Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: musik

und das ist lei­der eine recht lang­wei­li­ge sache gewe­sen. es zeig­te sich näm­lich mal wie­der, dass musik, die ein­fach nur nett und unter­halt­sam sein will, gera­de in der mas­sie­rung eines kon­zer­tes eher ennu­ie­rend als unter­hal­tend ist. zumin­dest für mich, der ich eben auf einen gewis­sen – auch intel­lek­tu­el­len – anspruch an die kunst nicht auf­ge­ben will. so habe ich das gan­ze für die rhein-zei­tung gefasst:

musik darf auch mal nur spaß machen und ein­fach gefal­len wol­len. eine gan­ze grup­pe sol­cher wer­ke gab es jetzt in der fünf­ten mati­née des staats­thea­ters zu hören. im orches­ter­saal des main­zer thea­ters war das aller­dings ein wenig viel des guten: das sind zwar alles net­te stü­cke, aber auch kaum mehr. und sechs mal nett wird ganz schnell lang­wei­lig. das liegt lei­der zum teil auch dar­an, dass die musi­ker nicht immer zwin­gen­de grün­de für ihre aus­wahl haben. casi­mir lal­liets ter­zet­to zum bei­spiel ist ja in sei­ner ein­fa­chen ele­ganz und sei­nem schwung­vol­len charme ange­nehm anzu­hö­ren, aber lei­der spie­len mar­tin letz (oboe), erik meß­mer (fagott) und hatem nadim am kla­vier immer nur mit sicher­heits­re­ser­ve. sie las­sen nie los: das ist ordent­lich ein­stu­diert, aber sehr viel aus­strah­lung kann es nicht ver­mit­teln. auch die „sara­ban­de et alle­gro“ von gabri­el gro­v­lez für oboe und kla­vier ver­strömt vor allem den hauch einer unter­ge­gan­ge­nen epo­che: die ver­staub­te und aus­geb­li­che­ne ele­ganz des fin-de-siè­cle, immer ein wenig sno­bis­tisch, aber trotz aller kunst­hand­werk­li­chen fer­tig­keit doch inzwi­schen arg abge­nutzt.

eben­falls ganz nett, aber ohne beson­de­re span­nung: die obo­en­so­na­te von gor­don jacob. gut, der eng­län­der ist immer­hin schon teil­wei­se im zwan­zigs­ten jahr­hun­dert ange­kom­men. aber auch hier sind die bei­den instru­men­ta­lis­ten dann am bes­ten, wenn sie leicht gefühls­se­lig, klang­ver­lieb­ten wohl­laut her­vor­brin­gen kön­nen, wenn sie in die welt des schö­nen trau­mes und scheins schwei­fen kön­nen.

kna­ckig wird das erst mit eugè­ne boz­za. des­sen „récit, sici­li­en­ne et ron­do“ für fagott und kla­vier zeigt zwar nicht unbe­dingt genia­le kom­po­si­ti­ons­ideen, aber immer­hint packen­des musi­kan­ten­tum, das ernst meß­mer mit nach­druck und gewand­ter geläu­fig­keit vor­bringt.

das trio von jean fran­caix bringt das gan­ze dann noch ein­mal auf den punkt: musik um des spa­ßes an der musik wil­len. und hier ist das inter­pre­ten-trio auch wirk­lich wach: das spru­delt nun mit der not­wen­di­gen klang­li­chen kraft und instru­men­ta­ler prä­zi­si­on, in der das andan­te durch sei­ne coo­le läs­sig­keit und beein­dru­cken­de klar­heit beson­ders her­vor­sticht. die spie­le­ri­sche freu­de, mit der sie dann auch noch das fina­le auf­rol­len, gibt der mati­née wenigs­tens noch einen wür­di­gen abschluss, der sich nicht im puren spaß erschöpft.

mal wie­der ein beglü­cken­der abend: kar­di­nal leh­mann wird zum 70. von den dom­chö­ren mit einem mozart-kon­zert beschenkt – und die main­zer dür­fen zuhö­ren. die zeit ver­ging im flug, der dom­ka­pell­meis­ter war in hoch­form und zog alle regis­ter sei­ner kunst – bzw. eben gera­de nicht, weil er ein­fach musik mach­te und nicht kunst…

so ein geburts­tags­ge­schenk lie­ße sich wohl jeder gefal­len: ein gan­zes kon­zert, mozart pur – ein jubi­lar für den jubi­lar. aber das schö­ne am dom­kon­zert zu ehren von kar­di­nal leh­mann war ja gera­de, dass es sich jeder gefal­len las­sen konn­te. alles ande­re wäre auch bit­te­re ver­schwen­dung gewe­sen. denn mathi­as breit­schaft war ein­deu­tig in hoch­form – man könn­te fast mei­nen, er sei gedopt gewe­sen. aber er war wohl doch nur ein­fach berauscht von der musik, die da unter sei­nen hän­den ent­stand. dafür ist ja mozart immer wie­der gut – bei kaum einem kom­po­nis­ten kann man sich so leicht tra­gen las­sen von der voll­kom­men­heit der kom­po­si­ti­on, von der selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der sich ein ton an den nächs­ten fügt und mit der sich dra­ma­ti­scher aus­druck und kla­re struk­tu­ren ver­bin­den. breit­schaft lässt sich nicht nur dar­auf ein, er lässt sich davon infi­zie­ren. denn was er mit den main­zer dom­chö­ren und dem main­zer kam­mer­or­ches­ter hier ver­an­stal­tet, ist ein­fach purer über­schwang. von beginn an legt er der­ma­ßen unge­bremst und ohne beden­ken los, dass man schon als zuhö­rer zu ban­gen beginnt. kann das gelin­gen? es kann. denn breit­schaft lässt sich durch nichts ablen­ken, er kommt an kei­ner noch so glit­schi­gen stel­le ins schleu­dern, son­dern fin­det schein­bar ganz intui­tiv immer die ide­al­li­nie, die ihm ein­fach alles erlaubt. und die­se begeis­te­rung ist anste­cken­der als jeder virus. zunächst sind es die ver­sper­ae de domi­ni­ca, kv 321, die er so erblü­hen lässt. und auch wenn der dom­chor schon mal kna­cki­ger und kla­rer sang – so viel spru­deln­de fri­sche war doch sel­ten. die­se jeden moment genie­ßen­de freu­de, getra­gen von gott­ver­trau­en und selbst­be­wusst­sein, ist eine unglaub­lich star­ke mischung.

