»Nächstens mehr.«

Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

und der rest des konz­ertes war auch nicht ganz schlecht — obwohl ich mit dem ganzen tan­go-kram ja nicht viel anfan­gen kann…

zum kern vor­drin­gen, das ist die vornehm­ste auf­gabe jedes kün­stlers: zum inneren des werkes, der kun­st über­haupt und des lebens sowieso. und das ist eine intellek­tuelle, emo­tionale und ästhetis­che auf­gabe, die vie­len inter­pre­ten erst nach lan­gen jahren der kun­stausübung – und des lebens – gelingt. aber aus­nah­men gibt es immer wieder, manch­mal gelingt die expe­di­tion ins innen sog­ar jun­gen musik­ern. der geiger linus roth scheint zu dieser auser­lese­nen schar zu gehören. denn beim mainz­er musik­som­mer spielte er sich in die erste liga – mit schu­manns zweit­er vio­lin­sonate op. 121. gemein­sam mit seinem pianis­ten josé gal­lar­do, der nie bloßer begleit­er, son­dern immer ein fan­tastisch sen­si­bler part­ner war, gelang ihm hier das wahre kun­st­stück. schon mit den allerersten akko­r­den, mit ihrer geball­ten kraft, ihrer aufrüt­tlen­den klan­glichkeit und ihrer schar­fen präzi­sion zeigt das duo, wieviel anders die musik seit mozart gewor­den ist. damit hat­ten sie ihr konz­ert näm­lich begonnen, mit dessen b‑dur-sonate für klavier und vio­line kv 454 – ein solid­er auf­takt, dem aber ganz ein­deutig die inspi­ra­tion fehlte, die ihre schu­mann-deu­tung so berauschend inten­siv wer­den ließ. das beson­dere war in diesen augen­blick­en nicht nur die klan­gliche inten­sität, die durch ständi­ge bal­anceak­te per­fekt aus­tari­erte zusam­me­nar­beit. nein, was das wirk­lich großar­tig machte, war die zwan­glose selb­stver­ständlichkeit, mit der bei ihnen schu­manns sonate ihre form erhält: obwohl die tra­di­tionellen satz­muster dur­chaus noch gel­ten, scheint es im schloss waldthausen so, als sei die musik hier schon auf dem weg zur freien form. und tat­säch­lich ist genau das ja auch das beson­dere an dieser sonate: die auflö­sung von lange geglaubten gewis­sheit­en ins unsichere, ins labile – bei schu­mann wird sich das in sein­er psy­chis­chen erkrankung noch ganz deut­lich man­i­festieren, dem rest der welt wird es erst einige jahrzehnte später, zu zeit­en der mod­erne, so richtig klar wer­den. aber genau diese per­spek­tive, die sonate als eine art vorah­nung der bedro­hun­gen der mod­erne für das autonome sub­jekt zu sehen, macht roths und gal­lar­dos inter­pre­ta­tion so wertvoll.

diesem gewalti­gen kraftakt fol­gte dann der unaufhalt­same weg ins pop­uläre, dem mau­rice rav­el als brück­englied diente: zunächst mit sein­er „sonate posthume“, eigentlich nur der erste satz ein­er sonate, bei der sich die bei­den musik­er etwas mehr treiben lassen kon­nten, sich mehr der sinnlichen kraft der musik aus­liefern durften. mit rav­els fein­er „pièce en forme d’habanera“ steigerten sie dieses moment noch, um es in astor pia­zol­las „le grand tan­go“ gipfeln zu lassen – und damit war in knapp zwei stun­den der weg von mozart bis zum argen­tinis­chen tan­go nue­vo bravourös gemeis­tert.

der erste offizielle halbmarathon

am woch­enende war es jet­zt endlich soweit: mein erster halb­marathon stand auf dem ter­minkalen­der — beim 11. güt­ters­bach­er volk­slauf. güt­ters­bach befand sich am sam­stag nach­mit­tag im aus­nah­mezu­s­tand: das ganze dorf ein großer park­platz für die läufer, die straße zeitweise kom­plett ges­per­rt, weil die lauf­strecke vom start aus zunächst kurz auf der straße rich­tung olfen geführt wurde, dann aber in rich­tung grasel­len­bach zunächst durch die wei­den (und die ziem­lich ver­schreckt drein­schauen­den kühe) und dann stetig bergauf in den wald zum spes­sartkopf und am siegfrieds­brun­nen vor­bei ging. dann ging es auch schon wieder zurück in rich­tung güt­ters­bach, immer bergab. und kurz vor dem ersten durch­lauf des zieles zwis­chen km 14 und 15 wurde es so richtig steil. das war insofern fies, als es nach dem start­bere­ich eben wie in der ersten runde gle­ich wieder bergauf ging — das hat nicht nur bei mir voll reinge­hauen, da ging das tem­po auf ein­mal bei fast allen deut­lich runter. son­st war das tem­po für einen volk­slauf doch ganz schön hoch, immer­hin war auch der über­wiegende teil der läufer von ver­schiede­nen vere­inen, viele aus der bergstraße, darm­stadt und hei­del­berg. vor allem bergab zogen die alle wie die dep­pen los und ließen mich ziem­lich blöd auss­chauen. bei der näch­sten stei­gung habe ich dann aber immer wieder einige einge­holt. nur zum schluss ging das eben nicht mehr, denn das ziel war ja am ende ein­er steilen abwärt­srampe. dort war ich genau nach 1:49:33,3 — doch einige minuten bess­er, als ich mir vorgenom­men hat­te. vor allem erhe­blich bess­er, als ich in der zweit­en runde, so zwis­chen km 15 und 17, befürchtet hat­te. dort war ich näm­lich kurz vor dem aufgeben… und der abstieg ins ziel hat mir dann auch wirk­lich den rest gegeben, danach bin ich halb besin­nungs­los herumgestolpert. immer­hin waren es ja knapp 400 höhen­meter, die auf den 21,1 km zu bewälti­gen waren. zum glück war das wet­ter zum laufen eigentlich sehr angenehm: mod­er­ate tem­per­a­turen, der regen hat­te pün­klich am vor­mit­tag aufge­hört und die organ­i­sa­tion sowie verpfle­gung war spitze. wie der halb­marathon an der spitze so aus­sah, beschreibt übri­gens der laufre­port.

