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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

und der rest des kon­zer­tes war auch nicht ganz schlecht – obwohl ich mit dem gan­zen tan­go-kram ja nicht viel anfan­gen kann…

zum kern vor­drin­gen, das ist die vor­nehms­te auf­ga­be jedes künst­lers: zum inne­ren des wer­kes, der kunst über­haupt und des lebens sowie­so. und das ist eine intel­lek­tu­el­le, emo­tio­na­le und ästhe­ti­sche auf­ga­be, die vie­len inter­pre­ten erst nach lan­gen jah­ren der kunst­aus­übung – und des lebens – gelingt. aber aus­nah­men gibt es immer wie­der, manch­mal gelingt die expe­di­ti­on ins innen sogar jun­gen musi­kern. der gei­ger linus roth scheint zu die­ser aus­er­le­se­nen schar zu gehö­ren. denn beim main­zer musik­som­mer spiel­te er sich in die ers­te liga – mit schu­manns zwei­ter vio­lin­so­na­te op. 121. gemein­sam mit sei­nem pia­nis­ten josé gall­ar­do, der nie blo­ßer beglei­ter, son­dern immer ein fan­tas­tisch sen­si­bler part­ner war, gelang ihm hier das wah­re kunst­stück. schon mit den aller­ers­ten akkor­den, mit ihrer geball­ten kraft, ihrer auf­rütt­len­den klang­lich­keit und ihrer schar­fen prä­zi­si­on zeigt das duo, wie­viel anders die musik seit mozart gewor­den ist. damit hat­ten sie ihr kon­zert näm­lich begon­nen, mit des­sen b‑dur-sona­te für kla­vier und vio­li­ne kv 454 – ein soli­der auf­takt, dem aber ganz ein­deu­tig die inspi­ra­ti­on fehl­te, die ihre schu­mann-deu­tung so berau­schend inten­siv wer­den ließ. das beson­de­re war in die­sen augen­bli­cken nicht nur die klang­li­che inten­si­tät, die durch stän­di­ge balan­ce­ak­te per­fekt aus­ta­rier­te zusam­men­ar­beit. nein, was das wirk­lich groß­ar­tig mach­te, war die zwang­lo­se selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der bei ihnen schu­manns sona­te ihre form erhält: obwohl die tra­di­tio­nel­len satz­mus­ter durch­aus noch gel­ten, scheint es im schloss waldt­hau­sen so, als sei die musik hier schon auf dem weg zur frei­en form. und tat­säch­lich ist genau das ja auch das beson­de­re an die­ser sona­te: die auf­lö­sung von lan­ge geglaub­ten gewiss­hei­ten ins unsi­che­re, ins labi­le – bei schu­mann wird sich das in sei­ner psy­chi­schen erkran­kung noch ganz deut­lich mani­fes­tie­ren, dem rest der welt wird es erst eini­ge jahr­zehn­te spä­ter, zu zei­ten der moder­ne, so rich­tig klar wer­den. aber genau die­se per­spek­ti­ve, die sona­te als eine art vor­ah­nung der bedro­hun­gen der moder­ne für das auto­no­me sub­jekt zu sehen, macht roths und gall­ar­dos inter­pre­ta­ti­on so wert­voll.

die­sem gewal­ti­gen kraft­akt folg­te dann der unauf­halt­sa­me weg ins popu­lä­re, dem mau­rice ravel als brü­cken­glied dien­te: zunächst mit sei­ner „sona­te post­hu­me“, eigent­lich nur der ers­te satz einer sona­te, bei der sich die bei­den musi­ker etwas mehr trei­ben las­sen konn­ten, sich mehr der sinn­li­chen kraft der musik aus­lie­fern durf­ten. mit ravels fei­ner „piè­ce en for­me d’habanera“ stei­ger­ten sie die­ses moment noch, um es in astor pia­zoll­as „le grand tan­go“ gip­feln zu las­sen – und damit war in knapp zwei stun­den der weg von mozart bis zum argen­ti­ni­schen tan­go nue­vo bra­vou­rös gemeis­tert.

der erste offizielle halbmarathon

am wochen­en­de war es jetzt end­lich soweit: mein ers­ter halb­ma­ra­thon stand auf dem ter­min­ka­len­der – beim 11. güt­ters­ba­cher volks­lauf. güt­ters­bach befand sich am sams­tag nach­mit­tag im aus­nah­me­zu­stand: das gan­ze dorf ein gro­ßer park­platz für die läu­fer, die stra­ße zeit­wei­se kom­plett gesperrt, weil die lauf­stre­cke vom start aus zunächst kurz auf der stra­ße rich­tung olfen geführt wur­de, dann aber in rich­tung gras­el­len­bach zunächst durch die wei­den (und die ziem­lich ver­schreckt drein­schau­en­den kühe) und dann ste­tig berg­auf in den wald zum spes­sart­kopf und am sieg­frieds­brun­nen vor­bei ging. dann ging es auch schon wie­der zurück in rich­tung güt­ters­bach, immer berg­ab. und kurz vor dem ers­ten durch­lauf des zie­les zwi­schen km 14 und 15 wur­de es so rich­tig steil. das war inso­fern fies, als es nach dem start­be­reich eben wie in der ers­ten run­de gleich wie­der berg­auf ging – das hat nicht nur bei mir voll rein­ge­hau­en, da ging das tem­po auf ein­mal bei fast allen deut­lich run­ter. sonst war das tem­po für einen volks­lauf doch ganz schön hoch, immer­hin war auch der über­wie­gen­de teil der läu­fer von ver­schie­de­nen ver­ei­nen, vie­le aus der berg­stra­ße, darm­stadt und hei­del­berg. vor allem berg­ab zogen die alle wie die dep­pen los und lie­ßen mich ziem­lich blöd aus­schau­en. bei der nächs­ten stei­gung habe ich dann aber immer wie­der eini­ge ein­ge­holt. nur zum schluss ging das eben nicht mehr, denn das ziel war ja am ende einer stei­len abwärts­ram­pe. dort war ich genau nach 1:49:33,3 – doch eini­ge minu­ten bes­ser, als ich mir vor­ge­nom­men hat­te. vor allem erheb­lich bes­ser, als ich in der zwei­ten run­de, so zwi­schen km 15 und 17, befürch­tet hat­te. dort war ich näm­lich kurz vor dem auf­ge­ben… und der abstieg ins ziel hat mir dann auch wirk­lich den rest gege­ben, danach bin ich halb besin­nungs­los her­um­ge­stol­pert. immer­hin waren es ja knapp 400 höhen­me­ter, die auf den 21,1 km zu bewäl­ti­gen waren. zum glück war das wet­ter zum lau­fen eigent­lich sehr ange­nehm: mode­ra­te tem­pe­ra­tu­ren, der regen hat­te pünk­lich am vor­mit­tag auf­ge­hört und die orga­ni­sa­ti­on sowie ver­pfle­gung war spit­ze. wie der halb­ma­ra­thon an der spit­ze so aus­sah, beschreibt übri­gens der lauf­re­port.

und mit beet­ho­ven fällt er dabei ordent­lich auf die nase:

eigent­lich soll­te es ein rich­tig roman­ti­scher kla­vier­abend wer­den: aus­schließ­lich varia­tio­nen von brahms, tschai­kovs­ky und schu­mann woll­te niko­lai toka­rew beim main­zer musik­som­mer im schloss waldt­hau­sen spie­len. kurz vor beginn ent­schied er sich dann aber, statt tschai­kovs­ky „the­ma mit varia­tio­nen in f‑dur“ doch lie­ber beet­ho­vens appas­sio­na­ta-sona­te zu spie­len. und das war kein beson­ders klu­ger zug. denn jetzt war es zwar ein rein deut­scher kla­vier­abend, aber das half über die unzu­läng­lich­kei­ten toka­rews bei der beet­ho­ven-sona­te lei­der auch nicht hin­weg. sicher trägt die sona­te die lei­den­schaft schon im titel. aber der ist ers­tens gar nicht von beet­ho­ven und zwei­tens bie­tet sie auch noch viel mehr als nur das. doch das tan­gier­te toka­rew nur sehr wenig. er stürz­te sich mit tie­fer inbrunst hin­ein und pro­du­ziert dabei viel gefühl, aber auch viel undif­fe­ren­zier­ten klang­brei. struk­tu­ren, for­men, ver­läu­fe- für all das, was in beet­ho­vens sona­ten von so gro­ßer bedeu­tung ist, hat er hör­bar über­haupt kein gespür, all das ent­zieht sich sei­ner auf­merk­sam­keit ganz und gar.

