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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Gebirge

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              There are the Alps,
fools! Sit down and wait for them to crum­ble!

Basil Bunting, On the Fly­leaf of Pound’s Can­tos

Frühlingsbeginn

Die Wein­bergsch­necke ist fort
gekrochen, den zarten Deck­el aus
Kalk oder Elfen­bein ließ
sie auf der Mauer zurück.

Michael Buselmeier (aus: In den Sanden bei Mauer. Let­zte Gedichte, 2023, S. 14)

Schweigen

Was sie sagen,
die Vor­fahren,
geht uns vielle­icht gar nichts an.
Wir sehen, was sie tun, was sie tat­en,
aber ob es sie waren?

Ich kön­nte in die Bib­lio­thek gehen
und lesen, was eigentlich gemeint war,
und schreien.
Ich kön­nte die Blöd­heit im Schnitt der Steine,
ver­mergelt mit Weisheit, erken­nen
und schreien,
einge­mauert in diese Geschichte.

Es muss Geschwis­ter geben       (alle so Schwes­ta, Bru­da, Cousin)
unter­schiedlich reagierend auf den gle­ichen Schas,
gle­ich (gemein­sam) im Unter­schiedlichen,

und ich bin blöde       zu meinem Glück
wie ein Göt­ter­baum ein, zwei Meter wach­send im Jahr,
das kann ich,
mit dem ganzen Kör­p­er in die Bewe­gung lehnen.

Die Anleitun­gen: Was sagen sie, was — wohin fall­en sie,
dahin fall­en wir auch       und dann sagen wirs nicht.
Schau mich an,
wir sind die Ruinen
für alle Idyllen,
wir sind die Minen
für Ironie

Ann Cot­ten (aus: Die Anleitung der Vor­fahren. Berlin: Suhrkamp 2023, s. 138)

Zukunft

Sev­en Lines About Future

Die Zukun­ft wird kom­men.
Auch die der Lit­er­atur.
Sie wird wenig Heimat haben,
wenn sie kommt.
Aber Tag und Nacht und
die Kör­p­er, die sie lieben.

Lud­wig Fels, Mit mir hast du keine Chance, 5
Snowflake in close-up

Schnee

Schnee: wer
dieses Wort zu Ende
denken kön­nte
bis dahin
wo es sich auflöst
und wieder zu Wass­er wird

das die Wege aufwe­icht
und den Him­mel in
ein­er schwarzen

blanken Pfütze
spiegelt, als wär er
aus nichtros­ten­dem Stahl

und bliebe
unverän­dert blau.

Rolf Dieter Brinkmann (aus: Le Chant du Monde)[Rolf Dieter Brinkmann: Stand­pho­tos. Gedichter 1962–1970. Rein­bek: Rowohlt 1980, S. 40]

Gleichgewicht

Die Natur erhältt alles in einem schwer­ben­den Gle­ichgewicht. Der Geist wird nicht müde, ihm nachzusin­nen.

Wil­helm Lehmann, Bukolis­ches Tage­buch (2. Feb­ru­ar 1931)

Herbst

Die Blät­ter fall­en, fall­en wie von weit,
als welk­ten in den Him­meln ferne Gärten;
sie fall­en mit verneinen­der Gebärde.

Und in den Nächt­en fällt die schwere Erde
aus allen Ster­nen in die Ein­samkeit.

Wir alle fall­en. Diese Hand da fällt.
Und sie dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Ein­er, welch­er dieses Fall­en
unendlichen san­ft in seinen Hän­den hält.

Rain­er Maria Rilke, Herb­st (Das BUch der Bilder)

Gedichte

Bei Gedicht­en hil­ft zwei Mal lesen immer. Das kann nie falsch sein. Denn meis­tens ist schon nach dem zweit­en Mal klar, ob das Ding vor uns über­haupt ein Gedicht ist oder nicht. Wenn näm­li­uch nach dem zweit­en Mal klar ist, was da ste­ht, und eben­so duelitch, dass da nichts weit­er ist, als was man ver­standen hat, dann ist es kein Gedicht. Weil ein Gedicht eben nicht das ist, was man gemein­hin meint, wenn man sagt: Ich habe ver­standen.

Urs Engel­er, Mein Lieber Lühr (in: MÜtze #33, 1671)
zeitungen gebündelt

Zeitgemäße Zeitung?

