»Nächstens mehr.«

Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

noch ein langweiliger abend: mozart und die frauen

das war aber wirk­lich nichts, trotz der hil­fe von der mein­er­seits sehr geschätzen mar­ti­na gedeck. pianist & diri­gent sebas­t­ian knauer ver­wen­det offen­bar lei­der mehr zeit beim friseur und auf der son­nen­bank als beim nach­denken über mozarts musik — das war der­maßen banales gedudel, das hat selb­st mozart nicht ver­di­ent. und das pub­likum klatscht auch noch wie blöd dem eitlen geck — der sich, ganz typ­isch für solche leute, auf der bühne prächtig pro­duziert — und sehr, sehr lange bit­ten lässt, bevor er sich noch ein­mal ver­beugt…

es ist alles nur ein traum. mozarts frühe gön­ner­in, die baronin wald­stät­ten, imag­iniert sich ein konz­er­pausen­ge­spräch mit leopold, dem vater des kom­pon­is­ten. sebas­t­ian und wolf­gang knauer habe sich das aus­gedacht, diesen sym­pa­thetis­chen rück­blick auf mozart und seine frauengeschicht­en, seine galante­rien und affären vor und nach der hochzeit. mar­ti­na gedeck durfte der baronin ihre stimme lei­hen: char­mant und läs­sig plaud­ert sie sich in der glashalle der mainz­er rail­ion-zen­trale durch den abend der mit­tel­rhein musik-momente. und sebas­t­ian knauer macht die musik dazu – zwei der bekan­nteren klavierkonz­erte hat er sich dafür aus­ge­sucht, von mozart natür­lich: das „jeunehomme“-konzert in es-dur und das späte d‑moll-konz­ert. auch knauer, der zugle­ich als pianist und pseu­do-diri­gent auf­trat, agierte eher läs­sig. seine spär­lichen ansätze, vom flügel aus zu dirigieren, waren sowieso recht über­flüs­sig: die koblenz­er staat­sphil­har­monie befand sich ganz offen­sichtlich auf ver­trautem ter­rain und spielte auch ohne seine hil­fe sehr geschlossen und zuver­läs­sig. die über­raschun­gen und ver­rück­ten kaspereien mozarts, die der text immer wieder auf­griff, schlu­gen sich in dieser musik freilich nicht wieder. das war eine run­dum vernün­ftige, manch­mal sog­ar ein wenig biedere inter­pre­ta­tion. sebas­t­ian knauer spielte die konz­erte sehr rou­tiniert und so vol­lkom­men gelassen, dass sich der ein­druck gepflegter langeweile nicht immer ver­mei­den ließ. auch seine pianis­tis­chen fähigkeit­en beansprucht er nur mäßig, da gibt es nur ansätze zu ein­er dif­feren­zierten artiku­la­tion und kaum klangnu­an­cen. allerd­ings waren die umstände auch nicht die besten: zunächst brachte die schwül-stick­ige atmo­sphäre die musik­er dazu, ihren frack abzule­gen. und dann wurde es auch noch richtig feucht: das pras­seln der wasser­massen auf dem glas­dach ließ den beginn des d‑moll-konz­ertes völ­lig unterge­hen, da kon­nte auch knauer nichts mehr ret­ten. am besten gelan­gen ihm allerd­ings sowieso bei bei­den konz­erten die schlusssätze: dem jeune­homme-konz­ert gab er so einen flinken und ein biss­chen augen­zwinkernd, frech ver­spiel­ten abschluss. und selb­st das bei ihm eher schw­er­fäl­lige und gemütliche d‑moll-konz­ert trieb er zum ende in die mozartsche über­mut: tur­bu­lent ließ er die musik immer wieder um sich selb­st kreiseln.

georg kleins ideen von den deutschen

georg klein zählt ja nicht ger­ade zu meinen lieblingsautoren – wer schrift­steller wie jir­gl, kurzeck etc. schätzt, wird das auch sel­ten tun. als kleine nachtlek­türe zwis­chen­durch lässt er sich aber noch aushal­ten. etwa sein erzäh­lungs­band von den deutschen (ham­burg: rowohlt 2002). der ist ziem­lich typ­isch für seine art zu schreiben – näm­lich größ­ten­teils harm­los – oder sog­ar ganz? jeden­falls ist das zweifel­los ganz und gar glänzend erzählt. aber auch oft mit dem ein­druck, es gin­ge nur noch um das erzählen an sich: das mit­tel ist zum zweck gewor­den. typ­isch ist dafür die per­fek­te beherrschung des erzäh­lerischen handw­erks. aber es wird auch bloß noch als handw­erk betrieben, nicht mehr als kun­st. dafür fehlt den tex­ten näm­lich die dringlichkeit, der durch nichts zu bändi­gende drang zur äußerung, zur mit­teilung, der sich nur in der kün­st­lerischen for­mung, der tex­tkon­sti­tu­tion äußern kann. ein neben georg klein für eine solche schreib­weise exem­plar­isch ste­hen­der autor ist etwa bodo kirch­hoff, auch hel­mut krauss­er vefällt solchen ten­den­zen manch­mal. das ist ja alles über­haupt nicht ehren­rührig. was mich an solchen autoren (weniger an kirch­hoff, dafür beson­ders an klein und krauss­er) am meis­ten stört, ist ihre behaup­tung und wom­öglich sog­ar überzeu­gung, das sei wirk­lich schon große kun­st, sei erzählen auf der höhe der zeit oder wie auch immer man das aus­drück­en will. und das stimmt ein­fach nicht. es muss ja gar nicht immer mod­ernistisch oder (for­mal) avant­gardis­tisch sein. aber ger­ade diese erzäh­lun­gen von klein sind ein­fach nur nette unter­hal­tung, die so tun, als seien sie was beson­deres – genau das richtige eigentlich für das heute offen­bar (wenn man sich die verkauf­szahlen bes­timmter büch­er, etwa – auch so ein lieblings­beispiel von mir – daniel kehlmann, anschaut) weit ver­bre­it­ete pseu­do-bil­dungs-bürg­er­tum, das nur noch die erbärm­lichen reste von bil­dung besitzt, sich aber immer noch in der priv­eligierten lage der ken­ner und wis­senden glaubt. solche leser haben an diesen erzäh­lun­gen bes­timmt viel spaß, dafür sorgt auch noch die ten­denz zum alle­gorischen auf­bau der geschicht­en – aber let­ztlich scheint es mir fast immer irgend­wie ins leere zu laufen: man spürt die bemühun­gen und ist ver­stimmt – so funk­tion­iert kun­st nicht, insofern er sein selb­st­gesteck­tes ziel per­ma­nent knapp zu ver­fehlen scheint, knapp unter der mess­lat­te ihn die kräfte ver­lassen. was bleibt, ist ein­fach harm­lose augen­wis­cherei, zudem in vie­len teilen erschreck­end schnulzig und har­monieseel­ig (etwa „der gute ray“), auch mal mit exo­tis­chen zutat­en (vor­wiegend lokalitäten, „lm lande od“). erschreck­end ist das, denn ger­ade die hier ver­bre­it­ete harm­losigkeit ist ja beson­ders gefährlich: sie täuscht über den wahren zus­tand von kun­st und welt, sie sug­geriert längst nicht mehr vorhan­dene möglichkeit­en des guten, gelin­gen­den, erfül­len­den lebens, des richti­gen ver­hal­tens und führt den leser damit nicht nur in eine ästhetis­che (und philosophis­che) falle, son­dern auch unbarmherzig ins abseits, ins reich der lügen. und von dort ist es dann wirk­lich nicht mehr weit bis ins reich der vor­abend-tv-serien – das ist dann wahrschein­lich nur noch eine frage der unter­schiedlichen herkun­ft, erziehung, des divergieren­den habi­tus: georg klein als tv-schnulze für leser….

