Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: philosophie Seite 3 von 4

zeno.org macht das nachschlagen leicht

heu­te durch die mit­tei­lung achim rasch­kas an die wiki­pe­dia-mai­ling­lis­te ent­deckt (wie­so mir das bis­her durch die lap­pen gegan­gen ist: kei­ne ahnung): auf der sei­te zeno.org bie­tet die zen­o­dot-ver­lags­ge­sell­schaft (die ja irgend­wie mit direct­me­dia zusam­men­hängt, von denen die von mir so gelieb­te digi­ta­le biblio­thek stammt) lexi­ka und nach­schlag­wer­ke online an. das ist eine wun­der­ba­re sache – denn es sind sehr hilf­rei­che text­samm­lun­gen dabei (auch franz kaf­kas wer­ke fin­den sich hier). zum bei­spiel nicht nur ver­schie­de­ne jahr­gän­ge des brock­haus, son­dern auch sul­zers all­ge­mei­ne theo­rie der schö­nen küns­te, mauth­ners Wör­ter­buch der Phi­lo­so­phie, auch rudolf eis­lers Wör­ter­buch der phi­lo­so­phi­schen Begrif­fe und sein Phi­lo­so­phen-Lexi­kon – natür­lich alles gemein­freie wer­ke. mei­ne samm­lung der digi­ta­len biblio­thek wird damit ja bald über­flüs­sig, wenn das so wei­ter geht …

noch befin­det sich das pro­jekt im beta-sta­di­um (aber wel­che web‑2.0‑anwendung tut das nicht?). man merkt es ab und an auch noch. die sei­te ist zwar sehr schön schnell. der ein­stieg aller­dings etwas unüber­sicht­lich: auf der über­sichts­sei­te der biblio­thek ste­hen teil­wei­se nur kür­zel – was sul­zer-1771 ist (näm­lich des­sen all­ge­mei­ne theo­rie der schö­nen küns­te) oder fried­län­der ist (die inter­es­san­ten kri­mi­nal­pro­zes­se) muss man wis­sen, um das ent­spre­chen­de zu fin­den.

die eigent­li­chen text­sei­ten sind aber sehr klar struk­tu­riert und gut les­bar: aus­rei­chend gro­ße schrift, kla­res sei­ten­lay­out. über­haupt prä­sen­tiert sich das gan­ze pro­jekt ange­nehm schlank und ohne unnö­ti­ge kli­ckibun­ti-spie­ler­ein – und auch ent­spre­chend schnell. auch die navi­ga­ti­on inner­halb der ein­zel­nen bän­de ist gut mög­lich, mit ent­spre­chend­ne blät­ter-hyper­links, die nicht nur „vor­wärts” oder „rück­wärts” hei­ßen, son­dern gleich das rich­ti­ge lem­ma anzei­gen. schön auch die sei­ten­mar­kie­run­gen der quel­le, die (im ide­al­fall) per hyper­link zu den fak­si­mi­les füh­ren. etwas umständ­lich kommt mir höchs­tens noch der zugang zu den ein­zel­nen wer­ken vor – da muss man immer mehr­mals kli­cken, das lie­ße sich viel­leicht noch ver­bes­sern (aber dann ging womög­lich die stren­ge struk­tur ver­lo­ren). sehr hilf­reich dage­gen die quer­ver­wei­se zwi­schen den ein­zel­nen bän­den auf gleich­lau­ten­de lem­ma­ta (das kann die digi­ta­le biblio­thek etwa (noch) nicht)

mit zufäl­li­ger arti­kel bzw. zufäl­li­ge stel­le kann man auch im vor­han­de­nen bestand (oder im gera­de aktu­el­len band) sehr schön stö­bern (das mache ich ja auch in wikis, von denen die­se funk­ti­on wohl her­kommt, sehr ger­ne – man erfährt so näm­lich auch eine men­ge über die qua­li­tät der daten und ein­trä­ge).

und das herz­stück einer sol­chen unter­neh­mung, die suche? für ein beta-sta­di­um erstaun­lich aus­ge­reift. offen­sicht­lich auch hier die ähn­lich­keit mit der sowie­so schon sehr gelun­ge­nen suche der digi­ta­len biblio­thek. rasant ist sie. in der stan­dard­ein­stel­lung höchs­tens etwas tole­rant, was den abstand zwi­schen meh­re­ren such­be­grif­fen angeht – da kom­men näm­lich schnell eine gan­ze men­ge fund­stel­len zusam­men. sehr schön dann aller­dings die ein­fa­che mög­lich­keit, die her­vor­he­bung der such­be­grif­fe auf den ergeb­nis­sei­ten mit einem klick auch wie­der zu ent­fer­nen – da hat jemand wirk­lich mit­ge­dacht.

also: nach den ers­ten erkun­dun­gen damit: eine tol­le sache mit viel poten­zi­al.

eine „theorie der unbildung“?

soviel gleich vor­weg: eine theo­rie der unbil­dung hat kon­rad paul liess­mann nicht geschrie­ben – auch wenn er sei­nen groß-essay so über­ti­tel hat. was er aber sehr schön und poin­tiert macht: mit dem mythos, eine wis­sens­ge­sell­schaft zeich­ne sich durch viel und hohe bil­dung aus, gründ­lich auf­zu­räu­men. er tut dies durch­aus sehr poin­tiert. wenn auch nicht außer­ge­wöhn­lich ori­gi­nell.

am her­vor­ste­chends­ten ist schon sei­ne ana­ly­se der augen­blick­li­chen mise­re (auch er muss natür­lich aner­ken­nen, dass sich das sys­tem der (aus-)bildung per­ma­nent in der kri­se befin­det) als eine erschei­nung der unbil­dung, die – im gegen­satz zu den reform­ver­su­chen der nach­kriegs­zeit – voll­kom­men auf den anschluss an den begriff der bil­dung ver­zich­tet, auch in der nega­ti­on nicht mehr auf ihn rekur­riert (und damit unter­schie­den ist von dem, was liess­mann in anschluss an ador­no als halb­bil­dung klas­si­fi­ziert).

von dort aus ist es liess­mann dann ein leich­tes, eini­ge der grö­be­ren miss­stän­de anzu­pran­gern und vor­zu­füh­ren: das unent­weg­te schie­len nach rang­lis­ten­po­si­tio­nen etwa, dass mit bil­dung nie etwas zu tun haben kann, da die­se als qua­li­tät prin­zi­pi­ell nicht quan­ti­fi­zier­bar sei und damit auch nicht in rang­lis­ten oder ähn­lich ord­nun­gen über­führt wer­den kön­ne. oder die krank­heit der eva­lua­ti­on, die auf dem glei­chen miss­ver­ständ­nis beruht, zusätz­lich aller­dings beson­ders deut­lich auch noch gehei­me nor­ma­ti­ve vor­ga­ben (schon durch die art der fra­gen) ent­wi­ckelt und eta­bliert. und immer wie­der: der gegen­satz von wis­sen als ver­füg­bar­keit von infor­ma­ti­ons­par­ti­keln und bil­dung (im klas­si­schen, huma­nis­ti­schen sinn, unter direk­tem rück­griff auf wil­helm von hum­boldts ideen und idea­le).