auch die dra­ma­tur­gie grö­ße­rer zusam­men­hän­ge ist sein ding nicht unbe­dingt. genau des­halb gelingt ihm der rest des abends auch viel bes­ser, näm­lich rich­tig gut. denn schon in brahms’ „hän­del-varia­tio­nen“ zeigt sich, wie viel gewinn es brin­gen kann, so einem empha­ti­schen pia­nis­ten zu lau­schen. sicher freut er sich manch­mal zu offen­sicht­lich an vir­tuo­sen spie­le­rei­en, aber das fällt kaum ins gewicht. denn inti­mi­tä­ten, klei­ne details, feins­te stim­mungs­ver­schie­bun­gen – das spürt er ganz genau und das kann er auch ganz prä­zi­se und mit­füh­lend zum klin­gen brin­gen. das führt mit­un­ter zu recht exal­tier­ten ergeb­nis­sen, aber selbst die sind emo­tio­nal immer ver­blüf­fend genau. denn toka­rew fühlt sich nicht nur in jede nuan­ce der musik ein, er errich­tet regel­rech­te par­al­lel­wel­ten des klangs, die ganz und gar aus gefüh­len zu bestehen schei­nen. das wur­de vor allem bei den „sin­fo­ni­schen etü­den“ von robert schu­mann deut­lich. toka­rew gelin­gen hier noch ein­mal groß­ar­ti­ge momen­te – aber es blei­ben momen­te, die mehr oder weni­ger unver­mit­telt neben­ein­an­der ste­hen. und es wird bei ihm wie­der zu musik, die den ver­stand nicht braucht und will: wer sich ganz auf’s mit­füh­len und mit­emp­fin­den ein­lässt, dem beschert niko­lai toka­rew vie­le inten­si­ve erfah­run­gen.

soweit mein „offi­zi­el­ler“ text zum ers­ten von mir besuch­ten kon­zert des dies­jäh­ri­gen main­zer musik­som­mers. rich­tig echauf­fiert habe ich mich dabei aber weni­ger über die musik – das ist zwar über­haupt nicht mein fall, die­se art von inter­pre­ta­ti­on – son­dern über das vor­wort im pro­gramm­heft, gezeich­net von peter stie­ber, swr2 lan­des­mu­sik­di­rek­ti­on, und dem main­zer kul­tur­de­zer­nen­te peter kra­wi­etz. was die bei­den da für einen unsinn ver­zap­fen, ist reich­lich unge­heu­er­lich. das fängt schon mit dem ers­ten satz an: „einen platz auf dem ima­gi­nä­ren sie­ger­trepp­chen der kul­tur-welt­meis­ter­schaft hat deutsch­land seit jah­ren sicher“ – was soll das denn bit­te sein, eine kul­tur-welt­meis­ter­schaft? ist eine beet­ho­ven-sona­te bes­ser als eine chi­ne­si­sche oper? wie­der mal ein typi­sches bei­spiel (und ein ziem­lich kras­ses) für den typisch euro­päi­schen kul­tur-chau­vi­nis­mus. aber damit ja noch nicht genug, zu rich­ti­gen höhen­flü­gen schwin­gen die bei­den (natür­lich auch bei­des män­ner…) erst spä­ter auf: „in der kul­tur geht es um höchst­lei­tung, unter­hal­tung, ästhe­tik, auch um sig oder nie­der­la­ge.“ das ist ja mal wie­der ech­ter blöd­sinn: kul­tur ist doch kein wett­kampf! das ist doch etwas fun­da­men­tal ande­res, in kunst (oder auch all­ge­mei­ner kul­tur) geht es um gelin­gen und nicht­ge­lin­gen, um ver­ste­hen und nicht­ver­ste­hen, nicht um sieg – das ist wie­der so eine blöd­sin­ni­ge kampf­rhe­to­rik, aus­ge­löst von der bescheu­er­ten fuß­ball-wm.

und genau in dem ton­fall geht es dann mun­ter wei­ter: natür­lich wird auch die „kul­tur­na­ti­on“ deutsch­land wie­der ein­mal bemüht – auch so ein hane­büch­ner unsinn, der durch stän­di­ge wie­der­ho­lung auch nicht wah­rer wird: haben ande­re natio­nen kei­ne oder weni­ger kul­tur? was ist das eigent­lich für ein anti­quier­ter und unre­flek­tier­ter kul­tur­be­griff, der hier kur­siert? und das bei soge­nann­ten „ent­schei­dern“ der kul­tur­för­de­rung! das ein­zi­ge, was deutsch­land auf dem gebiet der kul­tur von ande­ren natio­nen unter­schei­det, ist doch höchs­tens sei­ne beson­ders aus­ge­präg­te und insti­tu­tio­na­li­sier­te musea­le pfle­ge der tra­di­tio­nen des 18. und vor allem 19. jahr­hun­derts in kon­zert, thea­ter, lite­ra­tur und kunst. das schlimms­te kommt aber erst noch: kul­tur, so wird zumin­dest unter­schwel­lig nahe­ge­legt, ist vor allem eine sache der eli­ten – auch wie­der so ein blöd­sinn, für den man stie­ber sofort frist­los ent­las­sen soll­te. schließ­lich ist er in der lei­tung einer öffent­lich-recht­li­chen anstalt beschäf­tigt, die von allen finan­ziert wird. was hin­ter sol­chen ideen für ein demo­kra­tie­ver­ständ­nis steht, will ich gar nicht so genau wis­sen…

doch selbst wenn man den bei­den chefs zugu­te hal­ten will, dass es ihnen ja um etwas posi­ti­ves, den erhalt der kul­tur, geht (was ich so nicht unbe­dingt tun wür­de), ihr argu­men­ta­ti­ons­an­satz und ihre begrün­dung ist ein­fach völ­lig dane­ben. „kul­tur ist eine wert­vol­le res­sour­ce für den gesell­schaft­li­chen fort­schritt, sie för­dert sozia­le kom­pe­tenz, intel­li­genz und erhöht die lebens­qua­li­tät.“ und das sehen die bei­den als kon­trär zu den die dis­kus­si­on bestim­men­den „öko­no­mi­schen kon­junk­tur­da­ten“? das ist das das­sel­be in grün… man kann sicher­lich die kul­tur im rah­men einer teleo­lo­gi­schen, mehr oder weni­ger uti­li­ta­ris­ti­schen ästhe­tik auf bestimm­te zie­le und idea­le ver­pflich­ten (jost her­mand tut das ja zum bei­spiel), aber eigent­lich soll­te, so mei­ne ich, kul­tur doch mehr sein. das gilt vor allem für ihren in die­sem zusam­men­hang eigent­lich gemein­ten teil, die kunst. die soll­te näm­lich außer­dem auch einen eigen­wert haben (von auto­no­mie muss man ja noch gar nicht unbe­dingt reden), sonst ist sie doch recht eigent­lich kei­ne kunst, son­dern „nur“ eine kul­tur­leis­tung unter vie­len ande­ren (und bräuch­te wohl auch nicht die finan­zi­el­le und struk­tu­rel­le för­de­rung, die sie bei uns – zu recht – erhält). aber die unter­schei­dung von kunst und kul­tur ist auch wie­der eine kul­tur­leis­tung, die stie­ber und kra­wi­etz offen­bar noch nicht so recht geglückt ist.