pathos hoch drei: theodorakis’ “canto general” in wiesbaden

es geht doch nichts über pure größe. zumin­d­est dann nicht, wenn man den „can­to gen­er­al“, den „großen gesang“ von mikis theodor­akis auf die bühne brin­gen will.

und gerd rix­mann, musik­lehrer an der guten­bergschule in wies­baden, will genau das: eine bühne bauen, mit musik, tanz und film – auch wenn theodor­akis eigentlich nur ein ora­to­ri­um schrieb. aber das reicht ihm ein­fach nicht — was groß ist, lässt sich auch noch ver­größern. es ist nicht das erste mal, dass er so ein unternehmen als chor­pro­jekt startet: seit 1993 ist es bere­its das fün­fte, wenn auch die vorgänger nicht ganz so groß und mul­ti­me­di­al waren. begonnen hat es mit ein­er „carmi­na burana“, dann kam die „schöp­fung“ als eine art „chorthe­ater“ — „aber das hat nicht so richtig gut funk­tion­iert“, geste­ht rix­mann ein. das theodor­akis-pro­jekt hat für das pub­likum zumin­d­est ziem­lich gut funk­tion­iert und ist sehr bejubelt wor­den bei der pre­miere im ausverkauften wies­baden­er kurhaus.

das beson­dere dieses pro­jek­tes ist freilich nicht (nur) seine größe, son­dern auch seine organ­i­sa­tion. denn rix­mann geht zwar von den ressourcen sein­er schule, vor allem den von ihm geleit­eten schulchören, aus. doch er weit­et das ganze noch erhe­blich aus: ein zusät­zlich­er pro­jek­tchor ver­dop­pelt die sängerzahl auf rund 300 stim­men. hier ver­sam­meln sich ehe­ma­lige, inter­essierte und sänger aus anderen chören, im alter von 14 bis 75 jahren. für rix­mann ist das auch ein mit­tel, sich von den vie­len anderen leis­tungsstarken chören der region abzuset­zen, ein eigenes pro­fil zu entwick­eln. und es scheintzu klap­pen – schließlich sind nach den schnup­per­proben und einem dreivier­tel jahr sam­stäglich­er proben noch 150 sänger im pro­jek­tchor und erfahren dort die „beglück­ung des immer wieder sin­gens.“ auch für die anderen teile der auf­führung ziegt rix­mann frei­willige hinzu: „die leute sind sehr offen für ideen“, sagt er, „wenn man auf sie zuge­ht.“ er kann dabei sowohl auf die kon­tak­te aus sein­er lan­gen prax­is zurück­greifen als auch gezielt suchen. der regis­seur eduar­do lain­os ist etwa ein schüler­vater, die zweite tanz­gruppe wird von einem chile­nen geleit­et, den entwick­ler des films hart­mut jahn hat er sich extra aus­ge­sucht.

so wird im grunde in der umfassenden und nicht alltäglichen kom­bi­na­tion von musik, gesang, tanzthe­ater und film­por­jek­tio­nen ein ganz neues werk. er häuft pathos über pathos, mit allen mit­teln – eine ergreifende und angreifende sache. denn das immer ganz bewusst auch eine poli­tisch gedachte auf­führung, die sich eben nicht nur im wohlk­lang – den gibt es, da ist rix­mann dann als ver­siert­er chor­leit­er schon hin­ter­her, natür­lich auch — , son­dern eben auch in der huma­nen botschaft des can­to man­i­festiert: der freude an der beson­deren schön­heit des lan­des, der trauer über seine aus­nutzung und die dik­taturen, die gewis­sheit und hoff­nung auf eine mögliche bessere gesellschaft.

dafür hat er dem „can­to gen­er­al“ auch seine eigene dra­maturgie ver­passt und die rei­hen­folge geän­dert: er möchte eine „kleine geschichte erzählen“, von der entste­hung amerikas, der liebe zum land, von der natur und der mut­ter erde, von den tieren und natür­lich von den men­schen. rix­mann ken­nt sich damit bestens aus, schließlich hat er selb­st in den 70ern fünf jahre in südameri­ka, in uruguay, gelebt und hat vieles direkt erfahren – unter anderem die große verehrung des „can­to“ von neru­da in der südamerikanis­chen bevölkerung und die bedrück­ung durch dik­taturen.