der man­gel an die­sem ver­such wie bei allen ähn­li­chen unter­neh­mun­gen: sie kom­men immer zu spät (ein vor­wurf, der liess­mann unbe­dingt tref­fen muss – er ist schließ­lich teil des miss­stan­des), sie sind immer zu gebil­det und spe­zi­ell, um gehört zu fin­den. und hat durch­aus auch eini­ge lose enden (zum bei­spiel bei sei­nem angriff auf die recht­schreib­re­form – war­um die neue recht­schrei­bung unbe­dingt weni­ger ästhe­tisch sein soll als die alte erschließt sich mir über­haupt nicht – viel­leicht bin ich dafür aber auch zu sehr prag­ma­ti­ker). alles in allem: eine lesen­wer­te streit­schrift für bil­dung und gegen die ver­dum­mungs­be­mü­hun­gen der infor­mier­ten wis­sens­ge­sell­schaft.

kon­rad paul liess­mann: theo­rie der unbil­dung. wien: zsol­nay 2006.

bei der taz gibt es online ein inter­view von robert misik mit liess­mann.

und noch ein p.s.: wie fra­gil und flüch­tig wis­sen auch in der soge­nann­ten wis­sens­ge­sell­schaft (oder gera­de hier) ist, lässt sich an liess­manns büch­lein exzel­lent beob­ach­ten: das ist näm­lich grot­ten­schlecht gesetzt – unter miss­ach­tung der eigent­lich immer noch gül­ti­gen satz­re­geln. zum bei­spiel habe ich sel­ten ein buch eines immer­hin renom­mier­ten ver­lags gele­sen, in dem es der­ma­ßen auf­fäl­lig von schus­ter­jun­gen wim­melt. und in dem es nicht nur ein­mal vor­kommt, dass fuß­no­ten nicht nur auf der fal­schen sei­te, son­dern tat­säch­lich auf der fal­schen dop­pel­sei­te plat­ziert sind (also zwi­schen dem fuß­no­ten­zei­chen und der fuß­no­te ein zwangs­wei­ses umblät­tern liegt) – so ein mist soll­te doch eigent­lich jedem lehr­ling in der ers­ten woche abge­wöhnt wor­den sein …

p.p.s.: ganz pas­send habe ich gera­de auf tele­po­lis ein arti­kel gefun­den, der hier per­fekt passt (vor allem zu liess­manns vier­tem kapi­tel, der wahn der rang­lis­te): „die welt in zah­len – Ran­kings gehö­ren zu den wirk­mäch­tigs­ten Mythen des neo­li­be­ra­len All­tags”. dort heißt es unter ande­rem: „Ran­kings for­men die Wirk­lich­keit, die sie zu mes­sen vor­ge­ben”. ansons­ten steht da (wie so oft) kaum etwas bemer­kens­wer­tes drin. aber die koin­zi­denz mit mei­ner lek­tü­re war doch wie­der ein­mal bemer­kens­wert …

… und wird tat­säch­lich 60 jah­re alt. tele­po­lis hat einen sic-et-non-glück­wunsch geschrie­ben – das schöns­te dar­an ist, wie so oft bei die­sen sei­ten, der rei­gen der absur­den und igno­ran­ten kom­men­ta­re. rüdi­ger safran­ski wid­met dem geburts­tags­kind dage­gen in der welt eine men­ge sehr warm­her­zi­ger wor­te – mit dem titel „meis­ter der fröh­li­chen wis­sen­schaft” scheint er mir auch ziem­lich rich­tig zu lie­gen …

neurojura: der freie wille und seine gegner

schon seit eini­ger zeit ver­fol­ge ich eher stau­nend – vor allem ob der gran­dio­sen nai­vi­tät der argu­men­te – die dis­kus­si­on der neu­ro-wis­sen­schaft­ler des soge­nann­ten natu­ra­li­stic turn, die den frei­en wil­len negie­ren (z.b. wolf sin­ger oder jür­gen roth) mit den juris­ten und den phi­lo­so­phen, die da dum­mer­wei­se manch­mal immer noch – ob aus über­le­gung oder aus tra­di­ti­on – ande­rer mei­nung sind bzw. sein soll­ten. sehr schön hat das für mich jan-phil­ip reemts­ma mal im mer­kur abge­han­delt (hier im blog steht auch noch eine klei­ne zusam­men­fas­sung). heu­te hat der frank­fur­ter rechts­his­to­ri­ker rai­ner maria kiesow im feuil­le­ton der süd­deut­schen (sogar als auf­ma­cher!) über eine tagung in frank­furt berich­tet, die sich eben die­ser dis­kus­si­on wid­me­te. der text ist zum glück auch im netz frei zugäng­lich, nur mit ande­rer über­schrift: statt „wil­len­lo­ser hirn­ap­pa­rat” heißt es online: „recht­spre­chung ohne frei­en wil­len”. der text ist wun­der­bar: grif­fig geschrie­ben und vor allem inhalt­lich ganz auf mei­ner linie. denn auch kiesow zwei­felt einer­seits an der wis­sen­schaft­lich­keit der aus­sa­ge, es gebe kei­nen frei­en wil­len – schließ­lich wis­sen wir – auch die spe­zia­lis­ten – einer­seits noch immer furcht­bar wenig von der funk­ti­on des gehirns, ganz zu schwei­gen von unse­rem man­geln­den ver­ständ­nis der vor­gän­ge. zum ande­ren ist es natür­lich fast unmög­lich, die nicht­exis­tenz des frei­en wil­lens wirk­lich zu bewei­sen. und dass das eine ziem­lich erbärm­li­che grund­la­ge für die abschaf­fung oder über­ar­bei­tung des straf­rechts ist, soll­te jedem den­ken­den men­schen schnell klar sein. kiesow bringt übri­gens noch eine net­te poin­te am schluss: wesent­lich dring­li­cher als die refor­mie­rung des straf­rechts müss­te für die­se aboli­tio­nis­ten eigent­lich die ent­spre­chen­de ände­rung des zivil­rechts sein: „Mör­der, Pädo­phi­le, Ver­ge­wal­ti­ger tre­ten nicht mas­sen­haft in Erschei­nung. In Mas­sen schlie­ßen wir Ver­trä­ge. Kauf­ver­trä­ge, Miet­ver­trä­ge, Arbeits­ver­trä­ge. Ein Ver­trag besteht typi­scher­wei­se aus zwei über­ein­stim­men­den Wil­lens­er­klä­run­gen. Wel­che Aus­wir­kun­gen hat die ultra­mo­der­ne Hirn­for­schung eigent­lich auf das, wil­lens­mä­ßig betrach­tet, offen­kun­dig eben­falls völ­lig alt­mo­di­sche Zivil­recht? Hier sind die Dimen­sio­nen ganz ande­re als bei ein paar Mör­dern. Aber Zivil­recht ist ziem­lich kom­pli­ziert. Auf die Ant­wor­ten des neu­en Neu­ro­rechts darf man gespannt sein. Doch wir könn­ten natür­lich das Pri­vat­recht gleich mit abschaf­fen. Wo kein Wil­le, da kein Recht. Straf­recht ist da nur eine Fuß­no­te. Das wär„s: Legal, ille­gal, scheiß­egal!”

