Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: musik Seite 4 von 37

day & taxi (gruppenfoto)

Day & Taxi auf der Suche nach dem Weg

day & taxi, way (cover)Vielle­icht sind “Day & Taxi” auch nur auf der Suche nach einem Weg. Auf Way gibt es davon jeden­falls viele. Christoph Gal­lio als Chef dieses Trios mit dem selt­samen Namen “Day & Taxi”, der auch alle Musik für diese im Jan­u­ar im Stu­dio aufgenommene CD beis­teuert, begeg­net mir so halb am Rande meines musikalis­chen Wahrnehmungs­feldes immer mal wieder (die “Soziale Musik” finde ich zum Beispiel konzep­tionelle sehr span­nend). Das Trio gibt es jet­zt schon eine ganze Weile, auch die neue Beset­zung — mit jun­gen Män­nern am Bass und Schlagzeug — ist schon gut einge­spielt.

So ist Way eine sehr kon­trastre­iche CD gewor­den, die viel sehr het­ero­genes Mate­r­i­al ver­sam­melt, auch von unter­schiedlich­er Span­nung und Güte in meinen Ohren. MM (for Mark Müller) als Beispiel ver­sam­melt das meiste davon gle­ich in einem: gemäßigtes Pow­er­play, das dann wieder ins Stock­en gerät, in eine Leere, eine Art musikalis­ches Ein­frieren fällt, daraus aber wieder weit­er­ma­cht und auch poet­isch-ver­sonnene Ein­fälle prob­lem­los inte­gri­ert.

Viele “Wid­mungsstücke” gibt es auf Way, die Namen sagen mir fast alle nichts. Nicht immer wird beim Hören klar, wie viel/was davon jet­zt kom­poniert oder impro­visiert ist — das ist aber eben auch egal: Kontin­gen­zen und Möglichkeits­for­men wer­den nicht ohne Grund in den Lin­er Notes the­ma­tisiert. Das ist vielle­icht das auf­fäl­lig­ste an Way: Dass es kaum eine wirk­liche Rich­tung gibt, son­dern das Trio vie­len Verästelun­gen nachge­ht, an Weg­ga­belun­gen immer neu spon­tan-zufäl­lig entschei­det — und dabei Umwege und Irrun­gen, auch Sack­gassen in Kauf nimmt, nicht ver­schweigt, son­dern auch dem Hör­er offen­bart. Wahrschein­lich fällt mir deshalb das Urteil so schw­er: Ich höre die Qual­ität des Albums, das ist unstre­it­ig richtig gute Musik. Aber ich habe das ganze jet­zt drei- oder vier­mal gehört: Und so richtig mitreißen oder begeis­tern kann es mich als Ganzes nicht. Vielle­icht liegt es am Klang­bild, Gal­lios Sax­o­phone klin­gen mir etwas eng-nasal … Es mag aber aber auch an den Unein­deutigkeit­en liegen. Was aber wieder selt­sam ist, weil ich offene Musik eigentlich favorisiere. Nur bleibt mir diese Offen­heit hier etwas ver­schlossen. (Naja, die Meta­pher habe ich jet­zt genug stra­paziert …). Aber ander­er­seits: Bei jedem Hören ent­decke ich neue span­nende, faszinierende Momente. MM habe ich schon erwäh­nt, auch Snow White Black Mag­ic ist ziem­lich gelassen-großar­tig. Dazwis­chen ste­ht auch viel kurzes Mate­r­i­al, das da ein­fach so herum­ste­ht, wie ein Gewächs am Wegerand: Das ist, das existiert für sich — aber damit passiert nichts. Manch­mal fällt es einem der drei Reisenden auf, dann entwick­eln sich daraus Ideen, kom­plexere Abläufe. Manch­mal ist es nach ein paar Dutzend Sekun­den aber auch wieder aus dem Blick­feld und damit erledigt. Bis etwas Neues auf­taucht, ein­fällt oder passiert.

Way hat aber noch eine wirk­liche Beson­der­heit. Unter den 22 Titeln sind einige Minia­turen. Und darunter noch drei spezielle: Minia­turen näm­lich, die Texte von Friederike Mayröck­er aufnehmen. Das hat mich — als Mayröck­er-Leser — natür­lich sehr neugierig gemacht. Der Bassist Sil­van Jeger singt also dreimal, jew­eils vier bis sechs Zeilen älter­er Gedichte aus dem umfan­gre­ichen Kat­a­log Mayröck­ers, mit ein biss­chen Geplänkel des Trios dabei. Lei­der sind das wirk­lich knappeste Stückchen — zwis­chen 37 und 47 Sekun­den lang. Und musikalisch passiert da auch nicht sehr viel. Immer­hin wird hier also mal Mayröck­er gesun­gen — so arg häu­fig passiert das ja nicht. Viel mehr höre ich da aber auch nicht. Vor allem keine Antwort auf das Warum? (Warum Mayröck­er? Warum diese Texte?).