die geschichte ergibt sich vor allem aus den chore­o­gra­phien von eduar­do lain­os, der

mit seinen 60 tänz­ern, laien und profis gle­icher­maßen, in mosaik-art lauter kleine geschicht­en geschaf­fen: mal plas­tisch, mal ver­schwiegen-sym­bol­isch. genau­so eigen­ständig funk­tion­iert der film, den zwei stu­den­ten unter leitung von hart­mut jahn, pro­fes­sor für video & film an der fach­hochschule in mainz, als semes­ter­ar­beit ange­fer­tig haben: reflex­io­nen über text und musik des „can­to“, die sowohl in form abstrak­ter sequen­zen als auch konkreter bilder den abend begleit­en.

die organ­i­sa­tion eines solchen pro­jek­tes ist aber auch ein enormer aufwand für eine per­son: „das kann man nicht ein­fach so machen“, geste­ht der diri­gent, „das kostet mich ein halbes jahr meines lebens.“ denn alle fäden laufen immer bei ihm zusam­men, ob es um den büh­ne­nauf­bau, die kostüme oder die musik geht – neben­bei muss er ja auch noch dirigieren. und immer­hin richt­en sich fast 400 mitwirk­ende nach seinem stab – und das klappt erstaunlich rei­bungs­los. als solis­ten kon­nte rix­mann die zwei wies­baden­er sänger her­anziehen: kat­ja boost run­dem, fül­ligem alt und den in jed­er sit­u­a­tion bril­lanten bari­ton eike wim schulte. und das alles simul­tan ergibt eben pathos pur.

abtrünnig: eine trümmerlandschaft aus text

eine inten­sive und denkaufwändi­ge lek­türe: rein­hard jir­gl: abtrün­nig. roman aus der nervösen zeit. münchen: hanser 2005. ich bin jet­zt nach ein­er lan­gen – mehrere wochen – lesereise bis ans ende vorge­drun­gen. und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieser erfahrung, die manch­mal zwar den charak­ter eines exerz­i­tiums annehmen kann, zu unterziehen. den jir­gl, schon lange ein­er mein­er favoriten unter den noch leben­den und schreiben­den autoren, hat hier ein beein­druck­endes kunst­werk geschaf­fen. und als solch­es muss man es auch ganz bewusst und offen­siv rezip­ieren: als kun­st – nicht als unter­hal­tung, denn als bet­tlek­türe taugt dieser roman sicher­lich über­haupt nicht.

da ist zunächst ein­mal seine per­son­ale son­derorthogra­phie, die hier – wie etwa auch in der genealo­gie des tötens – sehr eigen­willig erscheint. v.a. scheint sie ihre sys­tem­a­tisierung ein wenig ver­loren zu haben. kri­tiken the­ma­tisieren diese sehr augeschein­liche beson­der­heit der späteren jir­glschen texte beson­ders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie ent­ge­gen etwaiger befürch­tun­gen kein lese­hin­der­nis darstellt – sie wird sehr schnell sehr ver­traut. was sie allerd­ings ger­ade in abtrün­nig nicht wird, ist vol­lkom­men ver­ständlich: vieles bleibt zumin­d­est bei der ersten lek­türe (vielle­icht hülfe da eine sys­tem­a­tis­che durch­dringung?) auf dem niveau der spiel­erei, weil sich ein­er­seits keine bedeu­tungszuwachs oder ‑dif­feren­zierung erken­nen lässt, ander­er­seits auch wed­er eine absicht noch eine wenig­stens ver­mut­bare regel­haftigkeit. in manchen pas­sagen wirkt diese extreme ver­mehrung der sig­nifikanzen oder zumin­d­est außeror­dentliche verdeut­lichung der vieldeutigkeit des geschriebe­nen wortes, ins­beson­dere natür­lich durch die (ortho-)graphische eigen­willigkeit, wie eine kün­stlich forcierte annäherung an die mündlichkeit, das orale erzählen. ander­er­seits ist sie in ihrer vielgestaltigkeit, die ja weit über die vere­in­heitlichende, normierte (und damit ein­schränk­ende) regelorthogra­phie hin­aus­ge­ht, auch offen­bar der ver­such der dis­am­bigu­ierung – der allerd­ings wieder dazu führt, das das schrift­bild extrem her­metisch, abschreck­end & unüber­sichtlich wirkt & auch tat­säch­lich wird: entz­if­fer­bar ist das kaum noch, weil das sys­tem nicht so ein­fach zu durch­schauen ist (ist es über­haupt ein sys­tem?). und das führt schließlich auch dazu, dass man ihm leicht den vor­wurf der spiel­erei machen kann. tat­säch­lich scheint manch­es auch nur das zu sein, lässt sich manche wort-ver­for­mung auch kaum anders auf­fassen. in sein­er gesamtheit ist das, wenn man außer­dem noch die for­malen irreg­u­lar­ien und stolper­steine – etwa die querver­linkun­gen und textbausteine – bedenkt, ein kom­plett ver­minter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irreg­ulären satze­ichen als kleine sprengkör­p­er, als angriffe auf das schnelle, ein­fache & gewöhn­liche ver­ste­hen.

in abtrün­nig ist die geschichte, die fabel, weit­ge­hend zur neben­sache gewor­den – noch nie war das bei jir­gl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei män­ner, zwei liebende, die auf ver­schlun­genen wegen nach berlin kom­men und dort auf tragisch-groteske weise am und im leben scheit­ern. das ist aber auch schon wieder nur halb richtig, weil der zweite liebende, ein aus der ddr-nva in den bgs über­nommen­er gren­zschützer, der ein­er flüch­t­en­den osteu­ropäerin zum ille­galen gren­züber­gang nach deutsch­land ver­hil­ft, auf der suche nach ihr nach berlin kommt, dort als tax­i­fahrer arbeit­et, sie wiederfind­et und just in dem moment, als sie zurück in ihre heimat gekehrt ist, um für die geplante heirat die notwendi­gen papiere zu organ­is­eren, von ihrem offen­bar psy­chisch gestörten brud­er erstochen wird, weil also dieser zweite liebende, dessen geschichte natür­lich durch begeg­nung mit der des anderen mannes verknüpft ist, gar keine beson­ders große rolle spielt.

