writers like G.W.F. Hegel or Alfred North Whitehead or Jacques Derrida weren’t simply writing works (which still stand as paragons of verbal complexity) to confuse or beguile their readers. They were creating new forms of language to widen the scope of what could be expressed. […] The process of generating meaning is a constant negotiation between our current world views, embodied in vast networks of words and other symbols, and the constraining facts of existence, both the material relations of the world and our own intrinsic characters. And the more we inquire into these apparently objective facts, the more we find that they are more like habits or tendencies susceptible to a startlingly broad range of possible constructions. The semiotic networks constituting our world views evolve, as ideas don’t exist in a vacuum, but are developed through a conversation that has been occurring for thousands of years, with each reply requiring a generation, or sometimes even centuries for its fullest expression. To abstract ideas from their historical context, and from the language developed to describe them in ever-greater nuance, would be to flatten the complexity of these concepts, which comprise the underlying modes of thought that have implicitly informed the more explicit historical occurrences.
Beide scheinbar gegensätzliche Fraktionen sind letztlich Antipluralisten. Die Technokraten erklären, es gebe nur die eine rationale Lösung. Es brauche keine Debatte, auch keine parlamentarische Auseinandersetzung, weil es für vernünftige Menschen nichts zu diskutieren gebe. Die Populisten behaupten wiederum, es gebe nur den einen authentischen Volkswillen. Und sie seien die Einzigen, die ihn verstünden und verträten.
Finnegans wachen donnerstags auf| a tempo → ein sehr sympathisches gespräch mit fritz senn, einem der besten joyce-kenner, über seine joyce-lektüren und ‑forschungen – und die zufälligkeiten des lebens
Schule der Gewalt | Zeit → ute frevert hat einen schönen überblick über die geschichte der wehrpflicht (in deutschland) geschrieben
Sind wir noch gute Europäer? | Zeit → jürgen habermas muss noch/mal wieder ran und den lust- und ideenlosen zustand europas und insbesondere der eu – und ihrer (nationalen) politischen eliten – scharfsinnig analysieren. zum beispiel:
Der Rechtspopulismus verdankt sich in erster Linie der verbreiteten Wahrnehmung der Betroffenen, dass der EU der politische Wille fehlt, handlungsfähig zu werden. Der heute im Zerfall begriffene Kern Europas wäre in Gestalt einer handlungsfähigen Euro-Union die einzige denkbare Kraft gegen eine weitere Zerstörung unseres viel beschworenen Sozialmodells. In ihrer gegenwärtigen Verfassung kann die Union diese gefährliche Destabilisierung nur noch beschleunigen. Die Ursache des trumpistischen Zerfalls Europas ist das zunehmende und weiß Gott realistische Bewusstsein der europäischen Bevölkerungen, dass der glaubhafte politische Wille fehlt, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Stattdessen versinken die politischen Eliten im Sog eines kleinmütigen, demoskopisch gesteuerten Opportunismus kurzfristiger Machterhaltung
Das ist keine Musik für sparsame Haushalter. Denn Voxid hält sich nicht zurück. Im Gegenteil: Das Quintett singt, als gäbe es einfach kein Morgen mehr. Auf Shades of light gibt es nämlich alles im Überfluss: Klang, Sound und Ideen. Nichts wird zurückgehalten, immer geht es in die vollen. Voxid muss sich ja auch nicht einschränken, sie haben einfach ein schier unerschöpfliches Repertoire an Möglichkeiten. Und das nutzen sie für die zwölf Songs auch vollkommen ungeniert aus. Es beginnt schon bezeichnend mit Imogen Heaps „Headlock“: Der Sound ist fett und luftig zugleich, die Musik klingt leicht und ernst, solide und spaßig gleichermaßen. Auch wenn das Quintett behauptet, „Music ain‘t my thing“, merkt man in jedem Moment: Hier nimmt jemand Pop sehr ernst – mit grandiosem Ergebnis. Vor allem, weil sich Voxid als ungeheuer eng gefügtes Ensemble hören lässt: Da ist jede Stimme in jedem Moment an ihrem Platz.
