Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: improvisation Seite 6 von 7

alles wieder geschlossen

nein, so heißt es ger­ade nicht: „alles wieder offen” behauptet das neue album (phase 3 der sup­port­er-zeit) der ein­stürzen­den neubaut­en. aber lei­der stimmt das immer weniger. das let­zte war ja noch als ver­such in die richtige rich­tung warzunehmen (nach­dem per­petu­um mobile auch schon nicht mehr die kraft der frühen en hat­te). aber das wird jet­zt immer schlim­mer.

blixa bargeld dreht mit­tler­weile total ab in die rolle des poète mau­dit. er kann sie aber dum­mer­weise nicht wirk­lich aus­füllen: klis­chee über klis­che über klis­chee häufen seine texte inzwis­chen. das war ja schon eine weile abzuse­hen. aber inzwis­chen strahlt diese hal­tung auch auf die musik aus. und er scheint die gruppe immer mehr zu dominieren. ent­täuschend vor allem bass von alex hacke — das ist völ­lig belan­g­los gewor­den.

das schlimm­ste daran ist vor allem die per­ma­nente bil­dung­shu­berei der texte und ihre plat­te metaphorik, die immer so tut, als sei sie große kun­st. ein paar beispiele? gerne doch. „enklave mein­er wahl” in „nagorny karabach” ist zunächst — was für eine über­raschung — die „enklave meines herzens” — aber mehr als diese par­al­lelisierung bringt das ganze lied nicht fer­tig. ja, es ist wirk­lich ein lied. und selb­st klang ist inzwis­chen fast radiokom­pat­i­bel, so beliebig. und roman­tisch verk­lärt immer wieder. das klingt ganz ein­fach viel zu „nor­mal”, nach stan­dard-instru­menten — auch wenn bargeld betont, dass das alles „authen­tisch” sei: „Jed­er Ton basiert auf einem natür­lichen Klang, nicht auf Com­put­er­sounds, auch wenn esich das mitunter so anhört.” (in einem ziem­lich schlecht­en inter­view mit dirk peitz in der süd­deutschen zeitung vom 30. okto­ber 2007) … es gibt keine aus­brüche mehr — unvorstell­bar, dass die heute noch mit flex und schweißgerät auf die büh­nen gin­gen: sie wer­den halt auch älter.

und so mit­telmäßig geht es eigentlich durch­weg weit­er: „ich hat­te ein wort / ein langes, selb­st­gez­im­mertes wie eine Rinne, mit Rädern / schmal wie ein Ein­baum, oder etwas das Zement leit­en soll / ein Mod­ell zwar, wind­schnit­tig und wind­schief, aber meins” — so fängt „ich hat­te ein wort” an — grausam. und prim­i­tiv — auch der schluss: „ich gebs nim­mer­mehr preis”

„von wegen” hat immer­hin noch einige ahnun­gen und ankläge früher­er ideen, des früher strahlen­den spiel­triebs, der ent­deck­er­freude der „wahren” ein­türzen­den neubaut­en. und endlich wer­den auch ein­mal rosso­lo und mar­tinet­ti zitiert — aber der­maßen platt, mit der­maßen grausam-pein­lich-prim­itven geräuschhin­ter­grund — das ist schlim­mer als nichts.

es fehlt mir bei dieser plat­te also ein­fach der knack­punkt — der „win­ter­speck der möglichkeit­en” (auch so eine tolle zeile) ver­birgt das poten­zial. ok, jet­zt ist genug geschimpft, ganz so schlim­mm ist es dann eigentlich doch nicht — aber das ist ein­fach viel zu nett und zu belan­g­los für eine cd der ein­stürzen­den neubaut­en, das bleibt hin­ter ihren früheren werken zu weit zurück. das zeigt sich übri­gens stärk­er noch in den die entste­hung der plat­te beglei­t­en­den „jew­els” — da lässt sich eher inter­es­sante musik find­en. allerd­ings auch nur noch mit der zuhil­fe­nahme von tricks: um zu ideen zu kom­men, müssen sie sich dem zwang der aleatorik unter­w­er­fen und karten mit spielan­weisun­gen ziehen …

ein­stürzende neubaut­en: alles wieder offen (sup­port­er-ver­sion). potomak 2007.

das knarzt und knurpselt und fiepst, dass es eine reine freude ist (wenn man so etwas aus den rand­bere­ichen der impro­visierten musik mag, natür­lich). eigentlich sind es — zumin­d­est über ganz lange streck­en dieser wun­der­baren cd — nur geräuschr, nur fet­zen, bruck­stücke ein­er musik. die laufen aber doch zusam­men und miteinan­der ab — dafür sorgt vor allem thomas lehn mit seinen analo­gen syn­the­siz­ern. qua­si mikroskopisch ist der blick — die makroebene wird ein­fach mal als gegeben (und ver­taut) voraus­ge­set­zt. oder bess­er gesagt: ihre men­tale kon­struk­tion wird ein­fach dem (geneigten) hör­er über­lassen.