was ist pop?

die ewi­ge fra­ge, wahr­schein­lich eh‘ nicht wirk­lich umfas­send und zufrie­den­stel­lend zu beant­wor­ten… aber stel­len muss man sie halt doch immer wie­der, sonst kommt man ja gar nicht vor­an, beim nach­den­ken über phä­no­me­ne des pop. dass pop mehr ist als chart­hits und main­stream-pop­mu­sik der seich­ten sor­te, inklu­si­ve ihrer kul­tur­in­dus­tri­el­len, markt­ka­pi­ta­lis­ti­schen ver­wer­tungs­or­gi­en und mar­ke­ting­kam­pa­gnen, ist ja inzwi­schen hof­fent­lich den ver­nünf­ti­gen (!) klar. aber was ist pop dann? wal­ter grass­kamp, michae­la krüt­zen und ste­phan schmitt haben beim fischer-taschen­buch-ver­lag einen klei­nen band mit „zehn ver­su­chen“ (so der unter­ti­tel) zur posi­ti­ons­be­stim­mung des pop in den ver­schie­de­nen kul­tu­rel­len fel­dern her­aus­ge­ge­ben. damit ist auch schon deut­lich, was ein gro­ßes man­ko an die­sem büch­lein ist: inhalt und titel pas­sen gar nicht so gut zusam­men. was pop als sol­cher und über­haupt ist, weiß man hin­ten­ach näm­lich immer noch genau­so wenig wie vor beginn der lek­tü­re. das hat wohl auch mit der ent­ste­hung des ban­des zu tun. ent­stan­den ist der näm­lich aus einer gemein­sa­men vor­le­sungs­rei­he der drei münch­ner kunst­hoch­schu­len (aka­de­mie, hoch­schu­le f. film & fern­se­hen, hoch­schu­le für musik & thea­ter), die eini­ge mehr oder weni­ger beru­fe­ne gast­red­ner ver­sam­mel­te, deren tex­te hier vor­lie­gen.

in der ein­lei­tung wen­det sich der her­aus­ge­ber grass­kamp auf für mich reich­lich befremd­li­che wei­se gegen die ver­meint­lich erstar­ken­de, „ein­fluss­rei­che neu­er schu­le“ (11) der „posi­ti­on der theo­rie­feind­lich­keit“. ich weiß nicht, ob ich das ziel rich­tig iden­ti­fi­ziert habe… aber wenn, dann scheint mir grass­kamp hier doch sehr, sehr weit zu sim­pli­fi­zie­ren. und von einem sehr aus­ge­wähl­ten, typisch kunst­ge­schicht­li­chen stand­punkt aus zu urtei­len. denn natür­lich, das wer­den die hier ange­grif­fen in der regel selbst zuge­ben, ist theo­rie­lo­sig­keit ein schwe­res man­ko. aber die fra­ge ist eben, ob sie immer so theo­rie­los sind, wie es – zuge­ge­ben – leicht den anschein hat. womit sie aber unbe­dingt recht haben, ist die tat­sa­che, dass pop sich auch dar­in von „her­kömm­li­chen“, ande­rern kul­tur­ma­ni­fes­ta­tio­nen der­art unter­schei­det, dass die übli­chen, in den kunst‑, lite­ra­tur und kul­tur­wis­sen­schaft ent­wi­ckel­ten instru­men­te der erfor­schung, die her­me­neu­ti­schen ver­fah­rung, das hier prak­ti­zier­te bemü­hen um ver­ständ­nis, nicht aus­rei­chen, den pop in sei­ner spe­zi­fi­schen form zu erfas­sen und zu ver­ste­hen. mög­lich ist, dass sie hilf­reich sein kön­nen, aber mit ihnen allein wird ein wirk­lci­hes ver­ständ­nis der pop­p­hä­no­me­ne kaum gelin­gen. dazu kommt natür­lich auch noch die schlich­te tat­sa­che, dass vie­les, was – nicht nur in mei­nem ver­ständ­nis – auch und noch pop ist, über­haupt nur zu fin­den, wahr­zu­neh­men ist, wenn man mehr oder weni­ger stark im und mit dem pop lebt. wenn das dann alles in die arbeit über den pop ein­fliesst (die selbst evtl. sogar wie­der zum pop wer­den kann…), muss man noch lan­ge nicht „urba­ner bar­bar“ sein, wie gross­kamp unter­stellt.

aber wei­ter zum rest: was sehr schnell beim lesen auf­fällt und was mich ziem­lich genervt hat: pop ist hier zunächst mal pop-art. und sonst kaum etwas. selbst die eigent­li­che pop-musik kommt erst spä­ter zu wort. von der pop­li­te­ra­tur (wel­cher auch immer) ganz zu schwei­gen, die fällt mal ein­fach so kom­plett unter den tisch… rudolf zwir­ners auf­satz „pop art in den usa“ ist denn auch ein total­aus­fall, falls man sich davon irgend eine ant­wort auf die fra­ge „was ist pop?“ erhoff­te. hier gibt es nur einen kur­zen, sub­jek­ti­ven abriss der pop-art eines zeit­ge­nos­sen. neben der pop-art noch sehr domi­nant in den meis­ten tex­ten: das krei­sen um die (un-)möglichkeit der unter­schei­dung zwi­schen „hoher“ und „nie­de­rer“ kunst (wobei pop natür­lich, ganz umstands­los und reflek­ti­ons­frei, der letz­te­ren zuge­ord­net wird).