ganz beson­ders gilt das für die mis­sa kv 257, die soge­nann­te gro­ßen­cre­do-mes­se. obwohl er nie­man­dem eine noch so klei­ne erho­lungs­pau­se gönnt, kein wenigs­tens momen­ta­nes zurück­neh­men der span­nung zulässt, gerät er nie in atem­no. gut, die eine oder ande­re stel­le hät­te viel­leicht genau­er aus­ge­ar­bei­tet wer­den könn­nen, das stimm­ge­we­be etwas trans­pa­ren­ter sein kön­nen – aber die sich immer wie­der selbst ent­zün­den­de begeis­te­rung greift nicht nur auf die musi­ker über, son­dern wird ganz schnell zum flä­chen­brand, der alle anwe­sen­den über­rollt. am wenigs­ten las­sen sich selt­sa­mer­wei­se die solis­ten davon berüh­ren – allein die sopra­nis­tin sabi­ne goetz kann wirk­lich mit­hal­ten. vor allem im exsul­ta­te, jubi­la­te. das näm­lich brei­tet sie in rei­ner inten­si­tät und inni­ger ent­fal­tung ganz ent­zü­ckend aus. ein wun­der­ba­res geschenk – nicht nur für den kar­di­nal, son­dern alle zuhö­rer.

die rheinische orchesterakademie entdeckt amerika

ein net­tes abschluss­kon­zert der fünf­ten arbeits­pha­se der rhei­ni­schen orches­ter­aka­de­mie mainz im kur­fürst­li­chen schloss – mit drei ganz ver­schie­de­nen ver­tre­tern „ame­ri­ka­ni­scher“ musik:

ame­ri­ka ist ein gro­ßes land mit vie­len leu­ten, die ger­ne auch so viel tra­di­ti­on und geschich­te hät­ten wie die euro­pä­er. vor allem wenn es um die musik für den kon­zert­saal geht – da taten sich die sied­ler und ihre nach­fah­ren näm­lich lan­ge schwer.

inzwi­schen ist das pro­blem frei­lich nicht mehr so zu erken­nen, auch die ame­ri­ka­ner haben eine musik­tra­di­ti­on.

drei mög­lich­kei­ten des kom­po­nie­rens in und mit ame­ri­ka beschäf­ti­get die fünf­te aus­ga­be der rhei­ni­schen orches­ter­aka­de­mie mainz (roam), die ihre ergeb­nis­se bei einem abschluss­kon­zert im schloss prä­sen­tier­te.

ser­gej pro­kof­jew muss her­hal­ten als ein emi­grant, der zumin­dest zeit­wei­se in den usa leb­te. sei­ne 7. sin­fo­nie frei­lich ist erst viel spä­ter ent­stan­den und ver­ar­bei­tet des­halb auch ande­re ein­flüs­se, vor allem die bestim­mun­gen der sowje­ti­schen kul­tur­po­li­tik nach dem zwei­ten welt­krie. aber letzt­lich ist es auch ein­fach nur musik. die stren­ge, fast mili­tä­risch straf­fe orga­ni­sa­ti­on, die der jun­ge diri­gent tobi­as rokahr der roam ver­ord­ne­tet, ver­hilft die­ser sin­fo­nie zu ein­drück­li­chem erfolg. kei­ne spur von cha­os, kein unkon­trol­lier­ter tumult trü­ben die gro­ße über­zeu­gungs­kraft.

weni­ger glück­lich zeig­te sich rokahr dage­gen beim con­cer­ti­no für marim­ba­phon und orches­ter von paul cres­ton, das für die zwei­te mög­lich­keit des ame­ri­ka­ni­schen kom­po­nie­rens stand: die ver­bin­dung von u- und e‑musik, wohl die erfolg­reichs­te form. am solis­ten ben­ja­min schä­fer lag das frei­lich nicht: der ließ sei­ne schle­gel mit viel feu­er und gehö­rig druck tan­zen. die roam wirk­te dage­gen wie ziem­lich schwer­fäl­li­ger damp­fer – aber da sie eh’ nicht so wich­tig ist für das gelin­gen die­ses con­cer­ti­nos, macht das nichts.