die gren­zen des hör­bere­ichs auszu­loten, nicht nur phys­i­ol­o­gisch, son­dern — und vor allem — auch phsysich — das ist gratkowskis spezial­ität. die sub­til­ität, mit der er dabei vorge­ht, ist kaum anders als genial zu beze­ich­nen. und wirk­lich unübertrof­fen ist er darin, auch das ergeb­nis dieser forschun­gen, also das auf diesen sil­ber­ling geban­nte klanggeschehen, ganz sub­til und feinsin­nig zu erscheinen lassen.

ganz sachte for­men, oft nur schemen­hafte umrisse in bis kurz vorm platzen gedehn­ter zeit, aus dem ab und ganz und gar ver­haltenes, ver­steck­tes, ver­schämtes pulsieren her­vor­lugt, prä­gen die vier titel von triskaideka­pho­nia. klap­pengeklap­per, blas­geräusche, gemis­cht mit dem analo­gen syn­the­siz­er, ergeben eine fast unmerk­liche ein­heit: alle drei lasse sich unheim­lich weit auf das wag­nis des freien impro­visierens ein — weit­er als die meis­ten ihrer kol­le­gen. und so weit, dass auch mal eine weile fast nichts zu passieren scheint … das „kaputtspie­len” (peter kowald) haben sie ihren vorgängern über­lassen — sie machen sich jet­zt an einen neuen auf­bau, offen­bar wirk­lich frei, näm­lich zumin­d­est schein­bar los­gelöst aus allen kon­ven­tio­nen und musikalis­chen tra­di­tions­for­men.

das ergeb­nis ist dann auch eher eine „klangkun­st” als herkömm­lich­er jazz: klang­bilder, oft ganze panora­men, die die große weite leer­er land­schaften abbilden, aus denen nur ganz wenig her­aus­ragt, die aufmerk­samkeit auf sich zu ziehen — das aber dafür umso deut­lich­er. aber das heißt nicht, dass es hier einen durchge­hen­den klangtep­pich gebe — fast alles, wirk­lich rest­los, ist vorder­grund, ist momen­tan geschöpft, vol­lkom­men neu. und trotz­dem ergibt sich daraus eine drei­di­men­sion­ale land­schaft — das ist das tolle, begeis­ternde, großar­tige dieses trios!

vier lange „stücke” sind auf der cd ver­sam­melt, alles mehr oder weniger willkür­lich benan­nt — denn her­rkömm­liche stücke sind das natür­lich nicht, son­dern eben eher abfol­gen, auss­chnitte, epis­che ver­suche, aber bes­timmt keine lieder. die titel sind ganz offen­sichtlich bloße assozi­a­tio­nen — und auch gar nicht wichtig, kön­nten genau­so gut titel­los bleiben. denn sie haben als kom­po­si­tion, als werk gar keine iden­tität, sie sind nur das (momen­tane) ergeb­nis ein­er sit­u­a­tion, die die drei musik­er zusam­men­führte (näm­lich im köl­ner „loft”, aus dem so viel inter­es­sante musik kommt.

irgend wann, kurz vor schluss des ersten teils, „lad­ders and stairs” benan­nt , kippt es plöt­zlich — ohne ersichtlichen grund: genau das macht diese art der impro­visierten musik so span­nend: nie vorherse­hen zu kön­nen, nie zu wis­sen, was in der näch­sten sekunde passieren wird — und nimmt fahrt auf, wird wieder etwas ruhi­er, bleibt aber jet­zt, wo der damm durch­brochen ist, zeris­sen und reizbar.

der zweite titel gibt sich ins­ge­samt etwas rauer und kantiger, auch erup­tiv­er und brodel­nder, trotz des eher gemütlich klin­gen­den und schutz und gebor­gen­heit ver­heißen­den titels „umbrel­las”.

in „renam­ing a boat” klingt das ganze noch freier, unbeküm­mert­er und spon­tan­er, erfährt eine zunehmende verdich­tung und erneute öff­nung. zum ende der cd (vor allem in „hot cross buns”) hin steigt die action — d.h., die episo­den erhöhter aktiv­ität häufen sich und ihre abstände wer­den immer kürz­er.

ein­fach genial großar­tig.

frank gratkows­ki / thomas lehn / melvyn poore: triskaideka­pho­nia. leo records 2006.

keith jarrett — ein auslaufmodell

wun­der­bar, wie hans-jür­gen linke in der frank­furter rund­schau über das konz­ert kei­th jar­retts in der frank­furter alten oper schreibt:

Kei­th Jar­rett bleibt im ersten Teil des Konz­erts seinem Pub­likum fast alles schuldig und im zweit­en immer­hin den Beweis, dass er ein Musik­er des 21. Jahrhun­derts ist.  […] Er klingt in seinen schlechteren Phasen wie ein mäßig inspiri­ert­er, tech­nisch recht guter, tief sen­ti­men­taler amerikanis­ch­er Pianist und in seinen besten Momenten wie ein handge­brem­ster, mit Pud­erzuck­er bestreuter Brahms, der Jazz gehört hat.

chris­t­ian broeck­ing schreibt in der taz sog­ar:

Ein Desaster aus Größen­wahn, Eit­elkeit und Vir­tu­osität. […] Dass das Pub­likum nach 40 Minuten Konz­ert vor der Pause und 30 Minuten danach stür­misch vier kurze Zugaben her­beik­latschte, kann den Ein­druck nicht schmälern, dass das intellek­tuelle Niveau auf der Bühne kaum ein­mal unteres Mit­tel­maß erre­ichte. Schlim­mer noch wirkt, dass es ein­fach nicht gut klingt, wenn ein sich maß­los selb­st über­schätzen­der Kün­stler kaum mehr den Weg zurück­zufind­en scheint. Das magere kün­st­lerische Ergeb­nis über­ragt Jar­retts enervierende Selb­s­ther­rlichkeit mit großer Not.

ich habe das konz­ert zwar nicht gehört, aber das bringt meine gedanken beim hören (auch der älteren) von jar­retts improvsi­a­tio­nen ziem­lich gut auf den punkt.

in der tat, da passiert so einiges. das span­nende bei pro­duk­tio­nen, die den namen simon naba­tov im titel tra­gen, ist ja der umstand, dass man nie so genau weiß, was einen da erwartet — der mann ist ein chamäleon des jazz (und das unglaubliche, das mich bish­er wirk­lich jedes mal faszinierte: er klingt immer, egal was er treibt, abso­lut glaub­würdig — das kön­nen nicht viele). auf a few inci­dences wan­delt er mit seinem oktett auf den spuren des dichters dani­il kharms. das ganze ist in sich selb­st aber schon wieder so vielfältig, dass es schw­er zu beschreiben ist. da gibt es eher klas­sisch anmu­tende free-jazz-num­mern wie die ersten bei­den titel, dann aber auch offen­bar weit­ge­hend auskom­ponierte stücke wie on equi­lib­ri­um, mit der ten­denz zur klang­forschung …

der haupt­grund für die hohe qual­ität in allen bere­ichen dieser auf­nahme ist aber sicher­lich die auswahl der beteiligten. das sind näm­lich alles musik­er, die ich auch aus anderen kon­tex­ten kenne und bewun­dere: sprachakro­bat phil minton etwa. der grandios holzbläs­er frank gratkows­ki, posaunist nils wogram, der cel­list ernst rei­jseger, cor fuh­ler mit live elek­tron­ik, matt pen­man am bass und michael sarin am schlag­w­erk. und natür­lich das unver­gle­ich vir­tu­ose (auf allen ebe­nen, auch der struk­turellen und ideellen) klavier­spiel von simon naba­tov. ein­fach her­rlich, wie diese heroen der impro­visierten musik zusam­men har­monieren …

simon naba­tov octet: a few inci­dences in memo­ri­am niko­lai dmitriev, based on texts of dani­il kharms. leo records 2005.

mal sehen was passiert: thomas quasthoff singt jazz

und es klingt genau so, wie man sich es vorstellt, wenn ein klas­sisch aus­ge­bilde­ter (und guter!) sänger jazz singt. nicht schlecht, nur — für mich — aus­ge­sprochen lang­weilig, weil eigentlich vol­lkom­men vorherse­hbar und erwart­bar. ab und an gibt’s immer­hin ver­suche der frei­heit, des befre­it­en klangs — aber das ist unge­fähr so authen­tisch wie der soul von mari­ah carey (ok, das war jet­zt gemein …).

auch die auf dem cov­er (dazu später mehr) so hoch gepriese­nen arrange­ments sind meines eracht­ens eher belan­g­los. im kern ist es eine solide jazzband ver­siert­er stu­diomusik­er, ab und an zur big­band erweit­ert, einige mal auch durch das deutsche sym­phonie-orch­ester abgelöst. aber da gab es schon vor 50 jahren span­nen­dere sachen — wenn ich etwas an neil heftis arbeit­en für count basie denke. oder an so manche auf­nahme von stan ken­ton.

das ist aber über­haupt das prob­lem für mich mit dieser cd: das ist let­ztlich halt ein­fach alles furcht­bar alt­modisch, tra­di­tionell, ja fast staubig. ist es, so frage ich mich bei so etwas immer wieder, immer noch jazz, wenn man über jahrzehnte stets das­selbe spielt? jazz­ige musik ist es, klar. aber für echt­en jazz braucht es in meinen augen (und ich mag da etwas radikal sein) mehr, näm­lich unbe­d­ingt einen kon­takt zur jet­ztzeit, eine kom­mu­nika­tion mit der gegen­wart, die sich akustis­che nieder­schlägt — hätte jazz das nicht geleis­tet, wäre er nie so wichtig und inter­es­sant gewe­sen.

wolf kamp­mann wirft diese frage im book­let auch auf, ohne sie aber zu beant­worten. über­haupt, das book­let — kamp­mann schätze ich ja eigentlich sehr. aber so eine schleimerei wie das hier … und nur, weil das alles für die vita von thomas quasthoff und pro­duzent (und gast­solist) till brön­ner rel­e­vante musik sein soll, muss ich mir das ja nicht unbe­d­ingt anhören — das ist doch ein abso­lut pein­lich­er fehlschluss. und genau so geht mir halt das ganze ver­mark­tungs­ge­seiere gehörig auf den weck­er. natür­lich muss hier alles wieder schön in der aus­ge­lutscht­en song-form, schön brav im radio-kom­pat­i­blen drei-minuten-for­mat sein — das haben echte jazzer auch schon vor fün­fzig jahren hin­ter sich gelassen. und natür­lich muss der name von thomas quasthoff — der hier nur singt, nichts arrang­iert, dirigiert, kom­poniert, impro­visiert — promi­nen­ter als alles andere sein. und die krö­nung ist natür­lich die beiliegende wer­bung für klin­geltöne mit musik aus diesen auf­nah­men — deut­lich­er kann man doch die ange­blich so hehren bemühun­gen der kün­stler gar nicht ad absur­dum führen …