so, wei­ter geht es mit boris groys und dem „pop-geschmack“. den ver­or­tet groys im gespür und inter­es­se für die zahl: dem pop­per gefällt, was vie­len gefällt… ist auf den ers­ten blick viel­leicht ein­leuch­tend, aber dann ins­ge­samt doch irgend­wie blöd und falsch. denn für solch einen pop-geschmack gibt es ja nur noch main­stream. und alles, was nicht main­stream ist, wäre dann kein ech­ter, rich­ti­ger, guter, … pop. nun ja, da bin ich bes­se­res von groys gewohnt. immer­hin gibt es ein paar licht­bli­cke. ein paar rich­ti­ge ein­bli­cke. z.bsp., wenn er beob­ach­tet: „in die­sem sin­ne ist der pop-geschmack eine fort­set­zung, eine fort­schrei­bung des avant­gar­dis­ti­schen geschma­ckes. der pop-geschmack kon­sti­tu­iert sich näm­lich dad­urt, dass er den kom­men­tar, d.h. die wor­te, durch zah­len ersetzt.“ (101) „die pop-sen­si­bi­li­tät ist näm­lich so kon­stru­iert, dass ihr trä­ger im pri­mä­ren akt der wahr­neh­mung eines kunst­werks die zah­len sei­ner ver­brei­tung mit wahr­nimmt, mit­fühlt, mit­denkt.“ (101f.) beim lesen die­ser pas­sa­gen kom­men mir dann doch zwei­fel – mög­li­cher­wei­se hat groys doch so unrecht gar nicht (was aber frag­lich bleibt: sei­ne aus­schließ­li­che fun­die­rung des pop-geschmacks auf den zah­len – da spielt sicher noch mehr mit…). denn kurz dar­auf heißt es sehr rich­tig: „der pop-geschmack ist […] ein reflek­tier­ter geschmack – er nimmt nicht nur das kunst­werk, son­der auch sei­nen kon­text wahr und beur­teilt bei­de gleich­zei­tig.“ (102) – beim abtip­pen fällt mir gera­de doch noch etwas deut­lich posi­ti­ves an die­sem auf­satz und dem gan­zen band auf: pop wird ohne zwei­fel als kunst (an)erkannt. selbst das ist ja heu­te nicht selbst­ver­ständ­lich… aber wei­ter zu groys: die ver­bin­dungs­li­ni­en, die er zwi­schen avant­gar­de und pop zieht, geben zu den­ken. denn die kom­men­ta­ti­ve rezep­ti­on ist nur ein teil. bei­de ver­bin­det außer­dem der ver­lust der geschich­te und der mas­sen, sowie ein signi­fi­kan­ter orts­wech­sel: „als ort der pro­fes­sio­nel­len kunst fun­giert heu­te also nicht mehr das muse­um, son­dern die sta­tis­tik.“ (105) das pro­blem frei­lich bleibt: so wahr das an sich ist, groys über­treibt in der ver­ab­so­lu­tie­rung die­ses fak­tums. des­halb mischen sich auch immer wie­der selt­sa­me und fal­sche state­ments unter den text – ein bei­spiel: „der pop-kon­for­mis­mus ist dage­gen ein glo­bal­kon­for­mis­mus – er ori­en­tiert sich an glo­ba­len infor­ma­ti­ons­flüs­sen, die ihm die infor­ma­tio­nen dar­über ver­mit­teln, was für die gro­ßen mehr­hei­ten in der gro­ßen außen­welt als ange­sagt gilt.“ (108) so weit mal dazu, das kom­men­tie­re ich jetzt mal nicht wei­ter…

auf groys folgt ein kennt­nis­rei­cher auf­satz des musik­wis­sen­schaft­lers (vom ber­li­ner insti­tut für popu­lä­re musik) peter wicke: sound­tracks. pop­mu­sik und pop-dis­kurs. immer­hin einer, der gemerkt hat, dass der begriff „pop“ nicht von der pop-art erfun­den wur­de. enjott schnei­der erzählt dage­gen in mei­nen augen viel blöd­sinn, was die rol­le und den cha­rak­ter des films angeht – aber da ken­ne ich mich kaum noch aus … lorenz engell lie­fert dage­gen eine schlüs­si­gen, inter­es­san­ten bei­trag zum tv-pop, in dem er drei prin­zi­pi­en des fern­se­hens und des­sen ent­wick­lungs­über­gän­ge mit den phä­no­men des pop kurz­schließt und zu erklä­ren ver­sucht – ein ansatz, der durch­aus charme hat. michae­le krüt­zen führt das dann in einer detail­stu­die zu mtv und deren video-music-award, das tref­fen von madon­na, spears und agui­lera im zei­chen des pop und des events, des tv und sei­nen pseu­do-events sowie den pseu­do-events zwei­ter ord­nung fort. den abschluss schließ­lich macht ulf pos­ch­ardt, hier noch kein fdp-anhän­ger, der erstaun­lich tref­fend pop als „öffent­li­ches gesicht“ zu beob­ach­ten ver­sucht, als (mög­lich­keit der) iden­ti­täts­kon­sti­tu­ti­on, wie er sie in ers­ter linie anhand von pop-vide­os nach­weist. das gan­ze unter­nimmt er v.a. vor dem hin­ter­grund der vir­tu­el­len rea­li­tät der maschi­nen, des com­pu­ters, die zur visu­el­len fäl­schung des gesichts als zei­chen der iden­ti­tät führt. damit ist natür­lich ein pro­blem offen­sicht­lich: das ver­schwin­den der iden­ti­tät, das pop revi­die­ren soll­te, ist zugleich auch ein teil des pop – als reak­ti­on auf die­ses pro­blem. „iden­ti­tät bleibt so dog­ma­tisch, als sowie­so kon­stru­iert, in der mög­lich­keits­form haf­tend.“ (254). das ist zwar ein­leuch­tend und wahr­schein­lich auch rich­tig und wahr, erklärt aber immer noch nicht: „was ist pop?“ das fra­ge­zei­chen bleibt mun­ter ….

protestanten und ihr ‑ismus

sie müs­sen aus­ge­spro­chen gute lek­to­ren beim beck-ver­lag in mün­chen haben für die­se rei­he, die „wissen“-taschenbücher. die sind näm­lich immer aus­ge­spro­chen gut les­bar, für lai­en ver­ständ­lich, ohne des­halb flach zu sein. die­ser band (der pro­tes­tan­tis­mus von fried­rich wil­helm graf) ist dabei schon ver­gleichs­wei­se vor­aus­set­zungs­reich, und – um es gleich zu sagen – mir fehlt auch ein wenig der kern: da wird viel geschrie­ben über die äuße­re ent­wick­lung des pro­tes­tan­tis­mus, viel über die kul­tu­rel­le und poli­ti­sche sei­te, aber der eigent­lich nukle­us, die spe­zi­fi­sche form des glau­bens und der fröm­mig­keit, ist für mei­ne begrif­fe etwas kurz abge­han­delt – es kommt natür­lich vor und ist selbst­ver­ständ­lich ange­sichts der (hier auch gut dar­ge­stell­ten) viel­falt pro­tes­tan­ti­scher strö­mun­gen sicher eine schwie­ri­ge auf­ga­be, aber gera­de da hät­te ich mir ein biss­chen mehr infor­ma­ti­on gewünscht, die über die kon­sta­tie­rung des pro­blems hin­aus­geht: „alle aus­sa­gen über ein ‚wesen des pro­tes­tan­tis­mus‘ las­sen sich durch viel­fäl­ti­ge wider­stre­ben­de phä­no­men in ein­zel­nen pro­tes­tan­ti­schen lebens­wel­ten rela­ti­vie­ren“ – geschenkt, das ist bil­lig. das „pro­tes­tan­ti­sche“ als sol­ches, so sug­ge­riert schon der blick ins inhalts­ver­zeich­nis (und die lek­tü­re bestä­tigt das lei­der cum gra­no salis) inter­es­siert graf nur mehr am ran­de: wenn es um „die zukunft des pro­tes­tan­ti­schen“, so heißt das abschlie­ßen­de kapi­tel, geht.der pro­tes­tan­tis­mus scheint also, wenn man nur grafs dar­stel­lung vor augen hat, mehr ein kul­tur­phä­no­men als eine reli­giö­se erschei­nung zu sein. sein haupt­ka­pi­tel ist dann auch fol­ge­rich­tig so beti­telt: „pro­tes­tan­tis­mus und kul­tur“. hier ver­sucht graf, dem wesen des pro­tes­tan­tis­mus auf die spur zu kom­men. und eben mit den genann­ten schwie­rig­kei­ten. aber doch, um hier nicht nur blöd rum­zum­eckern, auch wie­der nicht ganz ver­ge­bens. auf­fal­lend ist aller­dings die sehr varia­bel kon­zi­se argu­men­ta­ti­on und fak­ten­dich­te: es gibt sei­ten, da reiht sich (direk­tes oder indi­rek­tes) zitat an zitat, da flie­gen die daten nur so um die köp­fe der leser. und es gibt sei­ten, da kommt graf auf ein­mal wie­der zu einer les­ba­ren dar­stel­lungs­form – scha­de, dass die vari­anz so arg groß ist.