charles ives schließ­lich ist einen drit­ten weg gegan­gen: vor allem der künst­le­ri­schen avant­gar­de ver­pflich­tet, ohne sei­ne hei­mat dar­über zu ver­ges­sen. „the unans­we­red ques­ti­on“ ist ein ech­ter dau­er­bren­ner, um das zu bewei­sen. zum glück spiel­te die roam auch den dazu­ge­hö­ri­gen zwei­ten teil. denn schon der anfang ist ein­fach unwer­fend: zart flir­ren die strei­cher, dar­über erhebt sich die tas­tend fra­gen­de trom­pe­te, die eigent­lich schon jede hoff­nung auf eine ant­wort auf­ge­ge­ben hat und zuneh­mend des­pa­ra­ter wirkt, aber den sta­chel der hoff­nung nie ganz ent­fer­nen kann: viel­leicht klappt es ja doch noch ein­mal. die ant­wort ver­su­chen die holz­blä­ser – und fin­den kei­ne. sie erge­hen sich in hek­ti­schem gestam­mel, wis­sen aller­dings selbst immer schon, dass das kei­ne ant­wort wer­den wird, bis sie schließ­lich genug haben und selbst den ver­such auf­ge­ben – da hat tobi­as rokahr die tra­gik der moder­ne wirk­lich wun­der­bar her­aus­ge­kit­zelt.

klaus doldinger wird 70 – und spielt ein umwerfendes konzert

klaus dol­din­gers geburts­tags­kon­zert die­ses jahr in der main­zer phö­nix­hal­le: ein lan­ges (drei­ein­halb stun­den) glück, mit eini­gen tro­cke­nen, eher lah­men tei­len (der anfang) und eher pein­li­chen momen­ten – udo lin­den­berg ver­sucht zu sin­gen und, ach­tung!, zu scat­ten. vor allem in den bei­den pass­port-tei­len aber jede men­ge beglü­cken­de momen­te – nicht nur momen­te, son­dern lan­ge peri­oden wun­der­ba­rer musik. mit extrem smoot­her power bei der clas­sic-for­ma­ti­on – wie hier bas­sist und schlag­zeu­ger etwa mit­ein­an­der agie­ren, ein­fach wun­der­bar – und reich­lich musi­ka­li­schem exo­tis­mus, ein­ge­bun­den in modern jazz mit viel gespür für dra­ma­ti­sche abläu­fe und inte­gri­tät im pass­port-today teil mit den marok­ka­ni­schen gäs­ten. und vor allem mit einem mei­ner lieb­lings­key­boar­der, mit rober­to di gioia. wie der spielt und schraubt zugleich, das hat schon enor­me klas­se. und, weil er fast immer eine hand und einen fuss an den reg­lern hat, kann er fas­zi­nie­rend leben­di­ge klä­ge ent­wi­ckelen. zum schluss, in den abschlie­ßen­den „saha­ra sket­ches“ auch bis hin zu fast rei­nen, leicht modu­lier­ten sinus-tönen und ähn­li­chen elek­tro­ni­schen spie­le­rei­en. da kommt dann dol­din­ger selbst gera­de noch so, qua­si mit hecheln­der zun­ge, mit: bei stü­cken die­ser art hält er sich selbst stär­ker zurück, er scheint doch zu mer­ken, dass sei­ne grund­sätz­lich dem heu­te eher tra­di­tio­nell schei­nen­den modern jazz zuge­hö­ri­gen impro­vi­sa­ti­ons­mus­ter und ‑tak­ti­ken nicht mehr ganz in die­se musik pas­sen. aber trotz­dem: klas­se. auch wenn die unver­schäm­ten und tra­di­tio­nell eh‘ sau­dum­men blöd­köp­pe vom fern­se­hen (unver­schämt, wie sehr die für ihre paar bil­der, die sie dann eh‘ nur mit­ten in der nacht – damit es ja nie­mand sieht – aus­strah­len, das zah­len­de! publi­kum beläs­ti­gen) ziem­lich genervt haben. dafür war der ton­tech­ni­ker ziem­lich klas­se – sehr fle­xi­bel mit der dyna­mik vor allem, er konn­te den mas­ter-reg­ler auch mal wie­der run­ter­fah­ren (dann hat man zwar das enor­me grund­rau­schen der anla­ge gehört, aber was soll’s). so nun genug der krit­te­lei (obwohl, da fällt mir gera­de noch das fern­seh-zitat von rai­nald goetz ein: „die hohl­heit der leu­te vom fern­se­hen ist wirk­lich abso­lut unüber­trof­fen.“ (abfall für alle) – und noch bes­ser: „wer vom fern­se­hen kommt, wer da arbei­tet, ist dumm, es hilft nichts, es hilft nichts, bis unter den eit­ri­gen schei­tel, eitel und dumm­frech, dummd­umm und sau­dumm, viel­leicht sogar teil­wei­se super­sau­dumm.“ (aus rave))

jetzt aber der offi­zi­el­le text:

von „häns­chen klein“ bis in die saha­ra ist es ein wei­ter weg. aber klaus dol­din­ger steht ja auch schon ein paar jah­re auf der büh­ne. zu sei­nem 70. geburts­tag ist er mit einer gan­zen bus­la­dung freun­de und weg­ge­fähr­ten in die main­zer phö­nix­hal­le gekom­men. und wie im rich­ti­gen leben macht „häns­chen klein“ auf dem kla­vier den anfang – mit einer impro­vi­sa­ti­on über die­se melo­die hat er als schü­ler sei­ne auf­nah­me­prü­fung fürs kon­ser­va­to­ri­um geschafft. aber dann geht es ruck­zuck in musi­ka­lisch etwas kom­ple­xe­re gefil­de.