Day & Taxi: Way. Per­ca­so 2016: per­ca­so 34. Spielzeit: 1:09:52.

OnAir, Illuminate - Collage (Michael Petersohn)

Erleuchtet auf Sendung: “Illuminate” von OnAir

OnAir, Illuminate (Cover)

Schade: Nach nicht ein­mal ein­er hal­ben Stunde ist das Vergnü­gen schon wieder vor­bei. Oder es begin­nt von vorne. Denn Illu­mi­nate von OnAir, die dritte CD der jun­gen Berlin­er Gruppe, möchte man eigentlich gerne sofort noch ein­mal hören.
In den sechs Songs dreht es sich immer wieder um das Licht, das physis­che Licht der Sterne und das metapho­rische der Erleuch­tung. Schon der Beginn – eine der bei­den Orig­i­nalkom­po­si­tio­nen neben vier Cov­er­songs – set­zt die Erleuch­tung leicht und unbeschw­ert in ein­er eingängi­gen Hymne in Töne. Klar, das ist keine große Kun­st — aber her­rlich-per­fek­te Gute-Laune-Musik mit gut durch­dachtem Arrange­ment und genau aus­bal­anciertem Klang.

Auch der Rest bleibt auf aller­höch­stem Niveau. Denn so viel wird ganz schnell klar (viel Zeit ist ja auch nicht): die Präzi­sion, mit der OnAir durch die Pop- und A‑cap­pel­la-Geschichte hüpfen, ist großar­tig. Noch bess­er ist aber, wie sie die kom­plex­en und aus­ge­feil­ten Arrange­ments sin­gen kön­nen: Das klingt stets lock­er, oft unbeschw­ert und vor allem immer musikalisch zwin­gend.

So kann man in „Sonne“, dem Ramm­stein-Cov­er, den schwachen Text leicht vergessen und stattdessen lieber den feinen Arrange­ment-Ideen nach­hören. Wie OnAir die Sonne zwis­chen dumpf-dröh­nen­dem Bass und Vocal Per­cus­sion im instru­men­tal klin­gen­den Satz und den darüber schweben­den melodis­chen Ele­menten, vor­wiegend der bei­den Frauen, auf­scheinen lässt — das ist klasse.

„Stair­way to Heav­en“ begin­nt dage­gen sehr oldiemäßig, mit zeit­gemäßem Rauschen und leichter Verz­er­rung — wun­der­bar, wie OnAir das in sein Arrange­ment ein­baut und in eine großar­tige Steigerung zu einem ener­getisch pulsieren­den Finale über­führt. Über­haupt ist auf „Illu­mi­nate“ sehr bemerkenswert, wie sie jeden Song entwick­eln, ihm ein eigenes Pro­fil und einen neuen Klang geben. Da klingt wirk­lich jed­er Song anders — anders als der vor­ange­hende, aber auch anders als die Vor­lage. Her­bert Gröne­mey­ers “Der Weg” zeigt das mit seinem zurückgenomme­nen, zer­brech­lichem Arrange­ment ganz typ­isch: Hier klin­gen OnAir wohl am klas­sis­chsten, sehr offen und ver­let­zlich. Und immer wieder hört man neue Details, die jede Stro­phe und jeden Refrain anders klin­gen lassen.

Dem Sex­tett gelingt es über­haupt schein­bar müh­e­los, auf knappem Raum sechs ganz ver­schiedene Klang­bilder zu schaf­fen. Das ver­dankt OnAir nicht nur ihren Stimmkehlen, son­dern auch dem gefüh­lvollen Ein­satz der Ton­tech­nik — auf der sehr abwech­slungsre­ich klin­gen­den CD macht sich wohl auch die Erfahrung von Bill Hare bemerk­bar. Illu­mi­nate ist von der ersten bis zur let­zten per­fek­ten Note schim­mern­der und funkel­nder Vocal-Pop, weil OnAir sowohl den druck­vollen Bre­it­wand­sound (wie im abschließen­den “Illu­mi­nat­ed”) als auch den zarten Klang der kam­mer­musikalisch geset­zten Bal­lade vol­len­det beherrscht. Nach den 25 Minuten kann man nur sagen: Das hat wirk­lich etwas von Erleuch­tung.

OnAir: Illu­mi­nate. Heart of Berlin 2016. Spielzeit: 24:56.

(Zuerst erschienen in »Chorzeit – Das Vokalmagazin« No. 32, Novem­ber 2016.)