die pro­tes­tan­ten und staat, bil­dung, indi­vi­du­um, inner­lich­keit – das sind sei­ne haupt­the­men. und das gan­ze vor­züg­lich an quel­len des 18. und 19. jahr­hun­derts dar­ge­stellt, von denen graf eine unüber­seh­ba­re men­ge zu ken­nen scheint. was das 20. jahr­hun­dert angeht, wird es aber ganz plötz­lich ganz dünn, über die zwan­zi­ger hin­aus gibt es kaum etwas, als hät­te sich das pro­blem bereits erle­digt, als wür­de kei­ner mehr dar­über nach­den­ken …

so kreist graf also eigent­lich immer wei­ter um ganz weni­ge the­men: die indi­vi­dua­li­sie­rung (v.a. des glau­bens, die aber nicht ohne fol­gen für das welt­li­che den­ken und leben blieb…) und das, was seit max weber die „pro­tes­tan­ti­sche ethik“ genannt wird, die bemü­hung um öko­no­mi­schen etc. erfolg im dies­seits als zei­chen eines from­men, gott­ge­fäl­li­gen lebens, die hand in hand geht mit der ent­wick­lung des bür­ger­li­chen leis­tungs­ethos: „die in allen pro­tes­tan­ti­schen lebens­wel­ten zu beob­ach­ten­de sym­bo­li­sche kom­mu­ni­ka­ti­on, in der inner­lich­keit reli­gi­ös insze­niert und refle­xiv gestei­gert wird, läßt sich des­halb auch als erfin­dung von indi­vi­dua­li­tät beschrei­ben.“ (73) – schon recht, aber ist das nicht ein wenig ein­sei­tig? spiel­ten da nicht – auch – noch ande­re fak­to­ren eine rol­le? z.b. der tief­grei­fen­de wan­del der öko­no­mi­schen und poli­ti­schen ver­fas­sung der gesell­schaft seit dem mit­tel­al­ter? deren zuneh­men­de beschleu­ni­gung? das sind natür­lich alles fak­to­ren, die nie allei­ne betrach­tet wer­den kön­nen, immer in hef­tigs­ten inter­de­pen­den­zen ste­hen und die sache des­halb so höl­li­sche kom­pli­ziert machen… lus­ti­ger­wei­se (aber: eigent­lich ist das nicht so wahn­sin­nig lus­tig…) schreibt graf selbst zwei sät­ze wei­ter: „die auf­klä­rer und die libe­ra­len des 19. und 20. jahr­hun­derts fei­er­ten die refor­ma­ti­on des­halb als jene reli­gi­ös …

gesund oder krank: das ich in der postmoderne

rai­ner funk macht sich gedan­ken dar­über: ist die spe­zi­el­le ich-ori­en­tie­rung des sub­jekts in der post­mo­der­ne psy­cho­ana­ly­tisch gese­hen etwas gutes oder schlech­tes? es ist natür­lich etwas defi­zi­en­tes, im grun­de kran­kes: sie ist nicht-pro­duk­tiv (und noch eine men­ge ande­res). da ich von psy­chon­ana­ly­se ja eigent­lich kei­ner­lei ahnung habe, kann ich nicht wirk­lich beur­tei­len, wie gut funk dabei ist. was ich aber sagen kann ist, dass sich die lek­tü­re des eigent­lich gar nicht so umfang­rei­chen büch­leins (ca. 240 sei­ten im taschen­buch in sehr gro­ßer schrift­ty­pe) erstaun­lich zäh hin­zieht. und dass eini­ges auf­fällt. etwa, dass funk außer sieg­mund freud und sei­nem gro­ßen vor­bild und meis­ter erich fromm fast kei­ne lite­ra­tur ver­wen­det (außer eini­gen weni­gen sozio­lo­gi­schen unter­su­chun­gen). ent­spre­chend mono­gam ist die argu­men­ta­ti­on. und da ist noch ein schwach­punkt: funk rei­tet ewig auf den sel­ben ent­de­ckun­gen her­um, führt sie immer wie­der und wie­der und wie­der neu aus. denn so viel hat er gar nicht zu sagen: die ich-ori­en­tie­rung der post­mo­der­ne ist kein ego­is­mus, kein nar­ziss­mus, son­dern eine eige­ne form, eine psy­chi­sche reak­ti­on auf die erfah­rung der „gemach­ten welt“, der unend­li­chen mög­lich­keit der fik­ti­on etc. pp.

damit rüh­ren wir an eine grund­sätz­li­che frag­wür­dig­keit für mich: sind die digi­ta­len wel­ten, die funk als so wesent­lich für die post­mo­der­ne aus­macht, wirk­lich etwas kate­go­ri­al neu­es? wenn man sie näm­lich wie funk auf ihre fik­tio­na­li­tät (als gegen­ent­wurf zu oder flucht aus der rea­li­tät) beschränkt, schei­nen sie für mich zunächst gar nicht so sehr unter­schie­den von den mög­lich­kei­ten der ver­gan­gen­heit, ins­be­son­de­re der moder­ne, aber sogar auch frü­he­rer zei­ten: da wären natür­lich jede art von lite­ra­tur (was ist ein roman denn ande­res als ein alter­na­ti­ver lebens­ent­wurf?), da wäre auch das thea­ter und natür­lich schon von anfang an der (kino-)film. neu wäre mög­li­cher­wei­se ihr aus­maß – aber selbst das wür­de ich nicht so ohne wei­te­res behaup­ten wol­len, das müss­te schon noch ein wenig fak­tisch unter­mau­ert wer­den – dass fun­ke das nicht leis­tet, ver­wun­dert kaum.