Erste Wahl

irè­ne schwei­zer erfährt ja schon län­ger mei­ne hoch­ach­tung – sie ist ein­fach eine rund­um her­vor­ra­ge­ne musi­ke­rin (dia­bo­li­ques und die vie­len duos bezeu­gen das immer wie­der). und sie ver­sorgt mich auch immer wie­der mit ganz span­nen­den kla­vier-solo erfah­run­gen, die weit über das hin­aus­ge­hen, wofür leu­te wie keith jar­rett und kon­sor­ten immer noch gefei­ert wer­den. der bezugs­punkt ist hier natür­lich auch wohl eher cecil tay­lor – und auf ihre wei­se darf man irè­ne schwei­zer durch­aus auf tay­lors stu­fe stel­len.

auch „first choice“, die cd-auf­nah­me des jubi­lä­ums­kon­zerts im kkl luzern (intakt) besticht durch die typi­schen schwei­zer-qua­li­tä­ten. in ers­ter linie ist da zu nen­nen: die abso­lut erstaun­li­che, ver­blüf­fen­de klar­heit der klang­ge­stal­tung – hier ist das auch ein ver­dienst der aus­ge­zeich­ne­ten ton­tech­nik. auch die viel­sei­tig­keit ihrer klang­far­ben ist wie­der zu bewun­dern, v.a. aber – und das macht die cd für mich so beson­ders reiz­voll, weil das mei­nen momen­tan­ten ganz gene­rel­len ästhe­ti­schen vor­lie­ben ganz beson­ders gut ent­spricht – ist es die wahn­sin­ni­ge luzi­di­tät der ent­wick­lung, die mich begeis­tert: das sind wirk­li­che akus­ti­sche licht­bli­cke, gro­ße musik. mehr muss man eigent­lich gar nicht sagen. aber man kann.
was mit die­ser lob­hu­de­lei gemeint ist, zei­gen schon die umfas­sen­de lini­en der ers­ten gro­ßen impro­vi­sa­ti­on, first choice: zwan­zig minu­ten, die wie im flu­ge ver­ge­hen, ganz ohne gro­ßes tra­ra, aber vol­ler ideen und ein­fäl­le, die­in ihrer gesamt­heit einen abso­lu­ten flow erzeu­gen – aber, und das ist eben schwei­zers genie, man muss nicht aufs ende war­ten, um die genia­li­tät und fri­sche die­ser musik zu erfah­ren – sie steckt näm­lich in (fast) jeder note.
mit direk­ter erfahr­ba­rer moti­vik und stär­ke­ren ener­ge­ti­schen impul­sen war­tet dann „into the hall of fame“ auf, immer­hin auch noch fast 10 minu­ten impro­vi­sier­tes spiel an den tas­ten. dann kom­men noch eini­ge klei­ne­re stü­cke, mit klas­si­kern – schwei­ze­res eige­ne kom­po­si­ti­on „the bal­lad of the sad café“ etwa: sehr zurück­ge­nom­men, schlicht und ein­fach melan­cho­lisch schwe­bend, eben „sad“, aber auch sehr „fein“ und kul­ti­viert. wie schwei­zer über­haupt immer deut­li­cher auf alles brim­bo­ri­um ver­zich­tet, immer deut­li­cher den ver­such macht, zum kern der aus­drucks­ge­walt von impro­vi­sier­ter musik vor­zu­drin­gen, ohne die gan­zen über­flüs­sig gewor­de­nen ges­ten und (revier-)markierungen. beim ers­ten hören: etwas gemes­se­ner, ruhi­ger im posi­ti­ven sin­ne, näm­lich poe­ti­scher, oft sogar zärt­li­cher als frü­he­re soli (man den­ke nur an die „wil­de seno­ri­tas“!) – dabei nicht ver­weich­licht, aber doch befreit von der not­wen­dig­keit des revo­lu­tio­nä­ren befrei­ungs­schla­ges, von der kämp­fe­ri­schen behaup­tung der frei­heit der musik, der impro­vi­sa­ti­on, die sich im krie­ge­ri­schen tas­ten­ge­wit­ter ent­lädt – so etwas fin­det sich in die­ser auf­nah­me eigent­lich gar nicht, zumin­dest nicht in rein­form, nur als bewuss­tes zitat, motiv, als form­bau­stein (in „first choice“ etwa).

die tech­ni­schen mög­lich­kei­ten, die der frei­en impro­vi­sa­ti­on am flü­gel heu­te, nach jahr­zehn­ten neu­er musik und free jazz, zu ver­fü­gung ste­hen, demons­triert sehr schön die fast schon stu­die oder etü­de zu nen­nen­de impro­vi­sa­ti­on „scrat­ching at the kkl“ – schwei­zer beschränkt sich dabei in der tat (fast) voll­stän­dig auf die­se art der ton­erzeu­gung, genau­er gesagt, des spiels eines tas­ten­in­stru­men­tes ohne die tas­ten, näm­lich im inne­ren des flü­gels, direkt an, auf und neben den sai­ten. weil schwei­zer aber eben in ers­ter linie musi­ke­rin ist, wird dar­aus auch wie­der ech­te musik und nicht nur die zum gäh­nen lang­wei­li­gen tech­ni­schen fir­le­fanz-spie­le­rei­en der hul­di­gun­gen an den mate­ri­al-feti­schis­mus.

schwei­zer über­führt das eher expe­ri­men­tel­le klang­stück fol­ge­rich­tig in „the loneli­ne­ss of the long distance pia­no play­er“ – als mot­to könn­te das über gro­ße tei­le ihrer kar­rie­re geschrie­ben wer­den. erschöp­fung, anstren­gung der krea­ti­ven her­vor­brin­gung… das ist offen­bar die not­wen­di­ge klei­ne atem­pau­se, denn mit theo­lo­nious mon­ks „oska t.“ legt schwei­zer noch ein­mal so rich­tig los, geht sozu­sa­gen schon fast in den end­spurt: stär­ker ryhth­misch betont.… dage­gen wirkt – für mich – das abschlie­ßen­de „jungle beats ii“ doch ein wenig wie ein fremd­kör­per, etwas leer und ziel­los scheint mir das (im ver­gleich zum anfang der auf­nah­me vor allem)

kugelblitze sausen quer durch die lüfte und mittenhinein in mein literarisches nervenzentrum

noch eine frucht des wochen­en­des: end­lich habe ich ulri­ke draes­ners letz­ten gedicht­band mit dem titel kugel­blitz (mün­chen: luch­ter­hand 2005) gele­sen – er lag ja schon eine wei­le bereit und hat auch schon zwei anläu­fe hin­ter sich gehabt, die aller­dings bei­de ins lee­re lie­fen. auch die­ses mal reich­te die begeis­te­rung nicht für den gan­zen band, der in drei gro­ße abschnit­te (mit vor­spiel und nach­spiel) unter­teilt ist: „(lie­ben)“, „(krie­ge)“ und „(spä­ter)“. fas­zi­niert hat mich vor allem der ers­te teil, im zwei­ten abschnitt fand ich viel mehr rou­ti­ne und lan­ge­wei­le für den leser, der drit­te teil zeigt aber dann wie­der stark nach oben.

das ist wirk­lich zeit­ge­nös­si­sche, moder­ne (oder schon zwei­te moder­ne?) lyrik. wesent­li­ches, immer wie­der auf­tau­chen­des moment ist die erfah­rung der natur bezie­hungs­wei­se die pro­ble­me mit der erfahr­bar­keit von natur, mit dem kon­takt zwi­schen mensch und natur, v.a. die unfä­hig­keit des ver­ste­hens ihrer zei­chen und die uner­klär­lich­keit ihrer vor­gän­ge: „nie /​sag­te jemand /​ein beg­re­fi­li­ches /​wort dazu“ (9). eben­so wie­der­keh­rend: die gemacht­heit der natur­er­fah­rung. dazu pas­sen die dunk­len ver­glei­che natur – technik/​zivilisation, wie sie in der „enten­brust“ der stra­ßen­bahn auf­taucht. und fol­ge­rich­tig heißt ein gedicht dann auch „novo e raro mira­col di natu­ra“.