Die “Süd­deutsche Zeitung” geht mit der Zeit und hat ihre Dig­i­ta­laus­gabe mod­ernisiert, sagt sie. Und zugle­ich das Redaktionssystem/CMS gewech­selt. Dabei ist aber wohl einiges schiefge­laufen. Zumin­d­est aus mein­er Sicht ist die neue Gestal­tung aus­ge­sprochen man­gel­haft (bei eini­gen guten Ansätzen). Ich lese die SZ täglich im Abon­nement auf dem Tablet und habe mal aufgeschrieben, was mir direkt ins Auge gefall­en ist.

Ein neues Lay­out und neues Redak­tion­ssys­tem (also andere Soft­ware), aber für einen Typographen oder Schrift­set­zer (oder über­haupt jeman­den, der nur ein biss­chen Ahnung von Textsatz und ‑gestal­tung hat), reichte es offen­bar nicht mehr.

Schon beim ersten Lesen auf dem Tablet gle­ich aufge­fall­en sind mir (und da bin ich noch nicht mal auf Fehler­suche gegan­gen):

  • Es gibt keine Sil­ben­tren­nung, dafür aber katas­trophale Löch­er im Flat­ter­satz der nicht sehr bre­it­en Textspal­ten. Dabei gibt es doch inzwis­chen sehr gute automa­tis­che Sil­ben­tren­nun­gen, die ohne manuelle Ein­griffe (nahezu) fehler­frei arbeit­en.
  • Dafür wer­den Zahlen wie 150.000 jet­zt gnaden­los getren­nt, weil die Tausender­stelle hier wohl ein gewöhn­lich­es Leerze­ichen ist. Das ist ein erbärm­lich­er Anfänger­fehler, der das Lesen sehr erschw­ert.
  • Es gibt keine richti­gen Anführungsze­ichen (die im Deutschen nor­maler­weise zu Anfang unten, zu Ende oben ste­hen und nicht das Zoll-Zeichen benutzen), wed­er in Über­schriften noch im Text. Das ist ein­fach sehr unschön.
  • Ein ver­wandtes Prob­lem: Auch der ver­wen­dete Apos­troph ist sehr block­ig.
  • Es gibt keinen Gedanken­strich (Hal­bgeviert­strich), son­dern nur Binde-/Tren­nungsstriche — zumin­d­est wird der Hal­bgeviert­strich nicht genutzt, wed­er bei der Tren­nung der Orts­marke vom Text noch bei den typ­is­chen Fällen im Satz.
  • Die kur­sive Schrift wirkt im Text zugle­ich ange­fet­tet.
  • Meines Eracht­ens ist die aus­gewählte Schrif­tart für die Ressortüber­schriften für diesen Zweck ungeeignet und wirkt selt­sam (ger­ade in Verbindung mit den anderen ver­wen­de­ten Schriften), aber das ist auch eine Geschmacks­frage.

Immer­hin sind die Buch-Über­sicht­en (die Ressort­seit­en) nun deut­lich bess­er struk­turi­ert. Vor allem zeigen sie endlich die Autor*innen nicht nur bei weni­gen, son­dern allen Artikeln (außer bei reinen Mel­dun­gen, das ist ja sin­nvoll) und sind durch die Striche bess­er in sinnhafte Abschnitte gegliedert. Auch die Rei­hen­folge der Artikel ist jet­zt kon­sis­ten­ter zwis­chen Ressortüber­sicht und Artike­lan­sicht (das war vorher nicht immer so, son­dern schien manch­mal Glückssache).

Aber als Ganzes ist das ziem­lich unwürdig für ein Unternehmen dieser Größe. Es scheint fast so, als hätte das nie­mand mal vorher getestet ;-) Man kön­nte also sagen, die “Süd­deutsche Zeitung” ist mit dieser Mis­sach­tung gestal­ter­isch­er Grun­dregeln mit der Zeit gegan­gen …

Waldwege

Borsten und räu­berisch sind meine spezialen
Ver­stärk­er auf Waldp­faden, Käfer spiegelns
Hase-Fuchs-Reh, selb­strufend Herr und Frau
Kuck­uck. Der Men­sch, ide­alisch, sei immer
dem Walde zu, sin­gend. Beeren‑, Pilzkörbe
neben sich an dem gluck­senden Bache sitzen
gle­ich­sam zaubrisch. Nicht achte Zwer­gen-
werk niedrig und ‑horte in Ger­maniens Adern.
Neb­st Dis­po, Glatzen, Spuk, mag sein, auch
ächt­es Gold … Denn wer hat nachge­forscht.

Wald­wege

Stef­fen Popp, 118, 65

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