denn sei­ne unter­su­chung zum ich in der post­mo­der­ne hat noch eine wei­te­re ganz gro­ße lücke: sei­ne post­mo­der­ne. die wird, wie so oft, zunächst sehr vage und unge­nau als phi­lo­so­phi­sche strö­mung beschrie­ben, die dann aber auf ein­mal, in einer hoff­nungs­lo­sen über­be­wer­tung ihres ein­flus­ses, den gesam­ten all­tag der men­schen erfasst (über­flüs­sig zu sagen, dass für fun­ke irgend­wie nur men­schen der euro­päi­schen, viel­leicht noch ame­ri­ka­ni­schen län­der über­haupt vor­kom­men), ihr den­ken und han­deln bestimmt und dem­entspre­chend ihre psy­che beein­flusst. genau das aber zeigt fun­ke über­haupt nicht (es wäre auch nicht ganz anspruchs­los…): ob die post­mo­der­ne der phi­lo­so­phie und ihrer ästhe­ti­schen aus­wir­kun­gen (und da fängt es ja schon an – ganz gro­ße tei­le der kunst igno­rie­ren ihre ideen schließ­lich ein­fach ganz und gar) wirk­lich unser leben in die­sem aus­ma­ße bestimmt (hat), ist doch mehr als frag­lich. und des­halb bleibt fun­kes buch auch so beschei­den im ertrag. und da ich gera­de dabei bin, fällt mir doch noch etwas ein: wie alle „errun­gen­schaf­ten“ der post­mo­der­ne sowie­so in ihrer fak­ti­zi­tät frag­lich sind, ist auch der von fun­ke beobachtete/​diagnostizierte post­mo­der­ne mensch wohl nur sel­ten in frei­er wild­bahn anzu­tref­fen. heu­te noch sel­te­ner als in sei­ner hoch­zeit, den neun­zi­ger jah­ren. denn inzwi­schen hat sich doch alles schon wie­der drei­mal geän­dert…

rai­ner funk: ich und wir. psy­cho­ana­ly­se des post­mo­der­nen men­schen. mün­chen: dtv 2005
sie­he auch: per­len­tau­cher, eine kurz­ver­si­on in der „welt am sonn­tag“

Sprache und die Unmöglichkeiten ihrer Kritik

so, der nach­trag vom wochen­en­de. mei­ne haupt­lek­tü­re: das neu­es­te buch von die­ter e. zim­mer: spra­che in zei­ten ihrer unver­bes­ser­lich­keit. ham­burg: hoff­mann und cam­pe 2005. ins­ge­samt nicht ganz so erquick­lich wie ich es mir erhoff­te.
grund­sätz­lich hat er ja die rich­ti­gen ideen, ins­be­son­de­re im ers­ten kapi­tel zu den grund­säzt­li­chen mög­lich­kei­ten der sprach­kri­tik – auch wenn das arg aus­schwei­fend und pene­trant red­un­dant for­mu­liert ist. spä­ter frei­lich krankt sei­ne dar­stel­lung – und auch schon sein gedan­ken­gang – v.a. zum pri­va­ten schrift­li­chen all­tags­deutsch an einem abso­lut untaug­li­chen kor­pus (nur inter­net-quel­len, noch dazu sol­che wie ebay-auk­tio­nen…) und sei­ner wie­der­um weit aus­ho­len­den, aber arg ein­sei­ti­gen dis­kus­si­on des anglizismen-„problems“.

im zen­trum (auch ganz pro­fan in der mit­te des buches) des gan­zen steht sicher nicht zufäl­lig die recht­schrei­bung und ihre reform inklu­si­ve der aus­ufern­den debat­te dazu und über­haupt die reform­fä­hig­keit von recht­schreib­vor­schrif­ten. hier hat zim­mer durch­aus ver­nünf­ti­ge vor­schlä­ge – was vor allem an sei­ner dezi­diert prag­ma­ti­schen aus­rich­tung liegt. reform soll­te schon mal sein, aber vor allem ein wenig bes­ser durch­dacht, kon­se­quen­ter und auch jetzt noch mit eini­gen modi­fi­ka­tio­nen – etwa bei der von zim­mer abge­lehn­ten, sinn­wid­ri­gen und unäs­the­ti­schen mecha­ni­schen tren­nung sowie natür­lich bei der getrennt- und zusam­men­schrei­bung.
der gesam­te zwei­te teil dient vor allem zwei zwe­cken: der offi­zi­el­le grund ist wohl, zu zei­gen, dass gro­ße tei­le der lin­gu­is­tik aus fal­schen grün­den die sprach­kri­tik ableh­nen. der eigent­lich grund scheint aber eher zu sein: seht her, das habe ich alles gele­sen, das ken­ne und beherr­sche ich alles. zim­mer bedient sich dafür äußrst groß­zü­gig am buf­fet der sprach­wis­sen­schaft, lässt aber auch ganz gro­ße berei­che ein­fach außer acht, scheint sie noch nicht ein­mal zu ken­nen. das betrifft vor allem neue­re theo­rien sowohl der gram­ma­tik (natür­lich nimmt er von der opti­ma­li­täts­theo­rie kei­ne notiz), aber auch fast die kom­plet­te, inzwi­schen ja sehr expe­ri­men­tell aus­ge­rich­te­te, psy­cho­lin­gu­is­tik wür­digt er kei­nes bli­ckes. ent­spre­chend alt­ba­cken und mager sind die ergeb­nis­se. über das niveau der ein­füh­rungs-pro­se­mi­na­re kommt er kaum her­aus. und auch da beschränkt er sich schon außer­or­dent­lich stark: auf­grund sei­nes ver­ständ­nis­ses von sprach­kri­tik (das er so frei­lich nie expli­ziert) als kri­tik v.a. der wort-seman­tik und des „rich­ti­gen“ gebrauchs der wör­ter, mit ein wenig syn­tax dazu, lässt er gro­ße tei­le der sprach­wis­sen­schaft außer acht, u.a. eben die tei­le der seman­tik, die über das ein­zel­ne wort hin­aus­ge­hen – das, was ja erst so rich­tig span­nend wird…