natur ist dabei (natür­lich [!]) nie ein­fach nur noch natur, son­dern erst in abgren­zung vom men­schen zur natur gewor­den. dabei wird sie aber gera­de in ihrer zwit­ter­stel­lung inter­es­sant: natur scheint hier als das ande­re auf, das gro­ße gegen­über – aber (zumin­dest schein­bar) befin­det es sich auch als sol­ches wenigs­tens teil­wei­se in der ver­fü­gungs­ge­walt des men­schen – die elek­tri­zi­tät ist, beim titel des buches nicht ver­wun­der­lich, ein gern genutz­tes bild dafür: „hüh­ner säu­bern ihr ei wäh­rend du dir bereits /​einen ihrer schen­kel in den mund“ (16, novo e raro micaol di natu­ra)

das vor­drin­gen der (noch unge­bän­dig­ten) natur in den zivi­li­sa­ti­ons­raum, das hoheits­ge­biet des men­schen als ver­nunft­be­gab­tem tier – dafür steht natür­lich schon das titel­ge­ben­de bild des kugel­blit­zes: als blitz ist er zwar ein ele­men­ta­res und voll­kom­men unmit­tel­ba­res natur­er­eig­nis. aber er ist es nicht in nor­ma­ler erschei­nung, son­dern qua­si geformt, in behaup­te­ter (näm­lich vom men­schen) kugel-form, also einer geo­me­trisch „per­fek­ten“ form, d.h. der blitz wird zu einer rein nach ver­nunft­grün­den geform­ten erschei­nung (gedeu­tet). nicht nur natur wird zur zivi­li­sa­ti­on, son­dern auch und vor allem geschieht der trans­for­ma­ti­ons­vor­gang in ent­ge­gen­ge­setz­ter rich­tung, vom men­schen in die natur. aber das führt zu rei­bun­gen, zu zusam­men­stö­ßen: die natur bleibt eben auch dann noch, wenn men­schen sie nach eige­nen „ideen“ for­men wol­len, „ver­schlos­sen“, dun­kel und unver­ständ­lich: “ er dach­te auf ihn. /​so ver­ste­hen wir ‚natur‘. ist toll­wut /​wenn einer sich wehrt? ach, es bud­delt /​nach zufall, pfeift auf gedächt­nis, mischt.“ (77)

dazu wird dann vor draes­ner als kunst­voll erdach­ter und aus­ge­führ­ter kon­tra­punkt das dia­lo­gi­sche moment der gedich­te (in der ers­ten und der drit­ten per­son, im indi­ka­tiv und kon­junk­tiv), die anre­de des „du“ ein­ge­führt: der ver­such, die lie­be zu beschrei­ben, zu kon­sta­tie­ren, zu behaup­ten und selbst­ver­ständ­lich auch wie­der zu for­men – samt den not­wen­dig dam­ti ein­her­ge­hen­den zwei­feln. der ers­te gro­ße teil des buches heißt nicht umsonst „(lie­be)“. und spä­ter heißt es ein­mal: „falls dies stimmt /​/​wird auch das paar eine ver­mu­tung sein“ (22). die lie­be, also die ver­bin­dung von ich und du zum wir, steht dabei genau wie schon das sub­jekt für sich, immer in fra­ge, ist nicht mehr ohne wei­te­res als gelin­gen­de vor­aus­zu­set­zen: „das röhr­chen der lie­be (ver­lo­ren)“ (28), „siche­rer auch /​/​du?“ (30)

das gan­ze geschieht eigent­lich immer in sehr geziel­tem auf­bau und mehr­deu­tig­kei­ten: über­lap­pen­de sät­ze ohne glie­de­rungs­zei­chen, per­fek­ti­on des enjam­be­ments, sei­ner mehr­deu­tig­keit im syn­tak­ti­schen sinn sind mit­tel, die draes­ner per­fek­tio­niert hat. dazu passt auch der hohe grad an refle­kiert­heit – nie etwas unbe­dach­tes, kein wort, über das nicht nach­ge­dacht wur­de – genau das, was lyrik eben aus­ma­chen (soll­te). das wie­der­um ent­spricht der unmög­lich­keit der unmit­tel­ba­ren erfah­rung, von der eigent­lich auch jedes gedicht berich­tet – das wah­re träu­men: „sie dach­te wie solch ein tier wohl schläft mit dem blu­men­topf­rü­cken /​und sah mit brau­nem zucker bestreut all das ver­täum­te tra­ra /​(angeb­lich des traums) aber sofort war er wach (die ohren) sofort /​/​fiel er wie­der um wie ein kind – wie es weint – alle /​gefüh­le also sei­en erlernt“ (19). schuld an die­ser grund­le­gen­den ent­frem­dung des men­schen von sei­ner umge­bung und sei­ner selbst ist z.b. die „nähe von maschi­nen“ (19, so heißt das gedicht)

wie es sich für echt moder­ne lyrik gehört (und das ver­ges­sen ja vie­le autoren und ande­re lei­der immer wie­der) wird außer­dem auch die gene­rel­le pro­ble­ma­tik des sub­jek­tes, sei­ner iden­ti­tät und die der ande­rer men­schen (als adres­sa­ten – der spra­che, der lyrik, der lie­be) the­ma­ti­siert. „dies löch­ri­ge tuch ich spre­che /​/​dich /​/​durch es. wenn ich sage ‚du‘. wenn /​cih sage ‚ich woll­te …‘ ‚ich …‘ ein /​kin­der­ge­sicht. oh gesperrt! löch­ri­ger /​/​busch: so sprech ich dich wenn. /​ich sage: du, eben, lüs­tern“ an ande­rer stel­le heißt es dann: „du bist. doch wo? /​[…] du bist nicht /​wo nicht wen, du /​gehst, der wald steht still. /​[…] /​[…] ein /​schat­ten ruft. was altes /​weiß von dir. die keh­le /​streckt sich schon. der /​wolf liebt sei­nen satz. /​das rudel ruft.“ (81, vor gram­ma­tik). und damit wird auch der nächs­te gro­ße the­men­kom­plex die­ser lyrik deut­lich: außer­dem in fra­ge gestellt wer­den die wor­te in all­ge­mei­nen. genau­er gesagt, wird auch hier nur die grund­le­gen­de erfah­rung der moder­ne, das alles in fra­ge steht, nur noch bekräf­tigt, auf­ge­nom­men und ver­ar­bei­tet. beson­ders gilt dies natür­lich für die ver­bin­dung wort – ding: „das eich­hörn­chen dreh­te /​die nuss eif­rig wie wir das wort ‚nuss‘ /​im gehirn“ (23). auch ein titel greift das auf: „tau­cher, rade­brech /​(vom vier­fa­chen sinn der schrift)“ (82). die ver­ge­gen­wär­ti­gung der schil­ler­schen bal­la­de geht dann unge­fähr so: „anzü­ge mit füßen hin­gen /​am gelän­der, im trock­ner /​hin­gen köp­fe /​/​je wei­ter ein boot ent­fernt ist /​umso tie­fer nach unten muss man /​um es zu hören /​/​mit dem andrang der schwär­ze /​gegen die mas­ke vorm gesicht. /​/​ertrinken.verstehen“ (82) – das ist natür­lich die tra­gik über­haupt: erst ertrin­ken, dann ver­ste­hen … die bei­den letz­ten gedich­te füh­ren das noch ein­mal alles zusam­men. da heißt es dann „sehn­sucht rief mich /​hast du ner­ven /​gern kom­me ich gern /​bin dei­ner stim­me ich /​gefolgt /​immer so blu­men /​blit­zend, ver­wirrt (84), wäh­rend die letz­ten zei­len, das post­skrip­tum (außer­halb der drei gro­ßen tei­le) die schrift­form schon nahe­zu voll­stän­dig ver­lo­ren ist und nur noch spra­che ist – in laut­schrift notiert, auf eng­lisch – wenn ich das rich­tig ent­zif­fert habe, steht da: „you too /​loved you /​was inven­ted“

der zwei­te teil, „(krie­ge)“, blieb mir zumin­dest bei der ers­ten lek­tü­re jetzt ver­schlos­se­ner, nüch­ter­ner und oft auch deut­lich gewoll­ter. die poli­ti­sche absicht etwa lässt sich zu leicht spü­ren und fas­sen – das tut der (kunst-)erfahrung der lyrik nicht gut. dabei ver­lie­ren die gedich­te glei­cher­ma­ßen an deut­lich­keit wie an der so fas­zi­nie­rend, weil stu­pend beherrsch­ten mehr­deu­tig­keit.
„mit eige­nen augen sehen: getrimmt /​zoo­men begrif­fe weg. bis wir tröp­felnd /​vor sehn­sucht und glau­ben dalie­gen wie /​der kopf einer gelieb­ten kat­ze unter /​einer hand, die uns strei­chelt oder streicht,“ (62f)