und mit beethoven fällt er dabei ordentlich auf die nase:

eigentlich sollte es ein richtig roman­tis­ch­er klavier­abend wer­den: auss­chließlich vari­a­tio­nen von brahms, tschaikovsky und schu­mann wollte niko­lai tokarew beim mainz­er musik­som­mer im schloss waldthausen spie­len. kurz vor beginn entsch­ied er sich dann aber, statt tschaikovsky „the­ma mit vari­a­tio­nen in f‑dur“ doch lieber beethovens appas­sion­a­ta-sonate zu spie­len. und das war kein beson­ders kluger zug. denn jet­zt war es zwar ein rein deutsch­er klavier­abend, aber das half über die unzulänglichkeit­en tokarews bei der beethoven-sonate lei­der auch nicht hin­weg. sich­er trägt die sonate die lei­den­schaft schon im titel. aber der ist erstens gar nicht von beethoven und zweit­ens bietet sie auch noch viel mehr als nur das. doch das tang­ierte tokarew nur sehr wenig. er stürzte sich mit tiefer inbrun­st hinein und pro­duziert dabei viel gefühl, aber auch viel undif­feren­zierten klang­brei. struk­turen, for­men, ver­läufe- für all das, was in beethovens sonat­en von so großer bedeu­tung ist, hat er hör­bar über­haupt kein gespür, all das entzieht sich sein­er aufmerk­samkeit ganz und gar.

auch die dra­maturgie größer­er zusam­men­hänge ist sein ding nicht unbe­d­ingt. genau deshalb gelingt ihm der rest des abends auch viel bess­er, näm­lich richtig gut. denn schon in brahms’ „hän­del-vari­a­tio­nen“ zeigt sich, wie viel gewinn es brin­gen kann, so einem emphatis­chen pianis­ten zu lauschen. sich­er freut er sich manch­mal zu offen­sichtlich an vir­tu­osen spiel­ereien, aber das fällt kaum ins gewicht. denn intim­itäten, kleine details, fein­ste stim­mungsver­schiebun­gen – das spürt er ganz genau und das kann er auch ganz präzise und mit­füh­lend zum klin­gen brin­gen. das führt mitunter zu recht exaltierten ergeb­nis­sen, aber selb­st die sind emo­tion­al immer verblüf­fend genau. denn tokarew fühlt sich nicht nur in jede nuance der musik ein, er errichtet regel­rechte par­al­lel­wel­ten des klangs, die ganz und gar aus gefühlen zu beste­hen scheinen. das wurde vor allem bei den „sin­fonis­chen etü­den“ von robert schu­mann deut­lich. tokarew gelin­gen hier noch ein­mal großar­tige momente – aber es bleiben momente, die mehr oder weniger unver­mit­telt nebeneinan­der ste­hen. und es wird bei ihm wieder zu musik, die den ver­stand nicht braucht und will: wer sich ganz auf’s mit­fühlen und mitempfind­en ein­lässt, dem beschert niko­lai tokarew viele inten­sive erfahrun­gen.

soweit mein “offizieller” text zum ersten von mir besucht­en konz­ert des diesjähri­gen mainz­er musik­som­mers. richtig echauffiert habe ich mich dabei aber weniger über die musik — das ist zwar über­haupt nicht mein fall, diese art von inter­pre­ta­tion — son­dern über das vor­wort im pro­grammheft, geze­ich­net von peter stieber, swr2 lan­desmusikdi­rek­tion, und dem mainz­er kul­tur­dez­er­nente peter kraw­i­etz. was die bei­den da für einen unsinn verzapfen, ist reich­lich unge­heuer­lich. das fängt schon mit dem ersten satz an: “einen platz auf dem imag­inären siegertrep­pchen der kul­tur-welt­meis­ter­schaft hat deutsch­land seit jahren sich­er” — was soll das denn bitte sein, eine kul­tur-welt­meis­ter­schaft? ist eine beethoven-sonate bess­er als eine chi­ne­sis­che oper? wieder mal ein typ­is­ches beispiel (und ein ziem­lich krass­es) für den typ­isch europäis­chen kul­tur-chau­vin­is­mus. aber damit ja noch nicht genug, zu richti­gen höhen­flü­gen schwin­gen die bei­den (natür­lich auch bei­des män­ner…) erst später auf: “in der kul­tur geht es um höch­stleitung, unter­hal­tung, ästhetik, auch um sig oder nieder­lage.” das ist ja mal wieder echter blödsinn: kul­tur ist doch kein wet­tkampf! das ist doch etwas fun­da­men­tal anderes, in kun­st (oder auch all­ge­mein­er kul­tur) geht es um gelin­gen und nicht­gelin­gen, um ver­ste­hen und nichtver­ste­hen, nicht um sieg — das ist wieder so eine blödsin­nige kampfrhetorik, aus­gelöst von der bescheuerten fußball-wm.

und genau in dem ton­fall geht es dann munter weit­er: natür­lich wird auch die “kul­tur­na­tion” deutsch­land wieder ein­mal bemüht — auch so ein hanebüch­n­er unsinn, der durch ständi­ge wieder­hol­ung auch nicht wahrer wird: haben andere natio­nen keine oder weniger kul­tur? was ist das eigentlich für ein antiquiert­er und unre­flek­tiert­er kul­turbe­griff, der hier kur­siert? und das bei soge­nan­nten “entschei­dern” der kul­tur­förderung! das einzige, was deutsch­land auf dem gebi­et der kul­tur von anderen natio­nen unter­schei­det, ist doch höch­stens seine beson­ders aus­geprägte und insti­tu­tion­al­isierte muse­ale pflege der tra­di­tio­nen des 18. und vor allem 19. jahrhun­derts in konz­ert, the­ater, lit­er­atur und kun­st. das schlimm­ste kommt aber erst noch: kul­tur, so wird zumin­d­est unter­schwellig nahegelegt, ist vor allem eine sache der eliten — auch wieder so ein blödsinn, für den man stieber sofort frist­los ent­lassen sollte. schließlich ist er in der leitung ein­er öffentlich-rechtlichen anstalt beschäftigt, die von allen finanziert wird. was hin­ter solchen ideen für ein demokratiev­er­ständ­nis ste­ht, will ich gar nicht so genau wis­sen…

doch selb­st wenn man den bei­den chefs zugute hal­ten will, dass es ihnen ja um etwas pos­i­tives, den erhalt der kul­tur, geht (was ich so nicht unbe­d­ingt tun würde), ihr argu­men­ta­tion­sansatz und ihre begrün­dung ist ein­fach völ­lig daneben. “kul­tur ist eine wertvolle ressource für den gesellschaftlichen fortschritt, sie fördert soziale kom­pe­tenz, intel­li­genz und erhöht die leben­squal­ität.” und das sehen die bei­den als kon­trär zu den die diskus­sion bes­tim­menden “ökonomis­chen kon­junk­tur­dat­en”? das ist das das­selbe in grün… man kann sicher­lich die kul­tur im rah­men ein­er tele­ol­o­gis­chen, mehr oder weniger util­i­taris­tis­chen ästhetik auf bes­timmte ziele und ide­ale verpflicht­en (jost her­mand tut das ja zum beispiel), aber eigentlich sollte, so meine ich, kul­tur doch mehr sein. das gilt vor allem für ihren in diesem zusam­men­hang eigentlich gemein­ten teil, die kun­st. die sollte näm­lich außer­dem auch einen eigen­wert haben (von autonomie muss man ja noch gar nicht unbe­d­ingt reden), son­st ist sie doch recht eigentlich keine kun­st, son­dern “nur” eine kul­turleis­tung unter vie­len anderen (und bräuchte wohl auch nicht die finanzielle und struk­turelle förderung, die sie bei uns — zu recht — erhält). aber die unter­schei­dung von kun­st und kul­tur ist auch wieder eine kul­turleis­tung, die stieber und kraw­i­etz offen­bar noch nicht so recht geglückt ist.