MUSIC AIN’T MY THING by VOXID [official video clip]
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Eine andere Marke, die gleich gesetzt wird, ist das Niveau der Arrangements: Voxid (früher schon einige Jahre unter dem Namen „tonalrausch“ unterwegs) gibt sich nicht mit Dutzendware zufrieden. Deshalb komponieren und arrangieren sie auch (fast) alles selbst. Und das hört man, die genaue Passung auf die Stimmen und das Ensemble funktioniert wunderbar. Denn die Arrangements – und wirklich alle – sind ganz einfach großartig vielfältig, sprühen vor Ideen und stellen sich doch atmosphärisch ganz genau in den Dienst der Songs. Bei „Save your soul“ von Jamie Cullum zum Beispiel verbinden sich Flächen und Linien mit dicht verwobenen Texturen und klanglichen Reliefs. Und Voxid singt das auch immer so, dass man nur zustimmend nicken kann: Jeder Klang, jede Linie, jeder Akkord strotzt vor Energie, alles ertönt ungeheuer kraftvoll (man muss nur kurz in „Musical Treasure“ hineinhören!), aber mit ganz entspanntem Druck. Denn das Quintett erreicht sein musikalisches und emotionales Durchsetzungsvermögen ganz ohne hörbare Anstrengung.
Das Beste – wenn man das aus einem Album von so gleichbleibend hoher Qualität überhaupt herausheben kann – steht am Ende: Zunächst „Edge“, das noch einmal mit voller Power auf die Zielgerade einbiegt und in dem vortrefflich gestaffelten Arrangement zwischen leichter Beatbox und intensiver Melodie all die feinen Qualitäten ihrer Ensemblekunst präsentiert. Aber dann folgt noch, als Bonustrack, eine bezaubernde Version von „I fade away“, das sowieso die schönste Melodie der CD aufweist und hier im Remix mit Synthesizer-Einsatz noch klanglich aufgepeppt wird. Gerade das hätte Voxid aber überhaupt nicht nötig, nachdem es in den 50 Minuten davor so eine brillante Leistungsschau des Vocal Pop präsentierte.
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Eine Ursache für diese Verteilung mit einer starken Pkw-Nutzung auch bei geringen Entfernungen liegt in einer häufig anzutreffenden subjektiven Fehlwahrnehmung bei der Bewertung der Schnelligkeit bzw. der Reisezeit.
LTO: Was hat die Aussage von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zur „aggressiven Anti-Abschiebe-Industrie“ seitens der Anwälte bei Ihnen ausgelöst?
Sonnenberg: Das ist eine saudumme sowie kackfreche Aussage von einem, der keine Ahnung hat. Das ist ein Dummschwätzer der Mann, das können Sie gerne so zitieren.
The Lifespan of a Lie | Medium → das stanford prison experiment ist wohl kaum noch als ernsthaftes experiment zu halten
The appeal of the Stanford prison experiment seems to go deeper than its scientific validity, perhaps because it tells us a story about ourselves that we desperately want to believe: that we, as individuals, cannot really be held accountable for the sometimes reprehensible things we do. As troubling as it might seem to accept Zimbardo’s fallen vision of human nature, it is also profoundly liberating. It means we’re off the hook. Our actions are determined by circumstance. Our fallibility is situational. Just as the Gospel promised to absolve us of our sins if we would only believe, the SPE offered a form of redemption tailor-made for a scientific era, and we embraced it.
Ich habe mir irgendwann gesagt: Okay, es wird also in Zukunft alles in beiden Formaten geben, auf Papier und digital. Aber mit der Zeit musste ich einsehen, dass die alten Bestände, alles was bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen ist, nur sehr begrenzt in die digitale Welt rübergelangen werden. Das ganze Suhrkamp-Universum allein: alles weg, und das wird sich auch nicht mehr ändern. Dann habe ich mir gesagt: Okay, also wird wenigstens alles, was ab dem einundzwanzigsten Jahrhundert erscheint, in beiden Welten vorhanden sein. Aber jetzt lerne ich, dass auch das nicht stimmt.