Arbeitsplatz (9)

Unver­hofft fand ich mich in einem Ker­b­gottes­di­enst, der nicht — wie es anlässlich eines Festes zur Kirch­wei­he ja zu erwarten wäre — in der Kirche, son­dern im Festzelt auf dem Dorf­platz stat­tfand, wieder. Da durfte ich dann auf dem E‑Piano klimpern. Aber die Gemeinde hat wenig­stens kräftig mit­ge­sun­gen. Was man auf dem Bild nicht sieht: Den Regen, der auf das Zelt­dach und an die Wände pras­selte. Und der über­all durchtropfte — unter anderem auch auf den Altar. Das Instru­ment (und ich) blieb vom Wass­er glück­licher­weise ver­schont.

kerbgottesdienst brensbach

die orgel im kirchenraum

Arbeitsplatz (8)

Das kleine Kirch­lein im ziem­lich kleinen, ver­steckt und abgele­ge­nen Dorf Wald-Amor­bach hat auch eine etwas spezielle Orgel. Das Instru­ment ist seit­en­spielig, was hier schon sel­ten genug ist. Außer­dem hat es eine inter­es­sante Ausle­gung des kurzen Ped­als: Nicht die Oktave ist kurz, son­dern die Ped­al­tas­ten sind so kurz ger­at­en, dass ich mit meinen noch nicht ein­mal beson­ders großen Füßen ganz schöne Prob­leme hat­te, da kein Durcheinan­der anzuricht­en. Ein anderes Prob­lem der nicht­stan­dar­d­isierten, uner­gonomis­chen Maße: Das Noten­pult — da passen näm­lich keine Noten im Hochkant-For­mat drauf. Das ist schon etwas gemein. Aber ich habe ja immer einen Plan B und bin für die meis­ten Fälle inzwis­chen gerüstet …

Die Orgel spielt sich wie eine echte Dor­forgel, die von einem Orgel­bauer gefer­tigt wurde, der wahrschein­lich eher Schrein­er als Instru­menten­mach­er war ;-) (wobei ich keine Ahnung war, wer sie gebaut hat): Die Tas­ten sind reich­lich schw­ergängig, die Into­na­tion sehr unaus­ge­wogen mit eini­gen Über­raschun­gen. Und manche Töne braucht­en einen hal­ben Takt, bis sie richtig ansprachen. Aber auch das macht ja den Reiz des Vertre­tung­sor­gan­is­ten­da­seins aus, dass man immer wieder auf neue (alte), über­raschende Instru­mente stößt …

prospekt der sandbacher orgel

Arbeitsplatz (7)

Die evan­ge­lis­che Kirche in Sand­bach ist über­raschend groß und großzügig gebaut (und ver­fügt noch über die in protes­tantis­chen kirchen inzwis­chen sel­te­nen Beicht­stüh­le) — man muss nur hinkom­men (mit dem Auto ist das etwas aben­teuer­lich …)

Die 1787 von den Brüdern Johann Chris­t­ian und Johann Georg Dauphin erbaute Orgel auf der Empore über dem Altar sieht im Kirchen­raum so aus:
orgel sandbach

Die im großen und ganzen seit ihrer Erbau­ung unverän­derte Orgel hat eine über­raschend großzügige, fein gestufte Dis­po­si­tion, die klan­glich allerd­ings nicht ganz so dif­feren­ziert ist wie es auf dem Papi­er aussieht …

Bayreuth-Notizen 2016

Eine ganze Woche war ich dieses Jahr in Bayreuth bei den Bayreuther Fest­spie­len. Eine volle Ladung Wag­n­er also: Den kom­plet­ten Ring und den Par­si­fal kon­nte ich sehen und hören, dazu noch die Vil­la Wah­n­fried und das dor­tige Richard-Wag­n­er-Muse­um. Damit ist mein Bedarf fürs Erste mal wieder gedeckt …

Aber es war eine tolle Erfahrung, nach mein­er bish­eri­gen ein­ma­li­gen Stip­pvis­ite (wo ich nur zu ein­er Vorstel­lung kam und direkt danach in der Nacht wieder nach Hause fuhr) mal die Fest­spiele so richtig zu erleben. Naja, was eben so richtig heißt … Bei mir hieß das: An- und Abreise mit dem Zug (hin hat das wun­der­bar rei­bungs­los geklappt, zurück war lei­der der erste Zug ab Bayreuth so ver­spätet, dass ich meine Anschlüsse nicht mehr schaffte), Über­nach­tun­gen in der Jugend­her­berge, die Fest­spiel­haus­be­suche ver­gle­ich­sweise under­dressed (keine klas­sis­che Abendgarder­obe …), dafür aber auch ver­gle­ich­sweise bil­lige Plätze im Balkon.