wesentlich­er als das ist aber das moment, der abtrün­nig als „roman aus der nervösen zeit“ charak­ter­isiert. das ist das autis­tis­che monolo­gisieren, das durch­brochen wird von essa­yarti­gen pas­sagen und genial erzählten teilen. natür­lich spiegelt das wiederum nur das große, zen­trale prob­lem der haupt­fig­ur und der mod­er­nen gesellschaft über­haupt: die suche nach dem ich, der iden­tität, dem holis­tis­chen sub­jekt, dem eige­nen lebens- und sin­nen­twurf – ein suche, die grandios scheit­ern muss und nur frag­mente, zer­störung und beschädigte personen/figuren/menschen hin­ter­lässt. der ein­druck eines großen bruch­w­erkes bleibt dabei nicht aus: frag­men­tierte per­sön­lichkeit­en, sich auflösende soziale bindun­gen und gewis­senheit­en, kurz eine recht radikal aus­gerichtete gesellschaft­skri­tik sucht ihre form – und ver­liert sich dabei manch­es mal in essay-ein­schüben: abtrün­nig ist in erster lin­ie ein/das buch vom scheit­ern, seine bibel sozusagen: „es gibt kein richtiges leben im falschen“ – oder: das gelin­gen ist ganz und gar unmöglich gewor­den – & das muss man auch genau so kat­e­go­r­i­al for­mulieren, denn es gilt nicht nur für die fig­uren des textes, son­dern auch für ihn selb­st. deshalb ist er so, wie er ist; ist er in ein­er nach herkömm­lichen maßstäben defiz­itären ver­fas­sung – er kann natür­lich auch nicht mehr anders sein, das lässt die mod­erne welt, die „nervöse zeit“ nicht mehr zu. und genau wie diese ist er eine ziem­lich gewaltige zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts anderes, als diese schöne neue welt erk­lären oder min­destens aufzeigen – deshalb natür­lich auch die (zeitweise dur­chaus über­hand nehmenden) essay-pas­sagen, die den kun­stcharak­ter des gesamten textes bee­in­flussen – & das dur­chaus mit gren­zw­er­ti­gen ergeb­nis­sen. denn im ganzen ist das wohl so etwas wie ein anar­chis­tis­ches kunst­werk – hoff­nungs­los unüber­sichtlich, kreuz und quer ver­linkt durch die selt­samen „link“-kästen, die ver­weise vor und zurück im text, die eingestreuten zitate und auch wieder­hol­un­gen, neuan­läufe der beschrei­bung ein­er sit­u­a­tion aus ver­schiede­nen blick­winkeln. das alles hat zum ergeb­nis, das der roman, der vom tod der gesellschaft, vom tod des sozialen lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exem­pli­fiziert – und auch reflex­iert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst sel­ten expliz­it geschieht – vieles im text (etwa schon die dat­en der nieder­schrift (oder die behaupteten dat­en – schließlich befind­en wir uns mit ihnen immer noch im fik­tionalen text)) deutet auf eine reflex­ion der möglichkeit­en des schreibens in ein­er nervösen, defiz­itären, verkomme­nen und immer weit­er verk­om­menden gesellschaft hin. und wenn ein text wie abtrün­nig das ergeb­nis dieser prozesse ist, kann man nun sagen, dass das schreiben unmöglich oder gar obso­let wird? das scheint mir zweifel­haft – denn trotz sein­er unzweifel­haft zu kon­sta­tieren­den schwächen ist abtrün­nig als gesamtes doch ein beein­druck­endes kunst­werk bemerkenswert­er güte. inter­es­sant wird allerd­ings die fort­set­zung – mir scheint es ger­ade mit diesem buch so, als schriebe sich der sowieso schon am rande des ästhetis­chen und ins­beson­dere des lit­er­arischen diskurs­es ste­hende jir­gl immer mehr ins abseits: ob er diese bewe­gung noch frucht­bar weit­er­führen kann?

wm vorzeitig beendet

guten tag, meine damen und her­ren.

die europäis­che kom­mis­sion hat am späten sam­stagabend in ein­er eil­verord­nung die fifa wm 2006 in deutsch­land für been­det erk­lärt. wie die kom­mis­sion in ein­er presseerk­lärung mit­teilte, sei nach dem auss­chei­den von brasilien die fort­führung des turniers hin­fäl­lig: da nur noch europäis­che staat­en um den titel kämpfen wür­den, seien weit­ere k.-o.-spiele nicht nötig. die eu sei ohne­hin bere­its sieger. klein­lich halb­fi­nal- und final­spiele seien der europäis­chen inte­gra­tion abträglich und zudem angesichts der höchst anges­pan­nten gesam­teu­ropäis­chen finan­zlage nicht zu vertreten. die einges­parten mit­tel sollen für agrar­sub­ven­tio­nen genutzt wer­den.

wir sind welt­meis­ter … hur­ra, hur­ra.