nach­dem das drumherum (ach ja: der sound ist übri­gens aus­ge­sprochen mit­telmäßig, sehr unecht, total auf die stimme konzen­tri­ert, klignt sehr zusam­menge­set­zt) jet­zt aber auch noch ein paar worte zur musik: zu hören sind songs von gersh­win und kon­sorten wie fred­erich loewe und rodger & hart (also eher musi­cal-/broad­way- als jazz-kom­pon­is­ten …). aber lei­der zu hören ohne impro­vi­sa­tion, ohne sinn. und dann kommt aus­gerech­net dazu noch die anmaßung, das ganze the jazz album zu nen­nen. immer­hind wird dann im book­let auch noch jed­er kopist (natür­lich hat jed­er arrangeur seinen eige­nen — wozu eigentlich im zeital­ter des com­put­ers?) namentlich erwäh­nt — nur das raumpfleger-team der stu­dios haben sie vergessen …

alles in allem ist es für meinen geschmack auch noch viel zu nahe am kitsch gebaut (allerd­ings alle­mal bess­er, als wenn pop­sänger klas­sik zu sin­gen ver­suchen). ohne frage ist es immer­hin — was anderes wäre aber auch sehr ver­wun­der­lich — gesang­stech­nisch eine wun­der­schöne sache. etwa smile oder in my soli­tude — in diesen schmonzetten kann quasthoff schon einiges bieten. aber jazz? mit vie­len fra­gen­ze­ichen und klam­mern höch­stens, eigentlich ist nur die reka­pit­u­la­tion ein­er früher mal aktuellen musik, die schon damals kaum noch jazz war, heute aber eben in meinen augen das recht auf diesen ehren­ti­tel ver­loren hat.

thomas quasthoff: the jazz album. watch what hap­pens. deutsche gram­mophon 2007.

ger­ade höre ich oto­mo yoshi­hides new jazz ensem­ble mit dreams. und das ist ganz anders als alles, was ich bish­er von yoshi­hide kenne. gut, es ist auch älter — näm­lich schon 2001 aufgenom­men. schlecht ist es deshalb nicht. nur von den ver­rück­ten und span­nen­den sound-exper­i­menten, mit denen sich yoshi­hide in let­zter zeit einen fes­ten platz auf mein­er lieblingsliste erobert hat, ist hier nur ganz wenig zu spüren. dafür ganz viel von john zorns rad­i­cal new jew­ish cul­ture — in der japanis­chen vari­ante. denn was ich damit meine, ist weniger, dass yoshi­hide hier auf jüdis­che tra­di­tio­nen zurück­greift, son­dern dass er über­haupt auf (volk­stüm­lich) tra­di­tion zu rekur­ri­eren scheint (ob er es wirk­lich tut, entzieht sich schlicht und ein­fach mein­er ken­nt­nis). gewiss, ab und an lugt auch schon der exper­i­mentelle yoshi­hide um die ecke. aber heute würde er wohl nicht mehr so straight die texte ver­to­nen, sie nicht mehr so unge­brochen, fast roman­tisch, sin­gen lassen, die arrange­ments nicht mehr so glatt und har­monisch über die bühne laufen lassen — kurz, die song-struk­turen (ja, so etwas gibt es auch bei yoshi­hide!) sind hier noch weit­ge­hend tra­di­tionell, noch nicht durch die dekon­struk­tions-müh­le gewan­dert. ger­ade deshalb bleibt das ganze auch ziem­lich harm­los — träumerisch eben. oder schlafwan­del­nd, wie man will. ach je, jet­zt sehe ich ger­ade, dass meine ver­mutete chronolo­gie gar nicht stimmt — cath­ode  und anode sind sog­ar schon vor dreams ent­standen. also, jet­zt weiß ich halt noch weniger, warum das hier so klingt wie es klingt …

ok, da war ich wohl etwas vorschnell… den der let­zte track, hahen fukei, bringt eine wahre explo­sion zum vorschein: ein wildes gemet­zel, in klas­sis­ch­er free-jazz-manier, mit elek­tro­n­is­chem gezwitsch­er und handgemacht­en aggres­siv­en bläsern — jet­zt passt es für mich gar nicht mehr zusam­men. aber irgend­wie wird’s halt immer bess­er …

oto­mo yoshi­hides new jazz ensem­ble: dreams. tzadik #7051, 2002.