Erste Wahl

irène schweiz­er erfährt ja schon länger meine hochachtung — sie ist ein­fach eine run­dum her­vor­ra­gene musik­erin (dia­boliques und die vie­len duos bezeu­gen das immer wieder). und sie ver­sorgt mich auch immer wieder mit ganz span­nen­den klavier-solo erfahrun­gen, die weit über das hin­aus­ge­hen, wofür leute wie kei­th jar­rett und kon­sorten immer noch gefeiert wer­den. der bezugspunkt ist hier natür­lich auch wohl eher cecil tay­lor — und auf ihre weise darf man irène schweiz­er dur­chaus auf tay­lors stufe stellen.

auch “first choice”, die cd-auf­nahme des jubiläum­skonz­erts im kkl luzern (intakt) besticht durch die typ­is­chen schweiz­er-qual­itäten. in erster lin­ie ist da zu nen­nen: die abso­lut erstaunliche, verblüf­fende klarheit der klanggestal­tung — hier ist das auch ein ver­di­enst der aus­geze­ich­neten ton­tech­nik. auch die viel­seit­igkeit ihrer klang­far­ben ist wieder zu bewun­dern, v.a. aber — und das macht die cd für mich so beson­ders reizvoll, weil das meinen momen­tan­ten ganz generellen ästhetis­chen vor­lieben ganz beson­ders gut entspricht — ist es die wahnsin­nige luzid­ität der entwick­lung, die mich begeis­tert: das sind wirk­liche akustis­che licht­blicke, große musik. mehr muss man eigentlich gar nicht sagen. aber man kann.
was mit dieser lob­hudelei gemeint ist, zeigen schon die umfassende lin­ien der ersten großen impro­vi­sa­tion, first choice: zwanzig minuten, die wie im fluge verge­hen, ganz ohne großes trara, aber voller ideen und ein­fälle, diein ihrer gesamtheit einen absoluten flow erzeu­gen — aber, und das ist eben schweiz­ers genie, man muss nicht aufs ende warten, um die genial­ität und frische dieser musik zu erfahren — sie steckt näm­lich in (fast) jed­er note.
mit direk­ter erfahrbar­er motivik und stärk­eren ener­getis­chen impulsen wartet dann “into the hall of fame” auf, immer­hin auch noch fast 10 minuten impro­visiertes spiel an den tas­ten. dann kom­men noch einige kleinere stücke, mit klas­sik­ern — schweiz­eres eigene kom­po­si­tion “the bal­lad of the sad café” etwa: sehr zurückgenom­men, schlicht und ein­fach melan­cholisch schwebend, eben “sad”, aber auch sehr “fein” und kul­tiviert. wie schweiz­er über­haupt immer deut­lich­er auf alles brim­bo­ri­um verzichtet, immer deut­lich­er den ver­such macht, zum kern der aus­drucks­ge­walt von impro­visiert­er musik vorzu­drin­gen, ohne die ganzen über­flüs­sig gewor­de­nen gesten und (revier-)markierungen. beim ersten hören: etwas gemessen­er, ruhiger im pos­i­tiv­en sinne, näm­lich poet­is­ch­er, oft sog­ar zärtlich­er als frühere soli (man denke nur an die “wilde senori­tas”!) — dabei nicht ver­we­ich­licht, aber doch befre­it von der notwendigkeit des rev­o­lu­tionären befreiungss­chlages, von der kämpferischen behaup­tung der frei­heit der musik, der impro­vi­sa­tion, die sich im kriegerischen tas­tenge­wit­ter entlädt — so etwas find­et sich in dieser auf­nahme eigentlich gar nicht, zumin­d­est nicht in rein­form, nur als bewusstes zitat, motiv, als form­baustein (in “first choice” etwa).

die tech­nis­chen möglichkeit­en, die der freien impro­vi­sa­tion am flügel heute, nach jahrzehn­ten neuer musik und free jazz, zu ver­fü­gung ste­hen, demon­stri­ert sehr schön die fast schon studie oder etüde zu nen­nende impro­vi­sa­tion “scratch­ing at the kkl” — schweiz­er beschränkt sich dabei in der tat (fast) voll­ständig auf diese art der ton­erzeu­gung, genauer gesagt, des spiels eines tas­tenin­stru­mentes ohne die tas­ten, näm­lich im inneren des flügels, direkt an, auf und neben den sait­en. weil schweiz­er aber eben in erster lin­ie musik­erin ist, wird daraus auch wieder echte musik und nicht nur die zum gäh­nen lang­weili­gen tech­nis­chen fir­lefanz-spiel­ereien der huldigun­gen an den mate­r­i­al-fetis­chis­mus.

schweiz­er über­führt das eher exper­i­mentelle klangstück fol­gerichtig in “the lone­li­ness of the long dis­tance piano play­er” — als mot­to kön­nte das über große teile ihrer kar­riere geschrieben wer­den. erschöp­fung, anstren­gung der kreativ­en her­vor­bringung… das ist offen­bar die notwendi­ge kleine atem­pause, denn mit the­olo­nious monks “oska t.” legt schweiz­er noch ein­mal so richtig los, geht sozusagen schon fast in den end­spurt: stärk­er ryhth­misch betont.… dage­gen wirkt — für mich — das abschließende “jun­gle beats ii” doch ein wenig wie ein fremd­kör­p­er, etwas leer und ziel­los scheint mir das (im ver­gle­ich zum anfang der auf­nahme vor allem)

kugelblitze sausen quer durch die lüfte und mittenhinein in mein literarisches nervenzentrum

noch eine frucht des woch­enen­des: endlich habe ich ulrike draes­ners let­zten gedicht­band mit dem titel kugel­blitz (münchen: luchter­hand 2005) gele­sen – er lag ja schon eine weile bere­it und hat auch schon zwei anläufe hin­ter sich gehabt, die allerd­ings bei­de ins leere liefen. auch dieses mal reichte die begeis­terung nicht für den ganzen band, der in drei große abschnitte (mit vor­spiel und nach­spiel) unterteilt ist: „(lieben)“, „(kriege)“ und „(später)“. fasziniert hat mich vor allem der erste teil, im zweit­en abschnitt fand ich viel mehr rou­tine und langeweile für den leser, der dritte teil zeigt aber dann wieder stark nach oben.