Der Aufen­thalt in der Jugend­her­berge, die nicht mehr ganz heuti­gen Ansprüchen entspricht (etwa: keine Schränke im Zim­mer, nur Spinde auf dem Flur; eine Dusche pro Flur für ca. 30 Bet­ten …), deren Nach­fol­ger direkt nebe­nan aber schon in Bau ist und im näch­sten Früh­jahr in Betrieb gehen soll, hat­te zwar kleinere Kom­fortein­bußen zur Folge, aber dafür einen großen Vorteil: Ich traf gle­ich dort einige andere Wag­ne­r­i­an­er. Genauer gesagt: Einen Englän­der, einen Japan­er, einen Russen und einen Lux­em­burg­er, die (fast) alle im Gegen­satz zu mir wesentlich überzeugtere Wag­ne­r­i­an­er (und Lieb­haber der Oper des 19. Jahrhun­derts über­haupt) waren. Die kos­mopoli­tis­che Zusam­menset­zung unseres kleinen Trup­ps führte dazu, dass ich zwar Werke des vielle­icht deutschesten aller deutschen Kom­pon­is­ten hörte und sah, son­st aber nahezu auss­chließlich englisch redete (und zum Schluss auch schon dachte). Eine sehr inter­es­sante und sehr bere­ich­ernde Erfahrung war es auf jeden Fall.

Aber zur Haupt­sache: Der Ring also. Die Insze­nierung von Frank Cas­torf hat ja nun schon einige Jahre auf dem Buck­el. Beliebter gewor­den ist sie dadurch beim Bayreuther Pub­likum nicht ger­ade. Das ist auch nicht nur Reflex und Faul­heit, son­dern liegt — ver­mute ich — zumin­d­est teil­weise an der Insze­nierung selb­st. Cas­torf hat näm­lich, kön­nte man sagen, ein­fach seine bewährte The­ater­meth­ode der Drama­tisierung großer Romane auf den Ring des Nibelun­gen ange­wandt. Das funk­tion­iert aber nur so halb­wegs, es kracht an allen Eck­en und Enden. Zum einen hat er für mich keine Idee, was der gesamte Ring eigentlich soll und (bedeuten) will. Zumin­d­est keine erkennbar. Ja, es gibt das Motiv des Öls, das irgend­wie das neue Rhein­gold ist (ger­ade im Rhein­gold_wird das recht stark gemacht). Aber das bleibt eine Idee unter vie­len, die nicht kon­se­quent umge­set­zt ist und in der Göt­ter­däm­merung nur noch eine ferne Erin­nerung ist. (Zumal ist die Idee auch zwanzig bis vierzig Jahre zu spät — heute ist Öl ja nicht (mehr) unbe­d­ingt das wertvoll­ste, da sind Dat­en inzwis­chen viel wichtiger …)

Mein Prob­lem mit der Cas­torf-Insze­nierung als Ganz­er war aber — neben vie­len, vie­len Details, die mir ver­schlossen blieben — ein Grund­sät­zlich­es: Mir scheint, Cas­torf hat nicht das Musik­the­ater­w­erk insze­niert, son­dern den Text gele­sen und damit gear­beit­et. Zwis­chen Musik und Bühne gibt es eigentlich kein­er­lei Verbindung (dass der Diri­gent Marke Janows­ki die Insze­nierung für Unsinn hält, mag da mit eine Rolle spie­len). Vor allem aber passt meines Eracht­ens das The­aterkonzept Cas­torfs (das an sich dur­chaus sehr inter­es­sant ist!) nicht zum Wag­n­er­schen Musik­the­ater. Die Büh­nen­bilder, die Aktio­nen und vor allem die Videos, die nicht nur Live-Über­tra­gun­gen des Büh­nengeschehens, son­dern auch vor­fab­rizierte Ein­spiel­er sind, dazu das Orch­ester, die Sänger und Sän­gerin­nen und der Text: Das alles auf ein­mal lässt sich nicht ver­ar­beit­en, geschweige denn deu­tend entschlüs­seln. Ich befand mit im per­ma­nen­ten Über­forderungsmodus, der Über­fluss an Zeichen und Bedeu­tun­gen führte zur Kapit­u­la­tion …