 

udo mader: fuchsbaumelodien

ihren weg hat diese cd zu mir mit der 55. aus­gabe der bad alche­my gefun­den. und natür­lich war ich sofort ganz beson­ders ges­pan­nt — die ton­träger-beila­gen, die rigo dittmann seinen heften bei­legt, haben mich noch nie ent­täuscht. und dieses mal war es sog­ar ein namensvet­ter (noch nie habe ich von einem mad­er musik gehört …). und diese cd hat mich nicht ent­täuscht, son­dern mit jedem hören erneut begeis­tert. denn zunächst ist das alles ganz harm­los, was hier in langer arbeit solis­tisch im heim­stu­dio zusam­menge­baut wurde.

das sind näm­lich wirk­lich aus­ge­sprochen syn­thetis­che, also im echt­en wort sinne zusam­men gefügte schön­heit­en, die immer wieder hochgr­a­dig aus­getüftelt sind und mit ihrer kom­plex­ität (die vor allem die klan­gliche kon­sti­tu­tion eines phantastischen/imaginären feldes bet­rifft, weniger die ablaufend­en struk­turen) kaum hin­ter dem berg hal­ten. allerd­ings, und das macht das ganze wieder so angenehm (und nie nervtö­tend-besser­wis­serisch), stellen sie ihre kon­struk­tion allerd­ings auch nicht aus: man darf sie wahrnehmen (und schätzen), muss sie aber über­haupt nicht reg­istri­eren, kann sie sog­ar get­rost über­hören und trotz­dem spaß an der musik haben.

über all dem hängt dabei immer eine leicht res­ig­na­tive melan­cholie: das bewusst­sein, dass die welt damit nicht zu ändern sei – aber was soll’s, davon lassen wir uns trotz­dem nicht vom musik­machen abhal­ten — das scheint die ein­stel­lung udo maders (bei mam­bo-bar ste­ht ein biss­chen etwas über ihn) zu sein.

zugle­ich sind die fuchs­baum­melo­di­en auch ein schönes beispiel für ent-tabuisierung (um es vor­läu­fig ein­mal so zu beze­ich­nen) des akko­rdeons in der aktuellen musikkul­tur, dem zeit­genös­sis­chen musik-diskurs (in sein­er gesamten bre­ite). was udo mad­er daran offen­bar inter­essiert, ist ger­ade die unvol­lkom­men­heit seines ein­fachen, ten­den­ziell beschädigten instru­mentes (das klan­glich wirk­lich sehr beschei­den ist), dass er mit­samt seinen dys­funk­tion­al­itäten allerd­ings wiederum per­fekt und naht­los in die kleinen idyllen, die minia­turen sein­er traum-phan­tasien ein­baut.

der pseu­do-dilet­tan­tismus dieser cd geht aber über die wahl der instru­mente hin­aus. denn die musik gibt sich gerne den charak­ter des unfer­ti­gen, unkon­trol­lierten, unbezähmten, spon­taneität – aber das stimmt alles wieder nur halb, das ist (natür­lich) in langer arbeit genauestens aus­getüftelt.

über­haupt bietet udo mad­er mit seinen fuchs­baumelo­di­en immer eine vielzahl der hör­möglichkeit­en (vielle­icht passt der von win­ter & win­ter so gern ver­wen­dete und geprägte begriff „hör­film“ hier in beson­der­er weise: als hör-kurz­film sozusagen …). denn seine melo­di­en sind vor­wiegend kurze ein­drück, oft kaum mehr als kleine ein­fälle, die nie in größe oder umfassende for­men gezwun­gen wer­den. das hat auch deshalb immer etwas anar­chis­tisch-archais­ches: die unbeküm­mertheit um wirkung und posi­tion­ierung im geschichtlichen und ästhetis­chen feld scheint das klan­gliche ergeb­nis wesentlich zu bes­tim­men: just for fun sozusagen, kein ziel ist damit beab­sichtigt (schon gar nicht das des pop, näm­lich star-sta­tus/berühmtheit …), ein­fach für eigenes ich gemacht (was natür­lich nie wirk­lich stim­men kann, denn dann wäre es nicht veröf­fentlicht wor­den – aber indem es im eigen­ver­lag, völ­lig selb­st bes­timmter her­stel­lung pro­duziert, erscheint, wird das prob­lem zumin­d­est extrem reduziert, nahe ins unwahrnehm­bare ver­schoben …)

es bleibt aber kat­e­go­r­i­al doch sehr schw­er zu fassen: alles, was mir dazu ein­fällt, stimmt immer nur halb oder teil­weise. meine konzepte passen alle nicht richtig. vielle­icht macht das diese cd so reizvoll: obwohl sie eigentlich doch so unspek­takulär ist: dass sie in keine schublade passt. und dass ich mir auch keine lade für sie kon­stru­ieren kann, die wirk­lich passt.

udo mad­er: fuchs­baum­melo­di­en.

garbarek und sein “sound out of silence”