Sich selbst in diese Tradition stellend, beschwört Kubitschek seit Jahren eben nicht die Debatte, sondern die finale Krise, um endlich zur erlösenden Tat schreiten zu können
Der Rettungsdienst hat genau das erstmal lernen müssen – im Gegensatz zu allen anderen beteiligten Organisationen wie Bundeswehr, Polizei, Grenzschutz, Berufsfeuerwehren – in solchen Lagen wirklich umzuschalten und bei einem Massenanfall von Verletzten anders zu agieren, als wir das aus dem täglichen Rettungsdienst, nämlich der Individualversorgung, kennen. Das war eine der stärksten Anstrengungen in den letzten Jahren, solche Konzepte dann auch tatsächlich zu verinnerlichen. Wenn ich eine Großschadenslage habe, kann ich nicht einfach irgendwo rein stürmen, sondern muss auf Befehl ganz bestimmte Arbeiten verrichten, die abgestimmt sind.
Es gibt ja viel weniger große Rollen für Frauen, aber ich möchte mit den tollen Schauspielerinnen arbeiten, die ich kenne. Das habe ich mir durchaus zur Aufgabe gemacht: Wie können diese mehr vorkommen? Und das ist dann natürlich ein feministischer Blick. Immer alles aus einer Männerperspektive zu erzählen – das langweilt mich.
Denn in der Umwelt‑, Energie- und Nachhaltigkeitspolitik legt das Kabinett Merkel IV gerade einen Fehlstart hin. Schon im Wahlkampf 2017 kamen diese Themen praktisch nicht vor. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wurden sie an den Rand gedrängt. Und in der Realität der ersten drei Monate wurde es noch schlimmer: Ziele wurden gekappt, Fristen versäumt, Zusagen kassiert, Dringendes wurde auf die lange Bank geschoben. […] Aber auf ein Signal für mehr Nachhaltigkeit aus dem Kanzleramt, wo eigentlich die Nachhaltigkeitspolitik koordiniert wird, wartet sie bisher vergeblich.
Zu Büchern findet man nicht allein | FAZ → ein schönes und (leider) notwendiges plädoyer von tilman spreckelsen für die erhaltung von stadtbibliotheken und ihre rolle im leseleben, aber eben auch für die gesellschaft insgesamt:
Denn wenn es einen Ort gibt, an dem sich unsere Gesellschaft mit all ihren Werten und ihren Widersprüchen spiegelt samt der Freiheit, sich aus dem Angebot ganz allein und unbeobachtet das Passende herauszusuchen, ohne befürchten zu müssen, wie im Internet dabei auf Schritt und Tritt registriert zu werden, dann ist er hier.
In Erinnerung an die Schuman-Erklärung begeht die Europäische Union den 9. Mai bereits seit vielen Jahren als Europatag. Europaweit finden heute Feste und Veranstaltungen statt, um die europäische Idee, die Errungenschaften der europäischen Integration und das bürgerschaftliche Engagement für länderübergreifenden Austausch und Verständigung zu feiern.
Nur eines ist der Europatag noch nicht: ein gesetzlicher Feiertag. Das Land Berlin hat jetzt die Chance, das zu ändern.
Im Korsett des Turbokapitalismus | SZ → im gegensatz zu gerhard mätzigs etwas herumeiernden sowohl-als-auch-artikel fordert laura weissmüller einen guten punkt, bevor man über die angeblich bessere leistung der nachgebauten pseudo-altstadt in frankfurt diskutiert:
Und genau deswegen macht es keinen Sinn, das neue Frankfurter Altstadtquartier in Stellung gegen eine Architektur zu bringen, die versucht, auf die Probleme unserer Zeit zu reagieren. Wer die Qualitäten beider Richtungen – hier die Bauten der Altstadtfreunde, dort die der Avantgardisten – ernsthaft vergleichen möchte, müsste erst mit derselben Sorgfalt, Detailfreude und Unterstützung der Baubehörde ein ähnlich dichtes Stück Stadt, und zwar in gleicher zentraler Lage, in zeitgenössischem Gewand bauen lassen. Ansonsten ist es unlauter, eine Architektur für ihre Unbehaustheit verantwortlich zu machen, wenn man sie aus Kostengründen genau in dieses Korsett zwingt.