(damit also doch noch ein ein­trag zur wm — ste­ht heute im “ver­boten” der taz.)

strauss und das musiktheater — ein weites, aber sehr verholztes und ausgelaugtes feld

sam­mel­bände zu besprechen ist meist keine beson­ders dankbare auf­gabe — das edi­tieren allerd­ings oft auch nicht. die regelmäßig über­große zahl der beiträge, ihre method­is­che und the­ma­tis­che vielfalt und oft auch noch ihre stark divergierende qual­ität machen ein ein­heitlich­es urteil fast unmöglich. das gilt auch für den band “richard strauss und das musik­the­ater”, der die vorträge der gle­ich­nami­gen inter­na­tionalen fachkon­ferenz in bochum 2001 ver­sam­melt. schon der titel zeigt ja an, wie umfassend das spek­trum sein wird. zwei dutzend beiträge unter­schiedlich­sten umfangs und erken­nt­nis­dichte füllen dann auch gut vier­hun­dert seit­en. und die her­aus­ge­berin julia lieb­sch­er betont auch aus­drück­lich, das richard strauss aus allen möglichen blick­winkeln betra­chtet wer­den soll, im vere­in mit the­ater- und filmwis­senschaft, mit der libret­to­forschung und der dra­maturgie. den angestrebten “method­ol­o­gis­chen plu­ral­is­mus” hebt sie zudem beson­ders her­vor.

ein zweit­er leitgedanke, der die meis­ten arbeit­en prägt, ist die überzeu­gung von der moder­nität und fortschrit­tlichkeit sowie der “uni­ver­sal­ität” des strauss’schen oeu­vre: “zweifel­los ist strauss als let­zter musik­er der europäis­chen muikgeschichte zu würdi­gen, der jene uni­ver­sal­ität der musikalis­chen kul­tur repräsen­tierte, die in den plu­ralen kun­st­strö­mungen und spezial­isierun­gen des 20. jahrhun­derts endgültig zer­brochen ist” heißt es in der ein­führung von lieb­sch­er. den anhal­tenden ruhm strauss’ auf diese fak­toren zurück­zuführen, hat sich ja in den let­zten jahren — gegen etwa adornos früh­es verdikt — zunehmend durchge­set­zt.

der erste teil des ban­des ist “musikalis­che dra­maturgie” über­schrieben und wid­met sich vor allem den ver­schiede­nen for­men der über­führung des (theater-)textes in musik­the­ater. und obwohl er damit auf eine lange forschungstra­di­tion auf­bauen kann, ist er doch ins­ge­samt der schwäch­ste teil des ban­des. die meis­ten auf­sätze kauen näm­lich bloß — teil­weise sehr minu­tiös — die entste­hungs­geschicht­en, die prozesse der zusam­me­nar­beit zwis­chen libret­tist und kom­pon­ist, also die trans­for­ma­tio­nen von the­ater in oper bzw. musik­the­ater, durch. beson­dere erken­nt­nisse erwach­sen daraus nicht oder zumin­d­est arg sel­ten. eine deut­liche aus­nahme ist allerd­ings jür­gen mae­hders gekon­nte studie zur “klang­far­benkom­po­si­tion und drama­tis­chen instru­men­ta­tion­skun­st in den opern von richard strauss”. diese grundle­gende arbeit, eine instru­men­ta­tion­s­analyse in der nach­folge von egon wellesz, macht sich die “inter­de­pen­denz von klang­farbe und orch­ester­satz” mit der dra­matur­gis­chen aktion zu ihrem the­ma. und genau in dieser schnittmenge beg­ibt er sich auf die suche nach der werk­in­ten­tion — eine müh­same auf­gabe. vor allem die ein­führung neuer instru­mente, die erweiterung und verdich­tung des appa­rates lassen mae­hder dann strauss als nach­fol­ger und fort­set­zer der bemühun­gen richard wag­n­ers erken­nen — ein nach­fol­ger, der allerd­ings weit über seinen vorgänger hin­aus­re­icht. das vor­drin­gen in und aus­loten von grenzbere­ichen orches­traler klang­far­ben wie dem ton­höhen­losen akko­rd und dem über­gang zum geräusch, dem umschwung des ver­schmelzungsklanges in die ver­schleierung beto­nen die fortschrit­tlichkeit des opernkom­pon­is­ten: “durch wech­sel­seit­ige dena­turierung der einzel­nen töne erzeugte der kom­pon­ist das erste »syn­thetis­che geräusch« der musikgeschichte, den gren­z­fall extremen instru­men­ta­torischen raf­fine­ments.” und mit der hil­fe ein­er detail­lierten situ­ierung der strauss’schen tech­niken in der orches­tra­tionstech­nik des fin de siè­cle kann mae­hder zu dem schluss kom­men, dass mit strauss der abschied von der epig­o­nalen nach­folge des musik­dra­mas aus der “ein­sicht in das inner­ste sein­er musikalis­chen sprache” vol­l­zo­gen wor­den sei.

der zweite teil, “insze­nierung — darstel­lung — gesang” vesam­melt einige über­legun­gen zur auf­führung­sprax­is. joachim herz als prak­tik­er propagiert den begriff der “werkgerechtigkeit” anstelle der für ihn unmöglichen “werk­treue” und legt anhand der “frau ohne schat­ten” die beweg­gründe sein­er insze­nierung dar. dabei kreist er in erster lin­ie um das prob­lem der ver­ständlichkeit — eine insze­nierung solle, so herz, sich darum bemühen, text, musik und vor allem die bühne, d.h. let­ztlich die ganze insze­nierung beson­ders zur “exp­lika­tion der fabel” zu nutzen — im falle sein­er “frau ohne schat­ten” wäre das für ihn ein “hohe­lied von der verän­der­barkeit des men­schen”.

peter-michael fis­ch­er liefert eine sehr grundle­gende und tech­nisch solide arbeit zu den “anforderun­gen an die pro­fes­sionelle sänger­stimme” und reflek­tiert dabei vor allem das prob­lem des “opern­mu­se­ums”: jede zeit­epoche hat nicht nur ein anderes stim­mide­al, son­dern auch andere stimmtech­nis­chen fähigkeit­en und möglichkeit­en, die es heute sowohl bei der beset­zung als auch bei der inter­pre­ta­tion entsprechend zu berück­sichti­gen gilt. im falle strauss sieht er das beson­dere in der etablierung eines neuen, aus dem natür­lichen sprach­duk­tus entwick­el­ten gesangsstil durch den kom­pon­is­ten, der den bel­can­to um neue anforderun­gen — bed­ingt durch die erweit­erte ver­to­nung von sprache — ergänzt. thomas see­dorf ver­voll­ständigt diese aus­führun­gen mit seinem beitrag “kom­pos­i­torische rol­lenkonzep­tion und sän­gerische real­isierung” im wesentlich details. see­dorf kann näm­lich anhand der vor­bere­itung der urauf­führun­gen zeigen, dass strauss, immer der the­ater­re­al­ität verpflichtet, “im prag­ma­tis­chen umgang mit dem eige­nen werk” zu großen konzes­sio­nen hin­sichtlich der details der stimm­führung bere­it war, um aus darstel­lerisch und musikalis­chen grün­den gewün­scht­en sän­gerin­nen die entsprechen­den par­tien zu ermöglichen und fol­gert daraus: “strauss hat auf seinem ursprünglichen ide­al nicht bestanden, son­dern andere inter­pre­ta­tio­nen zuge­lassen.” eine solche, näm­lich die ari­adne-insze­nierung von jos­si wiel­er und ser­gio mora­bito, nimmt sich robert braun­müller zum gegen­stand. er liefert eine aus­führliche auf­führungs­analyse und ver­gle­icht dabei die konkrete insze­nierung­sprax­is mit den vor­gaben von strauss — mit ernüchtern­dem ergeb­nis. “seit jahren erschöpfen sich die meis­ten insze­nierun­gen in der kon­tinuier­lichen fort­führung ein­er tra­di­tion.”