plau­dernd weist der jubi­lar den weg durch sein leben mit dem jazz: die anfän­ge mit dem klaus dol­din­ger quar­tett, das er auch fast kom­plett noch ein­mal auf die büh­ne holt, sind für heu­ti­ge ohren doch leicht ange­staubt. aber diz­zy gil­le­spies „night in tuni­sia“ weist schon den weg – nicht nur des titels wegen, son­dern auch musi­ka­lisch: die unge­heue­re begeis­te­rung für den jazz ist erwacht. und sie ist heu­te immer noch spür­bar, wenn die vier alten her­ren den damals moder­nen jazz noch ein­mal zum leben erwe­cken. die nächs­te gro­ße sta­ti­on dol­din­gers war dann „pass­port“.

und auch die­se vier sind noch ein­mal nach mainz gekom­men. jetzt geht es so rich­tig los: „pass­port clas­sic“ schleu­dert den main­zern eine explo­si­ve mischung aus psy­ched­li­schen key­boards, kla­ren saxo­phon­li­ni­en, fun­ky bass­läu­fen und knall­har­ten drums um die ohren. ein regel­rech­tes eupho­rie-gewit­ter ist es , das die hal­le jetzt zum kochen bringt – nicht, dass das bei den mas­sen an schein­wer­fern beson­ders schwer gewe­sen wäre. aber jetzt ist klar: sol­che musik kann man nur mit gro­ßer über­win­dung im sit­zen hören, das muss man tan­zen kön­nen.

so rich­tig schmerz­haft wird einem das mit der aktu­el­len beset­zung von pass­port bewusst. die muss­te zwar zunächst ein­mal dafür her­hal­ten, udo lin­den­berg bei sei­nen zwei geträl­ler­ten schla­gern beglei­ten. aber danach konn­ten sie so rich­tig los­le­gen. die titel­me­lo­die aus „das boot“ war dafür ein wun­der­ba­rer über­gang – denn nun begann die zeit der musi­ka­li­schen aus­flü­ge in alle tei­le der welt, nach ame­ri­ka, bra­si­li­en und natür­lich nach nach marok­ko, die letz­te sta­ti­on von pass­port. und da ist er auch schon wie­der: dol­din­gers unver­wech­sel­ba­rer dri­ve, sein nie ver­sie­gen­der élan und sein gol­de­nes händ­chen bei der aus­wahl sei­ner musi­ker – wer leu­te wie rober­to di gioia für sich spie­len lässt, hat schon fast gewon­nen. und den rest über­nimmt dol­din­ger selbst. er lässt die mus­keln sei­ner inte­gra­ti­ven kraft ganz unauf­fäl­lig spie­len. des­halb ist das kein belang­lo­ser mix, son­dern eine ech­te sym­bio­se von afri­ka­ni­scher, euro­päi­scher und ame­ri­ka­ni­scher musik – jen­seits aller gren­zen, nicht nur geo­gra­phisch, son­dern auch emo­tio­nal: ein­fach unglaub­lich gute musik.

den mann nicht zu ken­nen, ist fast unmög­lich. zumin­dest sei­ner musik kann man nicht ent­kom­men: klaus dol­din­ger ist ein­fach fast all­ge­gen­wär­tig. dafür sorgt allein sei­ne wohl bekann­tes­te melo­die, das titel­the­ma des „tat­orts“, das den kri­mi seit mehr als drei­ßig jah­ren eröff­net. dabei hat­te klaus dol­din­ger das zunächst gar nicht vor­ge­se­hen: jazz woll­te er eigent­lich spie­len. in ber­lin am 12. mai 1936 gebo­ren, erhielt er sein aus­bil­dung am robert-schu­mann-kon­ver­sa­to­ri­um in düs­sel­dorf und hat­te auch schon wäh­rend sei­nes stu­di­ums mit der dixie­land-com­bo „the feet­war­mers“ die ers­ten erfol­ge. vom blues und aus­ge­spro­chen tra­di­tio­nel­lem jazz kam er in die­ser zeit zum modern jazz und blieb dabei, bis hin zur jüngs­ten for­ma­ti­on, den „old fri­ends“, die eini­ge urge­stei­ne des deut­schen jazz ver­sam­melt und immer noch ver­dammt frisch klingt. ab den frü­hen sech­zi­gern kom­po­nier­te er auch unter­hal­tungs­mu­sik wie kaum ein ande­rer: für wer­bung, für’s fern­se­hen und immer wie­der für das kino.

am bekann­tes­ten ist er aber als jazz-saxo­pho­nist, kom­po­nist und band­lea­der. und vor allem als chef von „pass­port“. mit die­ser band hat dol­din­ger zu beginn der sieb­zi­ger den jazz­rock in deutsch­land popu­lär gemacht und in den letz­ten drei jahr­zehn­ten an die 30 alben ver­öf­fent­licht. aber ein ende ist noch nicht in sicht: gera­de erst erschien „pass­port to marok­ko“, eine hom­mage dol­din­gers an die musik nord­afri­kas.

so viel­sei­tig und gefragt sei­ne film­mu­si­ken sind – mit dem sound­track für „das boot“ fei­er­te er gro­ße erfol­ge -, so per­sön­lich ist sein jazz immer geblie­ben. denn dol­din­ger ver­stand es, stets eine gewis­sen ein­gän­gig­keit zu pfle­gen und die aktu­el­len trends der musik­sze­ne, ob es nun bos­sa nova, beat oder ganz aktu­ell welt­mu­sik und hip-hop waren, nicht zu kopie­ren, son­dern in sei­ne musi­ka­li­sche welt ein­zu­bau­en. sei­ne stärks­te leis­tung ist viel­leicht die­se inte­gra­ti­ve kraft: egal, wel­che anre­gung er auf­greift, die musik bleibt immer dol­din­ger pur.