das ist wirk­lich zeit­genös­sis­che, mod­erne (oder schon zweite mod­erne?) lyrik. wesentlich­es, immer wieder auf­tauchen­des moment ist die erfahrung der natur beziehungsweise die prob­leme mit der erfahrbarkeit von natur, mit dem kon­takt zwis­chen men­sch und natur, v.a. die unfähigkeit des ver­ste­hens ihrer zeichen und die unerk­lär­lichkeit ihrer vorgänge: „nie / sagte jemand / ein begre­fil­ich­es / wort dazu“ (9). eben­so wiederkehrend: die gemachtheit der natur­erfahrung. dazu passen die dun­klen ver­gle­iche natur – technik/zivilisation, wie sie in der „enten­brust“ der straßen­bahn auf­taucht. und fol­gerichtig heißt ein gedicht dann auch „novo e raro mira­col di natu­ra“.

natur ist dabei (natür­lich [!]) nie ein­fach nur noch natur, son­dern erst in abgren­zung vom men­schen zur natur gewor­den. dabei wird sie aber ger­ade in ihrer zwit­ter­stel­lung inter­es­sant: natur scheint hier als das andere auf, das große gegenüber – aber (zumin­d­est schein­bar) befind­et es sich auch als solch­es wenig­stens teil­weise in der ver­fü­gungs­ge­walt des men­schen – die elek­triz­ität ist, beim titel des buch­es nicht ver­wun­der­lich, ein gern genutztes bild dafür: „hüh­n­er säu­bern ihr ei während du dir bere­its / einen ihrer schenkel in den mund“ (16, novo e raro micaol di natu­ra)

das vor­drin­gen der (noch unge­bändigten) natur in den zivil­i­sa­tion­sraum, das hoheits­ge­bi­et des men­schen als ver­nun­ft­be­gabtem tier – dafür ste­ht natür­lich schon das titel­gebende bild des kugel­blitzes: als blitz ist er zwar ein ele­mentares und vol­lkom­men unmit­tel­bares natur­ereig­nis. aber er ist es nicht in nor­maler erschei­n­ung, son­dern qua­si geformt, in behaupteter (näm­lich vom men­schen) kugel-form, also ein­er geometrisch „per­fek­ten“ form, d.h. der blitz wird zu ein­er rein nach ver­nun­ft­grün­den geformten erschei­n­ung (gedeutet). nicht nur natur wird zur zivil­i­sa­tion, son­dern auch und vor allem geschieht der trans­for­ma­tionsvor­gang in ent­ge­genge­set­zter rich­tung, vom men­schen in die natur. aber das führt zu rei­bun­gen, zu zusam­men­stößen: die natur bleibt eben auch dann noch, wenn men­schen sie nach eige­nen „ideen“ for­men wollen, „ver­schlossen“, dunkel und unver­ständlich: “ er dachte auf ihn. / so ver­ste­hen wir ‚natur‘. ist toll­wut / wenn ein­er sich wehrt? ach, es bud­delt / nach zufall, pfeift auf gedächt­nis, mis­cht.“ (77)

dazu wird dann vor draes­ner als kun­stvoll erdachter und aus­ge­führter kon­tra­punkt das dial­o­gis­che moment der gedichte (in der ersten und der drit­ten per­son, im indika­tiv und kon­junk­tiv), die anrede des „du“ einge­führt: der ver­such, die liebe zu beschreiben, zu kon­sta­tieren, zu behaupten und selb­stver­ständlich auch wieder zu for­men – samt den notwendig damti ein­herge­hen­den zweifeln. der erste große teil des buch­es heißt nicht umson­st „(liebe)“. und später heißt es ein­mal: „falls dies stimmt // wird auch das paar eine ver­mu­tung sein“ (22). die liebe, also die verbindung von ich und du zum wir, ste­ht dabei genau wie schon das sub­jekt für sich, immer in frage, ist nicht mehr ohne weit­eres als gelin­gende vorauszuset­zen: „das röhrchen der liebe (ver­loren)“ (28), „sicher­er auch // du?“ (30)

das ganze geschieht eigentlich immer in sehr geziel­tem auf­bau und mehrdeutigkeit­en: über­lap­pende sätze ohne gliederungsze­ichen, per­fek­tion des enjambe­ments, sein­er mehrdeutigkeit im syn­tak­tis­chen sinn sind mit­tel, die draes­ner per­fek­tion­iert hat. dazu passt auch der hohe grad an reflekiertheit – nie etwas unbe­dacht­es, kein wort, über das nicht nachgedacht wurde – genau das, was lyrik eben aus­machen (sollte). das wiederum entspricht der unmöglichkeit der unmit­tel­baren erfahrung, von der eigentlich auch jedes gedicht berichtet – das wahre träu­men: „sie dachte wie solch ein tier wohl schläft mit dem blu­men­topfrück­en / und sah mit braunem zuck­er bestreut all das vertäumte trara / (ange­blich des traums) aber sofort war er wach (die ohren) sofort // fiel er wieder um wie ein kind – wie es weint – alle / gefüh­le also seien erlernt“ (19). schuld an dieser grundle­gen­den ent­frem­dung des men­schen von sein­er umge­bung und sein­er selb­st ist z.b. die „nähe von maschi­nen“ (19, so heißt das gedicht)