von dort aus ist der weg nicht weit zur unter­suchung der rezeption(sgeschichte): die im drit­ten teil ver­sam­melten beiträge beto­nen durch­weg die flex­i­bil­ität des kom­pon­is­ten hin­sichtlich der werk­treue — solange die “inten­tion” gewahrt blieb oder ihr damit gar gedi­ent wurde, war strauss zu kürzun­gen und umstel­lun­gen, in guten augen­blick­en sog­ar zur umar­beitung fähig.

während roswitha schlöt­ter­er-traimer bei ihrer unter­suchung der “muster­auf­führun­gen” unter clemens krauss in münchen immer­hin noch so etwas wie eine grund­ten­denz der insze­nieren­den inter­pre­ta­tion, näm­lich das “streben nach größt­möglich­er deut­lichkeit” find­et, beg­nügt sich gün­ther lesnig gle­ich mit ein­er reinen daten­samm­lung zu den salome-auf­führun­gen in wien, mai­land und new york. son­st glänzt der dritte, mit “rezep­tion” über­schriebene teil vor allem durch seine glan­zlosigkeit. hans-ulrich fuss kann in sein­er unter­suchung ver­schied­ner auf­nah­men der salome immer­hin zeigen, dass es bei strauss nicht immer sin­nvoll ist, möglichst exakt zu spie­len: bes­timmte tex­turen fordern die undeut­lichkeit als eigen­ständi­ges ästhetis­ches attrib­ut über­haupt erst her­aus. und mar­tin elste macht sich einige gedanken über den unter­schied ein­er oper als tonauf­nahme oder als the­ater: grund­ver­schiedene tem­pi-notwendigkeit­en für entsprechende dra­matur­gis­che effek­te fordert er etwa. vor allem aber: “das bloße hören ein­er oper kommt dem ein­tauchen in eine traum‑, in eine schein­welt gle­ich” — und kon­stantiert dann noch wenig über­raschend: “oper von schallplat­te wird primär als absolute musik gehört.” das verbindet er — ein wenig para­dox — mit der qua­si-natür­lichen bevorzu­gung der sprache, d.h. der gesangsstim­men bei tonauf­nah­men. er sieht dann darin auch eine nahezu ide­ale rezep­tion­sweise der oper — befre­it von allen neben­säch­lichkeit­en, als pur­er akustis­ch­er traum. das scheint mir aber dann doch ein arg­er fehlschluss, der viel zu stark von der per­sön­lichen fasz­i­na­tion des autors durch oper­nauf­nah­men aus­ge­ht — es gibt ja dur­chaus auch rezip­i­en­ten, die opern mehr oder weniger auss­chließlich in der kom­bi­na­tion aus akustis­chen und visuellen reizen genießen kön­nen.

anderes schließlich sam­melt sich unter der rubrik “triv­ia”: richard strauss’ leben und werke sind ja nicht ganz uner­forscht. da kann man sich also auch dur­chaus mal auf neben­schau­plätzen tum­meln und dort nach inter­es­san­tem mate­r­i­al suchen. der ertrag lässt freilich wiederum meist zu wün­schen übrig. und den­noch, schließlich ist strauss’ werk auch noch nicht wirk­lich umfassend und detail­liert unter­sucht — da böten sich dur­chaus noch möglichkeit­en für inter­es­sante analy­sen — die allerd­ings auch zeit­gemäße meth­o­d­en erforderten. aber damit hat, und das zeigt dieser band in sein­er gesamtheit eben auch, die musik­wis­senschaft nicht immer die glück­lich­ste hand: das meiste hier vesam­melte ist in dieser hin­sicht vor allem hochgr­a­dig unspek­takulär, unbe­darft bis unre­flek­tiert und arbeit­et mit alt­modis­ch­er, teil­weise auch ein­fach unzure­ichen­der methodik. dass etwa die musik strauss “an der lebendi­gen auf­führung ori­en­tiert” und “auf unmit­tel­bar sinnliche gegen­wart” aus­gerichtet ist (hans-ulrich fuss), wird zwar wieder­holt ange­merkt, schlägt sich in den analy­sen aber erstaunlich wenig nieder. ver­mut­lich ist genau das ein­er gründe, warum die erforschung der musik­the­ater­pro­duk­tion richard strauss’, wie sie dieser band präsen­tiert, oft so bieder und alt­back­en wirkt.

julia lieb­sch­er (hrsg.): richard strauss und das musik­the­ater. bericht über die inter­na­tionale fachkon­feren­ze bochum, 14. bis 17. novem­ber 2001. berlin: hen­schel 2005.