Derart zahlreich sind die Bezüge ausserhalb und innerhalb seiner Disziplin, derart vielfältig ist Genettes Einfluss auf die Geisteswissenschaften insgesamt, dass es letztlich wohl diese totalisierende Unabhängigkeit von Schulen und Denkrichtungen ist, die sein Werk auszeichnet.
Almut Tina Schmidt: Zeitverschiebung. Graz, Wien: Droschl 2016. 189 Seiten. ISBN 978−3−85420−978−2.
Eigentlich ist SchmidtsZeitverschiebung eine Geschichte des erweiterten Erwachsenwerdens: Das Ende des Studiums, die ersten Jobs, sich verfestigende Beziehungen, die Liebe und dann das Kind, ein neuer Job, Zusammenziehen mit dem Partner und ein Happy End – das ist das Gerüst des Romans. Aber das ist auch der weniger interessante Teil des Romans. Schnell wird aber klar – der Titel ist in dieser Hinsicht ja überdeutlich … -, dass etwas anderes das eigentliche Thema ist: Die Zeit, genauer vielleicht: ihre Wahrnehmung, oder die wahrgenommene Positionierung der Ich-Erzählerin in ihrem strömenden Fließen.
Zeit ist ohnehin eine Illusion. (140)
Das Erleben und vor allem das Erzählen der Zeit verbindet sich mit ähnlich abstrakten Konzepten wie Fortuna oder Zufall. Denn die Verspätung – um die Zeitverschiebung etwas banaler zu verpassen – ist das zentrale Moment des Texte. Die chronologische Verspätung ist das eine, aber Verspätung ist eben auch ein Lebensgefühl (oder genauer: das Lebensgefühl einer Phase des Lebens): Das übermächtige Gefühl des Verpassens, des „zwischen“, „noch nicht“, und des immer schon zu spät sein, des Eindrucks, immer schon den Anfang verpasst zu haben … Aber selbst das happy end schlägt sich doch auch noch auf das Zeit(empfinden) – hier des eigenen, kleinen Kindes – nieder: „Und nimmt sich alle Zeit der Welt.“ (189) ist der Schlusssatz, der schön zum Anfangssatz passt: „Ich war ohnehin zu spät, konnte mir also Zeit lassen.“ (5)
Das Thema der Zeitverschiebung ist damit auf individueller Ebene sozusagen erledigt. Aber es wird eben deutlich (wie so oft in diesem Roman: überdeutlich), dass es in der nächsten Generation (wieder/noch) ein Thema sein kann. Allerdings, da schließt sich der Kreis nicht ganz: Noch ist das ein Kind, das „alle Zeit der Welt“ hat. Vielleicht gelingt ihm/ihr (?) ja das Erwachsenwerden der Zeit(empfindung) gemäß den gesellschaftlichen Konventionen/Erwartungen parallel zum restlichen Erwachsenwerden? (Wobei Zeitverschiebung ja eigentlich eher die Frage aufwirft, ob man ohne dieses spezielle, d.h. „normale“ Empfinden der Zeit, das Behagen darin, überhaupt erwachsen geworden ist – der Text verneint das eher und situiert seine Protagonistin ja mehr als deutlich in einem Zwischen, einem Übergangsstadium (klassisch: Pubertät), unabhängig von ihrem Alter.
Gerade der Anfang ist durchaus charmant erzählt, das muss man Schmidt attestieren, mit lässiger und heiterer Ironie-Distanz. Überhaupt ist die Sprache oft lakonisch, knapp und direkt mit Tendenz zum Humor. Es gibt wenig Ausschmückung, das hohe Tempo des Geschehens nimmt der Text gut auf: Die Zeit ist einfach nie genug, vor allem – so behauptet die Erzählerin immer wieder – lebt sie im Bewusstsein, sie zu verschwenden und hat permanent das Gefühl, die Zeit nicht genügend auszukosten, nicht ausreichend zu nutzen, immer nicht das Digentliche (des Lebens) zu tun, sondern nur einen Notbehelf, eine Zwischenlösung. Leider wird die Erzählung und die Sprache zunehmend konventioneller – sozusagen parallel zum Leben, dem Lebensentwurf der Erzählerin. Und damit verliert der Text leider meines Erachtens etwas: Sicher, das ist in Übereinstimmung mit der geschilderten Entwicklung. Aber es machte den Text für mich gegen Ende auch deutlich langweiliger.