inzwi­schen hat er so über 2000 songs kom­po­niert, mehr als 4000 kon­zer­te in der gan­zen welt gespielt und über 50 alben auf­ge­nom­men. und obwohl er mit 70 jah­ren das ren­ten­al­ter schon längst erreicht hat, ist er immer noch unter­wegs. sei­nen geburts­tag fei­ert er mit einem gro­ßen hap­py-bir­th­day-kon­zert in mainz, für das er die klas­si­sche pass­port-beset­zung aus den sieb­zi­gern mit der aktu­el­len for­ma­ti­on und einer men­ge gäs­te wie udo lin­den­berg und uwe och­sen­knecht zusam­men bringt.

mozart und die orgel

ein gesprächs­kon­zert mit ger­hard gnann in st. johan­nis, mainz.

Mozart war schon ein gemei­ner Kerl: Da lobt er die Orgel als Köni­gin der Instru­men­te immer wie­der – und kom­po­niert ein­fach nichts für sie. Aber die Orga­nis­ten haben sich davon noch nie stö­ren las­sen. Denn es gibt einen Aus­weg: Sie spie­len Wer­ke, die Mozart für eine Orgel­wal­ze geschrie­ben hat. Das ist, wie Ger­hard Gnann zu Beginn sei­nes Gesprächs­kon­zer­tes in St. Johan­nis erläu­ter­te, nichts ande­res als eine klei­ne Orgel, deren Pfei­fen von einer mecha­nisch beweg­ten Wal­ze gesteu­ert wer­den – ein Orga­nist ist also unnö­tig.

Aber das war ein­mal, die­se Wal­zen sind längst ver­lo­ren. Doch die Noten sind immer noch da – eine unwi­der­steh­li­che Chan­ce für die Orga­nis­ten. Gnann erzähl­te dan­kens­wer­ter­wei­se aber auch den Rest der Geschich­te: Dass die Phan­ta­sien Auf­trags­wer­ke für ein Wie­ner Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett waren. Und dass Mozart sie nur ungern und allein aus peku­nä­ren Inter­es­sen kom­po­nier­te. Ver­ständ­lich wäre die Musik aber auch ohne das gewe­sen. Denn Gnann beflei­ßigt sich bei sei­nem Vor­trag ange­neh­mer Tugen­den. Die Phan­ta­sie in f‑Moll KV 594 ist ihm nicht nur eine pracht­vol­le Schau­mu­sik, son­dern vor allem eine tönen­de Sze­ne­rie. Mit ehr­li­cher, ein­fühl­sa­mer Sach­lich­keit spielt er das und hält sich selbst vor­bild­lich zurück. Auch das in der Aus­stel­lung für das Schlaf­ge­mach der Gra­zi­en vor­ge­se­he­ne Andan­te wird auf die­se dezen­te Wei­se leben­dig: Anmu­tig schrei­ten die Gra­zi­en, fast schwe­ben sie wie zar­te Schlaf­wand­le­rin­nen im fah­len Mond­licht, ohne den Schlei­er je zu lüf­ten. Etwas kraft­vol­ler kommt dage­gen die zwei­te Phan­ta­sie KV608 daher: Auch wenn Gnann hier eini­ge Über­gän­ge etwas höl­zern gerie­ten, bleibt doch die ele­gan­te Mischung aus flie­ßen­der Anmut und zuge­spitz­ter, aber maß­vol­ler Dra­ma­tik ver­dienst­voll.

Aber das war noch nicht alles. Die Orga­nis­ten ken­nen näm­lich noch mehr Tricks. Mozart hat schieß­lich, in sei­ner Salz­bur­ger Zeit, auch eini­ge Sona­ten kom­po­niert, bei den die Orgel mal mit­spie­len durf­te – manch­mal sogar solis­tisch. Gnann spar­te sich die obli­ga­to­ri­schen Strei­cher und mach­te gleich alles selbst: Locker aus dem Hand­ge­lenk schüt­telt er die­se Musik, voll­kom­men unkirch­lich ver­kün­det er die sehr „fro­he“ Bot­schaft mit immer wie­der tän­ze­risch anmu­ten­den, ver­füh­ren­den Klän­gen. So etwas für den sonn­täg­li­che Got­tes­dienst zu kom­po­nie­ren, ist wirk­lich fast fri­vol – und ein klein wenig suber­siv.

ges­tern abend gehört – im auf­trag, frei­wil­lig wäre es nicht ganz mein ding gewe­sen: arturo san­d­oval group im frank­fur­ter hof mainz.