ein größer­er kon­trast lässt sich kaum denken: direkt vom viertel­fi­nale in die heili­gen hallen der eber­bach­er kloster­basi­li­ka, zu den hehren klän­gen von mahler und bruck­n­er. die bei­den haup­tak­teure scheint es auch ein wenig mitgenom­men zu haben. der ein­druck stellt sich zumin­d­est beim ersten der „lieder eines fahren­den gesellen“ von mahler ein. denn bari­ton chris­t­ian ger­ha­her und diri­gent eli­ahu inbal bemühen sich so sehr, die ver­schiede­nen schicht­en dieser musik zu verdeut­lichen, dass sie bei jedem zusam­men­tr­e­f­fen ordentlich aneinan­derg­er­at­en. schade, denn der ansatz ist so verkehrt gar nicht. das zeigen dann auch die restlichen drei gesänge – das ganze kon­so­li­diert sich in großer ern­sthaftigkeit. ger­ha­her ver­hil­ft den tex­ten in schlichter strenge zu sehr ein­dringlich­er präsenz, inbal verknüpft das sehr ziel­stre­big zum zyk­lus.

der bari­ton hat seinen auftritt damit nach zwanzig minuten schon erledigt, während der drigient sozusagen noch in der aufwärm­phase ist. denn für ihn geht es erst mit bruck­n­ers viert­er sym­phonie so richtig zur sache. seine inten­tion wird schnell deut­lich und zeigt sich wun­der­bar klar: die ganze sym­phonie ist eine spi­rale nach oben, eine enorme aufwärts­be­we­gung. raumgewinn gibt es zwar keinen, aber dafür gelangt inbal mit dem wdr-sin­fonieorch­ester immer höher, im weit­er hin­auf.

dazu bemüht er sich, die vom kom­pon­is­ten selb­st als „roman­tis­che“ tit­ulierte sym­phonie nachger­ade unro­man­tisch zu spie­len: das block­hafte kom­ponieren bruck­n­ers, seine sequen­zierte sta­tik ist ihm hör­bar wichtiger als schwel­gerische klang­malereien. dadurch ist die vierte aber auch von vorn­here­in sehr offen: inbal legt dem pub­likum sozusagen das skelett der sym­phonie zur begutach­tung vor – nicht immer mit opti­maler auflö­sung, aber das liegt weniger am diri­gen­ten als an den sich häufend­en kleinen patzern des wdr-sin­fonieorch­esters. der drigient selb­st ver­richtet seinen anteil mit besonnen­er gründlichkeit, er baut mit uner­müdlichem fleiß immer neue schicht­en der enor­men klänge auf und entwick­elt die in straf­fer organ­i­sa­tion zu großer präsenz und offen­heit: das strahlt ger­ade im let­zten satz, kurz vor dem ende, in fast blenden­der hel­ligkeit und beein­druck­ender klarheit.

und sich an ein­er neuen oder sagen wir ein­mal unbekan­nten wag­n­er-operette erfreuen (genau, richard wag­n­er hat auch eine operette geschrieben, man muss sie nur aus ihrem korsett des großen musik­dra­mas — dem rhein­gold — befreien): die rhein­tor-saga.

was haben ein pump­ge­nie, eine bio-bäuerin, zwei mit­tel­ständis­che bau­un­ternehmer und eine alko­holoab­hängige dame der hohen gesellschaft gemein? genau, sie alle kom­men im „rhein­gold“ vor. zumin­d­est in der zur „rhein­tor-saga“ umge­bo­ge­nen vari­ante, mit der der kul­tur­fonds mainz­er wirtschaft geld für die erhal­tung der mainz­er rhein­tore sam­melte.

das pump­ge­nie ist natür­lich wie im richti­gen leben nie­mand anderes als richard wag­n­er der ii, der eigentlich der echte ist und ganz eigentlich wiederum der gast­ge­ber im wei­her­gart, peter hanser-streck­er. er ist zwar in den let­zten jahren ein wenig gewach­sen und aus dem säch­sis­chen akzent ist meen­z­erisch gewor­den, aber son­st ein ganz echter wag­n­er. und er zieht den leuten auch genau­so geschickt das geld aus der tasche – nur ziem­lich wahrschein­lich erhe­blich unter­halt­samer. denn die ver­anstal­ter haben sich von chris­t­ian pfarr extra für diesen abend, als urauf­führung ohne jede wieder­hol­ung­möglichkeit, ein libret­to für ein neues kleines operettchen schreiben lassen. wol­fram koloseus hat die musik dazu gemacht – oder genauer gesagt, er hat die passenden stellen aus dem „rhein­gold“ gesucht und ver­anstal­tet damit am flügel ein ordentlich blät­teror­gi. die stu­den­ten aus dem jun­gen ensem­ble der hochschule für musik unter der leitung von clau­dia eder haben gesun­gen. die fric­ka von sarah kuffn­er ist davon fre­lich so gelang­weilt, dass sie sich unen­twegt sekt hin­ter die binde kippt. dabei hätte sie nur ihren mit­stre­it­ern zuhören müssen, um erstk­las­sige unter­hal­tung gelif­ert zu bekom­men.

das rhein­gold passt zum geld­sam­meln natür­lich wun­der­bar – schließlich geht’s da ja auch um einen neubau. mit ein­er fülle solch­er kleineren umdeu­tun­gen hat pfarr das wun­der­bar humoris­tisch angepasst. der richard wag­n­er von hanser-streck­er darf dabei für die notwendi­gen stich­worte und außer­dem für neue, lokalpa­tri­o­tis­che verknüp­fun­gen der kleinen auss­chnitte sor­gen – so kommt dann etwa auch noch die finthen­er flurbere­ini­gung ins spiel.

und da ja die rhein­tore fast das gle­iche sind wie der reine tor, darf in dieser wag­n­er-ver­wurstung auch par­si­fal (daniel jenz, der auch schon als loge sich mit dem rhein­gold pla­gen musste) noch ein­mal kurz zu wort kom­men. und er darf sich zum schluss von den blu­men­mäd­chen sog­ar noch ver­führen lassen, ohne dafür bezahlen zu müssen.