das ist alles zusam­men natür­lich ein fast wahn­sin­ni­ges pro­gramm. wer glaubt, ob all die­ser fra­gen, die­ser theo­re­tisch-reflek­tie­ren­den gedan­ken­gän­gen gin­ge der kunst­cha­rak­ter der gedich­te ver­lo­ren, der itt. denn es ist kein wahn, kei­ne hybris. denn die gedich­te blei­ben trotz der gefahr der theo­re­ti­schen über­las­tung meist, d.h. in ihren über­wie­gen­den tei­len, immer auch sinn­li­che gebil­de. eine unmit­tel­ba­re qua­li­tät der fügung ihrer wor­te (weni­ger der rhyth­men, mehr aus dem klang und den ver­misch­ten, kreuz und quer geschich­te­ten bild­lich­kei­ten gear­bei­tet) fes­selt das lesen­de auge und hirn, die vor­stel­lungs­kraft. und sie zeu­gen von der fas­zi­nie­ren­den kon­zen­tra­ti­on, die die­se gedich­te bestimmt. mehr lässt sich von lyrik eigent­lich kaum noch ver­lan­gen. man­ches ist dabei durch­aus grenz­wer­tig – qua­li­täts­mä­ßig gese­hen: wenn genau die­se kon­zen­tra­ti­on sich ver­liert, wirkt das gan­ze sehr schnell nur noch manie­ris­tisch. aber es bleibt fest­zu­hal­ten: das sind 85 sei­ten pure poe­sie unse­rer zeit mit der ver­hei­ßung, die­se auch zu über­dau­ern. w

dunkle bilder und düstere texte

das soll jetzt nicht den ein­druck erwe­cken, bei peter schü­ne­manns klei­nem, aber fei­nem band mit erzäh­lun­gen: dunk­les bild (mün­chen: han­ser 2005) han­de­le es sich um depres­si­ve pro­sa. aber die erfah­rung der dun­kel­heit in ver­schie­de­nen gra­den, der düs­ter­nis (gera­de im kon­trast mit den auf­schei­nen­den licht(blitzen)) ist doch ein pär­gen­des ele­ment die­ser drei herr­li­chen tex­te. ihre dun­kel­heit, sprach­macht und ja, auch ihre men­schen­lie­be, sowie natür­lich ihre bild­lich­keit erin­nern mich teil­wei­se (v.a. im dunk­len bild) doch recht deut­lich an tex­te von chris­toph rans­mayr, beson­ders des­sen letz­te welt.

zwei tex­te haben mich beson­ders beein­druckt: zunächst der die samm­lung eröff­nen­den und titel­ge­ben­de, dunk­les bild. schü­ne­mann erzählt in andeu­tun­gen, sorg­fäl­tig gesteu­er­te infor­ma­ti­ons­ver­ga­be (d.h. vor allem infor­ma­ti­ons­kon­trol­le: das ist einer die­ser ganz sel­te­nen tex­te, die nur ganz wenig und nur ganz all­mäh­lich mit­tei­len, aber den­noch unge­heu­er leben­dig und fas­zi­nie­rend sind), der erzählt also von einem maler, der vor­über­ge­hend (die grün­de und umstän­de sind nicht so ganz klar), ein blin­des kind bei sich auf­ge­nom­men hat. zusam­men erfah­ren sie vor allem die käl­te (und den man­gel über­haupt). der maler ist auf der suche, auf der rei­se zu einem unge­mal­ten und unge­se­he­nen bild – er wird es erst im moment sei­nes selbst­mor­des erken­nen, der so zu einem wah­ren und wirk­li­chen moment der erlö­sung und der schau der rei­nen wahr­heit (was natür­lich auch einen anspie­lung auf nova­lis, der jüng­ling zu sais, ist) wird (übri­gens ist der tod (absicht­lich her­bei­ge­führt oder nicht) zen­tra­les motiv von schü­ne­manns erzäh­lun­gen): „dann ließ ich los; un in der ver­hal­len­den sekun­de sah ich end­lich das bild, es waren nicht mehr die kal­ten augen der sta­tu­en, jahr­tau­send­alt, es war das klei­ne gesicht, weiß, die ver­brann­te hoff­nung in der licht­lo­sen nacht, nur sehr fern und allein das zar­te leuch­ten in der tie­fe sei­ner augen, das bild nun, nach dem ich geforscht, und der lei­se laut, der micht im sturz noch traf. “ (24)

im zitat wird die qua­li­tät der schü­ne­mann­schen pro­sa schon ziem­lich deut­lich: expres­sio­nis­tisch beein­flusst, man könn­te es fast eine bil­der­or­gie nen­nen. die spra­che lebt von der kraft ihrer bild­lich­keit, d.h. ihrer meta­phern und ver­glei­che. beson­ders in der mas­sie­rung wirkt das gera­de in dunk­les bild unge­heu­er kon­zen­triert – obwohl die­se erzäh­lung nur ein kur­zes stück ist, so ist sie doch von fes­seln­der, unbe­zwun­ge­ner und unge­zähm­ter, also unmit­tel­ba­rer kraft. aller­dings eben nicht so, wie das im moment eher zeit­ge­mäß wäre, als schein­ba­re rea­li­täts­na­he, unmit­tel­ba­re spra­che ohne stil­wil­len. gera­de der enor­me stil­wil­len, die enor­me geformt­heit der spra­che, der wor­te und ihrer ver­knüp­fun­gen zu sät­zen und absät­zen, ist es erst, was mich beim lesen so unge­heu­er fes­selt. dazu kommt dann die bereits ange­spro­che­ne rei­che meta­pho­rik und die post­fi­gu­ra­ti­ve moti­vik.

die treibt vor allem in der zwei­ten erzäh­lung, zwie­land. eine büch­ner suite, ihre spiel­chen mit dem leser. denn die­ser text ist bis zum über­quel­len voll­ge­stopft mit anspie­lun­ge­nen, wie­der­auf­nah­men, abwan­deln­dem auf­grei­fen von bestimm­ten for­mu­lie­run­gen, moti­ven, ideen aus büch­ners tex­ten – aus dem dan­ton, aus leon­ce und lena, natür­lich aus dem lenz, aber auch aus den brie­fen und vie­lem ande­ren mehr. die erzähl­si­tua­ti­on ist recht ein­fach: eine betrach­tung der letz­ten tage georg büch­ners. der autor liegt mit faul­fie­ber in sei­ner eige­nen vari­an­te der matra­zen­gruft, wird von caro­li­ne und wil­helm schulz gepflegt, von min­na besucht. das gan­ze sowohl in der eigen­per­spek­ti­ve büch­ners als auch beob­ach­tend, mit gro­ßer klar­heit als auch im fie­ber­traum eine para­dies der post­fi­gu­ra­tio­nen im quer­gang durch rück­blick, bio­gra­phie und werk­schau.

der drit­te text in die­sem band, die novel­le zen­ons spur, scheint mir gegen die­se bei­den erzäh­lun­gen etwas abzu­fal­len. jetzt ist es vor allem die auf­lö­sung des (künst­le­ri­schen) lebens in das nichts, das erzählt wird: ein bru­der­paar, maler und schrift­stel­ler, an der schwel­le zum tod. der maler, epi­lep­ti­ker, erliegt einer krank­heit, hat zuvor noch sämt­li­che über­res­te sei­ner künst­le­ri­schen tätig­keit getilgt. sein bru­der, schrift­stel­ler, folgt ihm offen­bar in den tod. mir aller­dings fehlt die­ser novel­le die spann­kraft, das fes­seln­de moment oder ein­fach die kon­zen­tra­ti­on der bei­den ande­ren erzäh­lun­gen. es kann frei­lich auch sein, dass ich nur noch nicht den pas­sen­den zugang, den rich­ti­gen moment der lek­tü­re erwischt habe.

als gan­zes mag das zwar zunächst wie ein reich­lich ana­chro­nis­ti­sches unter­neh­men erschei­nen, was schü­ne­mann hier vor­legt. aber jen­seits von plat­tem aktua­li­täts­drang, von pseu­do-kunst und gewoll­ter bedeut­sam­keit, ist das offen­sicht­lich ein ver­such der ver­schmel­zung: das durch­aus in hohen dosen vor­han­den pathos die­ser expres­sio­nis­tisch ange­hauch­ten spra­che und ihrer väter wie kleist, nova­lis, höl­der­lin (büch­ner natür­lich auch) zeigt sei­ne über­zeit­lich­keit, stellt sei­ne wei­ter­hin mög­li­che funk­ti­on auch im 20. (alle tex­te sind nicht mehr ganz tau­frisch) bzw. natür­lich auch im 21. jahr­hun­dert zumin­dest zur dis­kus­si­on, wenn nicht gar unter beweis. zumin­dest ich möch­te das behaup­ten, denn der ver­such, das echo, den ruf ver­gan­ge­ner zei­ten hier ein­zu­fan­gen und leben­dig und vor allem wirk­mäch­tig zu machen, ist schü­ne­mann offen­sicht­lich gelun­gen. das sagt nun aller­dings wenig über die all­ge­mei­ne ver­füg­bar­keit die­ser art von spra­che (die auch eine bestimm­te art des den­kens, vor allem aber der wahr­neh­mung der welt und des sub­jek­tes impli­ziert) aus – peter schü­ne­mann kann dar­über gebie­ten, und das ist ein glor­rei­cher sieg für den autor, aber auch für den leser, der dafür noch ein paar offe­ne ner­ven­enden hat.