Eigentlich ist ja schon vorher alles klar. Denn was soll schon Über­raschen­des passieren, wenn Jan Gar­barek mit sein­er Gruppe nach Mainz kommt. Immer­hin ist er dieses Jahr schon zum drit­ten Mal beim Zelt­fes­ti­val. Aber ganz so ein­fach ist es dann doch nicht. Vielle­icht liegt es ja daran, dass die Män­ner inzwis­chen schon ordentlich gereift sind. Vielle­icht hat aber auch Yuri Daniel damit zu tun. Der erset­zte den kranken Bassis­ten Eber­hard Weber – und er bringt Neues in das Spiel. Langeweile hat also keine Chance im Volkspark. Dabei waren es doch immer noch die gle­ichen Zutat­en, nur in ein­er anderen Zubere­itung. Vor allem gel­ten die alten Erfahrun­gen immer noch: Nordis­che Mys­tik haucht dies Musik aus.
Ver­spon­nen und lange Zeit bloß träu­mend zeigt sie eine ganz klare, reine Schön­heit ohne Fremd­kör­p­er – ein pures Zauber­land aus Musik ist das , das trotz sein­er Uni­ver­sal­ität doch immer irgend­wie klingt, wie nordis­che Land­schaften ausse­hen: Karg aber reizvoll und reizend, unwirtlich aber schön.
Der Sax­o­phon­ist Jan Gar­barek ist dabei der Zer­e­monien­meis­ter, er behält die Fäden in der Hand. Wie ein kantiger, asketis­ch­er Guru ste­ht er streng konzen­tri­ert auf der Bühne. Ab und an lässt er seine Mit­stre­it­er von der Leine des stren­gen Arrange­ments: Dann darf jed­er von ihnen zeigen, dass er auch ein vir­tu­os­er Pianist (Rain­er Brün­ing­haus), ein fan­tasievoller Bassist, der gerne mit sich selb­st um die Wette spielt (Yuri Daniel) oder ein aber­witzig auf seine Trom­meln ein­prügel­nder Schlagzeuger wie Manu Katché ist. Son­st zeigen die Vier vor allem, wie ökonomisch sie mit ihrem Mate­r­i­al umge­hen: Sie kön­nen Vier­tel­stun­den über drei Akko­rd­wech­sel und vier kleine Töne spie­len – ohne sich zu wieder­holen.
Denn immer wieder ent­pup­pt sich Gar­barek außer­dem als ein Meis­ter des Über­gangs. Nicht zufäl­lig hat das Konz­ert auch keine Pause: Alles ist genaustes arrang­iert und über­legt – und tut seine Wirkung. Denn das ist das wichtig­ste dieser Musik: Ihr magis­ch­er Effekt. Der hängt im Mainz­er Zelt wesentlich zusam­men mit der Mis­chung aus alten Klas­sik­ern und neuem Mate­r­i­al – per­fekt einan­der angenähert. Denn die alten Hits haben sich beim jahre­lan­gen Spie­len merk­lich verän­dert, aber über­haupt nicht abgenutzt. Sie sind klar­er und deut­lich­er in ihrer Form gewor­den, dafür ein ganzes Stück kantiger und rauher im Klang. Die absolute Rein­heit früher­er Jahre ist inzwis­chen ein­er authen­tis­cheren Form der Schön­heit gewichen.
Kein Wun­der, dass da das Pub­likum auch ganz geban­nt und andächtig verzückt lauscht – und bei den weni­gen Gele­gen­heit­en, die die Gar­barek-Group ihm lässt, in Begeis­terung aus­bricht. Aber selb­st der hart­näck­ig­ste Applaus kon­nte dem Quar­tett dann ger­ade ein­mal eine ein­same Zugabe ent­lock­en.
so hab’ ich das für die rhein-zeitung geschrieben. aber nach etwas nach­denken kamen doch noch einige ein­wände, ideen:
  • rain­er brün­ing­haus ist eigentlich der einzige, der das idyll der heit­eren welt auf­bricht — wenig­stens kurzzeit­ig. freilich macht er das auch immer nur so weit, dass er den boden nie unter den füßen und den sicheren hafen der kon­ven­tio­nen nie aus dem blick ver­liert
  • das gefährliche an dem konzept des mythis­chen geseires, der schein­bar unprob­lema­tis­chen, unge­broch­enen, ja unbrech­baren schön­heit der melo­di­en und for­malen abläufe ist selb­stver­ständlich die reine aura der heilen welt — ohne irgende eine brechung, da ist soviel aus gefühlsreper­toire und denken der mod­erne und post­mod­erne inklu­sive der ganzen welt des pop inte­gri­ert, dass es scheint, als wäre das die antwort: der schein der beherrschung, der möglichkeit des behar­rens auf dem ide­al der welt­frem­den kun­st — aber ist doch eine gefährliche ide­olo­gie, weil das im all­t­ag, in der real­ität ger­ade nicht aus­re­icht und deshalb zu frust führen muss — aus dem man denn zu solch­er musik, zu solchem kun­sthandw­erk flieht — das gibt dann einen schö­nen zirkel, einen ver­stärk­enden kreis­lauf: der schein von frei­heit, wo keine mehr ist z.b.
  • das ist schein­bar harm­los, weil sie nix sagt (die wort­losigkeit ist natür­lich kein zufall!) — aber sie ist auf per­fide, unter­schwellige art dur­chaus beredt. sie will nur nicht ver­standen oder entschlüs­selt wer­den: sie tut so, als hätte sie eine lösung, eine ver­söh­nungsmöglichkeit, die fähigkeit zur inte­gra­tion von traum und real­ität — aber die real­ität bleibt ein ewiger fremd­köprer, es bleibt also immer ein traum, ein gefährlich­er traum. auch die abschot­tung im kün­stlich dun­klen zelt mit­ten im hellen som­mer ist natür­lich ein teil dessen