Ich verschwendete mehr und mehr Zeit damit zu fürchten, meine Zeit ernsthaft zu verschwenden. (105)
Niemand ist das Alphabet einer seltsamen, schwierigen Vater-Tochter-Beziehung, die durch Abwesenheiten wesentlich mitbestimmt ist und von der Tochter nach dem Tod ihres Vaters erforscht und aufgeschrieben wird. Der wird uns als Melancholiker gezeigt, der auch daran stirbt (naja, eigentlich dann doch am Herzinfarkt), dessen Leben bestimmt ist vom Wahnsinn der Melancholie (?) und der sich immer wieder temporär in stationärer Behandlung befindet, zugleich aber (!) hoch angesehener Jura-Professor. Niemand nutzt für diesen nachträglichen Abschied den emotionalen, psychischen und literarischen Nachlass des Vater, aus dessen Schriften (teilweise auch fiktional gedacht) wird immer wieder zitiert. Denn zugleich ist der Roman auch ein Versuch des Erinnerns, mehr noch: der Vergegenwärtigung des Vaters durch die Auseinandersetzung, Aufarbeitung (Durcharbeitung) des Verhältnisses der Ich-Erzählerin mit ihm und ein Versuch, ihn – als Menschen, als Person – zu verstehen. Schwierig ist das insofern, als er schon während dem Leben verschwindet, (oder das zumindest als – in seinen Niederschriften offenbartes – Ziel hatte): eben ein Niemand werden, ein Mann ohne Eigenschaften.
Die Erzählerin verliert sich wunderbar in ihren eigenen Sätzen, häuft immer mehr Details und Erinnerungen an, türmt das auf, fügt immer neue Ergänzungen, Präzisierungen, Erweiterungen an. Die Sätze fangen oft ganz harmlos an und ufern dann maßlos aus. Aber das ist ja aber gerade der schöne und sympathische Witz des Textes: die ungetüme, wilde, chaotisch-fragmentarische Erinnerung wird nur durch das Alphabet der Kapitel gezähmt – zumindest scheinbar. Und letztlich bleibt der Versuch der Ordnung, ein kohärentes Ganzes dadurch zu schaffen (von Anfang bis Schluss in einer festgefügten Abfolge) auch vergeblich, eben nur ein Versuch, der im Text einmal als „Ordnung ohne Bedeutung“ klassifiziert wird (147). Aber sie ist wohl doch mehr: Denn die Buchstaben stehen ja nicht alleine, sondern werden in den Kapitelüberschriften zum Wort (mit Ausnahme des „Y“, wo die Ordnung dann eben auch reflektiert wird …).
„Nun gehen die Buchstaben aus, diese Ordnung ohne Bedeutung, mit deren Hilfe ich versucht habe, seine Unordnung und meine in den Griff zu bekommen, unsere Erinnerungen zu glätten und stammelnd dieses sehr alte Wissen zu buchstabieren, zu dem ich nicht durchgedrungen bin, als ob diese Wörter und Sätze, die unter dem Impuls und der Notwendigkeit einer anderern Ordnung, der seinigen – einer Aufforderung oder eines Versprechens (einen Roman daraus machen) –, hingeschrieben wurden, sogleich wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile auseinanderfallen würden […] (147)
Michael Fehr: Glanz und Schatten. Erzählungen. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2017. 141 Seiten. ISBN 9783038530398.