So span­nend das in eini­gen Momenten ist, so großar­tig die Büh­nen­bilder sind — so richtig aufnehmen und genießen kon­nte ich das nicht. Zumin­d­est nicht beim ersten Sehen und Hören. Das Hören war lei­der auch nicht eines, das mich zu absoluten Begeis­terungstür­men hin­risse. Ja, die Qual­ität aller Beteiligten ist hoch. Aber Janowskis Diri­gat zün­dete für mich nicht so richtig toll. Das lag zum einen an der bere­its ange­sproch­enen Diver­genz zwis­chen Bühne und Musik, zum anderen an einem selt­samen Phänomen: An jedem Abend begann Janows­ki recht schwach, steigerte sich aber zum Schluss hin regelmäßig. Und vielle­icht auch vom Rhein­gold zur Göt­ter­däm­merung hin noch ein­mal. Am stärk­sten ist es mir im Siegfried aufge­fall­en: Der Anfang bis unge­fähr zur Mitte des zweit­en Aktes klang sehr nach über­legter, fein­er, um Details und vor­sichtig-zurückgenommene Fein­heit und Bal­ance bemühter Orch­ester­ar­beit, die es auch den Sängern sehr leicht machen wollte. Irgend­wann schien er aber davon genug zu haben und gab sich der Emo­tion­al­ität und der Über­wäl­ti­gungskraft der Wag­n­er­schen Musik hin, als hätte er sich gesagt: Na gut, dann lasst uns halt mal Spaß haben …

Der Par­si­fal dage­gen, die diesjährige Neuin­sze­nierung des Wies­baden­er Inten­dan­ten Uwe-Eric Laufen­berg, war ein ganz anderes Erleb­nis. Musikalisch ließ er, das heißt vor allem: der einge­sprun­gene Diri­gent Hart­mut Haenchen, (fast) nichts zu wün­schen übrig, das war eine aus­ge­sprochen strin­gente, (auch zügige), gut entwick­elte und span­nende Arbeit, die er und das Orch­ester abliefer­ten. Zumal die vokale Beset­zung auch aus­ge­sprochen fein war: Der wirk­lich run­dum großar­tige, wun­der­bare, her­rliche Georg Zep­pen­feld als Gurne­manz, der sehr gute, jugendlich-starke Klaus Flo­ri­an Vogt als Par­si­fal und eben­falls auf höch­stem Niveau begeis­ternde Kundry von Ele­na Pankra­to­va.

Die Insze­nierung Laufen­bergs hat mich, wenn ich es auf einen Punkt brin­gen müsste, eher gelang­weilt — weil sie mich kaum her­aus­ge­fordert hat, son­dern eher zu deut­lich und zu plaka­tiv ihre Posi­tio­nen zeigte. Laufen­berg hat ja im Vor­feld kaum eine Gele­gen­heit aus­ge­lassen, allen zu verkün­den, wie großar­tig sein Konzept sei. Das beste­ht im Grunde aus der Idee, der Par­si­fal sei eine Kri­tik aller Reli­gio­nen. Das ist natür­lich so ein­fach Unsinn und führte zu eini­gen kuriosen Szenen auf der Bühne. Vor allem passierte auf der Bühne aber immer wieder das: Laufen­berg, so nahm ich es wahr, hat­te eine Idee für ein schönes Bild, ein Tableau. Dann hat er das etwas poli­tisch-reli­gion­skri­tisch aufge­laden. Und fer­tig ist die Par­si­fal-Insze­nierung (ok, das ist jet­zt etwas arg polemisch). Aber so manch­es Geschehen kon­nte ich mir nur so erk­lären. Und so manch­es wird unfass­bar plaka­tiv und kitschig. Und so manch­es wird unpassend, scheint mir mit der Par­ti­tur Wag­n­ers nicht in Ein­klang zu brin­gen. Das ist ja über­haupt ein Prob­lem, das mich zunehmend beschäftigt: Die Musik­er wer­den, was die Beschäf­ti­gung mit und Ausle­gung der Par­ti­turen ange­ht, immer kri­tis­ch­er und feinsin­niger — Haenchen zum Beispiel legte wohl viel Wert auf die unter­schiedlichen Aus­prä­gun­gen der Artiku­la­tion­sze­ichen wie Punkt, Strich oder Keil bei Wag­n­er. Die Bühne dage­gen nimmt sich immer mehr Frei­heit­en, erzählt ja oft eine ganz andere Geschichte, die nur noch punk­tuelle Über­schnei­dun­gen mit der Par­ti­tur hab. Das soll jet­zt keineswegs eine Ablehnung des Regi­ethe­aters sein, es ist nur ein Dilem­ma, aus dem ich kaum eine Lösung sehe …

Was noch?
Die Fes­ti­val-Atmo­sphäre ist in Bayreuth schon ziem­lich inter­es­sant. In der Stadt (die übri­gens nicht sehr groß, aber sehr hüb­sch ist) selb­st merkt man recht wenig von den Fest­spie­len. Auf dem grü­nen Hügel ist das natür­lich anders. Zum einen kom­men recht viele Besuch­er ziem­lich früh. Dann hat man in Bayreuth immer die Karten­such­er (für den Ring gab es immer prob­lem­los noch Karten zu ergat­tern, für den Par­si­fal war es fast unmöglich) und einen Schwarz­mark­thändler. Und das Pub­likum ist etwas kos­mopoli­tis­ch­er, etwas (nun ja, ziem­lich viel) formeller gek­lei­det als in den meis­ten deutschen The­atern.