wie es sich für echt mod­erne lyrik gehört (und das vergessen ja viele autoren und andere lei­der immer wieder) wird außer­dem auch die generelle prob­lematik des sub­jek­tes, sein­er iden­tität und die der ander­er men­schen (als adres­sat­en – der sprache, der lyrik, der liebe) the­ma­tisiert. „dies löchrige tuch ich spreche // dich // durch es. wenn ich sage ‚du‘. wenn / cih sage ‚ich wollte …‘ ‚ich …‘ ein / kinder­gesicht. oh ges­per­rt! löchriger // busch: so sprech ich dich wenn. / ich sage: du, eben, lüstern“ an ander­er stelle heißt es dann: „du bist. doch wo? / […] du bist nicht / wo nicht wen, du / gehst, der wald ste­ht still. / […] / […] ein / schat­ten ruft. was altes / weiß von dir. die kehle / streckt sich schon. der / wolf liebt seinen satz. / das rudel ruft.“ (81, vor gram­matik). und damit wird auch der näch­ste große the­menkom­plex dieser lyrik deut­lich: außer­dem in frage gestellt wer­den die worte in all­ge­meinen. genauer gesagt, wird auch hier nur die grundle­gende erfahrung der mod­erne, das alles in frage ste­ht, nur noch bekräftigt, aufgenom­men und ver­ar­beit­et. beson­ders gilt dies natür­lich für die verbindung wort – ding: „das eich­hörnchen drehte / die nuss eifrig wie wir das wort ‚nuss‘ / im gehirn“ (23). auch ein titel greift das auf: „tauch­er, rade­brech / (vom vier­fachen sinn der schrift)“ (82). die verge­gen­wär­ti­gung der schiller­schen bal­lade geht dann unge­fähr so: „anzüge mit füßen hin­gen / am gelän­der, im trock­n­er / hin­gen köpfe // je weit­er ein boot ent­fer­nt ist / umso tiefer nach unten muss man / um es zu hören // mit dem andrang der schwärze / gegen die maske vorm gesicht. // ertrinken.verstehen“ (82) – das ist natür­lich die tragik über­haupt: erst ertrinken, dann ver­ste­hen … die bei­den let­zten gedichte führen das noch ein­mal alles zusam­men. da heißt es dann „sehn­sucht rief mich / hast du ner­ven / gern komme ich gern / bin dein­er stimme ich / gefol­gt / immer so blu­men / blitzend, ver­wirrt (84), während die let­zten zeilen, das post­skrip­tum (außer­halb der drei großen teile) die schrift­form schon nahezu voll­ständig ver­loren ist und nur noch sprache ist – in lautschrift notiert, auf englisch – wenn ich das richtig entz­if­fert habe, ste­ht da: „you too / loved you / was invent­ed“

der zweite teil, „(kriege)“, blieb mir zumin­d­est bei der ersten lek­türe jet­zt ver­schlossen­er, nüchtern­er und oft auch deut­lich gewoll­ter. die poli­tis­che absicht etwa lässt sich zu leicht spüren und fassen – das tut der (kunst-)erfahrung der lyrik nicht gut. dabei ver­lieren die gedichte gle­icher­maßen an deut­lichkeit wie an der so faszinierend, weil stu­pend beherrscht­en mehrdeutigkeit.
„mit eige­nen augen sehen: getrimmt / zoomen begriffe weg. bis wir tröpfel­nd / vor sehn­sucht und glauben daliegen wie / der kopf ein­er geliebten katze unter / ein­er hand, die uns stre­ichelt oder stre­icht,“ (62f)

das ist alles zusam­men natür­lich ein fast wahnsin­niges pro­gramm. wer glaubt, ob all dieser fra­gen, dieser the­o­retisch-reflek­tieren­den gedankengän­gen gin­ge der kun­stcharak­ter der gedichte ver­loren, der itt. denn es ist kein wahn, keine hybris. denn die gedichte bleiben trotz der gefahr der the­o­retis­chen über­las­tung meist, d.h. in ihren über­wiegen­den teilen, immer auch sinnliche gebilde. eine unmit­tel­bare qual­ität der fügung ihrer worte (weniger der rhyth­men, mehr aus dem klang und den ver­mis­cht­en, kreuz und quer geschichteten bildlichkeit­en gear­beit­et) fes­selt das lesende auge und hirn, die vorstel­lungskraft. und sie zeu­gen von der faszinieren­den konzen­tra­tion, die diese gedichte bes­timmt. mehr lässt sich von lyrik eigentlich kaum noch ver­lan­gen. manch­es ist dabei dur­chaus gren­zw­er­tig – qual­itätsmäßig gese­hen: wenn genau diese konzen­tra­tion sich ver­liert, wirkt das ganze sehr schnell nur noch manieris­tisch. aber es bleibt festzuhal­ten: das sind 85 seit­en pure poe­sie unser­er zeit mit der ver­heißung, diese auch zu über­dauern. w

dunkle bilder und düstere texte

das soll jet­zt nicht den ein­druck erweck­en, bei peter schüne­manns kleinem, aber feinem band mit erzäh­lun­gen: dun­kles bild (münchen: hanser 2005) han­dele es sich um depres­sive prosa. aber die erfahrung der dunkel­heit in ver­schiede­nen graden, der düster­n­is (ger­ade im kon­trast mit den auf­scheinen­den licht(blitzen)) ist doch ein pär­gen­des ele­ment dieser drei her­rlichen texte. ihre dunkel­heit, sprach­macht und ja, auch ihre men­schen­liebe, sowie natür­lich ihre bildlichkeit erin­nern mich teil­weise (v.a. im dun­klen bild) doch recht deut­lich an texte von christoph rans­mayr, beson­ders dessen let­zte welt.

zwei texte haben mich beson­ders beein­druckt: zunächst der die samm­lung eröff­nen­den und titel­gebende, dun­kles bild. schüne­mann erzählt in andeu­tun­gen, sorgfältig ges­teuerte infor­ma­tionsver­gabe (d.h. vor allem infor­ma­tion­skon­trolle: das ist ein­er dieser ganz sel­te­nen texte, die nur ganz wenig und nur ganz allmäh­lich mit­teilen, aber den­noch unge­heuer lebendig und faszinierend sind), der erzählt also von einem maler, der vorüberge­hend (die gründe und umstände sind nicht so ganz klar), ein blindes kind bei sich aufgenom­men hat. zusam­men erfahren sie vor allem die kälte (und den man­gel über­haupt). der maler ist auf der suche, auf der reise zu einem unge­mal­ten und unge­se­henen bild – er wird es erst im moment seines selb­st­mordes erken­nen, der so zu einem wahren und wirk­lichen moment der erlö­sung und der schau der reinen wahrheit (was natür­lich auch einen anspielung auf novalis, der jüngling zu sais, ist) wird (übri­gens ist der tod (absichtlich her­beige­führt oder nicht) zen­trales motiv von schüne­manns erzäh­lun­gen): „dann ließ ich los; un in der ver­hal­len­den sekunde sah ich endlich das bild, es waren nicht mehr die kalten augen der stat­uen, jahrtausendalt, es war das kleine gesicht, weiß, die ver­bran­nte hoff­nung in der licht­losen nacht, nur sehr fern und allein das zarte leucht­en in der tiefe sein­er augen, das bild nun, nach dem ich geforscht, und der leise laut, der micht im sturz noch traf. “ (24)

im zitat wird die qual­ität der schüne­mannschen prosa schon ziem­lich deut­lich: expres­sion­is­tisch bee­in­flusst, man kön­nte es fast eine bilderorgie nen­nen. die sprache lebt von der kraft ihrer bildlichkeit, d.h. ihrer meta­phern und ver­gle­iche. beson­ders in der massierung wirkt das ger­ade in dun­kles bild unge­heuer konzen­tri­ert – obwohl diese erzäh­lung nur ein kurzes stück ist, so ist sie doch von fes­sel­nder, unbezwun­gener und ungezähmter, also unmit­tel­bar­er kraft. allerd­ings eben nicht so, wie das im moment eher zeit­gemäß wäre, als schein­bare real­ität­sna­he, unmit­tel­bare sprache ohne stil­willen. ger­ade der enorme stil­willen, die enorme geformtheit der sprache, der worte und ihrer verknüp­fun­gen zu sätzen und absätzen, ist es erst, was mich beim lesen so unge­heuer fes­selt. dazu kommt dann die bere­its ange­sproch­ene reiche metaphorik und die post­fig­u­ra­tive motivik.