die all­jähr­li­che som­mer­loch-repor­ta­ge erwischt heu­te die orgel­an­la­ge im main­zer dom. in der rhein-zei­tung noch mit schö­nen fotos gar­niert.

die köni­gin ist über­all zugleich und tritt in vie­ler­lei ver­klei­dung her­vor. sie wis­pert ein­mal zart aus dem west­chor, braust unmit­tel­bar darauft mit der gan­zen kraft ihrer mecha­ni­schen lun­gen über das chor­ge­stühl. und vom ost­chor kommt ver­hal­ten das sanft tönen­de echo zurück: das ist die orgel im main­zer dom.

sie kann selbst im son­nigs­ten hoch­som­mer den advent her­auf beschwö­ren und weih­na­chen in unmit­tel­ba­re nähe rücken. denn mit ihrem uner­schöpf­li­chen reich­tum an klang­far­ben und fein abge­stuf­ten laut­stär­ken lässt sie dem orga­nis­ten freie hand: sie lässt ihn melan­cho­li­sche trau­er andeu­ten, in über­schäu­men­der freu­de jubeln oder mit sanf­ter ein­dring­lich­keit zur ein­kehr mah­nen. denn seit dem letz­ten gro­ßen umbau von 1965 ist die main­zer dom­or­gel ein instru­ment, das es so nur ein­mal in deutsch­land gibt. eigent­lich besteht sie aus gleich vier orgeln: da ist die hin­ter dem chor­ge­stühl ver­steck­te orgel im west­chor und eine kom­plet­te orgel auf der ande­ren sei­te des doms, im ost­chor. dazu kommt das instru­ment an der nord­wand des quer­hau­ses und natür­lich das zen­trum, die pfei­fen auf der süd­em­po­re. dort steht auch der spiel­tisch, von dem der dom­or­ga­nist albert schön­ber­ger die fast 8000 pfei­fen der 114 regis­ter beherrst. denn wenn die orgel die köni­gin der instru­men­te ist, dann müss­te schön­ber­ger der könig der musik im main­zer dom sein. aber dafür ist er frei­lich viel zu beschei­den und zurück­hal­tend: ihn inter­es­sie­ren nur die mög­lich­kei­ten, die das zusam­men­spiel von raum und klang für die musik ber­gen. auf die ein­ma­li­ge anla­ge der main­zer dom­or­geln ist er aber schon ein wenig stolz. schließ­lich steht hier der größ­te spiel­tisch deutsch­lands: eine kom­pli­zier­te steu­er­zen­tra­le, die so man­chem flug­zeug zur ehre gerei­chen wür­de. nicht nur sechs tas­ta­tu­ren und die peda­le, die unzäh­li­gen schal­ter und steue­run­gen für die ein­zel­nen regis­ter, zur farb­wahl, auch tele­fon, laut­spre­cher, mikro­fon und video­ka­me­ra samt bild­schirm hat der orga­nist an sei­nem arbeits­platz oben auf der süd­li­chen chor­em­po­re.

die im gan­zen raum ver­teil­ten ein­zel­tei­le der gro­ßen orgeln machen dem orga­nis­ten das leben und vor allem das spie­len aller­dingst nicht gera­de leicht. die main­zer orgel gehört selbst für den dom­or­ga­nis­ten albert schön­ber­ger zu den am schwers­ten zu bespie­len­den orgeln über­haupt. aber sie hat für ihn auch einen unschätz­ba­ren vor­teil: „sie bringt den raum zum schwin­gen – kaum eine kir­che ist so von klang erfüllt wie der main­zer dom“, schwärmt er. dafür nimmt er dann nicht nur den stei­len auf­stieg über die enge wen­del­trep­pe auf die süd­em­po­re ger­ne in kauf, son­dern auch den umstand, dass er immer wie­der „auf den hei­li­gen geist war­ten muss, mit strom und luft“. bis der ton, den sein fin­ger­druck auf die tas­te erzeugt, ihm über­haupt zu ohren kommt, dau­ert es näm­lich stets eini­ge sekun­den – der teil der orgel im ost­chor ist weit ent­fernt. aber schön­ber­ger wür­de die­se beson­de­ren spi­ri­tu­el­len mög­lich­kei­ten nie auf­ge­ben wol­len: „der raum ver­edelt die musik nach sei­ner art. die impul­se muss man als orga­nist natür­lich auf­neh­men“ – und dafür ist schön­ber­ger ja auch genau der rich­ti­ge, näm­lich ein raf­fi­nier­ter und gewand­ter impro­vi­sa­tor. frei­lich, bei der dar­stel­lung von orgel­wer­ken mit beson­ders kunst­voll ver­schlun­ge­nen stim­men bekommt aller­dings auch er pro­ble­me: der lan­ge nach­hall lässt hier vie­les ein­fach ver­schwin­den. doch für sol­che musik hat schön­ber­ger inzwi­schen noch eine extra-orgel, die in der gott­hard-kapel­le steht. ein neu­bau, in klas­si­scher tra­di­ti­on gefer­tigt, bes­tens geeig­net für poly­pho­ne orgel­wer­ke vom barock bis in die roman­tik.

das aller­neu­es­te ele­ment in die­sem tönen­den orga­nis­mus sind aber die kar­di­nal­s­trom­pe­ten, die zum zwan­zig­jäh­ren jub­liäum von bischof leh­mann 2003 in die wäch­ter­stu­be ein­ge­baut wur­den. und sie sind mit sicher­heit der spek­ta­ku­lärs­te teil: fern­ge­steu­ert schal­tet sich das licht in der wäch­ter­stu­be ein, die fens­ter zum dom öff­nen sich auto­ma­tisch und die auf einen schlit­ten mon­tie­ren trom­pe­ten­pfei­fen fah­ren in den dom hin­ein – und schmet­tern dann so rich­tig los.

so eine gewal­ti­ge anla­ge braucht auch eine men­ge pfle­ge. vor allem, wenn sie in die jah­re gekom­men ist. die haupt­tei­le der orgel sind mitt­ler­wei­le über 40 jah­re in betrieb und des­halb sehr stör­an­fäl­lig: „die elek­tri­schen kon­tak­te, die lei­tun­gen – das ist damals alles sehr bil­lig und ein­fach gebaut wor­den. und heu­te haben wir unheim­li­che pro­ble­me damit“, erzählt schön­ber­ger. der orgel­bau­er ernst-micha­el breit­mann ist immer wie­der im ein­satz, um defek­te tei­le aus­zu­tau­schen und über­haupt die spiel­bar­keit der dom­or­geln zu sichern. doch abge­se­hen davon zeigt sich schön­ber­ger immer noch sehr zufrie­den mit sei­nem instru­ment. auch bei der sanie­rung des dom­in­nen­rau­mes in den nächs­ten jah­ren wird es wohl kei­ne grund­le­gen­den ände­run­gen geben. „hier und da lässt sich noch etwas opti­mie­ren, damit die gemein­de von der orgel bes­ser ange­spro­chen wer­den kann. die orgel spielt näm­lich über­all hin, nur nicht dort, wo die gemein­de ver­sam­melt ist“, gesteht er ein. aber an der beson­de­ren ver­tei­lung der orgeln über den dom­raum möch­te er aber unbe­dingt fest­hal­ten.

