… habe ich gelesen auf der Reise von Venedig zurück nach Mainz.
Ein Thesenroman. Reinsten Wassers. Und durchaus oberster Güteklasse. Aber eben mit all den typischen Problemen — Man merkt die Absicht und ist verstimmt (oder so ähnlich). Nun hielt sich die Verstimmung bei mir extrem in Grenzen, weil ich dem Ziel Zehs, dem freien statt dem sicheren Menschen voll zustimme und stark sympathisiere. Das ändert aber wenig daran, dass der Roman — der sich im Untertitel als “Ein Prozess” ausgibt (Gerichtsverhandlung und Entwicklung — natürlich ist beides gemeint … [und diese absolut durchschaubare Doppeldeutigkeit ist typisch für das Buch {leider, meines Erachtens, den semantische Leerstellen sind interpretativ meistens deutlich ergiebiger}, das künstlerisch eher mittelmäßig ist.]) Ok, die Informationsvergabe ist ganz gut gelungen, sie entwickelt sich halbwegs ungezwungen (am Anfang freilich mit hohem Tempo — und bewusst auf Klarheit der message ausgerichtet).
Worum geht’s? Um einen Staat der Zukunft, in dem Normalität als Gesundheit definiert wird (bzw andersrum) und Krankheit demzufolge abgeschafft ist — gesellschaftlich und privat. Das bedarf natürlich einiger Vorkehrungen … Jedenfalls gerät die Hauptfigur, eine Biologin, mit diesen staatlichen Vorkehrungen, genannt die “Methode”, in Konflikt. Und entwickelt sich zur Widerständlerin auf sehr eigenen Weise, zu einer Art Revolutionärin ohne Revolution. Jedenfalls zu einem Problem für die “Methode”, dass mit allen Mitteln gelöst und schließlich beseitigt werden muss — nicht ohne einige Verwicklungen natürlich. Durch die Montage verschiedener Ebenen, u.a. auch die eines Putzfrauen-Trios, wird das ganz harmonisch in seiner Vielstimmigkeit und Perspektivität. Aber nichtsdestotrotz bleibt die Botschaft klar: Ohne Freiheit ist der Mensch kein Mensch mehr, ist das Leben keine Leben mehr, sondern nur noch Existenz. Die mag zwar sorgen‑, schmerz- & krankheitsfrei sein, aber eben ohne Leben. Die Parallelen zu aktuellen Diskussionen sind wohl mehr als zufällig ;-). Und auch mehr als deutlich … Das, es klang oben ja schon an, mindert meine Begeisterung für dieses Buch etwas: Dass die Phantasie zu wenig ausgereizt wird, die Vorstellungkraft zu blass scheint — auch um den Preis der etwa unvollkommenen Vermittlung der zentralen Textbotschaft wäre das doch etwas spannender gewesen. Für mich zumindest. Aber man kann ja nicht immer alles haben.
Juli Zeh: Corpus Delicit. Ein Prozess. Frankfurt am Main: Schöffling 2009.