Simeliberg hatte mich ziemlich begeistert. Glanz und Schatten kann da leider nicht ganz mithalten. Vor allem die starke Konzentration und die fremde Härte, jeweils in Form und Sprache, von Simeliberg fehlt mir hier. Ganz oft weiß ich spontan (und später) überhaupt nicht, was die Texte wollen und/oder sollen, die Fremdheit ist und bleibt oft ziemlich groß: Irgendwie finde ich nicht zu dem Text. Dessen „Thema“ könnte man oft nennen: die kalte, erbarmungslose Welt des (Spät-)Kapitalismus und des Konsums, die Zurichtungsmaschinen und ‑mechanismen der („freien“) Gesellschaft, wie sie sich vor allem in der Fremdbestimmung (statt Individualität) äußern – aber der Fremdbestimmung einer gesichtslosen, anonymen Macht. Das spielen die Texte mit dem Vorführen von Rollenbildern und ‑klischees, v.a. denen der Geschlechter, durch. Gewalt spielt dabei immer wieder eine außerordentlich Rolle: als Ventil, als Ausbruch aus den unentkommbaren Zwängen, als Umschlagen der Energien. Nico Bleutge hat in seiner Rezension des Bandes vorgeschlagen, die Texte als zum Vortrag bestimmte zu lesen – vielleicht ist das wirklich hilfreich, denn „alleine“, als blanker Text, finde ich nur in einigen wenigen (zum Beispiel dem intensiven „Studentin“ oder „Mais“) genügend Faszination bei der Lektüre.
Felix Hartlaub: Don Juan d’Austria und die Schlacht bei Lepanto. Herausgegeben von Wolfram Pyta und Wolfgang M. Schwiedrzik. Neckargemünd, Wien: Edition Mnemosyne 2017 (GegenSatz 8). 292 Seiten. ISBN 9783934012301.
Eine geschichtswissenschaftliche Dissertation aus dem Jahr 1940 über ein Ereignis aus dem Jahr 1571 – lohnt die Lektüre eines solchen Textes heute noch? Durchaus, kann man sagen, wenn der Verfasser Format hatte. Und das muss man Felix Hartlaub bescheinigen. Deshalb ist Don Juan d’Austria und die Schlacht bei Lepanto tatsächlich auch noch interessant, als historische Darstellung eines historischen Ereignisses. Interessant ist auch die Form: Hartlaub arbeitet erzählend, er bringt (fast) keine Zitate und nutzt auch vergleichsweise wenige Quellen (und sowieso zur gedruckte): Als geschichtswissenschaftliche Qualifikationsschrift hätte das heute wohl keine Chance mehr. Auch als „Sachbuch“ bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich die Lektüre heute wirklich noch so unbedingt lohnt, wie die Herausgeber betonen … Sicher, die Stilisierung des sowieso schon zur Weltgeschichte hochstilisierten Ereignisses ist gekonnt umgesetzt. Aber viel mehr sehe ich da jetzt nicht unbedingt …
Die letzte Sinngebung des Tages von Lepanto gewann wir auch so noch nicht. An die Seite solcher Überlegungen muß wohl die Ahnung treten, daß der Tag von Lepanto zu den seltenen Ereignissen gehört, die, wenn man es so ausdrücken darf, auf einer höheren Ebene der Geschichte liegen und bei denen die Frage nach den tatsächlichen Folgen im letzten nicht angemessen ist. Nur materiell betrachtet, gehörte der Sieg freilich wohl zu den – im Verhältnis zu dem Erfolge – allzu verschwenderischen Blutopfern, an denen vor allem auch die deutsche Geschichte so reich ist. In dieser Hinsicht ist manche aus den unmittelbar folgenden Jahren erhaltene Äußerung aufschlußreich. Das ideal Bild der Schlacht aber, die noch überall, in den Galeeren im Hafen, in den Waffen und Narben gegenwärtig war, löste sich rasch aus dem Gefüge menschlicher Planungen; es war ganz in sich abgeschlossen, man konnte keinerlei Abwandlungen und Fortsetzungen ersinnen. (237)
außerdem gelesen:
Axel Matthes: Georges Bataille nach Allem. Berlin: blauwerke 2016 (splitter 07). 66 Seiten. ISBN 978−3−945002−07−0.
Günter de Bruyn: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter. Eine Biographie. Überarbeitete und vermehrte Neufassung. Frankfurt: Fischer 2013. 350 Seiten. ISBN 9783100096449.
Hans Jürgen von der Wense: Das Nordlicht. Herausgegeben von Valeska Bertoncini und Reiner Niehoff. Mit einem Beiwort von Valeska Bertoncini. Berlin: blauwerke 2016 (splitter 11). 58 Seiten. ISBN 9783945002117.