deutsche literaturgeschichte in einer stunde

auch wenn kla­bund der ver­fas­ser der jetzt als nach­druck der zwei­ten auf­la­ge von 1921 beim tex­tem-ver­lag erschie­nen deut­schen lite­ra­tur­ge­schich­te in einer stun­de. von den ältes­ten zei­ten bis zur gegen­wart istdie auto­ri­tät des schrift­stel­lers reicht in die­sem fal­le nicht aus, über die män­gel sol­cher unter­neh­men hin­weg­zu­täu­schen. das sind natür­lich zufor­derst ganz prin­zi­pi­el­le – eine sol­che „lite­ra­tur­ge­schich­te“ kann weder lite­ra­tur noch geschich­te sein, sie ist bloß eine knap­pe ver­samm­lung der höhen­kamm­li­te­ra­tur, eine auf­zäh­lung des kanons. auch wenn kla­bund sein ziel noch anders ver­fehlt – in einer stun­de wird der text kaum zu schaf­fen sein, ich brauch­te fast drei dafür (und habe nicht sehr getrö­delt). auf­fal­lend an kla­bunds unter­neh­mung sind eher die immer wie­der ein­ge­streu­ten unbe­kann­ten namen – z.b. johann chris­ti­an gün­ther, zu dem ihm ein­fällt: „wie ein sturm­wind braust [er], der göt­ter­bo­te einer neu­en zeit, in die deut­sche dich­tung.“ (35) anläss­lich eines ande­ren unbe­kann­ten schwingt er sich zu wah­ren groß­ta­ten auf: salo­mon „geß­ner war ein­mal eine euro­päi­sche berühmt­heit. es wird nicht bes­ser wer­den in der welt, ehe es geß­ner nicht wie­der ist. wir wer­den erst dann ewi­gen frie­den haben, wenn arka­di­sche dich­ter wie er wahr­haft popu­lär gewor­den sind.“ (41)

und damit sind wir ja auch schon beim eigent­li­chen pro­blem: kla­bund ist ein beken­nen­der und gna­den­lo­ser empha­ti­ker, um eine kürz­lich auf­ge­brach­te unter­schei­dung hier anzu­wen­den. als autor hat er natür­lich jedes recht, ein sol­cher zu sein – als lite­r­ar­his­to­ri­ker mei­nes erach­tens aber über­haupt kei­nes. und es ist natür­lich sehr pas­send, dass aus­ge­rech­net vol­ker wei­der­mann, an des­sen „licht­jah­re“ sich die von hubert win­kels (zeit vom 30.3.) ein­ge­führ­te unter­schei­dung der lite­ra­tur­kri­ti­ker zwi­schen empha­ti­kern und gnos­ti­kern über­haupt ent­zün­de­te, das vor­wort zu die­sem nach­druck bei­steu­ert: eine rück­ver­ge­wis­se­rung des eige­nen unter­neh­mens – seht her, auch der gro­ße kla­bund war (wie ich) ein empha­ti­ker! und die „licht­jah­re“ sind dann auf ein­mal so etwas wie eine fort­set­zung von kla­bunds werk, der ja zu beginn des 20. jahr­hun­derts auf­hört zu lesen und sich zu begeis­tern (und schon ab der zwei­ten hälf­te des 19. jahr­hun­derts gehö­rig ins schwim­men gerät und kaum noch sor­tiert bzw. zwi­schen gut und schlecht unter­schei­det und des­halb not­ge­drun­gen auch nichts mehr wirk­lich beschreibt, son­dern alles nur noch gehetzt anrei­ßen kann).

als sol­cher prä­sen­tiert kla­bund natur­ge­mäß einen voll­kom­men sub­jek­ti­ven blick auf die geschich­te der deut­schen lite­ra­tur und tut doch gleich­zei­tig so, als sei dies eine rich­ti­ge lite­ra­tur­ge­schich­te. dazu pas­send ist sein ansatz viel zu sehr per­so­nal geprägt, um wirk­lich zu rele­van­ten ein­schät­zun­gen zu kom­men – per­so­nal inso­fern, als er bedeu­tung zunächst an sei­ner eige­nen lese­er­fah­rung misst und per­so­nal auch inso­fern, als er lite­ra­tur­ge­schich­te als geschich­te von autoren­per­so­nen schreibt (die fast durch­weg männ­lich sind, natür­lich). das ergibt ein ziem­li­ches misch-masch, geprägt von einer fast aus­schließ­lich iden­ti­fi­ka­to­ri­schen lek­tü­re. epo­chen, geis­ti­ge ver­bin­dungs­li­ni­en, tra­di­tio­nen etc. kom­men bei ihm allen­falls am ran­de vor. und solch ein ansatz führt natur­ge­mäß zu eini­gen gerech­ten, aber auch zu eini­gen unge­rech­ten urtei­len und feh­lern (z.b. das hier: „fried­rich schil­ler ist der dich­ter der jugend“ (53) – dazu muss man schon eini­ges aus dem werk schil­lers aus­blen­den) – immer­hin unter­nimmt kla­bund nicht noch den ver­such, das zu ver­ber­gen: die (selbst-)sicherheit des urtei­lens hat schon fast etwas groß­ar­ti­ges. als zeit­do­ku­ment und in sei­ner aus­gra­bung gera­de zu die­sem zeit­punkt heu­te, wo sich immer mehr lite­ra­tur­kri­ti­ker als empha­ti­ker genü­gen und dar­auf auch noch stolz sind (was natür­lich in der tra­di­ti­on des gro­ßen grau­en­haf­ten anti-kri­ti­kers reich-rani­cki steht), ist das immer­hin eine ergötz­li­che lek­tü­re – für his­to­ri­sche wahr­heit und gerech­tig­keit ist kla­bund hier halt nicht zustän­dig.

dreckig oder sauber? peaches‘ drittes album „impeach my bush“

in der spex ein grau­en­haft text über oder bes­ser gesagt neben das album (das näm­lich kaum vor­kommt). aber immer­hin schafft er es, mich dann doch zum hören zu inspi­rie­ren – was denn so einen krieg der begrif­fe, so ein schlag­wort­ge­stam­mel heut­zu­ta­ge noch aus­lö­sen kann, will ich schon wis­sen: pea­ches: impeach my bush. das ist, da muss man natür­lich fair sein, trotz allen gere­des zunächst ein­mal eine pop‑, d.h. elek­tro­punk oder so ähn­lich, plat­te. und als sol­che ist sie ziem­lich erfolg­reich. die zeit hat pea­ches mal die „punk­in­spi­rier­te gen­der-theo­re­ti­ke­rin” genannt, weil sie so schön spie­le­risch auf den ent­spre­chen­den vor­ur­tei­len, ste­reo­ty­pen und kon­struk­ten her­um­spielt, sie lächer­lich macht und das gan­ze schön gekonnt per­for­ma­tiv vor­führt. vor allem ist das aber (lei­der) viel weni­ger poli­tisch als ich hoff­te, und auch viel weni­ger kri­tisch oder gen­der-theo­re­tisch – aber ich bin ja sowie­so immer mehr der über­zeu­gung, dass kunst und ins­bes. pop nur bedingt für sol­che din­ge geeig­net sind – und gera­de wenn sie es ganz fes­te wol­len, klappt es meis­tens über­haupt nicht – weder inhalt­lich sozu­sa­gen noch künst­le­risch. das ist bei pea­ches wenigs­tens inso­fern anders, als impeach my bush nach kri­te­ri­en des pop ziem­lich gut zu funk­tio­nie­ren scheint – und gar nicht so wenig spaß macht. – songs wie „tent in your pants” oder „slip­pery dick” kön­nen durch­aus mit text­li­chem und musi­ka­li­schem witz auf­war­ten – auch wenn mir eini­ges schon wie­der zu rockig (halt ein wenig elek­tro­ni­scher ver­spielt und kon­stru­iert) wird. schön ist frei­lich auch die wen­dung in der kur­zen ein­lei­tung der cd, „fuck or kill”: „i’d rather fuck who i want, when kill who i told to” – klar, das wür­den wohl die meis­ten von uns. aber was folgt dar­aus? außer­dem: beson­ders dre­ckig ist das alles gar nicht mehr – genau das ist ja das alles läh­men­de pro­blem des pop: sub­ver­si­on ist in die­sem feld nicht mehr mög­lich (vgl. dazu beh­rens‘ auf­satz), und schon gar nicht „revo­lu­ti­on” – auch wenn pea­ches das behaup­ten mag: „die revo­lu­ti­on kann jetzt auf gan­zer ebe­ne los­ge­hen.” (steht so in der spex vom juli). denn auch „als infil­trie­rung ver­stan­de­nes enter­tain­ment“ (ebd.) ist eben enter­tain­ment und kommt da – in der regel – nicht mehr lebend her­aus: auch pea­ches ist inso­fern nur eine mar­ke. und die ist zwar noch nicht ganz so kli­nisch rein wie vie­le ande­re auf dem glo­ba­len markt der selbst­ver­käu­fer, aber so rich­tig dre­ckig auch nicht (mehr). inte­res­ant übri­gens, dass die ber­li­ner zei­tung das viel bes­ser ver­stan­den hat als die spex: da heißt es näm­lich: „Das ist alles ehren­haft. Als ernst­ge­mein­ter Dis­kurs­bei­trag wirkt die Sexe­rei jedoch über­holt. Schließ­lich gibt es für jed­we­de sexu­el­le Prä­fe­renz eine coo­le Vor­abend­se­rie; und die Ubi­qui­tät der Por­no­gra­phie, ob in enzy­klo­pä­di­schen Fetischspar­ten im Netz, in Kon­zept­kunst und Kunst­ki­no bringt wohl außer Hard­core-Isla­mis­ten und christ­li­chen Eksta­ti­kern nie­man­den mehr in Ver­le­gen­heit. Sich metro­se­xu­ell für den Markt her­zu­rich­ten ist ande­rer­seits vom smar­ten Ban­ker zum gegel­ten Tür­ken­kid längst zwin­gen­des Pro­gramm. Zu den­ken, es hel­fe dem Kna­cken von Iden­ti­täts­fi­xie­run­gen, wenn alle gemein­sam an alber­nen Kör­per­nor­mie­run­gen lei­den, wirkt so kurz­schlüs­sig wie die Idee, sexu­el­le Macht­ver­hält­nis­se zer­brä­chen, wenn man sie ein­fach umkehrt.” (ber­li­ner zei­tung)