der free-jazz und das alter(n)

beim nach­denken über alexan­der von schip­pen­bachs konz­ert ist mir aufge­fall­en: der free jazz und vor allem seine mach­er kommt mit­tler­weile ganz schön in die jahre — schlip­pen­bach wird näch­stes jahr 70, seine mit­stre­it­er sind kaum jünger. auch die anderen großen iko­nen sind inzwis­chen alt und weise: ornette cole­man, antho­ny brax­ton, cecil tay­lor und wer auch immer … und das wird mit­tler­weile auch deut­lich — oder mir fällt es ger­ade auf. zum beispiel gibt es jet­zt offen­bar ver­mehrt (so zumin­d­est mein ein­druck) porträt-cds, rückschauen, per­son-sam­pler oder wie man sie nen­nen will. zum beispiel irène schweiz­er. oder bar­ry guy. oder .…

und von dort aus ist es nicht weit zur frage: wird der free jazz alt? kommt er ins pen­sions-alter? strebt er seinem (natür­lichen) ende zu? denn mir scheint es so, als gäbe es momen­tan kaum bis gar keine jun­gen musik­er, die diese tra­di­tion in diesem maße am leben erhal­ten, die weit­er­hin „klas­sis­chen”, rein­ras­si­gen free jazz spie­len und weit­er­be­treiben. so for­ma­tio­nen wie das schlip­pen­bach-trio, das globe-uni­ty-orches­tra oder das lon­don com­pos­er orches­tra, um ganz willkür­lich mal ein paar zu nen­nen, gibt es offen­bar nicht mehr. das heißt ja keines­falls, dass die nachwach­senden musik­er schlechter oder fauler oder ängstlich­er sind. ein großer teil von ihnen ori­en­tiert sich natür­lich nach wie vor am harm­losen main­stream-gedudel (beispiele hier im blog: das und das z.b.). andere set­zen die tra­di­tion des free jazz zumin­d­est in ein­er hin­sicht fort: sie impro­visieren. aber ihre frei­heit ist eine andere. oft kom­pos­i­torische wieder stärk­er struk­turi­ert — zumin­d­est zeitweise in ihren abläufen. und sie suchen nach anderen aus­drucksmöglichkeit­en, nach anderen klanggestal­ten — mit syn­the­siz­ern, mit elek­tron­ik natür­lich (die elec­tron­i­ca ist ja zumin­d­est teil­weise auch hier einzuord­nen), aber auch ganz klas­sisch mit neuen spiel­weisen auf herkömm­lichen instru­menten (mein lieblings­beispiel: frank gratkows­ki). und doch klin­gen sie ganz anders. ein wesentlich­es moment dabei: ihnen fehlt die wut, die bers­tende energie, die oft zunächst destruk­tive kraft, die sich bei den alten her­ren (damen gibt’s ja wieder mal viel zu wenige) zwar in der regel in eine dekon­struk­tive wan­delt, aber das de- nie ver­liert. das ist bei den jün­geren musik­ern so nicht mehr so unbe­d­ingt zu erfahren …

vielle­icht spielt auch eine rolle, das — wiederum gilt das nur aus mein­er sicht, die fak­ten dazu kenne ich nicht — solche musik noch stärk­er an die rän­der gedrängt wurde als vor 30, 40 jahren. die verän­derung der medi­en­land­schaften, der rezep­tion­s­ge­wohn­heit­en durch und mit dem inter­net haben da sicher­lich eine große rolle gespielt. denn ger­ade in diesem zeitraum und ver­stärkt in den let­zten 10 jahren ist eine immer stärkere, mit­tler­weile extrem auftre­tende frag­men­tiesierung, ja seg­retierung der pub­li­ka nicht mehr zu überse­hen. und das hat natür­lich fol­gen für die musik­er. aber auch für hör­er: überblick behal­ten wird immer schwieriger — wer kann schon die ganzen kle­inst- und miniatur-label und ihre mini-aufla­gen noch ver­fol­gen? nicht ein­mal rigo dittmann. es ist, um es anders zu fassen, ein­deutig ein ver­lust des vorherrschen­den stils zu kon­sta­tieren. abwe­ichun­gen davon gab es natür­lich stets, aber sel­ten wohl war das plu­ral­is­tis­che durcheinan­der so groß und a‑hierarchisch wie heute: das ist schließlich ein unfrucht­bare mehr oder weniger kon­tak­t­los nebeneinan­der und vor sich hin blub­bern­des süp­pchen (ins­beson­dere die elec­tron­i­ca und ihre diversen unter­abteilun­gen sind hier­für gutes beispiel). es gibt ein­fach keine öffentlichkeit mehr — nicht nur für diese musik, son­dern auch in vie­len anderen bere­ichen. das heißt aber auch: es gibt recht eigentlich kein pub­likum mehr — son­dern nur noch immer kleinere sparten, peer groups, zirkel — und damit beißt sich die katze noch ein­mal in den schwanz …

und doch: es gibt ein­fach wahnsin­nig viel gute musik — es wird nur (schein­bar?) immer schw­er­er, sie zu find­en. und neues zu ent­deck­en …