Hans Jürgen von der Wense: Das lose Werk. Mappe Nr. 01: Wolken. Berlin: blauewerke 2016. ISBN 978−3−945002−02−5.
Ruth Klüger: Marie von Ebner-Eschenbach. Anwältin der Unterdrückten. Wien: Mandelbaum 2016 (Autorinnen feiern Autorinnen). 56 Seiten. ISBN 9783854765219.
Marlene Streeruwitz: Marlene Streeruwitz über Bertha von Suttner. Wien: Mandelbaum 2014 (Autorinnen feiern Autorinnen). 61 Seiten. ISBN 9783854764564.
Kaum jemand, der sich damals auf die Bewegung eingelassen hatte, dürfte so wieder aus ihr herausgekommen sein, wie er zuvor in sie hineingegangen war. Das war ein komprimierter, äußerst dynamischer Prozess, der die Einzelnen nur zu häufig grundlegend verändert hat.
Diese Bewegung war aber in ihrem Kern auch etwas völlig Neuartiges. Ihre Akteure wollten ja nicht einfach wie noch die Arbeiter- oder Gewerkschafts‑, die Friedens- oder Ostermarschbewegung durch ihren Protest Interessen verfolgen und bestimmte Ziele erreichen. Nein, sie wollten sich dabei auch selbst entwickeln, verändern, manche sogar „befreien“. Es ging 1968 zugleich auch immer um die Bewegten selbst, um ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Träume – in einem emphatischen Sinne um Subjektivität. Die Schalen der alten Person sollten abgeschüttelt und darunter ein neues Ich entdeckt und geborgen werden. Damit hatte sie allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz ein Bewegungsformat geschaffen, das für andere Protestierende zum Fixpunkt wurde und an dem sich viele später orientiert haben.
Die Scheinfreiheit der Bibel | taz → heinz-werner kubitzka erklärt, warum es falsch (und scheinheilig) ist, sich für moderne werte auf das christentum zu berufen:
Toleranz und Freiheit sind eben nicht organisch aus dem Christentum erwachsen, sondern mussten geradezu in Gegnerschaft zum Christentum verwirklicht werden. […] Befreiung findet und fand nicht mit, sondern meist gegen die Religionen statt. Moderne Werte nimmt man nicht aus alten Schriften.
Verbale Ausschussware | Spiegel → sascha lobo verzweifelt an facebooks community-standards – und zwar ausdrücklich schon an ihrer sprachlichen verfasstheit
Wer sich hier von der Panikmache nicht anstecken lässt, sondern sich aus vernünftigen Quellen oder bei Beratern informiert, die einen praktikablen Weg zur Umsetzung zeigen und nicht nur mitteilen, wie unsicher und riskant alles wird, der wird auch die Vorgaben der DSGVO sinnvoll umgesetzt bekommen.
Mit ihrem pluralen Blick auf die Vergangenheit vermeidet die Problemerzeugungsgeschichte zugleich die Fragmentierung ihres Gegenstandes entlang identitärer Abgrenzungen. Sie lässt sich daher nicht vor den Karren außerwissenschaftlicher Identitätskonstruktionsbedürfnisse spannen, sondern analysiert diese selbst als Problemhorizont der Gegenwart. So – und wie ich meine nur so – lässt sich die Zeitgeschichte als Vorgeschichte der Gegenwart verstehen. Und als solche kann sie nicht nur, sondern sollte unbedingt ihre Stimme in der Deutung aktueller Problemlagen erheben. Gegenüber den Reduktionisten aller Couleur wirkt sie störend, aber eben das erweist ihre öffentliche Relevanz. Und in nicht wenigen Diskussionen liegt darin auch ihre besondere Kompetenz. Historische Wissenschaften sind nämlich die einzigen Disziplinen, die gleichsam mit zwei Augen sehen. Während das eine Auge in der Zeit- und Standortgebundenheit des Wissenschaftlers haften bleibt, richtet sich das andere auf die historische Tiefe. Und erlauben Sie mir zum Schluss eine nicht ganz ernstzunehmende Weiterführung des Bildes. Denn sind nicht die rein gegenwartsorientierten Wissenschaften gleichsam die Einäugigen unter den Blinden – den blinden Zeitgenossen, die ihre Gegenwart nicht zu verstehen vermögen? Und ist es demgegenüber nicht allein die Zeitgeschichte, die mit ihren beiden Augen zusammen räumlich sehen kann. Wenn es sich so verhält, ist die Zeitgeschichte weder antiquarische noch Lügenwissenschaft und um ihre Relevanz braucht uns nicht bange zu sein.