das ist die offi­zi­el­le fas­sung mei­nes berich­tes:

kurz vor acht herrscht auf der büh­ne des frank­fur­ter hofs noch reges trei­ben. da wird noch flei­ßig geschraubt, instru­men­te aus­ge­rich­tet, kabel ver­legt und mikros getes­tet: die frisch aus ali­can­te ein­ge­flo­ge­ne arturo san­d­oval group ist noch gar nicht so rich­tig in mainz ange­kom­men. doch dann geht es schlag auf schlag: die musi­ker neh­men die büh­ne in besitz und das publi­kum gleich noch dazu. so lang­sam kon­sti­tu­iert sich im ers­ten ritu­el­len rund­gang von the­ma und soli ein­mal quer durch die band auch der sound. natür­lich sticht arturo san­d­oval in der ansons­ten sehr jung besetz­ten grup­pe beson­ders her­vor: er knallt, quietscht, presst, stöhnt und wir­belt die töne aus sei­ner trom­pe­te nur so her­vor. nicht ganz zufäl­lig ist er den gan­zen abend das unan­ge­foch­te­ne zen­trum nicht nur der büh­ne, son­dern des gesam­ten gesche­hens: bei ihm lau­fen alle fäden zusam­men, er greift immer wie­der ein und gibt anwei­sun­gen. und er ist außer­dem eine band in der band: er spielt nicht nur trom­pe­te, son­dern auch schlag­werk und sogar der pia­nist muss ihm zeit­wei­se wei­chen.

es scheint fast so, als ver­fin­ge er sich dabei selbst immer wie­der im gestrüpp sei­ner musik: was zunächst wie unkon­trol­lier­ter wild­wuchs wirkt, ent­puppt sich beim genaue­ren hin­hö­ren aber immer als minu­ti­ös geplan­te und sorg­sam kul­ti­vier­te berech­nung – hier hat der zufall kein platz, selbst der spon­ta­ne ein­fall muss schwer ums über­le­ben kämp­fen. doch die arran­ge­ments zei­gen immer wie­der uner­war­te­tes: gera­de noch mit­ten im kuba­ni­schen power-groo­ve, stößt san­d­oval einen schrei in die trom­pe­te und alles ver­wan­delt sich jäh: mit einem schlag baut er eine voll­kom­men neue sze­ne­rie, aus dem hek­ti­schen par­ty­ge­sche­hen wech­selt er unver­mu­tet an den strand einer roman­ti­schen voll­mond­nacht und beob­ach­tet ein ver­lieb­tes pär­chen. aber die ruhe trügt schon wie­der: nicht lan­ge, und die nächs­te par­ty nähert sich bereits –für die­se mal zieht sie noch vor­über, aber doch nicht ganz ohne effekt: der fun­ke ist über­ge­sprun­gen, ganz lang­sam und zunächst noch unmerk­lich zieht es jetzt alle doch wie­der zum tan­zen – wo san­d­oval unwei­ger­lich mit sei­ner strah­len­den trom­pe­te und sei­nen uner­müd­li­chen mit­spie­lern schon war­tet. das per­fekt cho­reo­gra­phier­te auf und ab der musik sind ein­fach sei­ne stär­ke – was eben noch ein blue­si­ges kla­vier­so­lo war, wird ruck­zuck zu einer groo­ve-atta­cke, nur um weni­ge herz­schlä­ge spä­ter erneut zum blues zu mutie­ren. und dabei las­sen alle musi­ker ihrer pro­fil­neu­ro­se frei­en lauf. das wäre uner­träg­lich, käme dabei nicht so kraft­vol­le musik her­aus, die schlech­ter stim­mung ein­fach kei­ne chan­ce lässt.

und das die inof­fi­zi­el­le (aber wah­re) ergän­zung:

frei­heit ist hier nicht wirk­lich mög­lich. auch wenn sie so tun, als wür­den sie impro­vi­sie­ren. denn in dem fort­wäh­ren­den mäan­dern ist dafür kein platz: sicher, da scheint alles vor­han­den zu sein – vie­le schlei­fen, uner­war­te­te bie­gun­gen, strom­schnel­len, was­ser­fäl­le, beschau­li­che strän­de – mal als gemüt­li­cher wie­sen­fluss, meist aber als rei­ßen­des wild­was­ser. aber es ist immer nur das da, was san­d­oval sehen und hören will. und auch wenn er das aus­schwei­fen­de, ver­schnör­kel­te liebt – es muss schon nach sei­nem wil­len sich rich­ten.

im grun­de ist das aber mehr sport als musik – oder mehr por­no als kunst: höher, schnel­ler, wei­ter – nein, lau­ter – dar­um geht es hier. und arturo san­d­oval bleibt natür­lich immer, wel­che über­ra­schung, unan­ge­foch­te­ner cham­pi­on, dafür weiß er schon zu sor­gen. und das publi­kum scheint das unbe­wusst auch zu wis­sen – denn genau die sport­li­chen erfol­ge, die beson­ders hohen töne, die beson­ders schnel­len läu­fe und wir­bel, die beson­ders lau­ten trom­mel­schlä­ge wer­den am begeis­ters­ten beju­belt – nicht die außer­ge­wöhn­lich gelun­ge­ne phra­se, nicht dier pas­sen­de aus­druckk. aber um so etwas geht es hier eben über­haupt nicht, das unter­läuft den musi­kern nur so neben­bei und offen­bar auch eher unge­wollt. kunst ist das des­halb eigent­lich nicht mehr, das ist nur noch öffent­li­che selbst­be­frie­di­gung von sechs machos – ob es wirk­lich zufall ist, dass sol­che grup­pen (auch die von arturo san­d­oval) fast immer aus­schließ­lich aus män­nern bestehen?