Da hat er sich wieder etwas aus­gedacht, der Michel­städter Kirchen­musik­er Hans-Joachim Dumeier: „Eine große Nacht­musik“. Und groß ist die Musik in viel­er­lei Hin­sicht. Auch wenn er sich die (fast) kürzeste Nacht des Jahres für sein neuestes Exper­i­ment aus­ge­sucht hat. Ein Ver­such ist es, die ganze Nacht hin­durch zu musizieren und dabei „den Ver­lauf der Nacht auch musikalisch zu erleben“, wie Dumeier seine Idee erläutert. Doch die Michel­städter sind das nächtliche Zuhören inzwis­chen offen­bar gewöh­nt – die Stadtkirche war jeden­falls gut gefüllt.
Zunächst musste aber der Tag ver­ab­schiedet wer­den – noch war es draußen ja auch recht hell, die Däm­merung hat­te ja ger­ade erst einge­set­zt. Hans-Joachim Dumeier und Wolf­gang Kör­ber tat­en das zusam­men, an der Orgel, mit Andreas Willsch­ers „Ster­ben­der Tag in Mähren“. Dieser Tag in Mähren ist aber recht hart­näck­ig, er stirbt nur zöger­lich und mit einem kräfti­gen Auf­bäu­men. Mit dieser kurzen, min­i­mal­is­tisch bee­in­flussten Musik war das Pub­likum dann bestens einges­timmt auf das, was da noch alles kom­men sollte.
Stück für Stück ging es in der fol­gen­den Stunde dann tiefer ins Dunkel der Nacht. Noch war unter dem Mot­to „Nachk­länge des Tages“ allerd­ings einiges zu ver­ar­beit­en an Erleb­nis­sen und Gedanken. Flo­ri­an und Elke Vogel­sang tat­en das etwa mit der vielschichti­gen „Arpeg­gione-Sonate“ von Franz Schu­bert. Bevor nun aber an Nachtruhe zu denken war, ließen Katha­ri­na Ger­big und Daniel Heck mit ihren Block­flöten-Duos erst noch die Szener­ie ein­er abendlichen Gesellschaft auf­scheinen. Und ihre vorzüglich musizierte Auswahl vom Barock bis zur Jet­ztzeit stellte neben­bei auch die Fam­i­lie der Block­flöten vor.
Doch damit war das Tag­w­erk vor­erst zu Ende, nun zog der musikalis­che Mond­schein in die Kirche ein – optisch vertreten durch die Kerzen­beleuch­tung. Die Klas­sik­er dazu spielte Sung­ma Schäffter: Den Anfang von Beethovens Mond­schein­sonate und natür­lich ein gefüh­lvolles, zum Glück aber jeden Anflug von Sen­ti­men­tal­ität ver­mei­den­des „Claire de Lune“ von Claude Debussy.
Kurz vor Mit­ter­nacht wurd es dann wieder span­nen­der und ner­ve­naufreiben­der: Das lag zunächst Mar­tin Engel, der vor allem mit Chopins erstem Scher­zo eine hochdrama­tis­che, wild-rasende Fahrt in dun­kle und kom­plex ver­winkelte Traumwel­ten anbot. Zu Beginn der Geis­ter­stunde zeigten Wolf­gan Kör­ber und Ernst Rup­pert mit Camille Saint-Saens „Danse macabre“ die fin­stren, mori­bun­den Gestal­ten, die nun aus ihren Löch­ern kriechen. Während anständi­ge Bürg­er solche Schauergeschicht­en tief­schlafend ignori­eren, sind unter­dessen noch ganz andere Fig­uren unter­wegs: Denn um diese Zeit der Nacht kommt so manch­er erst richtig in Fahrt. Die Jazz-Fans zum Beispiel. Die porträtierte Christoph Schöps­dau vor allem mit sein­er Ver­sion des The­olo­nius-Monk-Sta­nards „‘round mid­night“. Aber auch die Mitte der Nacht blieb in der Stadtkirche nicht den Amüsier­willi­gen über­lassen: Peter Mar­tin stellte mit George Crumbs „Around mid­night“, das Monks Klas­sik­er in vielfältiger Weise ver­abeit­et und var­ri­ert, avant­gardis­tiche Hochkul­tur ans Ende dieser Stunde.
Danach freilich musst die E‑Musik doch das Feld räu­men. Die Big-Band der Musikschule Oden­wald gab unter der Leitung von Jakob März eine Menge Klas­sik­er des Swing zum Besten. Aber auch die Tanzwütig­sten müssen irgend­wann ein­mal schlafen und träu­men. Und nach einem schlafwan­d­lerischen Aus­flug in fremde, vor­wiegend südländis­che Län­der, graute dann auch schon der Mor­gen – und die ersten Vögel fan­gen an zu lär­men und sin­gen. Dafür musste natür­lich Olivi­er Mes­si­aen her­hal­ten, bevor mit der san­ften „Mor­gen­stim­mung“ des Edvard Grieg die Nacht ganz friedlich und behut­sam ausklang. Und wer sich das alles ange­hört hat, der hat mit Sicher­heit mehr als genug Musik für die ganze Woche getankt – und er darf dann auch mal den Tag ver­schlafen.

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