er bemüht sich sehr, die neu­tra­li­tät der lin­gu­is­tik zurück­zu­wei­sen – aller­dings aus fal­schen grün­den. im kern behaup­tet zim­mer näm­lich, die lin­gu­is­tik sei ideo­lo­gisch kon­ta­mi­niert und des­halb nicht wil­lens, sprach­kri­tik zu betrei­ben. das macht er vor allem am nati­vis­mus der (post-)chomsky’schen aus­prä­gung fest, den er aber sehr ent­stellt und längst nicht mit sei­nen aktu­el­le­ren ent­wick­lun­gen vor­stellt. wenn er etwa viel mühe dar­auf ver­wen­det, zu zei­gen, dass lexi­ka nicht ange­bo­ren sein kön­nen, weil dafür gar nicht genug „spei­cher­platz“ in den genen sei, zeigt er vor allem, wie wenig er ver­stan­den hat. denn wenn ich recht sehe, glaubt das doch sowie­so nie­mand mehr – es geht doch gera­de dar­um, dass die zugrun­de­lie­gen­den struk­tu­ren gene­tisch ver­mit­telt wer­den und dann mit­tels des inputs „gefüllt“ wer­den. das ist alles umso erschre­cken­der, als zim­mer gera­de den lin­gu­is­ten fal­sche und ideo­lo­gi­sche moti­vier­te schluss­fol­ge­run­gen vor­wirft – sei­ne eige­nen schlüs­se erschei­nen mir aber wesent­lich fahr­läs­si­ger und ein­sei­ti­ger. das pro­blem der ver­er­bung bzw. der ent­wick­lung eines „sprach­ge­ns“ scheint mir gar nicht so sehr ein pro­blem zu sein: es wur­de inzwi­schen ja durch­aus gezeigt, dass kom­ple­xe sys­tem sich der­art ent­wi­ckeln kön­nen – das bes­te bei­spiel dafür ist ja das auge (womit die krea­tio­nis­ten ja so ger­ne argu­men­tie­ren). aber so etwas nimmt zim­mer genau­so wenig zur kennt­nis wie neue­re for­schun­gen zur evo­lu­tio­nä­ren lern­bar­keit von spra­che, die in expe­ri­men­ten (mit algo­rith­men etc.) ja inzwi­schen durch­aus gesi­chert ist.

„lass dei­ne spra­che nicht allein“ ist zim­mers fazit – damit hat er ja recht. nur sei­ne grün­de sind lei­der die fal­schen. denn die lin­gu­is­ten dür­fen das durch­aus – und zwar genau so, wei bio­lo­gen nicht natur­schüt­zer sein müs­sen.

willensfreiheit – aber richtig, bitte!

end­lich das mer­kur-heft von märz ange­gan­gen. wie so oft steht das bes­te am anfang: ein text von jan phil­ipp reemts­ma, das schein­pro­blem wil­lens­frei­heit. ein plä­doy­er für das ende einer über­flüs­si­gen debat­te. denn reemts­ma gelingt – mit zunächst erstaun­lich gerin­gem, sehr schnell aber bewun­dernd beob­ach­tet öko­no­mi­schen ein­satz von gehirn­schmalz und argu­men­ta­ti­on, die von den neu­ro­lo­gen (um wolf sin­ger und kon­sor­ten) ange­zet­tel­te debat­te um die neu­ro­lo­gi­sche vor­be­stim­mung aller mensch­li­chen ent­schei­dun­gen und die damit angeb­lich ein­her­ge­hen­de unmög­lich­keit des kon­struk­tes, der idee einer per­so­na­len, sub­jek­ti­ven, ich-gebun­de­nen wil­lens­frei­heit, – ja man muss sagen, abzu­schmet­tern und mit eini­gen ver­nich­tend genau plat­zier­ten schlä­gen auf den boden zu schi­cken. wenn ich das rich­tig ver­stan­den habe, geht die argu­men­ta­ti­on unge­fähr so: zunächst muss man natür­lich erst mal klar­stel­len, was wil­lens­frei­heit ist – näm­lich die unter­stel­lung, „men­schen hät­ten auch anders han­deln kön­nen, als sie es getan haben”. das impli­ziert ja gera­de die idee der ver­w­ant­wor­tung des sub­jek­tes für sei­ne ent­schei­dun­gen und v.a. taten, und ent­spre­chend sei­ne schuld­fä­hig­keit. der ent­schei­den­de schritt, der reemts­ma von den schein­bar phi­lo­so­phi­schen argu­men­ten der neu­ro­bio­lo­gen trennt, ist nun fol­gen­der: „nichts spricht gegen die annah­me, daß sol­che phä­no­me­ne [d.h. ent­schei­dun­gen, gedan­ken, stim­mun­gen etc.] als hirn­vor­gän­ge in einem neu­ro­bio­lo­gi­schen respek­ti­ve bio­che­mi­schen voka­bu­lar voll­stän­dig beschrie­ben wer­den kön­nen. nichts spricht für die annah­me, daß mit der mög­lich­keit einer sol­chen beschrei­bung ein voka­bu­lar der mora­li­schen oder eines der ästhe­ti­schen oder eines der juris­ti­schen beschrei­bung sol­chen ver­hal­tens über­flüs­sig wür­de.” und vor allem dann: „eben­so­we­nig spricht dafür, daß die letzt­ge­nann­ten voka­bu­la­ri­en das wesent­li­che an die­sen phä­no­me­nen erfaß­ten, woge­gen die ers­te­ren nur die ‚mate­ri­el­le erschei­nungs­form‘.” par­al­lel dazu weist reemts­ma natür­lich auch das kau­sa­li­täts­ar­gu­ment zurück – das lässt sich ja durch ein­fa­chen regress ad adsur­bum füh­ren: „wenn alles vom urknall an wie eine gut gebau­te linie domi­no­stei­ne durch die jahr­mil­lio­nen klap­pert, dann ist auch die art und wei­se, wie ernst jemand dies als argu­ment nimmt, eben­so deter­mi­niert wie das vor­brin­gen des argu­ments selbst. dann ist das für-läp­pisch-hal­ten die­ses argu­ments bei eini­gen eben­so not­wen­dig deter­mi­niert wie das vor­brin­gen des argu­ments selbst.“ der nächs­te schritt ist nun, das libet-expe­ri­ment als argu­ment für einen neu­ro­lo­gi­schen deter­mi­nis­mus zurück­zu­wei­sen. denn das expe­ri­ment sagt ja bei genau­er betrach­tung nur aus, dass „das bereit­schafts­po­ten­ti­al ent­steht, bevor die ver­suchs­per­son der emp­fin­dung, einen ent­schluß gefaßt zu haben, aus­druck ver­leiht.” das ent­schei­den­de hier­bei ist näm­lich, nicht aus den augen zu ver­lie­ren, dass „wir nie­mals jene momen­te des bewuß­ten über­gangs, des schwan­ken zwi­schen meh­re­ren mög­lich­kei­ten” einer ent­schei­dung über­haupt erle­ben. der wich­ti­ge schritt von den neu­ro­bio­lo­gi­schen vor­gän­gen zu den gedan­ken schafft näm­lich die neu­ro­bio­lo­gie offen­bar noch nicht, da ist noch eine – ent­schei­den­de – lücke. wie reemts­ma nun aber zei­gen kann, muss sin­ger die „vor­stel­lung eines sub­jek­tes ‚hin­ter‘ den neu­ro­na­len pro­zes­sen, das sich ihrer gleich­sam bedient” über­haupt erst eta­blie­ren, um es dann ach so wir­kungs­voll abweh­ren zu kön­nen. und die ursa­che die­ser argu­men­ta­ti­ven mise­re sieht reemts­ma in der man­gel­haf­ten phi­lo­so­phi­schen bil­dung sin­gers. denn: „das kurio­se dabei ist, daß in die­ser wei­se ambi­tio­nier­te aka­de­mi­ker den anspruch der phi­lo­so­phie zunächst ernst neh­men müs­sen, um ihn dann vehe­ment bestrei­ten zu kön­nen.” „denn die unkennt­nis der phi­lo­so­phi­schen tra­di­ti­on ist ja bei die­sen tex­ten oft mit hän­den zu grei­fen.“ und aus all dem folgt schieß­lich ganz unauf­dring­lich: „die moder­ne hirn­for­schung zeigt uns, wie wir im lau­fe unse­res lebens zu dem wer­den, was wir sind. … wenn wir unter ‚frei­heit‘ ver­ste­hen wür­den, daß men­schen han­del­ten, als hät­ten sie ein­ge­bau­te zufalls­ge­nera­to­ren, wür­den wir die frei­heit nicht schät­zen” – „die bedeu­tung von ‚wil­lens­frei­heit‘ ist nie­mals die unter­stel­lung, jemand kön­ne oder sol­le han­deln, als wäre er nicht er selbst oder jemand ande­res.” frei­heit meint also – das ist nicht über­ra­schend – auto­no­mie: „frei­heit heißt nicht han­deln, als wäre ich nicht ich selbst, son­dern anders han­deln zu kön­nen als jemand ande­res.” und dann ist die gan­ze neu­ro­bio­lo­gie und ihr deter­mi­nis­mus doch ziem­lich belang­los: „was tut es hin­zu, zu erwäh­nen, daß dies ‚wol­len‘, ‚die ent­schei­dung‘, wie immer wir es nen­nen, im gehirn statt­fin­det? … was tut es hin­zu, daß sich dies ‚wol­len‘, ‚die ent­schei­dung‘, wie immer wir es nen­nen, als eine abfol­ge neu­ro­na­ler pro­zes­se beschrei­ben läßt? nichts.” genau, das ist es!