die treibt vor allem in der zweit­en erzäh­lung, zwieland. eine büch­n­er suite, ihre spielchen mit dem leser. denn dieser text ist bis zum überquellen vollgestopft mit anspielun­genen, wieder­auf­nah­men, abwan­del­n­dem auf­greifen von bes­timmten for­mulierun­gen, motiv­en, ideen aus büch­n­ers tex­ten – aus dem dan­ton, aus leonce und lena, natür­lich aus dem lenz, aber auch aus den briefen und vielem anderen mehr. die erzählsi­t­u­a­tion ist recht ein­fach: eine betra­ch­tung der let­zten tage georg büch­n­ers. der autor liegt mit faulfieber in sein­er eige­nen vari­ante der matrazen­gruft, wird von car­o­line und wil­helm schulz gepflegt, von min­na besucht. das ganze sowohl in der eigen­per­spek­tive büch­n­ers als auch beobach­t­end, mit großer klarheit als auch im fieber­traum eine paradies der post­fig­u­ra­tio­nen im quer­gang durch rück­blick, biogra­phie und werkschau.

der dritte text in diesem band, die nov­el­le zenons spur, scheint mir gegen diese bei­den erzäh­lun­gen etwas abz­u­fall­en. jet­zt ist es vor allem die auflö­sung des (kün­st­lerischen) lebens in das nichts, das erzählt wird: ein brud­er­paar, maler und schrift­steller, an der schwelle zum tod. der maler, epilep­tik­er, erliegt ein­er krankheit, hat zuvor noch sämtliche über­reste sein­er kün­st­lerischen tätigkeit getil­gt. sein brud­er, schrift­steller, fol­gt ihm offen­bar in den tod. mir allerd­ings fehlt dieser nov­el­le die spannkraft, das fes­sel­nde moment oder ein­fach die konzen­tra­tion der bei­den anderen erzäh­lun­gen. es kann freilich auch sein, dass ich nur noch nicht den passenden zugang, den richti­gen moment der lek­türe erwis­cht habe.

als ganzes mag das zwar zunächst wie ein reich­lich anachro­nis­tis­ches unternehmen erscheinen, was schüne­mann hier vor­legt. aber jen­seits von plat­tem aktu­al­itäts­drang, von pseu­do-kun­st und gewoll­ter bedeut­samkeit, ist das offen­sichtlich ein ver­such der ver­schmelzung: das dur­chaus in hohen dosen vorhan­den pathos dieser expres­sion­is­tisch ange­haucht­en sprache und ihrer väter wie kleist, novalis, hölder­lin (büch­n­er natür­lich auch) zeigt seine überzeitlichkeit, stellt seine weit­er­hin mögliche funk­tion auch im 20. (alle texte sind nicht mehr ganz taufrisch) bzw. natür­lich auch im 21. jahrhun­dert zumin­d­est zur diskus­sion, wenn nicht gar unter beweis. zumin­d­est ich möchte das behaupten, denn der ver­such, das echo, den ruf ver­gan­gener zeit­en hier einz­u­fan­gen und lebendig und vor allem wirk­mächtig zu machen, ist schüne­mann offen­sichtlich gelun­gen. das sagt nun allerd­ings wenig über die all­ge­meine ver­füg­barkeit dieser art von sprache (die auch eine bes­timmte art des denkens, vor allem aber der wahrnehmung der welt und des sub­jek­tes impliziert) aus – peter schüne­mann kann darüber gebi­eten, und das ist ein glo­r­re­ich­er sieg für den autor, aber auch für den leser, der dafür noch ein paar offene ner­ve­nen­den hat.

die alljährliche som­mer­loch-reportage erwis­cht heute die orge­lan­lage im mainz­er dom. in der rhein-zeitung noch mit schö­nen fotos gar­niert.

die köni­gin ist über­all zugle­ich und tritt in viel­er­lei verklei­dung her­vor. sie wis­pert ein­mal zart aus dem westchor, braust unmit­tel­bar darauft mit der ganzen kraft ihrer mech­a­nis­chen lun­gen über das chorgestühl. und vom ostchor kommt ver­hal­ten das san­ft tönende echo zurück: das ist die orgel im mainz­er dom.

sie kann selb­st im son­nig­sten hochsom­mer den advent her­auf beschwören und wei­h­nachen in unmit­tel­bare nähe rück­en. denn mit ihrem uner­schöpflichen reich­tum an klang­far­ben und fein abgestuften laut­stärken lässt sie dem organ­is­ten freie hand: sie lässt ihn melan­cholis­che trauer andeuten, in über­schäu­mender freude jubeln oder mit san­fter ein­dringlichkeit zur einkehr mah­nen. denn seit dem let­zten großen umbau von 1965 ist die mainz­er domorgel ein instru­ment, das es so nur ein­mal in deutsch­land gibt. eigentlich beste­ht sie aus gle­ich vier orgeln: da ist die hin­ter dem chorgestühl ver­steck­te orgel im westchor und eine kom­plette orgel auf der anderen seite des doms, im ostchor. dazu kommt das instru­ment an der nord­wand des quer­haus­es und natür­lich das zen­trum, die pfeifen auf der südem­pore. dort ste­ht auch der spieltisch, von dem der domor­gan­ist albert schön­berg­er die fast 8000 pfeifen der 114 reg­is­ter beherrst. denn wenn die orgel die köni­gin der instru­mente ist, dann müsste schön­berg­er der könig der musik im mainz­er dom sein. aber dafür ist er freilich viel zu beschei­den und zurück­hal­tend: ihn inter­essieren nur die möglichkeit­en, die das zusam­men­spiel von raum und klang für die musik bergen. auf die ein­ma­lige anlage der mainz­er domorgeln ist er aber schon ein wenig stolz. schließlich ste­ht hier der größte spieltisch deutsch­lands: eine kom­plizierte steuerzen­trale, die so manchem flugzeug zur ehre gere­ichen würde. nicht nur sechs tas­taturen und die ped­ale, die unzäh­li­gen schal­ter und steuerun­gen für die einzel­nen reg­is­ter, zur farb­wahl, auch tele­fon, laut­sprech­er, mikro­fon und videokam­era samt bild­schirm hat der organ­ist an seinem arbeit­splatz oben auf der südlichen chorem­pore.