Der Zaun (und auch wenn alle Medi­en etwas anderes behaupten): Das Fest­spiel­haus ist nicht eingezäunt gewe­sen. Lediglich die BÜhnene­ingänge waren davon betrof­fen. Und natür­lich war das “Sicher­heit­skonzept”, wie das heute so schön heißt, noch zu spüren. Von Konzept kann man allerd­ings kaum sprechen. Gut, der Sicher­heits­di­enst wachte ziem­lich genau darüber, dass nur Men­schen mit jew­eiliger Tage­sein­trittskarte Zugang zum Gebäude hat­ten. Die erhöhte Polizeipräsenz (da war sie ja schon immer, sie hat ja sog­ar eine eigene tem­poräre Wache in unmit­tel­bar­er Nach­barschaft) war aber in meinen Augen eher Augen­wis­cherei. An jedem Abend funk­tion­ierte das näm­lich anders: Manch­mal standen an den Aufgän­gen zwei oder drei Polizis­ten und schaut­en, manch­mal waren am über­dacht­en Gang vor dem Karten­büro noch einzelne Posten aufgestellt, manch­mal hat­ten sie Schutzwest­en, manch­mal nicht, bei der Göt­ter­däm­merung kon­trol­lierten sie plöt­zlich (ohne dass es, nach ihrer Aus­sage, einen speziellen Anlass gab) auch alle Hand­taschen der Damen am Beginn des Fes­ti­val­gelän­des — mir scheint, die Strenge der Kon­trolle unter­schied sich vor allem nach dien­sthaben­der Polizeiführungskraft erhe­blich. Aber sei’s drum, ein Gutes hat­te das ganze Bohei auf jeden Fall: Erst­mals gab es eine Gepäck­auf­be­wahrung, bei der man bequem seine Tasche mit Verpfle­gung für die lan­gen Abende deponieren kon­nte …

Ach ja, die Sitz­plätze in Bayreuth. Ich war durch­weg im Balkon. Für den Ring hat­te ich Karten in der fün­ften Rei­he — die Bayreuth-Ken­ner wis­sen, dass das keine nor­malen Sitz­plätze mehr sind, son­dern in Nis­chen nach hin­ten ver­steck­ten Sitze. Da wird es schön warm und stick­ig und die eigentlich aus­geze­ich­nete Akustik des Fest­spiel­haus­es wird doch auch etwas gedämpft, mit etwas Pech hat man auch noch eine Säule im Blick­feld. Zum Glück kon­nte ich aber für Siegfried und Göt­ter­däm­merung einige Rei­hen nach vorne rück­en, weil Plätze frei blieben — das war eine deut­liche Verbesserung der Akustik und des Kom­forts. Das lässt sich Bayreuth aber auch immer gut bezahlen, denn es gibt zwar bil­lige Plätze, aber sowie Sicht und Akustik etwas bess­er wer­den, steigen die Preise sehr schnell recht steil nach oben. Und für den Ring braucht man eben immer gle­ich vier Karten …

(Und natür­lich habe ich wieder mal keine Fotos gemacht …)

livemusic (unsplash.com)

Wie hört man frei improvisierte Musik? John Corbett verrät es

corbett, guide (cover)Der Listener’s Guide von John Cor­bett ist eine tolle Ein­führung ins Hören von freier Impro­vi­sa­tion — und natür­lich auch in die Musik selb­st. Das kleine Buch ist in drei große Teile gegliedert. Ein­er Ein­leitung fol­gen die (sehr konkreten) Grund­la­gen des Hörens frei impro­visiert­er Musik, denen sich dann die fort­geschrit­tene Tech­niken (die oft recht abstrakt und stärk­er sub­jek­tiv als der Haupt­teil bleiben) anschließen.