ganz viele zeichen – zu viele?

macht die anein­an­der­rei­hung von ganz vie­len zei­chen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art textagen­tur mit dem anspruch beson­de­rer inno­va­ti­vi­tät, scheint der idee nicht abge­neigt zu sein. ihre chefs mat­thi­as edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zei­chen einen roman genannt. so vie­le zei­chen sind das aber gar nicht – im groß­zü­gi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf mei­ne lese­lis­te gekom­men ist – ich habe kei­ne ahnung, das ist eben manch­mal der nach­teil so exten­si­ver lis­ten­füh­re­rei­en… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die ame­ri­ka­ni­sche gangs­ter­sto­ry oder eher den gangs­ter­film nach euro­pa zu ver­le­gen. weil die autoren (oder, wie sie sich selbst benen­nen, das „autoren­team“) dafür aber über zu wenig krea­ti­vi­tät, vor­stel­lungs­kraft, stil­ge­fühl und ästhe­ti­sche urteils­si­cher­heit ver­fügt, klappt das nicht so rich­tig – ist auch alles eine stu­fe harm­lo­ser: stu­dent, der im pfle­ge­heim arbei­te­te, schnappt sich das vie­le bar­geld einer sei­ner gera­de ver­stor­be­nen pati­en­tin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine hei­ße frau mit, die sich auch noch als klug her­aus­stellt, erlebt ver­schie­de­ne „aben­teu­er“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas ver­sehrt, mit sei­ner traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unaus­weich­ba­re ergeb­nis, wenn krea­ti­ve beson­ders krea­tiv und auch noch inno­va­tiv oder avant­gar­dis­tisch sein wol­len: eine außer­or­dent­lich bemüh­te plot-kon­struk­ti­on (deut­lich zu mer­ken der kon­struk­ti­ons­plan…), ein grau­en­haft bana­ler sti­lis­ti­scher brei, total plat­te und abge­lut­sche moti­ve und so wei­ter. – ande­re erklä­rungs­mög­lich­keit: so etwas pas­siert, wenn krea­ti­ve kur­se für krea­ti­ves schrei­ben besu­chen. der kunst­wil­len führt aber nur zur pseu­do­kunst – etwa im nach­rich­ten­ti­cker, der unten über die sei­ten läuft. viel­leicht ist das ja als beson­de­re rea­li­täts­ver­si­che­rung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das bes­te noch der titel oder eigent­lich der gesam­te para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­li­cher ver­weis auf das refe­renz­sys­tem die­ses tex­tes: frü­her stand hier ein bon­mot eines dich­ters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­li­ches, jetzt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hel­len augen­blicks eines schau­spie­lers): „es gibt zu vie­le schwät­zer, zu vie­le lüg­ner, zu vie­le die­be. das beschleu­ni­gungs­tem­po unse­rer kul­tur [!!] ist so hoch, das bie­tet güns­ti­ge bedin­gun­gen für arsch­lö­cher. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­nung bil­den.“ oder auch die auf­ma­chung – wirkt fast wie real­sa­ti­re (titel mit prä­sen­ta­tor, auf­ruf zur text­ein­sen­dung „aller gewichts­klas­sen“), über­treibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cate­ring von „mama&mama“ – sehr wit­zig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwin­kern­den auge – es gibt kaum schlim­me­res als so ent­stan­de­ne tex­te – die sind näm­lich fast nie wirk­lich wit­zig und schon gar nicht gut)

macht die anein­an­der­rei­hung von ganz vie­len zei­chen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art textagen­tur mit dem anspruch beson­de­rer inno­va­ti­vi­tät, scheint der idee nicht abge­neigt zu sein. ihre chefs mat­thi­as edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zei­chen einen roman genannt. so vie­le zei­chen sind das aber gar nicht – im groß­zü­gi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf mei­ne lese­lis­te gekom­men ist – ich habe kei­ne ahnung, das ist eben manch­mal der nach­teil so exten­si­ver lis­ten­füh­re­rei­en… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die ame­ri­ka­ni­sche gangs­ter­sto­ry oder eher den gangs­ter­film nach euro­pa zu ver­le­gen. weil die autoren (oder, wie sie sich selbst benen­nen, das „autoren­team“) dafür aber über zu wenig krea­ti­vi­tät, vor­stel­lungs­kraft, stil­ge­fühl und ästhe­ti­sche urteils­si­cher­heit ver­fügt, klappt das nicht so rich­tig – ist auch alles eine stu­fe harm­lo­ser: stu­dent, der im pfle­ge­heim arbei­te­te, schnappt sich das vie­le bar­geld einer sei­ner gera­de ver­stor­be­nen pati­en­tin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine hei­ße frau mit, die sich auch noch als klug her­aus­stellt, erlebt ver­schie­de­ne „aben­teu­er“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas ver­sehrt, mit sei­ner traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unaus­weich­ba­re ergeb­nis, wenn krea­ti­ve beson­ders krea­tiv und auch noch inno­va­tiv oder avant­gar­dis­tisch sein wol­len: eine außer­or­dent­lich bemüh­te plot-kon­struk­ti­on (deut­lich zu mer­ken der kon­struk­ti­ons­plan…), ein grau­en­haft bana­ler sti­lis­ti­scher brei, total plat­te und abge­lut­sche moti­ve und so wei­ter. – ande­re erklä­rungs­mög­lich­keit: so etwas pas­siert, wenn krea­ti­ve kur­se für krea­ti­ves schrei­ben besu­chen. der kunst­wil­len führt aber nur zur pseu­do­kunst – etwa im nach­rich­ten­ti­cker, der unten über die sei­ten läuft. viel­leicht ist das ja als beson­de­re rea­li­täts­ver­si­che­rung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das bes­te noch der titel oder eigent­lich der gesam­te para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­li­cher ver­weis auf das refe­renz­sys­tem die­ses tex­tes: frü­her stand hier ein bon­mot eines dich­ters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­li­ches, jetzt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hel­len augen­blicks eines schau­spie­lers): „es gibt zu vie­le schwät­zer, zu vie­le lüg­ner, zu vie­le die­be. das beschleu­ni­gungs­tem­po unse­rer kul­tur [!!] ist so hoch, das bie­tet güns­ti­ge bedin­gun­gen für arsch­lö­cher. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­nung bil­den.“ oder auch die auf­ma­chung – wirkt fast wie real­sa­ti­re (titel mit prä­sen­ta­tor, auf­ruf zur text­ein­sen­dung „aller gewichts­klas­sen“), über­treibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cate­ring von „mama&mama“ – sehr wit­zig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwin­kern­den auge – es gibt kaum schlim­me­res als so ent­stan­de­ne tex­te – die sind näm­lich fast nie wirk­lich wit­zig und schon gar nicht gut)

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