reemts­ma ergänzt das gan­ze dann noch um eini­ge anmer­kun­gen zum pro­blem der mora­li­schen (und recht­li­chen) ver­ant­wor­tung, der schuld – fra­gen, die ja die neu­ro­bio­lo­gen auch ger­ne auf­wer­fen. auch hier besteht reemts­ma natür­lich auf die wei­ter­hin gül­ti­ge vor­aus­set­zung der wil­lens­frei­heit: „daß jemand gehan­delt hat, wie er gehan­delt hat, beweist natür­lich über­haupt nicht, daß er nicht anders han­deln konn­te, son­dern allein, daß er nicht anders han­deln woll­te.“ –> „wer meint, die neu­ro­bio­lo­gie kön­ne das straf­recht auf ein ganz ande­res wis­sen­schaft­li­ches fun­da­ment stel­len, hat das funk­tio­nie­ren moder­ner gesell­schaf­ten nicht ver­stan­den. denn das straf­recht ruht auf über­haupt kei­nem wis­sen­schaft­li­chen (oder phi­lo­so­phi­schen) fun­da­ment, son­dern beruht auf den unter­schei­dun­gen, die sein spe­zi­fi­sches voka­bu­lar erlaubt, in der welt zu tref­fen.” und damit wäre das jetzt auch end­lich mal geklärt.

porno-pop noch einmal

so, jetzt ist auch der rest des ban­des bewäl­tigt – mit durch­aus zwie­späl­ti­gen ein­drü­cken. aber wie soll­te es bei einem sam­mel­band auch anders sein. der anfang war ja sehr viel­ver­spre­chend, der rest aller­dings lei­der nicht immer genau­so span­nend. clau­dia gehr­ke hat einen etwas wir­ren erfah­rungs­be­richt (rot­käpp­chen und die por­no­gra­fie) bei­gesteu­ert, in dem sie von der publi­ka­ti­on „mein heim­li­ches auge“ berich­tet und den schwie­rig­keit des umgangs damit, was ins­be­son­de­re an der schwie­rig­keit einer kla­ren (juris­ti­schen) defi­ni­ti­on von por­no­gra­phie liegt. jörg met­tel­man hat in fle­sh for fan­ta­sy. das por­no-pop-for­mat dage­gen sehr schön die kon­stan­ten und vari­an­zen des por­no her­aus­ge­ar­bei­tet, ins­be­son­de­re auf theo­re­ti­scher ebe­ne recht erquick­lich. er beob­ach­tet dabei neben ande­rem vor allem den ver­lust der erre­gung, die mit dem obs­zö­nen und sei­ner über­schrei­tung ver­bun­den war. die hin­wen­dung zur kunst voll­zieht zunächst hol­ger liebs, der in spul mal vor, alter vor allem die gegen­sei­ti­ge befruch­tung von kunst und por­no­gra­fie in den blick nimmt – nicht sehr span­nend, weil nicht beson­ders viel dabei her­aus kommt. kath­rin rög­g­la ver­zwei­felt dann an ihren figu­ren, die ficken wol­len, wenn sie nicht sol­len bezie­hungs­wei­se umge­kehrt und so wei­ter… die­mar schmidt nimmt in zwi­schen den medi­en die trans­me­dia­li­tät als por­no­gra­phi­sche bewe­gung (und die por­no­gra­phie als inter­me­dia­le unter­neh­mung) mit bezug auf schnitz­lers traum­no­vel­le und kubricks anleh­nung, eyes wide shut, in den blick. das schien mir aber vor allem kuri­os, nicht ganz klar ist mir gewor­den, war­um er so dar­auf beharrt, dass inter­me­dia­li­tät ein por­no­gra­phi­sches phä­no­men sei. dem rap wen­det sich flo­ri­an wer­ner mit „por­no­gra­phy on wax“? zu. schlüs­sig unter­sucht er rap-tex­te, ins­be­son­de­re von emi­nem, auf den vor­wurf der por­no­gra­phie (ins­be­son­de­re natür­lich im zusam­men­hang mit der mut­ter­be­schimp­fung) und erkennt sie als im grun­de als auf­klä­re­ri­sche por­no­gra­phie: ankla­ge und stil­mit­tel zugleich, gefan­gen in der ambi­gui­tät des under­dogs im main­stream etc… und sven­ja flaß­pöh­ler ver­sucht mit shake your tits!, die rol­le der frau bzw. ihrer stel­lung zwi­schen mensch und sex-objekt in diver­sen schat­tie­run­gen anhand der bei­spie­le madon­na, chris­ti­na agui­lera und brit­ney spears zu beleuch­ten. aber das bleibt ziem­li­ches wischi-waschi…

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