In den Grund­la­gen ver­sucht Cor­bett — meines Eracht­ens ziem­lich schlüs­sig und erfol­gre­ich, aber ich bin ja nicht (mehr) ganz in der Ziel­gruppe — über ver­schiedene Aspek­te der Musik und des Hörens einen Zugang zur impro­visierten Musik zu schaf­fen. Dafür erk­lärt er die Beson­der­heit von Rhyth­mus und Dauer, geht der Frage nach, wer was macht und welche Inter­ak­tio­nen passieren sowie welche Übergänge und welche Struk­turen sich beim Hören erken­nen lassen. Für “Fort­geschrit­tene” geht es dann, wiederum in konzen­tri­erten, über­sichtlichen Kapiteln, um das gle­ichzeit­ige Sehen und Hören, um die Frage “live oder Auf­nahme?”, um die der freien Impro­vi­sa­tion innewohnen­den Geheimnisse genau wie um ihre Ambi­gu­i­täten und Unabgeschlossen­heit­en sowie in einem Abstech­er auch um die “poly-free-music” — also Musik, die nur noch teil­weise frei impro­visiert ist, die zumin­d­est zeitweise auf genaueren Absprachen oder Kom­po­si­tion beruht. Außer­dem gibt es noch knappe Über­legun­gen zum Schlaf und anderen Ablenkun­gen während dem Musik hören (Cor­bett ist dem nicht abgeneigt, weil das periph­ere Hören neue Ent­deck­un­gen ermöglicht …), zur Rolle des Pub­likums bei der Entste­hung freier Musik und auch zur moralis­chen Über­legen­heit dieser Musik — die Cor­bett klar verneint.

Das alles ist sehr direkt und präg­nant geschrieben. Man merkt durchgängig, wie sehr der Autor vom Gegen­stand und der Ver­mit­tlung der Freude an dieser Musik begeis­tert ist. Und mir gefielt der trock­ene Witz und die inter­es­san­ten Meta­phern, die Cor­bett find­et:

Impro­vised music is like a bal­loon, it needs some ten­sion to keep it taut; lose the ten­sion, and the music farts around and falls limp on the floor. (65)
Lis­ten­ing to moment-form impro­vis­ing is like surf­ing. (76f.)

Dabei ist das nicht musikol­o­gisch-akademisch, auch wenn sich erkennbar eine ziem­lich genaue Ken­nt­nis und große Ver­trautheit mit der frei impro­visierten Musik hin­ter dem Text ver­birgt. Schon die Def­i­n­i­tion, was denn “Free Impro­vi­sa­tion” über­haupt sei, ist sehr prag­ma­tisch und dur­chaus typ­isch für Cor­bett: “Impro­vised music is music made using impro­vi­sa­tion. Sim­ple enough.” (XII) Genau, was muss man mehr sagen? Zur Abgren­zung von anderen impro­visierten Musiken fügt er noch hinzu, dass hier eben wirk­lich alle Fix­ierung fehlt, alle Absprache (die über äußerst Basales hin­aus geht) unterbleibt und nur die Frei­heit des Moments bleibt.

Ver­packt ist das alles nicht als eine Erkun­dung der Musik selb­st, son­dern als eine Art Anleitung zum genussvollen Hören. Deshalb gibt es immer viele Hin­weise und Tipps zum möglichst ergiebi­gen (nicht richti­gen!) Hören (oder bess­er: zum Genießen der Frei­heit in dieser Musik). Denn es geht ihm nicht um richtig oder falsch, um die wahre Musik und ihr einzig wahres Ver­ständ­nis, son­dern darum, Zugänge zu schaf­fen — und damit Begeis­terung zu weck­en: Begeis­terung für die “Fremd­heit” dieser Musik, also für eine Befreiung (von Beschränkun­gen), für das Schaf­fen von ungeah­n­ten, großar­ti­gen, unzäh­li­gen Möglichkeit­en. Viele der Möglichkeit­en der Impro­visierten Musik steck­en für Cor­bett in der Inter­ak­tion. Sie ist für ihn ganz klar der Kern, das eigentliche fea­ture der freien Impro­vi­sa­tion. Und entsprechen stark auf diesen Prozess bezo­gen sind auch seine Hör­tipps. Und deswe­gen ist er auch eher skep­tisch gegenüber Soli (und großen Ensem­bles): “Impro­vi­sa­tion is social music.” (56)