auf jeden fall ist so etwas eine unge­heu­re anma­ßung, im grun­de eine unver­schämt­heit gegen­über dem publi­kum: der zuhö­rer wird hier ganz offen­sicht­lich für dumm ver­kauft, er wird als kulis­se für die selbst­be­weih­räu­che­rung und selbst­be­stä­ti­gung der betei­lig­ten musi­ker (ja, ich bin der bes­te, ich kann am öftes­ten, ich hab‘ den größ­ten…) wie eine tape­te, oder ein­fach wie eine ware, benutzt. von respekt ist da nichts, aber auch gar nichts zu spü­ren. ok, wei­ter will ich mich dar­über jetzt nicht auf­re­gen…

briefe einer freundschaft

nun ja, eigent­lich sind es ja nur frag­men­te: hwh war offen­bar doch recht schlam­pig beim auf­he­ben… jeden­falls feh­len vor allem von bach­manns brie­fe ein gro­ßer teil, auch sonst eini­ge lücken, die die lek­tü­re nicht gera­de erleich­tern, weil die bezü­ge stän­dig feh­len.

ansons­ten sind die brie­fe die­ser ach so tol­len, fast schon mytho­lo­gi­sier­ten freund­schaft nicht dazu ange­tan, mein eher abnei­gen­des ver­hält­nis zu hwh zu revi­die­ren. denn der brief­wech­sel ist ganz schön asy­m­e­trisch: hwh for­dert und ver­langt und drän­gelt, bach­mann hält dage­gen lan­ge zeit auf abstand. und aus dem von hwh immer wie­der ange­for­der­ten libret­to wird ja auch lan­ge nix…

das lie­be geld, die schwie­ri­gen arbeits­be­din­gun­gen, see­li­sche mühen und jubel – und natür­lich ita­li­en, das gelob­te land für hwh sind die immer wie­der auf­tau­chen­den the­men. und auch wenn er ib immer wie­der davon über­zeu­gen zu ver­sucht, es ihm mit dem gang ins exil nach­zu­tun, dar­an schei­tert er immer wie­der: ib bleibt höchs­ten ein paar wochen, mal mona­te, dann ist sie wie­der unter­wegs, rast­los wie immer.

über die gemein­sa­men arbei­ten erfährt man aber dann doch gar nicht so viel – außer, dass sie sol­ches lie­ber münd­lich bespra­chen. ein­zi­ge aus­nah­me: die libret­to-arbeit am „prinz von hom­burg“ – aber die war von hwh auch so schon recht aus­führ­lich doku­men­tiert

übri­gens auch die edi­ti­on nicht so wahn­sin­nig umwer­fend: die kom­men­ta­re sind teil­wei­se blo­ße selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, die auch noch oft wie­der­holt wer­den, ande­res wich­ti­ges fehlt dage­gen ganz – irgend­wie bleibt der ein­druck eines halb­her­zi­gen ver­suchs, nicht fisch noch fleisch.
inge­borg bach­mann, hans wer­ner hen­ze: brie­fe einer freund­schaft. hrsg. von hans höl­ler. mün­chen, zürich: piper 2004

parsifal (frankfurt)

richard wag­ners par­si­fal in der oper frank­furt, insze­nie­rung von chris­tof nel, diri­gent pao­lo carigna­ni (beset­zung hier)

die insze­nie­rung für einen par­si­fal gar nicht so schlecht – extrem zurück­hal­tend, aber selbst in dem ewig dau­ern­den ers­ten akt auf der büh­ne nicht ganz und gar im still­stand ver­sun­ken. das liegt aber vor allem am genia­len raum­kon­zept, das die bei­den frank­fur­ter dreh­büh­nen mit die gesam­te büh­nen­hö­he nut­zen­den lat­ten­zäu­nen so geschickt voll­stell­te, dass durch die kom­bi­nier­te dre­hung der bei­den büh­nen­tei­le immer wie­der neue, sehr inspi­rie­ren­de räu­me ent­stan­den: „zum raum ward die zeit“ heißt es im libret­to ja (was auch immer das hei­ßen soll und wie das für das büh­nen­weih­fest­spiel über­haupt funk­tio­nie­ren kann und ernst­zu­neh­men ist) – hier hat­te man immer­hin eine ahnung davon. und carigna­ni hat­te auch durch­weg akzep­ta­ble tem­pi, schö­ne klang­bil­der, beson­ders im zwei­ten akt die ja fast eksta­si­schen, für den par­si­fal schon fast rasan­ten hand­lun­gen, sehr genau aus­ge­leuch­tet und doch den sän­gern noch genü­gend raum gelas­sen. das war im drit­ten akt nicht immer so: sowohl gurn­emanz (den jan-hen­drik roo­te­ring eigent­lich sehr prä­zi­se und bewe­gend sang, auch wenn er mit sei­ner figur als grals­rit­ter nur noch bedingt glaub­wür­dig war…) als auch par­si­fal (stuart skel­ton, der mich nicht so sehr begeis­ter­te, immer etwas nüch­tern und blass wirk­te) waren inzwi­schen doch hör­bar erschöpft und ange­schla­gen. da stach die kundry von michae­la schus­ter immer wie­der posi­tiv her­vor: nicht nur schau­spie­le­risch (ein­deu­tig die bes­te leis­tung auf der büh­ne, wie sie immer mehr ins irre abdrif­te­te, in sich selbst ver­schlos­sen, über­haupt nix mehr kapier­te), son­dern gera­de auch sän­ge­risch: beein­dru­ckend, wie sie trotz der gro­ßen anfor­de­run­gen noch so prä­zi­se und vor allem aus­drucks­stark sin­gen kann. der amfor­tas von alex­an­der mar­co-buhr­mes­ter ist ähn­lich gut, im gegen­satz zu dem grot­ti­gen titu­rel von magnus bald­vins­son, der nur rum­ei­ert… das ver­bin­det ihn übri­gens mit den chö­ren, die erstaun­lich schlecht into­niert waren.