die im ganzen raum verteil­ten einzel­teile der großen orgeln machen dem organ­is­ten das leben und vor allem das spie­len allerd­ingst nicht ger­ade leicht. die mainz­er orgel gehört selb­st für den domor­gan­is­ten albert schön­berg­er zu den am schw­er­sten zu bespie­len­den orgeln über­haupt. aber sie hat für ihn auch einen unschätzbaren vorteil: „sie bringt den raum zum schwin­gen – kaum eine kirche ist so von klang erfüllt wie der mainz­er dom“, schwärmt er. dafür nimmt er dann nicht nur den steilen auf­stieg über die enge wen­del­treppe auf die südem­pore gerne in kauf, son­dern auch den umstand, dass er immer wieder „auf den heili­gen geist warten muss, mit strom und luft“. bis der ton, den sein fin­ger­druck auf die taste erzeugt, ihm über­haupt zu ohren kommt, dauert es näm­lich stets einige sekun­den – der teil der orgel im ostchor ist weit ent­fer­nt. aber schön­berg­er würde diese beson­deren spir­ituellen möglichkeit­en nie aufgeben wollen: „der raum vere­delt die musik nach sein­er art. die impulse muss man als organ­ist natür­lich aufnehmen“ – und dafür ist schön­berg­er ja auch genau der richtige, näm­lich ein raf­finiert­er und gewandter impro­visator. freilich, bei der darstel­lung von orgel­w­erken mit beson­ders kun­stvoll ver­schlun­genen stim­men bekommt allerd­ings auch er prob­leme: der lange nach­hall lässt hier vieles ein­fach ver­schwinden. doch für solche musik hat schön­berg­er inzwis­chen noch eine extra-orgel, die in der got­thard-kapelle ste­ht. ein neubau, in klas­sis­ch­er tra­di­tion gefer­tigt, bestens geeignet für poly­phone orgel­w­erke vom barock bis in die roman­tik.

das allerneueste ele­ment in diesem tönen­den organ­is­mus sind aber die kar­di­nal­strompe­ten, die zum zwanzigjähren jubliäum von bischof lehmann 2003 in die wächter­stube einge­baut wur­den. und sie sind mit sicher­heit der spek­takulärste teil: fer­nges­teuert schal­tet sich das licht in der wächter­stube ein, die fen­ster zum dom öff­nen sich automa­tisch und die auf einen schlit­ten mon­tieren trompe­tenpfeifen fahren in den dom hinein – und schmettern dann so richtig los.

so eine gewaltige anlage braucht auch eine menge pflege. vor allem, wenn sie in die jahre gekom­men ist. die haupt­teile der orgel sind mit­tler­weile über 40 jahre in betrieb und deshalb sehr störan­fäl­lig: „die elek­trischen kon­tak­te, die leitun­gen – das ist damals alles sehr bil­lig und ein­fach gebaut wor­den. und heute haben wir unheim­liche prob­leme damit“, erzählt schön­berg­er. der orgel­bauer ernst-michael bre­it­mann ist immer wieder im ein­satz, um defek­te teile auszu­tauschen und über­haupt die spiel­barkeit der domorgeln zu sich­ern. doch abge­se­hen davon zeigt sich schön­berg­er immer noch sehr zufrieden mit seinem instru­ment. auch bei der sanierung des domin­nen­raumes in den näch­sten jahren wird es wohl keine grundle­gen­den änderun­gen geben. „hier und da lässt sich noch etwas opti­mieren, damit die gemeinde von der orgel bess­er ange­sprochen wer­den kann. die orgel spielt näm­lich über­all hin, nur nicht dort, wo die gemeinde ver­sam­melt ist“, geste­ht er ein. aber an der beson­deren verteilung der orgeln über den dom­raum möchte er aber unbe­d­ingt fes­thal­ten.

deutsche literaturgeschichte in einer stunde

auch wenn klabund der ver­fass­er der jet­zt als nach­druck der zweit­en auflage von 1921 beim tex­tem-ver­lag erschienen deutschen lit­er­aturgeschichte in ein­er stunde. von den ältesten zeit­en bis zur gegen­wart istdie autorität des schrift­stellers reicht in diesem falle nicht aus, über die män­gel solch­er unternehmen hin­wegzutäuschen. das sind natür­lich zuforder­st ganz prinzip­ielle — eine solche “lit­er­aturgeschichte” kann wed­er lit­er­atur noch geschichte sein, sie ist bloß eine knappe ver­samm­lung der höhenkamm­lit­er­atur, eine aufzäh­lung des kanons. auch wenn klabund sein ziel noch anders ver­fehlt — in ein­er stunde wird der text kaum zu schaf­fen sein, ich brauchte fast drei dafür (und habe nicht sehr getrödelt). auf­fal­l­end an klabunds unternehmung sind eher die immer wieder eingestreuten unbekan­nten namen — z.b. johann chris­t­ian gün­ther, zu dem ihm ein­fällt: “wie ein sturmwind braust [er], der göt­ter­bote ein­er neuen zeit, in die deutsche dich­tung.” (35) anlässlich eines anderen unbekan­nten schwingt er sich zu wahren groß­tat­en auf: salomon “geßn­er war ein­mal eine europäis­che berühmtheit. es wird nicht bess­er wer­den in der welt, ehe es geßn­er nicht wieder ist. wir wer­den erst dann ewigen frieden haben, wenn arkadis­che dichter wie er wahrhaft pop­ulär gewor­den sind.” (41)

und damit sind wir ja auch schon beim eigentlichen prob­lem: klabund ist ein beken­nen­der und gnaden­los­er emphatik­er, um eine kür­zlich aufge­brachte unter­schei­dung hier anzuwen­den. als autor hat er natür­lich jedes recht, ein solch­er zu sein — als lit­er­arhis­torik­er meines eracht­ens aber über­haupt keines. und es ist natür­lich sehr passend, dass aus­gerech­net volk­er wei­der­mann, an dessen “licht­jahre” sich die von hubert winkels (zeit vom 30.3.) einge­führte unter­schei­dung der lit­er­aturkri­tik­er zwis­chen emphatik­ern und gnos­tik­ern über­haupt entzün­dete, das vor­wort zu diesem nach­druck beis­teuert: eine rück­vergewis­serung des eige­nen unternehmens — seht her, auch der große klabund war (wie ich) ein emphatik­er! und die “licht­jahre” sind dann auf ein­mal so etwas wie eine fort­set­zung von klabunds werk, der ja zu beginn des 20. jahrhun­derts aufhört zu lesen und sich zu begeis­tern (und schon ab der zweit­en hälfte des 19. jahrhun­derts gehörig ins schwim­men gerät und kaum noch sortiert bzw. zwis­chen gut und schlecht unter­schei­det und deshalb notge­drun­gen auch nichts mehr wirk­lich beschreibt, son­dern alles nur noch gehet­zt anreißen kann).