Im Ganzen lernt man beim Lesen fast so viel wie beim Hören, Cor­bett gibt viele gute, fast großar­tige Ratschläge, die den inter­essierten Leser oder die Leserin mit einem Werkzeugsatz, ein­er Art Besteck zum Hören, Beschreiben und Analysieren der impro­visierten Musik ausstat­ten und das Hören somit inter­es­san­ter und ertra­gre­ich­er machen.. Schön ist, dass er dabei — trotz des grundle­gend ana­lytis­chen Zugangs — in seinem emphatis­chen Wer­ben für die Musik auch Platz für deren Geheimnisse. Und her­vorzuheben ist auch, dass er immer wieder ein­räumt und klar macht, dass Freie Impro­vi­sa­tio­nen nicht die bessere, beste oder einzig wahre Musik sind. Und dass sie auch nicht im ethis­chen Sinn bess­er sind oder bess­er machen. Mir scheint aber, dass er dabei aus­lässt, dass das Hören (bzw. das Goutieren) dieser Musik dur­chaus soziale/ethische Qual­itäten fördert, die man (wenn man möchte — und ich tue das) dur­chaus bew­erten und hochschätzen kann. Ins­beson­dere das “Aushal­ten” (das ja mehr ein Wertschätzen als ein Tolerieren ist) von Frei­heit, d.h. von Ungewis­sheit, das pos­i­tive, erwartungsvolle Erfahren von Neuem, Unbekan­ntem ist schon, so meine ich, eine wertvolle Sache. Deshalb müssen free-impro­vi­sa­tions-Anhän­gerin­nen natür­lich nicht zwangsläu­fig bessere Men­schen sein — aber sie tendieren dazu, unter anderem offen für eine Gesellschaft zu sein, die sich (auch) verän­dert — zumin­d­est ist das meine Erfahrung.

Ergänzt wird Cor­betts Text übri­gens noch um ein paar Lis­ten — näm­lich drei sehr kurze und damit sehr angreif­bar konzen­tri­erte Auflis­tun­gen den grundlegenden/wichigen Auf­nah­men der freien Impro­vi­sa­tion sowie ein­er zweit­en Liste der „poly-free-music“ und schließlich dem Hin­weis auf einige Büch­er zum The­ma. Und im Anhang find­et sich noch eine deut­lich aus­führlichere Liste wichtiger/bekannter Musik­er und Musik­erin­nen der Impro­vi­sa­tions-Szene, die alle zusam­men zugle­ich den Rest des Buch­es in ein­er angenehmen Weise vom name­drop­ping ent­las­ten. So macht näm­lich nicht nur das Hören, son­dern auch das Lesen Spaß. Vor allem, wenn man dazu die passende Musik hört — bei mir waren es Wada­da Leo Smiths CDs “Kabell Years: 1971–1979”.

Our duty, as lis­ten­ers, is to be rest­less­ly curi­ous, to root around this big globe and dig up new things to fill our ears and minds. It’s more a mat­ter of being inquis­i­tive than of being eclec­tic. (162)

John Cor­bett: A Listener’s Guide to Free Impro­vi­sa­tion. Chica­go, Lon­don: The Uni­ver­si­ty of Chica­go Press 2016. 172 Seit­en. ISBN 978–0‑226–35380‑7.
vorderseite der verpackten cd

Verpackte Musik

So gestal­tet man heute eine CD-Ver­pack­ung (ja, die gibt es noch …). Zumin­d­est kann man es tun, wenn man die richti­gen Leute zur Hand hat:

Es han­delt sich übri­gens um das vorzügliche, inten­sive und span­nende Album “Lover” des Carate Urio Orches­tra.
orgel

Arbeitsplatz (6)

Der Michel­städter Stadt­teil Stein­bach hat keine “klas­sis­che” Kirche, aber ein sehr schönes, zweck­mäßiges Gemein­de­haus mit einem großen und gut gestal­tetem Gottes­di­en­straum. Die Orgel von Förster und Nico­laus, die dort ste­ht, ist lei­der nicht beson­ders span­nend — und hat zwei “Qual­itäten”, die ich nicht beson­ders goutiere: Geteilte Lade und ange­hängtes Ped­al. Da das Ped­al nicht mal ein einziges eigenes Reg­is­ter hat, ist es nicht mehr als eine Spiel­hil­fe … Und für die geteilte Lade habe ich eigentlich nie wirk­lich Ver­wen­dung, das macht nur zusät­zliche Arbeit beim Reg­istri­eren. Dafür hat das kleine Werk ordentlich Pow­er, die der Organ­ist auch voll abbekommt: Schon der 4‑Fuß-Prinzi­pal ist schön kräftig und die Zim­bel set­zt dem eine schöne Kro­ne auf.

Arbeitsplatz (5)

Der gestrige Arbeit­splatz schaut etwas anders aus: Auf­grund ein­er sehr lang­wieri­gen Reparatur/Sanierung des Daches der Evan­ge­lis­chen Stadtkirche in Erbach find­et der Gottes­di­enst momen­tan im dor­ti­gen Gemein­de­haus statt. Und da ste­ht “nur” ein chi­ne­sis­ch­er Stutzflügel. Da der Gottes­di­en­st­be­such im Ver­gle­ich zur Gemein­de­größe aber auch nicht ger­ade umw­er­fend ist, reicht der auch dur­chaus aus. (Und schön: Beim Gottes­di­enst bleiben die Fen­ster offen, da kön­nen die Vögel auch mithören und mitsin­gen …)

erbach, gemeindehaus - flügel

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