die klangwelten des peter kiefer sind ein recht zeitloses gebilde

oder jeden­falls zeitarm — immer­hin führen sie in ihrer oft mehr als uner­schüt­ter­lichen ruhe zu ein­er gewis­sen ver­langsamung des per­sön­lichen zeit­empfind­ens:

die esg-kirche gibt sich ver­schlossen, kühl und düster liegt ein geheimnisvoller blauer schim­mer als einzige beleuch­tung auf den kahlen wän­den des leer geräumten saals. san­ft blub­bern ab und an elek­tro­n­is­che geräusche aus den laut­sprech­ern. natür­lich ist es wieder „mainz-musik“, das von der kirche besitz ergrif­f­en hat. genauer gesagt, die klangkun­st von peter kiefer okkupiert den sakralen raum. und sie fühlt sich da offen­bar recht heimisch.

kiefer hat für diesen abend eine kleine werkschau mit seinen arbeit­en der let­zten jahre zusam­mengestellt und das ganze zu einem kon­tinuier­lichen strom aus elek­tro­n­isch erzeugten und in ganz weni­gen fällen auch nur bear­beit­eten klang­for­men verknüpft. „klang­wel­ten“ hat er das über­schrieben, und dieser begriff trifft das geschehen auch recht gut. vor allem der plur­al ist wichtig. denn kiefer belässt es nicht bei ein­er welt, seine kun­st ist dafür viel zu viel­seit­ig und vielschichtig. zu den bloops und beeps kom­men bald knirsch­er und knack­er, verbinden sich zu ein­er kulisse aus dem grenzbere­ich zwis­chen geräusch und klang, zwis­chen lärm und musik. das ist mal met­allisch glitzernd, mal hohl dröh­nend, mal kuschlig gemütlich und new-age-mäßig entspan­nt, dann aber auch wieder erwartungs­froh drän­gend – vor allem aber ist es immer eine dezi­diert kün­stliche und kün­st­lerisch geformte akustis­che umge­bung. natür­liche klänge gibt es in diesem kos­mos nicht, sieht man von eini­gen weni­gen men­schlichen stim­men ab. aber selb­st die nutzt kiefer nur als mate­r­i­al, formt sie nach seinem gus­tos, macht etwa aus ein­er einzi­gen vokalise eine raumk­lang-stim­menorgie.

dazu mon­tiert er dann eventuell noch vere­inzelte, ein­sam schwebende töne – das ist eine kun­st, die unheim­lich viel zeit zu haben scheint. tat­säch­lich ver­langsamt kiefer mit seinen klankom­po­si­tione das zeit­empfind­en oft sehr erhe­blich: es wird ein­mal eine große ruhe kom­men – und peter kiefer wird ihren klang gestal­ten. denn vieles von dem, was seine klang­bän­der struk­turi­ert, passiert so fein und fast unmerk­lich, dass jedes gespür für diese ver­läufe in gefahr gerät, sich zu ver­lieren. aber dann gibt es ja bei eini­gen arbeit­en auch noch die videos, an denen man sich fes­thal­ten kann.

beson­ders gilt das natür­lich für seine film­musik zu dem stumm­film “la pas­sion de jeanne d’arc” von c.t. drey­er, mit der er seinen klang­wel­ten einen sehr illus­tra­tiv­en und in sein­er insistieren­den klangge­walt sehr ver­führerischen höhe- und schlusspunkt set­zte.

da waren es nur noch drei. das erste konz­ert der als „ensem­ble in res­i­den­cy“ verpflichteten musi­ca anti­qua köln beim rhein­gau-musik-fes­ti­val war vom pech ver­fol­gt. schon vor einiger zeit musste der zweite geiger nach einem unfall absagen, das pro­gramm wurde entsprechend geän­dert. doch am konz­ert­tag stellte sich dann her­aus, dass auch rein­hard goebel, der leit­er und erste geiger des ensem­bles, auf­grund ein­er hand­ver­let­zung nicht spie­len kann. übrig blieben also nur noch der cem­bal­ist léon berben, cel­list klaus-dieter brandt und die flötistin ver­e­na fis­ch­er.

es wurde dann allerd­ings doch noch ein schön­er abend in der pfar­rkirche von oestrich. denn die mit­glieder der musi­ca anti­qua köln sind natür­lich rou­tiniers genug, um mit solchen widrigkeit­en fer­tigzuw­er­den. das pro­gramm bot nach der zweit­en änderung nun eine blüten­lese aus unter­halt­samen sonat­en und suit­en des 18. jahrhun­derts für alle noch verbliebe­nen möglichen beset­zun­gen.

die kom­bi­na­tion aus cel­lo und cem­ba­lo erwies sich als dabei beson­ders frucht­brin­gend. tele­mann sonate in d‑dur für diese bei­den instru­mente gaben die zwei musik­er nicht nur die ensem­ble-typ­is­che aufgeweck­te frische und entschlossen­heit mit, son­dern darüber hin­aus auch noch eine prächtige klan­gent­fal­tung. das cel­lo zog im her­rlich­sten lega­to wun­der­bar fül­lige lin­ien in jed­er ton­lage. die langsamen sätzen wur­den dadurch zu schmelzen­den schön­heit­en ganz beson­der­er art. ähn­lich erfol­gre­ich spiel­ten berben und brandt auch willem de feschs d‑moll-sonate. wieder war es vor allem das cel­lo, das auffiel. dieses mal vor allem durch die überzeu­gende rhetorik, die sich fast schon zur ver­führung steigerte. dabei arbeit­ete brandt mit sehr unauf­fäl­li­gen mit­teln – und dem besten trick über­haupt: der eige­nen überzeu­gung, dem unmit­tel­baren intellek­tuellen und emo­tionalen ein­satz, der sich der tänz­erischen alle­mande genau­so hingab wie dem grüb­lerischen largo.

wenig anlass zum grü­beln bot die flöten­sonate a‑moll von carl philipp emanuel bach. hier war die galanterie, die das gesamte konz­ert durch­zog, am stärk­sten aus­geprägt – und das trio der musi­ca anti­qua auch sehr spiel­freudig. das aber bringt doch immer wieder die besten ergeb­nisse: wenn die musik­er ein­fach mit lust und überzeu­gung spie­len – auch wenn die umstände ein­mal nicht opti­mal sind.

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