was mich – neben so vie­lem ande­ren, was mich an par­si­fal ver­stört und unver­ständ­lich bleibt – rat­los zurück­lies, war nur die suche nach einer posi­ti­on des regis­seurs: was soll­te das gan­ze eigent­lich? gut, wir leben alle irgend­wie in einem gefäng­nis, um uns heraum zäu­ne und kein platz, die män­ner pres­sen blut und leben aus den frau­en und las­sen sie fast als abfall zurück (wenn man den fall kundry hier so ver­all­ge­mei­nern darf und kann), aber sonst? was soll das gan­ze mit der erlö­sung? ganz zu schwei­gen von den berüch­tig­ten schluss­wor­ten „erlö­sung dem erlö­ser“? da bie­tet nel mir irgend­wie über­haupt kei­ne ant­wort, das wird nicht wirk­lich klar, da ist er, wie sei­ne gan­ze insze­nie­rung, viel zu zurück­hal­tend, fast posi­ti­ons­los. zumin­dest ich kann sei­nen stand­punkt nicht erken­nen.

aber eines muss man ihm zugu­te hal­ten: in sei­ner insze­nie­rung wirkt das mons­trö­se werk doch erheb­lich zugäng­li­cher als in der kon­zer­tan­ten auf­füh­rung der frank­fur­ter oper – da war das nur ein gigan­ti­scher musi­ka­li­scher bro­cken. und doch blei­be ich dabei: par­si­fal ist das bes­te mit­tel, jeden anflug von wag­ne­ris­mus zu hei­len. das werk als sol­ches ist ein­fach zu – wie soll ich sagen? – selt­sam, abar­tig auf eine mit­un­ter fast hoch­stap­le­risch anmu­ten­de wei­se: kei­ner kann mit bestimmt­heit sagen, was der par­si­fal als gan­zes über­haupt soll, aber alle ver­eh­ren ihn als hohe kunst…

Lyambiko: Selbsthilfegruppe für angstfreies Musizieren

Wenn ein Musi­ker sei­ne Band „Selbst­hil­fe­grup­pe für angst­frei­es Musi­zie­ren“ nennt, ver­fügt er wahr­schein­lich über eine gute Por­ti­on Humor. Wenn der Schlag­zeu­ger von Lyam­bi­ko, Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, das tut, hat er vor allem Recht. Denn Angst haben Sän­ge­rin Lyam­bi­ko und ihr Trio im Frank­fur­ter Hof sicher­lich nicht: Sonst wür­den sie wohl kaum so relaxt und locker arbei­ten.

Aber ent­spann­tes Musi­zie­ren ohne Angst macht allein noch kei­ne gute Musik aus. Denn bei Lyam­bi­ko wird die Sicher­heit auf der Büh­ne durch einen weit­ge­hen­den Ver­zicht auf Risi­ken erkauft. Was gibt es schon zu hören: Eine jun­ge, talen­tier­te Sän­ge­rin mit ange­neh­mer Stim­me und ein ver­sier­tes All­round-Trio. Hem­mungs­lo­se Ekkle­zi­tis­ten sind sie alle, wie sie da auf der Büh­ne ste­hen. Aus allen Ecken suchen sie sich ihr Mate­ri­al zusam­men: Ein wenig Swing, eine gute Por­ti­on Blues, dann noch ein biss­chen Latin, ergänzt um eine Pri­se Eth­no-Pop und abge­schmeckt mit einer Pri­se Modern Jazz – fer­tig ist der Ein­topf. Dumm ist nur, dass aus dem gan­zen Misch­masch nichts Neu­es ent­steht. So bleibt eben gute, unge­wöhn­lich erfolg­rei­che Unter­hal­tung. Und des­halb ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass die CD von Lyam­bi­ko in den Pop-Charts notiert wird. Vom Geist des Jazz, von sei­ner Kraft und Aus­drucks­fä­hig­keit, ist das näm­lich schon ein gan­zes Stück ent­fernt.

Dabei sind die Musi­ker wirk­lich nicht schlecht. Neben den flin­ken Fin­gern des Pia­nis­ten Mar­que Lowen­thal ist es vor allem Schlag­zeu­ger Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, der ab und an doch auf­hor­chen lässt. Wie er Stö­cke und Besen über Trom­mel und die rie­si­gen, hal­len­den Becken tan­zen lässt, wie er rast­los zwi­schen Per­cus­sions und Drum­set pen­delt – das alles weist ihn deut­lich als fein­sin­ni­gen Klang­tüft­ler aus.

Lyam­bi­ko selbst, ganz unbe­schei­den als „the most beau­tiful voice“ ange­kün­digt, ist ja durch­aus nett anzu­se­hen und anzu­hö­ren. Eine gefäl­li­ge, wohl­tö­nen­de Stim­me, die aber bis jetzt mehr von ihren poten­ti­el­len als den tat­säch­li­chen Qua­li­tä­ten pro­fi­tiert. Denn bei aller Gewandt­heit und Aus­drucks­fä­hig­keit: Inspi­ra­ti­on und Inno­va­ti­on sind ihre Stär­ken nicht. Als Jazz ist die Musik denn auch recht belang­los: Fried­lich mäan­dert das in gewohnt-belang­lo­ser Form vor sich hin. Als Unter­hal­tungs­mu­sik ist es soli­des Kunst­hand­werk – und das ist ja auch schon was.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung)

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