als solch­er präsen­tiert klabund naturgemäß einen vol­lkom­men sub­jek­tiv­en blick auf die geschichte der deutschen lit­er­atur und tut doch gle­ichzeit­ig so, als sei dies eine richtige lit­er­aturgeschichte. dazu passend ist sein ansatz viel zu sehr per­son­al geprägt, um wirk­lich zu rel­e­van­ten ein­schätzun­gen zu kom­men — per­son­al insofern, als er bedeu­tung zunächst an sein­er eige­nen leseer­fahrung misst und per­son­al auch insofern, als er lit­er­aturgeschichte als geschichte von autoren­per­so­n­en schreibt (die fast durch­weg männlich sind, natür­lich). das ergibt ein ziem­lich­es misch-masch, geprägt von ein­er fast auss­chließlich iden­ti­fika­torischen lek­türe. epochen, geistige verbindungslin­ien, tra­di­tio­nen etc. kom­men bei ihm allen­falls am rande vor. und solch ein ansatz führt naturgemäß zu eini­gen gerecht­en, aber auch zu eini­gen ungerecht­en urteilen und fehlern (z.b. das hier: “friedrich schiller ist der dichter der jugend” (53) — dazu muss man schon einiges aus dem werk schillers aus­blenden) — immer­hin untern­immt klabund nicht noch den ver­such, das zu ver­ber­gen: die (selbst-)sicherheit des urteilens hat schon fast etwas großar­tiges. als zeit­doku­ment und in sein­er aus­grabung ger­ade zu diesem zeit­punkt heute, wo sich immer mehr lit­er­aturkri­tik­er als emphatik­er genü­gen und darauf auch noch stolz sind (was natür­lich in der tra­di­tion des großen grauen­haften anti-kri­tik­ers reich-ran­ic­ki ste­ht), ist das immer­hin eine ergöt­zliche lek­türe — für his­torische wahrheit und gerechtigkeit ist klabund hier halt nicht zuständig.

dreckig oder sauber? peaches’ drittes album “impeach my bush”

in der spex ein grauen­haft text über oder bess­er gesagt neben das album (das näm­lich kaum vorkommt). aber immer­hin schafft er es, mich dann doch zum hören zu inspiri­eren — was denn so einen krieg der begriffe, so ein schlag­wort­ges­tam­mel heutzu­tage noch aus­lösen kann, will ich schon wis­sen: peach­es: impeach my bush. das ist, da muss man natür­lich fair sein, trotz allen gere­des zunächst ein­mal eine pop‑, d.h. elek­trop­unk oder so ähn­lich, plat­te. und als solche ist sie ziem­lich erfol­gre­ich. die zeit hat peach­es mal die „punk­in­spiri­erte gen­der-the­o­retik­erin” genan­nt, weil sie so schön spielerisch auf den entsprechen­den vorurteilen, stereo­typen und kon­struk­ten herum­spielt, sie lächer­lich macht und das ganze schön gekon­nt per­for­ma­tiv vor­führt. vor allem ist das aber (lei­der) viel weniger poli­tisch als ich hoffte, und auch viel weniger kri­tisch oder gen­der-the­o­retisch — aber ich bin ja sowieso immer mehr der überzeu­gung, dass kun­st und ins­bes. pop nur bed­ingt für solche dinge geeignet sind — und ger­ade wenn sie es ganz feste wollen, klappt es meis­tens über­haupt nicht — wed­er inhaltlich sozusagen noch kün­st­lerisch. das ist bei peach­es wenig­stens insofern anders, als impeach my bush nach kri­te­rien des pop ziem­lich gut zu funk­tion­ieren scheint — und gar nicht so wenig spaß macht. — songs wie „tent in your pants” oder „slip­pery dick” kön­nen dur­chaus mit textlichem und musikalis­chem witz aufwarten — auch wenn mir einiges schon wieder zu rock­ig (halt ein wenig elek­tro­n­is­ch­er ver­spielt und kon­stru­iert) wird. schön ist freilich auch die wen­dung in der kurzen ein­leitung der cd, „fuck or kill”: „i’d rather fuck who i want, when kill who i told to” — klar, das wür­den wohl die meis­ten von uns. aber was fol­gt daraus? außer­dem: beson­ders dreck­ig ist das alles gar nicht mehr — genau das ist ja das alles läh­mende prob­lem des pop: sub­ver­sion ist in diesem feld nicht mehr möglich (vgl. dazu behrens’ auf­satz), und schon gar nicht „rev­o­lu­tion” — auch wenn peach­es das behaupten mag: „die rev­o­lu­tion kann jet­zt auf ganz­er ebene los­ge­hen.” (ste­ht so in der spex vom juli). denn auch „als infil­trierung ver­standenes enter­tain­ment” (ebd.) ist eben enter­tain­ment und kommt da — in der regel — nicht mehr lebend her­aus: auch peach­es ist insofern nur eine marke. und die ist zwar noch nicht ganz so klin­isch rein wie viele andere auf dem glob­alen markt der selb­stverkäufer, aber so richtig dreck­ig auch nicht (mehr). intere­sant übri­gens, dass die berlin­er zeitung das viel bess­er ver­standen hat als die spex: da heißt es näm­lich: „Das ist alles ehren­haft. Als ern­st­ge­mein­ter Diskurs­beitrag wirkt die Sex­erei jedoch über­holt. Schließlich gibt es für jed­wede sex­uelle Präferenz eine coole Vor­abend­serie; und die Ubiq­ui­tät der Pornogra­phie, ob in enzyk­lopädis­chen Fetis­chsparten im Netz, in Konzep­tkun­st und Kun­stki­no bringt wohl außer Hard­core-Islamis­ten und christlichen Eksta­tik­ern nie­man­den mehr in Ver­legen­heit. Sich met­ro­sex­uell für den Markt herzuricht­en ist ander­er­seits vom smarten Banker zum gegel­ten Türkenkid längst zwin­gen­des Pro­gramm. Zu denken, es helfe dem Knack­en von Iden­titäts­fix­ierun­gen, wenn alle gemein­sam an alber­nen Kör­per­normierun­gen lei­den, wirkt so kurz­schlüs­sig wie die Idee, sex­uelle Machtver­hält­nisse zer­brächen, wenn man sie ein­fach umkehrt.” (berlin­er zeitung)

ganz viele zeichen — zu viele?

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

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