeit­ge­nös­si­schen Jazz geleis­tet: Den deut­schen Saxo­pho­nis­ten Peter Brötz­mann und sei­nen ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen Ken Van­der­mark. Zunächst ver­gnüg­ten sich die bei­den Blä­ser im inti­men Duo. Aus­ge­rüs­tet mit ver­schie­de­nen Saxo­pho­nen und Kla­ri­net­ten stürz­ten sie sich ins Ver­gnü­gen – nicht nur für das Publi­kum, son­dern offen­bar auch für die bei­den Blä­ser. Mit gro­ßer, nie nach­las­sen­der Inten­si­tät, wahn­sin­ni­gem Ideen­reich­tum und natür­lich der gera­de für Brötz­mann typi­schen unge­bän­dig­ten Ener­gie.
In ganz ande­re Gefil­de stürm­te das Frame-Quar­tett, Van­der­marks Kern­trup­pe aus Chi­ca­go mit Fred Lon­berg-Holm am elek­tro­nisch ver­stärk­ten und gewan­del­ten Cel­lo, Nate McBri­de am eben­falls elek­tro­nisch behan­del­ten Bass und Tim Dai­sy am – ganz klas­si­schen – Schlag­zeug. Mit ver­track­ten Arran­ge­ments, per Hand­zei­chen abge­ru­fe­nen Schnit­ten, expe­ri­men­tie­ren die­se vier an der Gren­ze zwi­schen teil­wei­se notier­ter und impro­vi­sier­ter Musik. Sie begin­nen mal mit ver­träum­ten Strei­cher-Intro, las­sen kra­chen­de Gewit­ter fol­gen, unter­bre­chen das mit har­ten Beats oder syn­the­ti­schem Gef­ri­ckel aus den Effekt­ge­rä­ten – und sie fin­den aus den unweg­sams­ten Gebie­ten immer auf fast wun­der­sa­me Wei­se wie­der zusam­men. Mit sol­cher Musik kann man zwar kei­ne gro­ßen Mas­sen anzie­hen, am immer­hin die Alte Patro­ne ganz gut fül­len. Und Geld ver­die­nen muss Upart mit ihren Kon­zer­ten ja nicht – der unschlag­ba­re Vor­teil ehren­amt­li­cher Initia­ti­ven.

(mein text für die main­zer rhein-zei­tung. eine aus­führ­li­che­re betrach­tung des kon­zer­tes steht schon seit vor­ges­tern im blog.)

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