Johann Sebastian Bach, Toccata & Fuge d‑moll BWV 565 – allerdings nicht auf der Orgel gespielt, sondern sehr schön auf einem Pedalcembalo:
J.S. Bach, Toccata in d minor /en ré mineur, BWV 565
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Ein Buch ist idealtypisch das, was eine Autorin verfasst, ein Agent in ihrem Namen verkauft, eine Lektorin lektoriert, ein Verlag setzen lässt, publiziert und bewirbt, was ein Händler online oder im Laden verkauft, eine Rezensentin rezensiert, eine Käuferin kauft. Ein Buch ist also ein ziemlich komplexes, aus geistigen, materiellen, ökonomischen Aspekten zusammengesetztes Objekt. […] Das Schreiben von Büchern ist eine in jeder Hinsicht aufwändige und anstrengende Sache. Die allermeisten Autorinnen und Autoren von Literatur können, wie sich aus den genannten Zahlen ohne viel Rechnen ergibt, weder von den Verkäufen ihrer Bücher noch von den Vorschüssen leben. Das gilt für die USA, das gilt für Deutschland, es gilt wohl überall auf der Welt. Dennoch erscheinen Jahr für Jahr unfassbar viele belletristische Titel. Wovon leben all diese Menschen?
Geschlossen gegen imaginierte Bedrohungen | Süddeutsche → ein ziemlich guter essay von felix stephan über die verbiesterten, engstirnigen kämpfe um (deutungs-)hoheit (auch) in der kulturszene, die er er im verharren in den eigenen echokammern begründet sieht
[Levit] soll allen Ernstes erklären, wie sich sein Twittern jüdischer Witze mit Kritik an einem Preis für Verächtlichmachung von Auschwitz-Häftlingen verträgt. Was ist das für ein furchtbares Land, in dem ein führendes, seriöses Medium solche Fragen stellt?
Monika Grütters im Interview | Tagesspiegel → ein total irres interview mit monika grütters, die sich ernsthaft darüber beschwert, dass bei kulturpolitischen entscheidungen (zu) viele mitreden wollen. nun ja:
Manchmal würde auch der Kulturbetrieb eine Autorität gut vertragen.
Die große Inklusion | taz → vorabdruck eines auzuges aus armin nassehs neuem buch über 1968, „Gab es 1968?“, das – wenn ich den hier veröffentlichten text als maßstab nehme – sehr interessant zu sein scheint:
Als wirksames Erbe [von 1968] haben sich Inklusionsschübe vollzogen, in deren Folge es zu einer Generalinklusion der Bevölkerung kam. Dadurch ist es, so meine These, in allen westeuropäischen Ländern zu einem mehr oder weniger merklichen impliziten Linksruck gekommen – nicht explizit links gemäß der Vorstellung der radikalen Revolutionsperspektive des kleinen harten Kerns von „1968“, wonach die Gesellschaft ein umbaubares Objekt darstellt. Doch die Inklusionsdynamik hat durchaus zu einer diskursiven Beteiligung größerer Gruppen geführt, und es kam zu einer gruppenübergreifenden Prämiierung von Abweichung allein deshalb, weil die „Arbeitsteilung“ von Schichten und Milieus durcheinandergeriet. […] Die Politisierung der Inklusion ist das, was ich hier als das implizit Linke bezeichnen möchte. Es ist links, weil es die egalitären, auf soziale Ungleichheit zielenden Formen von Mitgliedschaft und Generalinklusion von Bevölkerungen offensiv angeht und sich mit jedem Schritt in Richtung Generalinklusion die Unmöglichkeit einhandelt, solche Formen wieder zurückzudrehen. Und es ist implizit links, weil es für die Verfolgung solcher Politik keiner explizit linken Semantik und Programmatik bedarf.